Urteil des BGH vom 07.03.2012

Leitsatzentscheidung zu Vergleich, Befristung, Krankheit, Wesentliche Veränderung, Abänderungsklage

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XII ZR 179/09
Verkündet am:
7. März 2012
Breskic,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Familiensache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB §§ 1572, 1578 b; ZPO § 323 aF
Zur Herabsetzung eines vor der Unterhaltsrechtsreform durch Vergleich titulierten
Unterhaltsanspruchs nach dem Bezug einer Rente wegen voller Erwerbsminderung
durch den Unterhaltsberechtigten.
BGH, Urteil vom 7. März 2012 - XII ZR 179/09 - OLG Hamburg
AG Hamburg
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 7. März 2012 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter
Weber-Monecke, Dr. Klinkhammer, Schilling und Dr. Nedden-Boeger
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 2. Familiensenats
des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 4. Novem-
ber 2009 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als für die Zeit
ab 1. Januar 2008 zum Nachteil des Klägers erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsver-
fahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Abänderung eines Prozessvergleichs über
nachehelichen Unterhalt.
Der 1941 geborene Kläger und die 1946 geborene Beklagte schlossen
1975 die Ehe, aus der der 1975 geborene Sohn M. und die 1978 geborene
Tochter A. hervorgingen. Der Kläger war als Lehrer an einem Gymnasium tätig.
Er ging am 1. August 2000 in Altersteilzeit und wurde zum 1. Februar 2004
frühpensioniert.
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Die Beklagte absolvierte ein Pädagogikstudium und legte 1969 das erste
Staatsexamen ab. Das anschließend begonnene Referendariat wurde aufgrund
einer seit dem Schulalter bestehenden Alkohol- und Tablettenabhängigkeit der
Beklagten nicht beendet. 1974 entließ die Schulbehörde sie wegen Arbeitsun-
fähigkeit. Eine nach der Geburt des Sohnes versuchte Fortsetzung des Refe-
rendariats scheiterte innerhalb kurzer Zeit.
Im Jahr 1984 trennten sich die Parteien, 1985 wurde die Ehe geschie-
den. Im Rahmen des Scheidungsverfahrens hatten die Parteien am 1. Oktober
1985 einen Vergleich geschlossen, der unter anderem folgende Regelung ent-
hält:
"Mit Wirkung ab 1. Januar 1986 zahlt der Antragsgegner an die
Antragstellerin einen nachehelichen Unterhalt - Elementarunter-
halt - in Höhe von 1.040
DM …
Dieser Vergleich steht unter folgender Geschäftsgrundlage:
d) Die Antragstellerin kann netto 1.000 DM anrechnungsfrei da-
zuverdienen. Überschreitet ihr Einkommen den Betrag von
1.000 DM, so ist der überschießende Betrag auf den vom An-
tragsgegner zu zahlenden Unterhaltsbetrag anzurechnen. Die
Parteien gehen von der übereinstimmenden Annahme aus,
dass die Antragstellerin bei ihrer Vorbildung und ihrem MdE-
Grad von 20 % einen Arbeitsplatz oder mehrere Teilzeitbe-
schäftigungen finden kann, auch bei der derzeitigen Lage des
Arbeitsmarktes, und so ein Nettoeinkommen von 1.000 DM
verdienen kann, ohne dass es Anrechnung auf ihren Unter-
haltsanspruch findet. Die Antragstellerin wird sich bemühen,
eine angemessene Arbeit zu finden, die zu einer Reduzierung
des Unterhalts führt."
Der Sohn M. lebte nach der Scheidung beim Vater, während die Tochter
A. bei der Mutter wohnte; von 1992 bis 1997 war A. in einem Internat.
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1985 nahm die Beklagte das Studium der Psychologie auf, das sie 1991
mit dem Staatsexamen abschloss. Während des Studiums sowie danach war
sie zeitweise als Aushilfe in Sprachschulen sowie als psychologische Fachkraft
im Rahmen von ABM-Maßnahmen erwerbstätig. Überwiegend bezog sie Kran-
kengeld und Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe. Seit dem 1. Juli 2002 be-
zieht sie Erwerbsunfähigkeitsrente, seit 2004 wegen voller Erwerbsminderung.
Der Kläger hat aus zweiter - ebenfalls geschiedener - Ehe eine 1990 ge-
borene Tochter.
Mit der 1992 erhobenen Abänderungsklage hat der Kläger den Wegfall
seiner Unterhaltspflicht begehrt. Er hat die Auffassung vertreten, die Beklagte
könne nach Abschluss des Studiums ihren Unterhaltsbedarf durch Aufnahme
einer Erwerbstätigkeit selbst bestreiten.
Die Beklagte hat im Wege der Widerklage ab 1. Oktober 1993 höheren
Unterhalt verlangt. Das Amtsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und
die Widerklage abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten und die An-
schlussberufung des Klägers hat das Oberlandesgericht den Vergleich in unter-
schiedlichem Umfang abgeändert. Für die Zeit ab 1. Januar 2008 hat es die
Klage abgewiesen und den Vergleich auf die Widerklage dahin abgeändert,
dass der Kläger ab 1. Januar 2008 Unterhalt von monatlich 633
€ und ab
1. Januar 2009 von monatlich 783
€ zu zahlen hat. Dagegen richtet sich die für
die Zeit ab 1. Januar 2008 zugelassene Revision des Klägers, mit der er inso-
weit sein Begehren weiterverfolgt, keinen Unterhalt mehr zahlen zu müssen.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet. Sie führt im Umfang der Anfechtung zur Auf-
hebung des Berufungsurteils und insoweit zur Zurückverweisung der Sache an
das Oberlandesgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung hinsicht-
lich des noch streitgegenständlichen Zeitraums im Wesentlichen ausgeführt:
Der Unterhaltsanspruch sei entgegen der Auffassung des Klägers nicht
bereits aufgrund des Vergleichs befristet. Nach der im Jahre 1985 bestehenden
Rechtslage habe weder der Unterhalt wegen Krankheit noch der Aufstockungs-
unterhalt befristet werden können. Dass gleichwohl ab 1992 kein Ehegattenun-
terhalt mehr habe geschuldet werden sollen, sei dem Vergleich nicht zu ent-
nehmen.
Der Unterhaltsanspruch sei auch nicht nach der seit dem 1. Januar 2008
geltenden Rechtslage für die Zukunft zu befristen. Nach § 1578 b BGB sei eine
Befristung zwar bei allen Unterhaltstatbeständen möglich. § 36 Ziff. 1 EGZPO
installiere insofern jedoch einen Vertrauensschutz für Altehen. Umstände, die
vor dem 1. Januar 2008 entstanden, aber erst nach Inkrafttreten des neuen Un-
terhaltsrechts erheblich geworden seien, seien nur zu berücksichtigen, wenn
die Änderung dem anderen Teil, hier der Beklagten, unter Berücksichtigung des
Vertrauens in die getroffene Regelung zumutbar sei. Schon bei Abschluss des
Vergleichs hätten die Parteien aber eine Minderung der Erwerbsfähigkeit der
Beklagten von 20 % zugrunde gelegt. Im Vertrauen auf den Bestand der Rege-
lung habe sie dem Grunde nach Unterhalt bezogen. Die Minderung der Er-
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werbsfähigkeit habe sich 1997 auf 50 % erhöht; seit 1. Juli 2002 sei die Beklag-
te wegen Erwerbsunfähigkeit verrentet. Mit Bescheid vom 30. Mai 2007 sei der
Grad der Behinderung auf 80 % festgesetzt worden. In der langen Zeit habe die
Beklagte weder damit rechnen müssen, dass der Unterhaltsanspruch unabhän-
gig von ihrer Bedürftigkeit auslaufen würde, noch habe sie sich auf die neue
Rechtslage einstellen können. Denn seit dem Beginn des Rentenbezugs sei
von ihr keine Erwerbstätigkeit mehr zu erwarten. Im Übrigen komme der nach-
ehelichen Solidarität beim Unterhalt wegen Krankheit besondere Bedeutung zu.
Der Kläger habe mit der Beklagten eine Familie gegründet, bevor sie in der
Lage gewesen sei, Referendariat und zweites Staatsexamen abzuschließen
und den Weg in den sicheren Staatsdienst zu finden. Auch ohne eine konkret
festgestellte Mitverantwortung des Klägers für die sich immer weiter verschlech-
ternde gesundheitliche und psychische Situation der Beklagten habe sie auf
eine gesteigerte nacheheliche Solidarität vertrauen können. Abgesehen davon
habe die Geburt der Kinder und der Auslandsaufenthalt der Familie von 1980
bis 1984 für die Beklagte nicht nur eine Überforderung bedeutet, sondern auch
einen ehebedingten Nachteil begründet, weil ein Abschluss ihrer Ausbildung
schon für einen gesunden Menschen eine immer größere Kraftanstrengung vo-
rausgesetzt hätte. Hinzu komme, dass die im Rahmen des vorliegenden
Rechtsstreits erfolgten vier Begutachtungen neben der Verfahrensdauer eine
erhebliche zusätzliche Belastung dargestellt hätten, die in den entscheidenden
Jahren nach Abschluss des Psychologiestudiums Kräfte gebunden hätte, die für
den Ausbau der Erwerbstätigkeit gefehlt hätten.
Die Höhe des Unterhalts ergebe sich für die Zeit ab 1. Januar 2008 unter
Heranziehung des Halbteilungsgrundsatzes, da beide Parteien nicht mehr er-
werbstätig gewesen seien. Bei dem Kläger sei fiktiv die Pension zugrunde zu
legen, die er erhalten würde, wenn er bis zum 65. Lebensjahr in vollem Umfang
berufstätig gewesen wäre. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest,
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dass unterhaltsrechtlich anzurechnende Gründe für die Reduzierung der Ar-
beitszeit nicht bestanden hätten. Auszugehen sei deshalb für 2008 von einem
um die Kosten der Krankenversicherung und den Kindesunterhalt für die Toch-
ter aus zweiter Ehe bereinigten Einkommen des Klägers von 2.279,63
€ monat-
lich. Das Einkommen der Beklagten sei mit (bereinigt) 1.015,40
€ monatlich
(Erwerbsunfähigkeitsrente sowie private Rente von ca. 200
€) anzusetzen, so
dass sich ein Unterhaltsanspruch von 633
€ errechne. Ab 1. Januar 2009 erge-
be sich nach Wegfall des Kindesunterhalts und geringfügiger Erhöhung der
Einkünfte des Klägers ein Anspruch von monatlich 783
€.
II.
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen
Punkten stand.
1. Das Berufungsgericht hat die Abänderungsklage allerdings zu Recht
für zulässig gehalten.
Auf das im Jahre 1992 eingeleitete Abänderungsverfahren ist wie auf das
Verfahren im Allgemeinen nach Art. 111 Abs. 1 Satz 1, 2 FGG-RG das vor dem
1. September 2009 geltende Recht anzuwenden (Senatsurteile vom 29. Juni
2011 - XII ZR 157/09 - FamRZ 2011, 1721 Rn. 16; BGHZ 186, 1 = FamRZ
2010, 1238 Rn. 10 und BGHZ 183, 197 = FamRZ 2010, 111 Rn. 16). Die Zuläs-
sigkeit der Abänderungsklage ergibt sich aus § 323 ZPO aF. Der Kläger hat
eine wesentliche Veränderung der dem Prozessvergleich zugrunde gelegten
Verhältnisse geltend gemacht. Er hat sein Begehren darauf gestützt, dass die
Beklagte nach Beendigung des Psychologiestudiums in der Lage sei, ihren Le-
bensunterhalt durch Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit selbst zu bestreiten.
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2. Nach Auffassung des Berufungsgerichts enthält der Vergleich keine
befristete Unterhaltsregelung. Dagegen bestehen revisionsrechtlich keine Be-
denken. Ob ein Vergleich eine Begrenzung des Unterhaltsanspruchs vorsieht,
ist durch Auslegung zu ermitteln. Eine entsprechende Würdigung hat das Beru-
fungsgericht vorgenommen, ohne dass die Revision Einwendungen gegen das
gewonnene Ergebnis erhoben hat. Dieses steht auch damit in Einklang, dass
mangels einer entgegenstehenden ausdrücklichen oder konkludenten vertragli-
chen Regelung im Zweifel davon auszugehen ist, dass die Parteien eine späte-
re Befristung oder Herabsetzung des Unterhalts offenhalten wollten (vgl. Se-
natsurteil BGHZ 186, 1 = FamRZ 2010, 1238 Rn. 23).
3. Die Bemessung der Höhe des Unterhaltsanspruchs ist ebenfalls
rechtsbedenkenfrei. Auch insofern erinnert die Revision nichts.
4. Im Rahmen der gemäß § 313 BGB vorzunehmenden Vertragsanpas-
sung ist der Unterhaltsanspruch nach Auffassung der Revision zu befristen. Auf
die geltend gemachte Regelung ist das seit dem 1. Januar 2008 geltende Un-
terhaltsrecht anzuwenden (Art. 4 Unterhaltsrechtsänderungsgesetz; vgl. auch
Art. 36 Nr. 7 EGZPO und Senatsurteile BGHZ 179, 43 = FamRZ 2009, 406
Rn. 27 und BGHZ 186, 1 = FamRZ 2010, 1238 Rn. 31). Entgegen der Auffas-
sung des Berufungsgerichts ist eine Begrenzung des Unterhalts nicht ausge-
schlossen. Vielmehr lässt die vorzunehmende Billigkeitsabwägung nach den
getroffenen Feststellungen sowohl eine Herabsetzung als auch eine Befristung
naheliegend erscheinen.
a) Ein Anspruch auf nachehelichen Unterhalt ist nach § 1578 b Abs. 1
Satz 1 BGB auf den angemessenen Lebensbedarf herabzusetzen, wenn eine
an den ehelichen Lebensverhältnissen orientierte Bemessung des Unterhalts-
anspruchs auch unter Wahrung der Belange eines dem Berechtigten zur Pflege
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oder Erziehung anvertrauten gemeinschaftlichen Kindes unbillig wäre. Nach
§ 1578 b Abs. 2 Satz 1 BGB ist ein Anspruch auf nachehelichen Unterhalt zeit-
lich zu begrenzen, wenn ein zeitlich unbegrenzter Unterhaltsanspruch unbillig
wäre.
Die Kriterien für die Billigkeitsabwägung ergeben sich aus § 1578 b
Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB. Danach ist vorrangig zu berücksichtigen, inwieweit
durch die Ehe Nachteile im Hinblick auf die Möglichkeit eingetreten sind, für den
eigenen Unterhalt zu sorgen. Solche Nachteile können sich vor allem aus der
Dauer der Pflege und Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes, aus der Ge-
staltung von Haushaltsführung oder Erwerbstätigkeit während der Ehe sowie
aus der Dauer der Ehe ergeben. Ein ehebedingter Nachteil äußert sich in der
Regel darin, dass der unterhaltsberechtigte Ehegatte nachehelich nicht die Ein-
künfte erzielt, die er ohne Ehe und Kinderbetreuung erzielen würde (Senatsur-
teile vom 23. November 2011 - XII ZR 47/10 - FamRZ 2012, 197 Rn. 24; vom
6. Oktober 2010 - XII ZR 202/08 - FamRZ 2010, 1971 Rn. 19 und vom
20. Oktober 2010 - XII ZR 53/09 - FamRZ 2010, 2059 Rn. 22).
b) Nach den getroffenen Feststellungen kann die Beklagte seit dem Jahr
2004 bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres im September 2011 ausschließ-
lich Unterhalt wegen Krankheit nach § 1572 BGB verlangen, da sie seitdem
Erwerbsunfähigkeitsrente wegen voller Erwerbsminderung bezog (zur Abgren-
zung von Krankheitsunterhalt und Aufstockungsunterhalt gemäß § 1573 Abs. 2
BGB vgl. Senatsurteil BGHZ 179, 43 = FamRZ 2009, 406 Rn. 20).
Beim Krankheitsunterhalt nach § 1572 BGB, bei dem die Krankheit selbst
regelmäßig nicht ehebedingt ist, ist ein ehebedingter Nachteil denkbar, wenn
ein Unterhaltsberechtigter aufgrund der Rollenverteilung in der Ehe nicht aus-
reichend für den Fall der krankheitsbedingten Erwerbsminderung vorgesorgt hat
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und seine Erwerbsunfähigkeitsrente infolge der Ehe oder Kindererziehung ge-
ringer ist als sie ohne die Ehe wäre oder sie vollständig entfällt (Senatsurteile
BGHZ 179, 43 = FamRZ 2009, 406 Rn. 34; vom 27. Mai 2009 - XII ZR 111/08 -
FamRZ 2009, 1207 Rn. 36 und vom 2. März 2011 - XII ZR 44/09 - FamRZ
2011, 713 Rn. 19). Insoweit entsprechen sich Krankheitsunterhalt nach § 1572
und der Altersunterhalt nach § 1571 BGB. In beiden Fällen ist jedoch zu be-
rücksichtigen, dass der Ausgleich unterschiedlicher Vorsorgebeiträge vornehm-
lich Aufgabe des Versorgungsausgleichs ist, durch den die Interessen des Un-
terhaltsberechtigten regelmäßig ausreichend gewahrt werden. Ehebedingte
Nachteile im Sinne des § 1578 b Abs. 1 Satz 2 BGB können also nicht mit den
durch die Unterbrechung der Erwerbstätigkeit während der Ehe verursachten
geringeren Rentenanwartschaften begründet werden, wenn für diese Zeit ein
Versorgungsausgleich stattgefunden hat. Nachteile in der Versorgungsbilanz
sind dann in gleichem Umfang von beiden Ehegatten zu tragen und somit voll-
ständig ausgeglichen (Senatsurteile vom 16. April 2008 - XII ZR 107/06 -
FamRZ 2008, 1325 Rn. 43; vom 25. Juni 2008 - XII ZR 109/07 - FamRZ 2008,
1508 Rn. 25 und vom 2. März 2011 - XII ZR 44/09 - FamRZ 2011, 713 Rn. 19).
Ein ehebedingter Nachteil wegen Aufgabe der Erwerbstätigkeit infolge
der Kindererziehung und Haushaltstätigkeit kann sich allerdings dann ergeben,
wenn deswegen die Voraussetzungen für eine Rente wegen voller Erwerbs-
minderung nicht erfüllt sind. In solchen Fällen besteht der Nachteil im Verlust
der ohne Ehe und Kindererziehung erzielbaren Erwerbsunfähigkeitsrente. Der
sich daraus ergebende ehebedingte Nachteil entfällt allerdings mit dem Beginn
der Altersrente, weil für diese nach den §§ 35 ff. SGB VI neben der Erfüllung
der Wartezeit und der Altersvoraussetzung keine Mindestzahl von Pflichtbeiträ-
gen - wie bei der Erwerbsunfähigkeitsrente gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
SGB VI - erforderlich ist (Senatsurteil vom 2. März 2011 - XII ZR 44/09 - FamRZ
2011, 713 Rn. 20).
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c) § 1578 b BGB beschränkt sich nach dem Willen des Gesetzes aller-
dings nicht auf die Kompensation ehebedingter Nachteile, sondern berücksich-
tigt auch eine darüber hinausgehende nacheheliche Solidarität. Auch wenn kei-
ne ehebedingten Nachteile vorliegen, ist eine Herabsetzung oder zeitliche Be-
grenzung des nachehelichen Unterhalts nur bei Unbilligkeit eines fortdauernden
Unterhaltsanspruchs nach den ehelichen Lebensverhältnissen begründet. Bei
der insoweit gebotenen Billigkeitsabwägung hat das Familiengericht das im
Einzelfall gebotene Maß der nachehelichen Solidarität festzulegen, wobei vor
allem die in § 1578 b Abs. 1 Satz 3 BGB aufgeführten Gesichtspunkte zu be-
rücksichtigen sind. Wesentliche Aspekte sind die Ehedauer, die Rollenvertei-
lung während der Ehe wie auch die vom Unterhaltsberechtigten während der
Ehe erbrachte Lebensleistung (Senatsurteile vom 23. November 2011
- XII ZR 47/10 - FamRZ 2012, 197 Rn. 31 und vom 27. Mai 2009
- XII ZR 111/08 - FamRZ 2009, 1207 Rn. 39). Bei der Beurteilung der Unbillig-
keit der fortwährenden Unterhaltszahlung sind ferner die wirtschaftlichen Ver-
hältnisse der Parteien sowie Umfang und Dauer des vom Unterhaltspflichtigen
bis zur Scheidung gezahlten Trennungsunterhalts von Bedeutung (Senatsurteil
vom 30. Juni 2010 - XII ZR 9/09 - FamRZ 2010, 1414 Rn. 28).
Bereits bei der Prüfung der Unbilligkeit nach § 1578 b BGB ist außerdem
zu berücksichtigen, ob der Unterhaltsanspruch tituliert ist. Denn einem titulierten
oder durch Vereinbarung festgelegten Unterhalt kommt ein größerer Vertrau-
ensschutz zu als einem nicht vertraglich festgelegten oder durch Titulierung
gesicherten Anspruch. Wie das Gesetz in § 36 Nr. 1 EGZPO klarstellt, gilt dies
bei Unterhaltstiteln oder -vereinbarungen nach der bis Dezember 2007 beste-
henden Rechtslage in noch stärkerem Maße. Dass dieser Gesichtspunkt in § 36
Nr. 1 EGZPO gesondert geregelt ist, hindert seine Heranziehung im Rahmen
von § 1578 b BGB nicht. Da die Beurteilung der Begrenzung und Befristung
nach § 1578 b BGB vielmehr auf einer umfassenden Interessenabwägung be-
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ruhen muss, ist die Berücksichtigung der Titulierung im Rahmen des § 1578 b
BGB sogar geboten. Dass damit die Zumutbarkeit nach § 36 Nr.1 EGZPO be-
reits in dem insoweit umfassenderen Tatbestand des § 1578 b BGB aufgeht, ist
unbedenklich, weil bei einem Zusammentreffen der Abänderung eines Alttitels
und einer Befristung den gesetzlichen Wertungen des § 36 Nr. 1 EGZPO be-
reits im Rahmen der Befristung nach § 1578 b BGB in vollem Umfang Rech-
nung getragen ist (Senatsurteile vom 23. November 2011 - XII ZR 47/10 -
FamRZ 2012, 197 Rn. 32 und vom 30. Juni 2010 - XII ZR 9/09 - FamRZ 2010,
1414 Rn. 32).
d) Danach hält die vom Berufungsgericht vorgenommene Billigkeitsab-
wägung einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.
aa) Zwar ist die Abwägung aller für die Billigkeitsentscheidung in Be-
tracht kommenden Gesichtspunkte Aufgabe des Tatrichters. Sie kann vom Re-
visionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob dieser die im Rahmen der
Billigkeitsprüfung maßgebenden Rechtsbegriffe verkannt oder für die Einordung
unter diese Begriffe wesentliche Umstände unberücksichtigt gelassen hat (Se-
natsurteile vom 29. Juni 2011 - XII ZR 157/09 - FamRZ 2011, 1721 Rn. 21 und
vom 11. August 2010 - XII ZR 102/09 - FamRZ 2010, 1637 Rn. 47). Der revisi-
onsrechtlichen Überprüfung unterliegt insbesondere, ob der Tatrichter sich mit
dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei
auseinandergesetzt hat, seine Würdigung also vollständig und rechtlich möglich
ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (Senatsurteile
vom 29. Juni 2011 - XII ZR 157/09 - FamRZ 2011, 1721 Rn. 21 und vom
14. Oktober 2009 - XII ZR 146/08 - FamRZ 2009, 1990 Rn. 19).
Nach diesen Prüfungsmaßstäben wendet sich die Revision zu Recht ge-
gen die Ablehnung einer Unterhaltsbegrenzung.
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bb) Das Berufungsgericht hat einen ehebedingten Nachteil der Beklagten
darin gesehen, dass sie im Hinblick auf die Überforderung, die sich aus der
Krankheit in Verbindung mit der Geburt der Kinder und dem Auslandsaufenthalt
der Parteien ergeben habe, ihr zweites Staatsexamen als Lehrerin nicht abge-
schlossen und deshalb nicht den Weg in den Staatsdienst gefunden habe. Dies
ist bereits nicht widerspruchsfrei. Denn das Berufungsgericht ist im Rahmen der
Frage der Erwerbsfähigkeit der Beklagten davon ausgegangen, dass sie nie
eine ernsthafte Chance auf Übernahme in den Staatsdienst gehabt habe, weil
sie von einer Lehrtätigkeit unter üblichen Bedingungen überfordert gewesen sei
(BU 16 oben). Darauf kommt es aber nicht entscheidend an. Nachdem die Be-
klagte in der noch streitgegenständlichen Zeit ab Januar 2008 erwerbsunfähig
war, lagen die Voraussetzungen des § 1572 BGB (Unterhalt wegen Krankheit)
bzw. ab Vollendung des 65. Lebensjahres des § 1571 BGB (Unterhalt wegen
Alters) vor. Insoweit können sich - wie ausgeführt - ehebedingte Nachteile nur
aus einer infolge der Rollenverteilung während der Ehe unzureichenden Ver-
sorgung für den Fall der Erwerbsunfähigkeit bzw. des Alters ergeben. Da der
Ausgleich unterschiedlicher Vorsorgebeiträge in erster Linie durch den Versor-
gungsausgleich erfolgt, hätte es Feststellungen dazu bedurft, ob und gegebe-
nenfalls in welcher Höhe ein solcher durchgeführt worden ist. Daran fehlt es. In
den mangelnden rechtlichen Voraussetzungen für den Bezug einer Erwerbsun-
fähigkeitsrente kann im vorliegenden Fall jedenfalls kein ehebedingter Nachteil
liegen, da der Beklagten eine solche Rente gewährt wurde.
Von einem ehebedingten Nachteil kann deshalb im Revisionsverfahren
nicht ausgegangen werden. Die Krankheit eines unterhaltsbedürftigen Ehegat-
ten stellt regelmäßig keinen ehebedingten Nachteil dar, denn sie wird allenfalls
in Ausnahmefällen auf der Rollenverteilung in der Ehe oder sonstigen mit der
Ehe zusammenhängenden Umständen beruhen (Senatsurteile BGHZ 179, 43
= FamRZ 2009, 406 Rn. 33; vom 27. Mai 2009 - XII ZR 111/08 - FamRZ 2009,
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1207 Rn. 37; vom 14. April 2010 - XII ZR 89/08 - FamRZ 2010, 869 Rn. 42 und
vom 30. Juni 2010 - XII ZR 9/09 - FamRZ 1414 Rn. 17). Dass es hier anders
wäre, ist nach den getroffenen Feststellungen nicht anzunehmen. Vielmehr litt
die Beklagte schon viele Jahre vor der Heirat unter einer Tabletten- und Alko-
holabhängigkeit.
cc) Auch die Ausführungen des Berufungsgerichts zum Vertrauen in die
nacheheliche Solidarität tragen den Ausschluss einer Befristung nicht.
(1) Die in Bezug genommene Auffassung, der Gesetzgeber sei nicht der
Ansicht gewesen, dass im Falle des Bestehens einer Krankheit zum Zeitpunkt
der Rechtskraft der Ehescheidung die nacheheliche Solidarität, in der die
Rechtfertigung für die Unterhaltstatbestände liege, irgendwann nach der Ehe
ende und dann die gesellschaftliche Solidarität einzutreten habe, trifft nicht zu.
Mit dieser Begründung wäre die Befristung des Krankheitsunterhalts überhaupt
ausgeschlossen. Dies widerspräche indessen dem eindeutigen Willen des Ge-
setzgebers, der eine Befristungsmöglichkeit über den Unterhalt nach § 1573
BGB hinaus auch auf die weiteren Unterhaltsansprüche, insbesondere auf den
Krankheitsunterhalt nach § 1572 BGB und den Altersunterhalt nach § 1571
BGB, ausdehnen wollte (Senatsurteil vom 30. Juni 2010 - XII ZR 9/09 - FamRZ
2010, 1414 Rn. 26).
(2) Das vom Berufungsgericht maßgeblich angeführte Vertrauen der Be-
klagten auf den lebenslangen Bestand des Unterhaltsvergleichs war jedenfalls
seit Erhebung der Abänderungsklage im Jahre 1992 nicht mehr gerechtfertigt.
Abgesehen von der zwischen den Parteien streitigen Frage, ob und gegebe-
nenfalls inwieweit die Beklagte für ihren Unterhaltsbedarf selbst aufkommen
konnte, sah das Gesetz seit Inkrafttreten des Unterhaltsrechtsänderungsgeset-
zes vom 20. Februar 1986 am 1. April 1986 in § 1578 Abs. 1 Satz 2 BGB aF
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bereits die Möglichkeit der Herabsetzung des Unterhalts auf den angemesse-
nen Lebensbedarf vor. Soweit die Beklagte noch zeitweise erwerbstätig war
und Unterhalt nach § 1573 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB beanspruchte, enthielt
§ 1573 Abs. 5 BGB aF seit 1986 eine Befristungsmöglichkeit. Deshalb musste
die Beklagte seit Jahren damit rechnen, dass der Vergleich auf die erhobene
Klage abgeändert werden konnte. Hinzu kommt, dass der Kläger offensichtlich
seit 1992 keinen Unterhalt mehr gezahlt hat, so dass sie seitdem auf sich selbst
gestellt war.
(3) Die Ehedauer hat das Berufungsgericht mit der Zeit von 1975 bis
1985 zugrunde gelegt. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist indessen
auf die Zeit von der Eheschließung bis zur Zustellung des Scheidungsantrags
abzustellen (BGHZ 179, 43 = FamRZ 2009, 406 Rn. 34 mwN). Der Zeitpunkt
der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags ist nicht festgestellt worden.
(4) Außerdem ist in die Würdigung des Berufungsgerichts die wirtschaft-
liche Gesamtbelastung des Klägers nicht eingeflossen. Es ist nicht festgestellt,
inwieweit er Trennungsunterhalt gezahlt hat. Nach dem Vergleich war jedenfalls
für das Jahr 1985 ein solcher von monatlich 1.164 DM geschuldet. Darüber hin-
aus ist unberücksichtigt geblieben, dass der Kläger nach dem für die Zeit von
1992 bis 2007 in Rechtskraft erwachsenen Ausspruch des Berufungsurteils
mehr als 65.000
€ an Unterhalt zu zahlen hat. Zudem war der Kläger sowohl für
die Betreuung des Sohnes M. als auch für dessen Barunterhalt verantwortlich,
da er die Beklagte nach dem Vergleich im Innenverhältnis von Ansprüchen auf
Kindesunterhalt für M. freigestellt hat. Ferner ist unbeachtet geblieben, dass
dem Kläger nach der Unterhaltsbemessung des Berufungsgerichts weniger an
Mitteln zur Verfügung steht als der Beklagten. Deshalb trifft ihn die uneinge-
schränkte Unterhaltsverpflichtung besonders hart.
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(5) Als weiteren gegen eine Befristung sprechenden Umstand hat das
Berufungsgericht in seine Beurteilung einbezogen, dass die Dauer des Rechts-
streits mit mehreren Begutachtungen der Beklagten eine erhebliche Belastung
für diese dargestellt habe. Der genannte Gesichtspunkt kann indessen kein
tauglicher Aspekt der Billigkeitsabwägung nach § 1578 b BGB sein, weil der
Kläger damit in zulässiger Weise seine prozessualen Rechte wahrgenommen
hat (vgl. Senatsurteil vom 30. März 2011 - XII ZR 69/09 - FamRZ 2011, 875
Rn. 20).
5. Eine Herabsetzung des Unterhalts nach § 1578 b Abs. 1 BGB, die bis
auf den angemessenen Lebensbedarf (vgl. hierzu Senatsurteil vom 20. Oktober
2010 - XII ZR 53/09 - FamRZ 2010, 2059 Rn. 22 mwN) erfolgen kann, hat das
Berufungsgericht für die Zeit ab Januar 2008 ersichtlich nicht erwogen. Eine
solche kann nach den getroffenen Feststellungen indessen ebenfalls nicht aus-
geschlossen werden. Maßgebend ist auch insoweit eine Billigkeitsabwägung
unter Berücksichtigung der vorstehend genannten Kriterien.
III.
Danach kann das Berufungsurteil im angefochtenen Umfang keinen Be-
stand haben. Der Senat ist nicht in der Lage, in der Sache abschließend zu ent-
scheiden, da es hierzu weiterer Feststellungen bedarf. Die Sache ist deshalb im
Umfang der Revision an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass eine dem
Revisionsbegehren entsprechende Befristung zur Folge hätte, dass der Beklag-
ten keine Übergangsfrist zugebilligt würde, weil eine Befristung des Krankheits-
unterhalts nach § 1572 BGB erst seit dem 1. Januar 2008 möglich ist. Eine
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dauerhafte Unterhaltsverpflichtung dürfte unter den Umständen des vorliegen-
den Falles allerdings unbillig sein. Gegen die Beurteilung, dass der Unterhalt
nicht nach § 1579 BGB zu versagen ist, bestehen keine rechtlichen Bedenken.
Hahne
Weber-Monecke
Klinkhammer
Schilling
Nedden-Boeger
Vorinstanzen:
AG Hamburg, Entscheidung vom 13.01.2004 - 271 F 26/92 -
OLG Hamburg, Entscheidung vom 04.11.2009 - 2 UF 52/08 -