Urteil des BGH vom 23.05.2012

Leitsatzentscheidung zu Befristung, Änderung der Rechtsprechung, Änderung der Verhältnisse, Abänderungsklage, Rechtskraft

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XII ZR 147/10
Verkündet am:
23. Mai 2012
Breskic,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Familiensache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 1578 b; ZPO § 323 aF; EGZPO § 36; FamFG § 238
Wurde im Unterhaltsvergleich eine spätere Befristung des Unterhalts vorbehal-
ten, diese jedoch in einem nach Veröffentlichung des Senatsurteils vom
12. April 2006 (XII ZR 240/03 - FamRZ 2006, 1006) verhandelten Abände-
rungsverfahren nicht geltend gemacht, so ergibt sich weder aus der anschlie-
ßenden Senatsrechtsprechung noch aus dem Inkrafttreten des § 1578 b BGB
am 1. Januar 2008 eine wesentliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse (im
Anschluss an Senatsurteil vom 29. September 2010 - XII ZR 205/08 - FamRZ
2010, 1884).
BGH, Urteil vom 23. Mai 2012 - XII ZR 147/10 - OLG Stuttgart
AG Nürtingen
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 23. Mai 2012 durch die Richter Dose, Dr. Klinkhammer, Dr. Günter,
Dr. Nedden-Boeger und Dr. Botur
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 16. Zivilsenats
- Familiensenat - des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 21. Okto-
ber 2010 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Oberlan-
desgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Parteien sind rechtskräftig geschiedene Eheleute und streiten in ei-
nem Abänderungsverfahren um nachehelichen Unterhalt.
Am 7. April 2005 schlossen sie einen gerichtlichen Unterhaltsvergleich,
worin der Ehemann sich verpflichtete, an die Ehefrau monatlichen Elementar-
und Altersvorsorgeunterhalt von monatlich 569,26
€ ab Mai 2005 zu zahlen.
Unter Ziffer 3 des Vergleichs ist geregelt:
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"Die Parteien sind sich einig, dass derzeit die rechtlichen Voraussetzun-
gen für eine zeitliche Begrenzung des Unterhalts nicht vorliegen, jedoch
ist der Ehemann für den Fall einer wesentlichen Änderung der tatsächli-
chen und rechtlichen Grundlagen dieses Vergleichs mit diesem Einwand
nicht ausgeschlossen."
Auf eine erste Abänderungsklage des Ehemanns änderte das Familien-
gericht die Unterhaltspflicht durch Urteil vom 15. Mai 2007 dahin ab, dass die-
ser nur noch einen nachehelichen Unterhalt von monatlich 466
€ zu zahlen ha-
be. Eine Befristung des Unterhalts wurde in dem Verfahren weder vom Ehe-
mann geltend gemacht noch vom Familiengericht geprüft.
Mit seiner weiteren, im März 2009 erhobenen Abänderungsklage begehrt
der Ehemann nunmehr eine zeitliche Begrenzung des Unterhalts und beruft
sich hierzu auf die seit Inkrafttreten des Unterhaltsrechtsänderungsgesetzes
vom 21. Dezember 2007 bestehenden erweiterten Befristungsmöglichkeiten.
Das Familiengericht hat die Unterhaltsverpflichtung ab dem 1. September 2009
entfallen lassen. Die von der Ehefrau eingelegte Berufung hat das Oberlandes-
gericht zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich ihre zugelassene Revision, mit
der sie den Standpunkt vertritt, der Ehemann sei mit dem Befristungseinwand
präkludiert, da er diesen bereits im ersten Abänderungsverfahren auf Grundla-
ge der seit 12. April 2006 geänderten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
hätte geltend machen müssen.
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Entscheidungsgründe:
Die zulässige Revision ist in der Sache begründet und führt zur Aufhe-
bung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Beru-
fungsgericht.
I.
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts ist der Ehemann mit dem Be-
fristungseinwand nicht präkludiert. Zwar sei eine Befristung des Aufstockungs-
unterhalts mangels Vorliegens ehebedingter Nachteile bereits zum Zeitpunkt
der letzten mündlichen Verhandlung des vorangegangenen Verfahrens am
22. April 2007 möglich gewesen. Auch stünde der Vorbehalt des Befristungs-
einwands nach Ziff. 3 des Vergleichs in so engem Zusammenhang mit der un-
terhaltsrechtlichen Regelung nach Ziff. 1 des Vergleichs, dass mit der ersten
Abänderungsklage des Ehemanns auch der Befristungseinwand hätte geltend
gemacht werden müssen. Durch die erste Abänderung der Unterhaltsvereinba-
rung sei daher die Grundlage für den Vorbehalt des Befristungseinwands entfal-
len.
Dennoch seien die Voraussetzungen für eine Präklusion des Befris-
tungseinwands nicht gegeben. Die auf dem Senatsurteil vom 12. April 2006
(XII ZR 240/03 - FamRZ 2006, 1006) beruhende Rechtsänderung habe zu-
nächst zu einer äußerst zurückhaltenden Anwendung der Befristungsregelun-
gen bei Ehen geführt, aus denen gemeinsame Kinder hervorgegangen seien.
Bis zu dem im Mai 2007 veröffentlichten Senatsurteil vom 28. Februar 2007
(XII ZR 161/04 - FamRZ 2007, 707) finde sich keine veröffentlichte obergericht-
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liche Entscheidung, in der eine Befristung bei einer Ehe mit Kindern ausgespro-
chen worden sei. Die Rechtsprechungsänderung zur Befristung des Aufsto-
ckungsunterhalts sei schrittweise erfolgt und erst mit der vorzitierten Senatsent-
scheidung vom 28. Februar 2007 hinreichend klar gewesen. Daher seien die
Voraussetzungen einer Präklusion erst ab dem Kennenmüssen dieser Ent-
scheidung - im Mai 2007 - gegeben.
II.
Diese Ausführungen halten der revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht
stand.
1. Zu Recht ist das Berufungsgericht von der Zulässigkeit der Abände-
rungsklage ausgegangen.
Auf das im März 2009 eingeleitete Abänderungsverfahren ist wie auf das
Verfahren im Allgemeinen nach Art. 111 Abs. 1 Satz 1, 2 FGG-RG das vor dem
1. September 2009 geltende Recht anzuwenden. Die Zulässigkeit der Abände-
rungsklage ergibt sich bereits aus § 323 ZPO aF, ohne dass es eines Rückgriffs
auf die insoweit nur klarstellende Regelung in § 36 Nr. 1 EGZPO bedarf (vgl.
Senatsurteil BGHZ 183, 197 = FamRZ 2010, 111 Rn. 16).
Der Ehemann hat sich für die Abänderung vor allem auf die gesetzliche
Neuregelung des § 1578 b BGB berufen. Hierbei handelt es sich um Gründe,
die gemäß § 323 Abs. 2 ZPO aF nach der mündlichen Verhandlung im Vorpro-
zess entstanden sind. Ob die vorgebrachten Umstände auch zutreffend gewür-
digt worden sind und eine Abänderung des Ausgangstitels im Ergebnis rechtfer-
tigen, ist dagegen eine Frage der Begründetheit (vgl. Senatsurteile vom
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29. September 2010 - XII ZR 205/08 - FamRZ 2010, 1884 und vom 5. Septem-
ber 2001 - XII ZR 108/00 - FamRZ 2001, 1687, 1689).
2. Die Abänderungsklage führt jedoch nicht zu einer Herabsetzung des
geschuldeten Unterhalts, weil nach den bislang getroffenen Feststellungen seit
der letzten mündlichen Verhandlung im vorangegangenen Abänderungsverfah-
ren weder eine tatsächliche noch eine rechtliche Änderung eingetreten ist, auf-
grund derer eine erneute Prüfung der Voraussetzungen einer Unterhaltsbe-
grenzung möglich wäre.
a) Zwar ist die Präklusionsvorschrift des § 323 Abs. 2 ZPO aF nach
ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf Vergleiche nicht anzu-
wenden (Senatsurteil vom 26. Mai 2010 - XII ZR 143/08 - FamRZ 2010, 1238
Rn. 12 mwN). Die vorgenannte Vorschrift ist allerdings anwendbar, wenn ein
Prozessvergleich bereits in einem früheren Abänderungsverfahren durch Urteil
abgeändert worden ist (Senatsurteil vom 27. Januar 1988 - IVb ZR 14/87 -
FamRZ 1988, 493), wie hier der Vergleich vom 7. April 2005 durch das Urteil
vom 15. Mai 2007 abgeändert worden ist.
b) Nach § 323 Abs. 2 ZPO aF ist die Abänderungsklage nur insoweit zu-
lässig, als die Gründe, auf die sie gestützt wird, erst nach dem Schluss der
mündlichen Verhandlung, in der eine Erweiterung des Klageantrags oder die
Geltendmachung von Einwendungen spätestens hätte erfolgen müssen, ent-
standen sind. Insbesondere zur Absicherung der Rechtskraft unanfechtbar ge-
wordener Entscheidungen ist danach eine Zeitschranke für die Berücksichti-
gung von Abänderungsgründen errichtet, denn der Möglichkeit einer Abände-
rung bedarf es nicht, wenn die veränderten Verhältnisse schon im Ausgangs-
prozess zur Geltung gebracht werden konnten. Maßgebender Zeitpunkt ist der
Schluss der mündlichen Verhandlung der letzten Tatsacheninstanz. Das gilt
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gleichermaßen für das Erstklage- wie für das Abänderungsverfahren. Dabei
kommt es grundsätzlich nicht auf die Parteistellung oder Zielrichtung des Vor-
prozesses an, was daraus folgt, dass der Wortlaut des Gesetzes nicht nur auf
die Erweiterung des Klageantrags, sondern auch auf die Geltendmachung der
rechtserheblichen Einwendungen abstellt und damit beide Parteien dazu anhält,
ihren Standpunkt bereits im Ausgangsprozess zur Geltung zu bringen (Senats-
urteil vom 17. Mai 2000 - XII ZR 88/98 - FamRZ 2000, 1499, 1501 mwN; vgl.
auch Senatsurteil vom 29. September 2010 - XII ZR 205/08 - FamRZ 2010,
1884 Rn. 15 mwN).
c) Die Tatsachen, auf die der Ehemann seine vorliegende Abänderungs-
klage vorrangig stützt, sind jedenfalls bereits vor dem Schluss der letzten münd-
lichen Verhandlung des Vorprozesses entstanden. Es ist zwischen den Parteien
unstreitig, dass hinsichtlich der für die Unterhaltsbefristung maßgeblichen Krite-
rien - Ehedauer, erlittene ehebedingte Nachteile, Alter, Gesundheitszustand -
keine Veränderung eingetreten ist.
Die Abänderung des Unterhaltstitels hängt deshalb insoweit davon ab,
ob eine - vom Ehemann geltend gemachte - wesentliche Änderung der rechtli-
chen Verhältnisse eingetreten ist. Dass sowohl eine Gesetzesänderung als
auch eine Änderung der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung eben-
so wie Veränderungen der entscheidungsrelevanten Tatsachen zur Abände-
rung einer rechtskräftigen Unterhaltsentscheidung berechtigen, ist in der Recht-
sprechung anerkannt (vgl. Senatsurteile vom 12. Juli 1990 - XII ZR 85/89 - Fa-
mRZ 1990, 1091, 1094 und vom 5. September 2001 - XII ZR 108/00 - FamRZ
2001,
1687,
1689
[Gesetzesänderung]
und
vom
5. Februar
2003
- XII ZR 29/00 - FamRZ 2003, 848 [Rechtsprechungsänderung]) und nunmehr
in § 238 Abs. 1 Satz 2 FamFG, § 323 Abs. 1 Satz 2 ZPO nF auch gesetzlich
klargestellt worden (vgl. BR-Drucks. 309/07 S. 575).
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Im vorliegenden Fall ist jedoch eine Rechtsänderung, die den Ehemann
berechtigen könnte, eine Abänderung des Ausgangsurteils zu verlangen, nicht
eingetreten. Die vom Ehemann angeführten Umstände, namentlich die Einfüh-
rung des § 1578 b BGB durch das Unterhaltsrechtsänderungsgesetz vom
21. Dezember 2007 (BGBl. I S. 3189) und die seit der mündlichen Verhandlung
im Ausgangsverfahren veröffentlichte Rechtsprechung des erkennenden Se-
nats haben hinsichtlich des in Rede stehenden Aufstockungsunterhalts nach
§ 1573 Abs. 2 BGB die Rechtslage seit dem Vorprozess nicht entscheidend
geändert.
aa) Die maßgebliche Änderung seiner Rechtsprechung hat der Senat
hinsichtlich der Gewichtung von Ehedauer und ehebedingten Nachteilen im
Rahmen der Befristung (§ 1573 Abs. 5 BGB aF) bereits durch sein Urteil vom
12. April 2006 (XII ZR 240/03 - FamRZ 2006, 1006) vollzogen (Senatsurteile
BGHZ 177, 356 = FamRZ 2008, 1911 Rn. 62; BGHZ 183, 197 = FamRZ 2010,
111 Rn. 60 und vom 27. Januar 2010 - XII ZR 100/08 - FamRZ 2010, 538
Rn. 22). Eine Differenzierung danach, ob die geschiedene Ehe kinderlos war
oder ob aus ihr Kinder hervorgegangen sind, ist nicht angezeigt (vgl. im einzel-
nen Senatsurteil vom 29. September 2010 - XII ZR 205/08 - FamRZ 2010, 1884
Rn. 18 ff.).
Es erscheint schon zweifelhaft, ob die Ehedauer von neuneinhalb Jahren
eine Befristung des Unterhalts nach den Grundsätzen vor der Senatsentschei-
dung vom 12. April 2006 ausgeschlossen hätte. Jedenfalls nach der Änderung
der Rechtsprechung durch den Senat hätte der Ehemann die Befristung und
Herabsetzung des Unterhalts bereits im Vorprozess geltend machen können
und müssen. Nach dem Stand der Rechtsprechung zum Zeitpunkt der ab-
schließenden mündlichen Verhandlung vor dem Familiengericht am 22. April
2007 kam es vorwiegend auf die Frage an, ob der Ehefrau nach der Scheidung
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ehebedingte Nachteile verblieben sind. Diese Frage war wegen der unverän-
derten Tatsachenlage bereits im Vorprozess zu beantworten und nicht erst im
vorliegenden Verfahren.
Da die Befristung und Herabsetzung des Unterhalts nach §§ 1573
Abs. 5, 1578 Abs. 1 Satz 2 BGB aF nicht lediglich auf eine Einrede des Unter-
haltspflichtigen, sondern bei entsprechendem Sachvortrag von Amts wegen zu
überprüfen waren, schließt die Rechtskraft des ersten Abänderungsurteils je-
denfalls bei unveränderter Tatsachenlage eine künftige Befristung und Herab-
setzung des Unterhalts aus. Im Unterschied zu dem von den Ehegatten ur-
sprünglich geschlossenen Unterhaltsvergleich ist hier auch nicht auf die Vorstel-
lungen der Parteien abzustellen, die im Zweifel noch keinen späteren Aus-
schluss einer Unterhaltsbegrenzung vereinbaren wollen. Da das Gericht die
Frage der Befristung von Amts wegen zu prüfen hat und jedenfalls bei einer
abgeschlossenen Entflechtung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehegatten
auch nicht offen lassen darf (vgl. Senatsurteil vom 14. April 2010
- XII ZR 89/08 - FamRZ 2010, 869 Rn. 51, 52), erfasst die Rechtskraft des Ur-
teils im Zweifel auch die Möglichkeit einer Befristung, die damit bei unveränder-
ter Tatsachenlage ausgeschlossen ist (Senatsurteil vom 26. Mai 2010
- XII ZR 143/08 - FamRZ 2010, 1238 Rn. 25).
Etwas anderes gilt dann, wenn das Gericht in den Entscheidungsgrün-
den die künftige Befristung etwa wegen einer noch nicht zuverlässig absehba-
ren Entwicklung der Verhältnisse ausdrücklich offenlässt. In diesem Fall ist die
Rechtskraft der Entscheidung entsprechend eingeschränkt. Sie steht einer spä-
teren Berücksichtigung des Befristungseinwands selbst dann nicht entgegen,
wenn über eine Befristung richtigerweise bereits im Ausgangsverfahren hätte
entschieden
werden
müssen
(vgl.
Senatsurteil
vom
26. Mai
2010
- XII ZR 143/08 - FamRZ 2010, 1238 Rn. 13, 23 mwN). Eine derartige Ein-
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schränkung ist in dem ersten Abänderungsurteil aber nicht enthalten, so dass
das Urteil eine umfassende Rechtskraft entfaltet.
bb) Auch durch das Unterhaltsrechtsänderungsgesetz vom 21. Dezem-
ber 2007 hat sich die Rechtslage für die vorliegende Fallkonstellation nicht ge-
ändert. Denn eine wesentliche Änderung der Verhältnisse nach § 323 Abs. 1
ZPO aF (§ 238 Abs. 1 Satz 2 FamFG; § 323 Abs. 1 Satz 2 ZPO nF) liegt nur
vor, wenn die Gesetzesänderung für den konkreten Einzelfall erheblich ist. Das
ist hier nicht der Fall.
Für den Fall, dass der Unterhaltsanspruch allein auf § 1573 Abs. 2 BGB
(Aufstockungsunterhalt) beruht und zuletzt im Jahr 2007 durch Urteil festgelegt
wurde, hat der Senat bereits entschieden, dass sich aus dem Inkrafttreten des
§ 1578 b BGB am 1. Januar 2008 für sich genommen noch keine Änderung der
wesentlichen Verhältnisse ergibt (Senatsurteile BGHZ 183, 197 = FamRZ 2010,
111 Rn. 60, 62 f. und vom 27. Januar 2010 - XII ZR 100/08 - FamRZ 2010, 538
Rn. 34). Daran ist auch in der vorliegenden Fallkonstellation einer Ehe mit Kin-
dern festzuhalten (Senatsurteil vom 29. September 2010 - XII ZR 205/08 -
FamRZ 2010, 1884 Rn. 30 ff.).
Zwar ist für den Fall, dass der unterhaltsberechtigte Ehegatte gemein-
same Kinder betreut hat, der Gesetzeswortlaut geändert worden, indem die in
§§ 1573 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2, 1578 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB aF noch
enthaltene Regelung, dass eine fortlaufende und ungeminderte Unterhaltszah-
lung in der Regel nicht unbillig ist, wenn der Unterhaltsberechtigte nicht nur vo-
rübergehend ein gemeinschaftliches Kind allein oder überwiegend betreut hat
oder betreut, nicht in § 1578 b BGB übernommen worden ist. Damit war aber
keine materielle Rechtsänderung verbunden. Denn die Kinderbetreuung stand
schon nach der bis 2007 geltenden Rechtslage einer Befristung oder Herabset-
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zung des Unterhalts nicht generell entgegen, sondern entsprechend §§ 1573
Abs. 5 Satz 2, 1578 Abs. 1 Satz 3 BGB aF nur in Abhängigkeit von ihrer Dauer.
Der Gesetzgeber ist mit dem Unterhaltsrechtsänderungsgesetz vom
21. Dezember 2007 auch insoweit von der bestehenden Rechtsprechung des
Senats ausgegangen, die gerade im Jahr 2007 mehrfach auch in Fällen mit
Kinderbetreuung ergangen war. Er hat durch die Streichung der einschränken-
den Formulierung demnach keine sachliche Änderung vorgenommen, sondern
das Gesetz lediglich entsprechend klargestellt (vgl. Senatsurteile BGHZ 183,
197 = FamRZ 2010, 111 Rn. 60 und vom 27. Januar 2010 - XII ZR 100/08 -
FamRZ 2010, 538 Rn. 34; BT-Drucks. 16/1830 S. 18 ff.).
cc) Auch auf § 36 Nr. 1 EGZPO lässt sich eine Abänderung des Aus-
gangsurteils
nicht
stützen
(Senatsurteil
vom
29. September
2010
- XII ZR 205/08 - FamRZ 2010, 1884 Rn. 33 ff.).
Wie der Senat bereits entschieden hat (BGHZ 183, 197 = FamRZ 2010,
111 Rn. 62, 63), eröffnet § 36 Nr. 1 EGZPO keine eigenständige Abände-
rungsmöglichkeit, sondern stellt lediglich klar, dass die Gesetzesänderung ein
Anwendungsfall des § 323 Abs. 1 ZPO aF ist. Denn nach der Gesetzesbegrün-
dung handelt es sich hierbei nicht um einen eigenen, neu geschaffenen Abän-
derungsrechtsbehelf. In der Sache ist eine Anpassung von bestehenden Titeln
und Unterhaltsvereinbarungen danach nur möglich, wenn eine wesentliche Än-
derung der Unterhaltsverpflichtung eintritt (vgl. BT-Drucks. 16/1830 S. 32 f.).
Die Wesentlichkeitsschwelle ist im Sinne von § 323 Abs. 1 ZPO zu verstehen.
In einer Gesamtschau aller Umstände ist zu prüfen, in welchem Umfang sich
die für Unterhaltsverpflichtung und -bemessung maßgeblichen Verhältnisse ge-
ändert haben (vgl. BT-Drucks. 16/1830 S. 33).
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Dadurch wird zugleich bestätigt, dass das neue Unterhaltsrecht nur dann
zur Abänderung bestehender Titel berechtigt, wenn bestimmte Umstände erst
durch die Gesetzesänderung erheblich geworden sind und dieses gegenüber
der bisherigen Rechtslage zu einer wesentlichen Änderung führt. Auch durch
§ 36 Nr. 2 EGZPO soll - nur - sichergestellt werden, dass Umstände, die erst
durch das neue Recht erheblich geworden sind, in das Verfahren eingeführt
werden können (BT-Drucks. 16/1830 S. 33).
Im vorliegenden Fall sind die für die Befristung angeführten Umstände
nicht erst durch das neue Unterhaltsrecht erheblich geworden. Sie hätten be-
reits aufgrund der zum Schluss der mündlichen Verhandlung im Vorprozess
geltenden Gesetzeslage und Rechtsprechung für eine Befristung des Unterhalts
vorgebracht werden können.
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3. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO).
Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden. Das Berufungs-
gericht wird die bislang offen gelassene Frage zu prüfen haben, ob der Unter-
halt zu beschränken oder zu versagen ist, weil die Berechtigte inzwischen in
einer verfestigten Lebensgemeinschaft lebt (§ 1579 Nr. 2 BGB).
Dose
Klinkhammer
Günter
Nedden-Boeger
Botur
Vorinstanzen:
AG Nürtingen, Entscheidung vom 24.11.2009 - 14 F 221/09 -
OLG Stuttgart, Entscheidung vom 21.10.2010 - 16 UF 277/09 -
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