Urteil des BGH vom 01.10.2014

Leitsatzentscheidung zu Offensichtliches Versehen, Taschengeld, Quote, Sozialhilfe, Selbstbehalt

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X I I Z R 1 3 3 / 1 3
Verkündet am:
1. Oktober 2014
Breskic
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Familiensache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 1603
a) Es ist nicht zu beanstanden, wenn der Tatrichter für die Berechnung der Hö-
he des - auch für den Elternunterhalt einzusetzenden - Taschengeldan-
spruchs im Regelfall eine Quote von 5 % des bereinigten Familieneinkom-
mens zugrunde legt.
b) Ebenso wenig ist es zu beanstanden, wenn der Tatrichter beim Elternunter-
halt als Taschengeldselbstbehalt im Regelfall einen Anteil in Höhe von eben-
falls 5 % vom Familienselbstbehalt ansetzt und dem Unterhaltspflichtigen zu-
sätzlich die Hälfte des darüber hinausgehenden Taschengeldes belässt (im
Anschluss an Senatsurteil BGHZ 196, 21 = FamRZ 2013, 363 und Senats-
beschluss vom 5. Februar 2014 - XII ZB 25/13 - FamRZ 2014, 538).
BGH, Urteil vom 1. Oktober 2014 - XII ZR 133/13 - OLG Braunschweig
AG Wolfsburg
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 1. Oktober 2014 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richterin
Weber-Monecke und die Richter Schilling, Dr. Nedden-Boeger und Guhling
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 2. Senats für Familiensachen
des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 16. Juli 2013 wird auf
Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger macht als Träger der Sozialhilfe aus übergegangenem Recht
Ansprüche auf Elternunterhalt für die Zeit von November 2007 bis Februar 2009
geltend.
Die zwischenzeitlich verstorbene Mutter der Beklagten lebte in einer Al-
ten- und Pflegeeinrichtung. Da sie die Kosten des Heimaufenthalts nur teilweise
aufbringen konnte, gewährte ihr der Kläger Leistungen der Sozialhilfe, die zwi-
schen 848
€ und 1.090 € monatlich lagen. Mit Rechtswahrungsanzeige vom
7. November 2007 wurde die Beklagte von der Hilfegewährung unterrichtet.
Die Beklagte ist nicht erwerbstätig. Sie bewohnt mit ihrem berufstätigen
Ehemann und dem gemeinsamen volljährigen Sohn eine lastenfreie Eigen-
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tumswohnung. Der Kläger hat die Beklagte auf Zahlung von insgesamt
1.267,36
€ in Anspruch genommen.
Das Amtsgericht hat der Klage bis auf einen Teil des Zinsanspruchs
stattgegeben. Das auf die Berufung der Beklagten ergangene Urteil des Ober-
landesgerichts, mit dem dieses der Klage lediglich in Höhe eines Betrages von
894
€ nebst Zinsen stattgegeben hatte, hat der Senat auf die Revision der Be-
klagten und die Anschlussrevision des Klägers mit Urteil vom 12. Dezember
2012 (BGHZ 196, 21 = FamRZ 2013, 363) aufgehoben und die Sache an das
Berufungsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwie-
sen. Nunmehr hat das Oberlandesgericht die Beklagte verurteilt, an den Kläger
insgesamt 334
€ nebst Zinsen zu zahlen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit
der zugelassenen Revision, mit der er die Zahlung weiterer 496
€ nebst Zinsen
erreichen will.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist unbegründet.
I.
Das Berufungsgericht hat sein in FamRZ 2014, 481 veröffentlichtes Urteil
wie folgt begründet:
Die Beklagte sei in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zur Erbrin-
gung von Unterhaltszahlungen für ihre Mutter leistungsfähig. Bei der Bemes-
sung des unterhaltsrechtlich relevanten Einkommens der Beklagten sei auf ih-
ren Taschengeldanspruch gegen ihren Ehemann abzustellen. Dieser errechne
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sich aus 5 % des bereinigten Gesamtfamilieneinkommens. Dieses wiederum
belaufe sich jeweils monatlich für das Jahr 2007 auf 3.091,72
€, für das Jahr
2008 auf 3.339,62
€ und für das Jahr 2009 auf 3.553,49 €. Der Taschengeldan-
spruch betrage demgemäß jeweils monatlich im Jahr 2007 154,59
€, im Jahr
2008 166,98
€ und im Jahr 2009 177,67 €.
Die Beklagte sei allerdings nicht verpflichtet, den gesamten Taschen-
geldanspruch für den Unterhaltsanspruch ihrer Mutter einzusetzen. Insoweit
habe der Bundegerichtshof festgestellt, dass dem Unterhaltspflichtigen vom
Taschengeld ein Betrag in Höhe von 5 bis 7 % des Mindestselbstbehaltes des
Unterhaltspflichtigen und vom überschießenden Betrag die Hälfte zu verbleiben
habe. Diese Entscheidung werde überwiegend dahin ausgelegt, dass dieser
Prozentsatz nach dem Familienselbstbehalt zu berechnen sei, da stets vom
Familieneinkommen ein Betrag in Höhe des Familienselbstbehalts frei bleiben
müsse. Der in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs genannte Selbstbehalt
in Höhe von 1.400
€ stelle ein offensichtliches Versehen dar. Es sei ein Fami-
lienselbstbehalt von seinerzeit 2.520
€ (2.800 € abzüglich 10 % Synergieeffekt)
zu berücksichtigen. Hiervon blieben 5 % frei, also 126
€. Verfügbar über diesen
"Taschengeldselbstbehalt" seien im Jahr 2007 monatlich 28,59
€, im Jahr 2008
monatlich 40,98
€ und im Jahr 2009 monatlich 51,67 €. Hiervon sei nach der
Entscheidung des Bundesgerichtshofs nur ein Betrag von etwa der Hälfte für
den Unterhalt einzusetzen, gerundet also für das Jahr 2007 monatlich 15
€, für
das Jahr 2008 monatlich 21
€ und für das Jahr 2009 monatlich 26 €. Dies führe
zu einem Gesamtanspruch im Zeitraum von November 2007 bis Februar 2009
in Höhe von 334
€.
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II.
Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision stand.
Die Revision erinnert weder etwas dagegen, dass das Berufungsgericht
allein den Taschengeldanspruch der Beklagten für den Elternunterhalt heran-
gezogen hat, noch etwas gegen die Ermittlung des jeweiligen Taschengelds der
Höhe nach. Einziger Angriff der Revision ist die Bemessung des dem Unter-
haltspflichtigen hinsichtlich seines Taschengelds zu belassenden Selbstbehalts,
den die Revision mit 5 % des seinerzeit für den Unterhaltspflichtigen bestehen-
den und um Synergieeffekte bereinigten Selbstbehaltes von 1.260
€ veran-
schlagt (1.400
€ abzüglich 10 %), also mit 63 € errechnet hat.
1. Der Senat hat in seinem Urteil vom 12. Dezember 2012 (BGHZ 196,
21 = FamRZ 2013, 363), mit dem er die dem jetzt angegriffenen Urteil voraus-
gegangene Entscheidung des Oberlandesgerichts aufgehoben hat, ausgeführt,
dass in den Fällen, in denen der Unterhaltspflichtige nicht über eigene bare Mit-
tel verfügt, allein der Taschengeldanspruch für die Unterhaltsleistung zu ver-
wenden ist. Das Taschengeld eines Ehegatten ist grundsätzlich unterhaltspflich-
tiges Einkommen und deshalb für Unterhaltszwecke einzusetzen, soweit der
jeweils zu beachtende Selbstbehalt des Unterhaltspflichtigen gewahrt bleibt.
Das gilt auch bei Inanspruchnahme auf Elternunterhalt (Senatsurteil BGHZ 196,
21 = FamRZ 2013, 363 Rn. 27 mwN). Das Taschengeld richtet sich als Teil des
Familienunterhalts hinsichtlich seiner Höhe nach dem bereinigten Gesamtnet-
toeinkommen beider Ehegatten (vgl. Senatsurteil BGHZ 196, 21 = FamRZ
2013, 363 Rn. 26). Das dem Unterhaltspflichtigen zustehende Taschengeld
braucht jedoch nicht vollständig für den Elternunterhalt eingesetzt zu werden
(Senatsurteil BGHZ 196, 21 = FamRZ 2013, 363 Rn. 49).
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Zutreffend weist das Berufungsgericht darauf hin, dass die weiteren Aus-
führungen in dem vorgenannten Senatsurteil, wonach sich der geschützte Anteil
des Taschengeldes auf einen Betrag von 5 bis 7 % des (seinerzeit geltenden)
Selbstbehaltes von 1.400
€ beläuft, auf einem offensichtlichen Versehen beru-
hen (vgl. Dose FamRZ 2013, 993, 1000). Wie der Senat im Nachgang zu dem
Senatsurteil klarstellend entschieden hat, muss dem unterhaltspflichtigen Ehe-
gatten ein Betrag in Höhe von 5 bis 7 % des Familienselbstbehalts verbleiben;
zudem ist ihm ein weiterer Teil in Höhe der Hälfte des darüber hinausgehenden
Taschengelds
zu
belassen
(Senatsbeschluss
vom
5. Februar
2014
- XII ZB 25/13 - FamRZ 2014, 538 Rn. 20).
2. Diesen Anforderungen wird die Entscheidung des Oberlandesgerichts
gerecht.
Das Oberlandesgericht hat die Höhe des Taschengelds ermittelt, indem
es eine Quote von 5 % des der Familie zur Verfügung stehenden Nettoein-
kommens zugrunde gelegt hat. Ungeachtet der Tatsache, dass das Berufungs-
gericht im Einzelnen begründet hat, warum es bei der Berechnung des Ta-
schengeldes eine Quote von genau 5 % zugrunde gelegt hat, bestehen auch
sonst keine Bedenken dagegen, wenn der Tatrichter im Regelfall von einer
Quote von 5 % ausgeht. Dies entspricht vor allem den Belangen der Praxis
nach einer einheitlichen Berechnungsweise und damit auch dem Bedürfnis
nach Rechtssicherheit. Die Feststellungen zum bereinigten Familieneinkommen
sind von der Revision nicht angegriffen worden; sie enthalten auch sonst keine
Rechtsfehler zu Lasten des Klägers.
Dabei ist es konsequent, wenn das Oberlandesgericht denselben Pro-
zentsatz, nämlich 5 %, bei der Bildung des Selbstbehaltes angesetzt hat. Auch
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insofern erscheint es aus Rechtsgründen unbedenklich, wenn der Tatrichter im
Regelfall von einem Prozentsatz von 5 % des Familienselbstbehalts ausgeht.
Ebenso wenig ist es zu beanstanden, dass das Berufungsgericht den
Familienselbstbehalt durch die Addition der individuellen Selbstbehalte ermittelt
und von der Summe im Hinblick auf den Synergieeffekt 10 % abgezogen hat
(vgl. dazu auch Senatsbeschluss vom 5. Februar 2014 - XII ZB 25/13 - FamRZ
2014, 538 Rn. 38).
Schließlich hat das Oberlandesgericht - dem Rechenweg des Senats fol-
gend - von dem oberhalb des Selbstbehalts liegenden Taschengeld die Hälfte
für den geltend gemachten Unterhaltsanspruch herangezogen.
Dose Weber-Monecke Schilling
Nedden-Boeger Guhling
Vorinstanzen:
AG Wolfsburg, Entscheidung vom 10.09.2009 - 17 F 3114/09 -
OLG Braunschweig, Entscheidung vom 16.07.2013 - 2 UF 161/09 -
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