Urteil des BGH vom 15.10.2014

Leitsatzentscheidung zu Änderung der Rechtsprechung, Betriebsgesellschaft, Gesellschafter, Verzicht, Planwidrige Unvollständigkeit

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X I I Z R 1 1 1 / 1 2
Verkündet am:
15. Oktober 2014
Küpferle,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 133 C
Zur Auslegung von Verzichts- und Abgeltungsregelungen in einer privatrechtlichen
Vergleichsvereinbarung.
BGH, Urteil vom 15. Oktober 2014 - XII ZR 111/12 - OLG Oldenburg
LG Osnabrück
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 15. Oktober 2014 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richterin
Weber-Monecke und die Richter Dr. Günter, Dr. Botur und Guhling
für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 12. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 7. August 2012 wird zu-
rückgewiesen.
Auf die Revision des Klägers wird das vorgenannte Urteil insoweit
aufgehoben, als der Beklagten vorbehalten geblieben ist, gegen-
über dem Zahlungsanspruch mit Gegenforderungen auf Ersatz
von Steuern aufzurechnen, soweit sie oder ihre Gesellschafter
vom Finanzamt O. gemäß § 74 AO bestandskräftig für die
Zahlung von Umsatzsteuern in Anspruch genommen werden, die
von der Insolvenzschuldnerin (W. K. GmbH) geschul-
det werden. Auch insoweit wird die Berufung der Beklagten gegen
das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück zurück-
gewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen
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Tatbestand:
Der Kläger verlangt von der Beklagten die Auszahlung von Umsatzsteu-
errückerstattungen, die diese aufgrund einer geänderten steuerrechtlichen Be-
urteilung vom Finanzamt erhalten hat.
Der Kläger ist Insolvenzverwalter einer im Jahr 1949 aus der gesell-
schaftsrechtlichen Umstrukturierung eines Fahrzeugbauunternehmens entstan-
denen Betriebsgesellschaft (WKG). Die Beklagte ist die aus dieser Umstruktu-
rierung entstandene Besitzgesellschaft (WKO). Mit Vertrag vom 30. Januar
1949 verpachtete die Beklagte Betriebsgrundstücke und Produktionsanlagen an
die Betriebsgesellschaft. Der Vertrag regelt unter § 3 Buchst. a), dass die Be-
triebsgesellschaft als Teil des Pachtzinses "die öffentlichen Abgaben und Steu-
ern mit Ausnahme der seitens der Verpächter zu tragenden Einkommens- und
Vermögenssteuern" zu übernehmen hat.
Dabei gingen die Vertragsparteien in Übereinstimmung mit dem Finanz-
amt davon aus, dass wegen der Verflechtungen beider Gesellschaften eine
umsatzsteuerrechtliche Organschaft bestehe und nur die Beklagte als im Au-
ßenverhältnis umsatzsteuerpflichtige Organträgerin anzusehen sei. Im nicht
festsetzungsverjährten Zeitraum zahlte die Betriebsgesellschaft als Teil der
nach § 3 Buchst. a) geschuldeten Pacht für die Beklagte Umsatzsteuer in Höhe
von rund 162.500.000
€ direkt an das Finanzamt.
Nachdem mit Beschluss vom 29. Juni 2009 das Insolvenzverfahren über
das Vermögen der Betriebsgesellschaft eröffnet und der Kläger als Insolvenz-
verwalter bestellt worden war, vertrat die Beklagte die Auffassung, dass jeden-
falls ab Insolvenzantragstellung die Voraussetzungen der umsatzsteuerrechtli-
chen Organschaft nicht mehr bestünden. Auf der Grundlage eines entspre-
chenden Antrags der Beklagten erließ das Finanzamt im November 2009 geän-
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derte Umsatzsteuerbescheide für die Monate März bis Juni 2009. Dabei ging
das Finanzamt ebenfalls vom Nichtbestehen einer umsatzsteuerrechtlichen Or-
ganschaft aus und meldete seine gegen die Betriebsgesellschaft gerichteten
Umsatzsteuerforderungen in Höhe von 15,4 Mio.
€ beim Kläger zur Insolvenz-
tabelle der Betriebsgesellschaft an. Bereits zuvor hatte die Beklagte ihrerseits
unter Hinweis auf den Pachtvertrag Ansprüche auf Zahlung von Umsatzsteuer
und Erstattung von Vorsteuer für die Monate März bis Juni 2009 in Höhe von
rund 19,0 Mio.
€ gegenüber dem Kläger zur Insolvenztabelle angemeldet.
Zur Beilegung ihrer Streitpunkte schlossen die Parteien im März 2010 ei-
ne notarielle Vergleichsvereinbarung. Diese enthält unter Ziffer 12 der Präambel
die Feststellung, dass die Besitzgesellschaft "zur Insolvenztabelle Umsatzsteu-
erforderungen aus Organschaft für den Zeitraum ab 03/2009 bis 06/2009 an-
gemeldet" habe, obwohl sie gegenüber dem Finanzamt die Ansicht vertrete,
"dass eine solche umsatzsteuerrechtliche Organschaft seit Beschluss des
Amtsgerichts … über die Insolvenzantragstellung" nicht bestehe.
In den Ziffern 7 und 13 der Vergleichsvereinbarung ist unter anderem
folgendes geregelt:
"7.1 Der Insolvenzverwalter verzichtet für sich und die WKG unwiderruf-
lich auf die Geltendmachung der in seinem Gutachten vom 16. Oktober 2009
dargestellten sowie sonstiger sich etwaig aus den darin dargestellten Sachver-
halten ergebender Ansprüche gegen die WKO. …"
"7.2 Der Insolvenzverwalter versichert, dass ihm, seinen Mitarbeitern und
den für ihn im Rahmen der Insolvenzverwaltung tätigen Personen im Zeitpunkt
des Vergleichsschlusses keinerlei Umstände bekannt sind oder Anhaltspunkte
vorliegen, die Ansprüche gegen die WKO, … sowie deren jeweilige Organe und
Gesellschafter begründen oder begründen könnten. Sofern dem Insolvenzver-
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walter, seinen Mitarbeitern oder den für ihn im Rahmen der Insolvenzverwal-
tung tätigen Personen zu diesem Zeitpunkt Umstände bekannt sind oder An-
haltspunkte für Ansprüche gegen die WKO, … sowie deren Organe oder Ge-
sellschafter vorliegen, erklärt der Insolvenzverwalter hiermit unwiderruflich sei-
nen Verzicht auf die Geltendmachung dieser Ansprüche."
"13.1 Die Parteien sind sich darüber einig, dass mit Wirksamwerden die-
ser Vereinbarung sämtliche Ansprüche des Insolvenzverwalters und der WKG
gegenüber der WKO, …, die sich aus den wechselseitigen Geschäfts- und
Rechtsbeziehungen bis zum Abschluss dieser Vergleichsvereinbarung ergeben,
abgegolten sind ...
13.2 Diese Abgeltungsklausel findet keine Anwendung für folgende An-
sprüche:
13.2.4 Für die umsatzsteuerliche Organschaft zwischen WKO und WKG
bzw. für die zur Insolvenztabelle angemeldeten/anzumeldenden Forderungen
der WKO, soweit sie die angemeldete Umsatzsteuer (zuzüglich Nebenforde-
rungen) betreffen, gilt die folgende abschließende Sonderregelung:
a) Die WKO und das Veranlagungs-Finanzamt der WKO haben die Um-
satzsteuer für den Zeitraum März bis Juni 2009 zur Insolvenztabelle angemel-
det (ca. EUR 20.500.000,-). Das Finanzamt hat Forderungen zur Insolvenz-
tabelle der WKG angemeldet, weil es das Bestehen einer umsatzsteuerlichen
Organschaft entsprechend dem Antrag der WKO für die Monate März bis Juni
2009 abgelehnt hat. Offen ist zur Zeit, ob das Finanzamt diese rechtliche Beur-
teilung aufrecht erhält. Dies bleibt einer abschließenden Betriebsprüfung bzw.
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der abschließenden Entscheidung durch das Finanzamt oder eines hiermit be-
fassten Gerichts vorbehalten.
b) Insoweit und angesichts des für beide Parteien bestehenden latenten
Umsatzsteuerrisikos aus der Organschaft findet die Abgeltungsklausel keine
Anwendung auf die umsatzsteuerliche Organschaft. Die WKO wird daher auf-
grund der Vergleichsvereinbarung nicht verpflichtet, die zur Insolvenztabelle
angemeldete Umsatzsteuer (zuzüglich Nebenforderung) zurückzunehmen. Die
WKO ist indes verpflichtet, die vollständige Rücknahme zu erklären, wenn das
Finanzamt
… oder ein zur Entscheidung berufenes Gericht die im Rahmen des
Einspruchsverfahrens ergangene Entscheidung der Veranlagungsdienststelle
zur Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft bestandskräftig bestätigt.
In diesem Falle soll sich die Abgeltungsklausel auch auf die umsatzsteuerliche
Organschaft zwischen WKO und WKG beziehen. …"
Nach einer im April 2010 erfolgten Änderung der Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs zur umsatzsteuerrechtlichen Organschaft (BFH ZIP 2010,
1491) erließ das Finanzamt im Dezember 2010 einen geänderten Umsatzsteu-
erbescheid für das Jahr 2008 und erstattete der Beklagten das sich hieraus er-
gebende Steuerguthaben. Zudem meldete das Finanzamt im August 2011 ge-
gen die Betriebsgesellschaft gerichtete Umsatzsteuerforderungen für die Jahre
2006 bis 2009 in Höhe von rund 180.000.000
€ zur Insolvenztabelle an.
Im Mai 2011 erließ das Finanzamt für die Umsatzsteuer der Monate März
bis Juni 2009 auf § 74 AO gestützte Haftungsbescheide gegen die Gesellschaf-
ter der Beklagten. Über die hiergegen gerichteten Rechtsbehelfe ist noch nicht
rechtskräftig entschieden, das Finanzsamt hat die Vollziehung aber jeweils ge-
gen Sicherheitsleistung widerruflich ausgesetzt. Zudem kündigte das Finanzamt
wegen der Umsatzsteuerschuld der Betriebsgesellschaft für die Jahre 2006 bis
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2008 den Erlass weiterer Haftungsbescheide an. In Höhe der Inanspruchnahme
ihrer Gesellschafter durch die Haftungsbescheide vom Mai 2011 hat die Beklag-
te die Aufrechnung mit der Klageforderung erklärt.
Erstinstanzlich hat der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Heraus-
gabe der vom Finanzamt erlangten Beträge nebst Zinsen sowie zur Abtretung
etwaiger weiterer Umsatzsteuererstattungsansprüche für die Jahre 2006, 2007
und 2009 an ihn und hilfsweise die Feststellung begehrt, dass die Beklagte zur
Auszahlung entsprechender Steuererstattungen verpflichtet sei. Das Landge-
richt hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat
auf die Berufungen beider Parteien das Urteil abgeändert und - insoweit dem
zuletzt gestellten Zahlungsantrag des Klägers entsprechend - die Beklagte ver-
urteilt, an den Kläger 162.484.282,96
€ zu zahlen. Soweit der Kläger neben
Zahlung dieses Betrags noch Zahlung von aus der Umsatzsteuerrückerstattung
für 2008 gezogenen Nutzungen sowie im Wege der Stufenklage Auskunft über
gezogene Nutzungen aus der Umsatzsteuerrückerstattung für die Jahre 2006,
2007 und 2009 sowie deren Herausgabe verlangt hat, hat es die Klage abge-
wiesen. Die Aufrechnung der Gegenforderung der Beklagten hat das Oberlan-
desgericht dieser vorbehalten und den Rechtsstreit insoweit bis zur rechtskräfti-
gen Entscheidung über die Haftung der Gesellschafter der Beklagten für die
Umsatzsteuerschulden ausgesetzt.
Gegen das Berufungsurteil richten sich die zugelassenen Revisionen
beider Parteien.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Die Revision des Klägers
hat Erfolg und führt unter Aufhebung des Berufungsurteils zur vorbehaltlosen
Verurteilung der Beklagten.
A.
Das Berufungsgericht hat seine in juris veröffentlichte Entscheidung im
Wesentlichen wie folgt begründet:
Ein Anspruch des Klägers auf Zahlung der von der Beklagten verein-
nahmten Steuerrückzahlung folge aus der Bestimmung des zwischen der Be-
klagten und der Betriebsgesellschaft geschlossenen Pachtvertrags vom 30. Ja-
nuar 1949, nach der die Betriebsgesellschaft als Teil des Pachtzinses "die öf-
fentlichen Abgaben und Steuern mit Ausnahme der seitens der Verpächter zu
tragenden Einkommens- und Vermögenssteuern" zu tragen habe. Diese Be-
stimmung sei ergänzend dahin auszulegen, dass die Betriebsgesellschaft als
Pachtzins nur diejenigen Steuern schulde, die auch tatsächlich abgabenrecht-
lich abzuführen gewesen seien. Die erfolgten Rückzahlungen seien an die Be-
triebsgesellschaft auszuzahlen, da es sonst zu dem von den Vertragsparteien
keinesfalls gewollten Ergebnis komme, dass fehlerhaft festgesetzte Steuerbe-
träge unter Umständen von der Betriebsgesellschaft doppelt, nämlich einmal als
Pachtzins an die Besitzgesellschaft und einmal an das Finanzamt, zu zahlen
seien.
Dieser vertragliche Anspruch sei nicht durch die notarielle Vergleichsver-
einbarung vom März 2010 ausgeschlossen. Bei deren Auslegung seien Wort-
laut und Parteiwille zu berücksichtigen und zu beachten, dass an die Auslegung
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einer Willenserklärung, die zum Rechtsverlust führe, strenge Anforderungen zu
stellen seien, da ein Rechtsverzicht niemals zu vermuten sei. Schließlich seien
auch Begleitumstände des Vertragsschlusses in die Auslegung einzubeziehen.
Danach könne sich die Verzichtsklausel in Ziffer 7 der Vergleichsverein-
barung nach ihrer systematischen Stellung in der Vereinbarung und wegen der
an einen Rechtsverzicht zu stellenden strengen Anforderungen nicht auf die
streitgegenständliche Forderung beziehen. Ziffer 13 der Vereinbarung enthalte
eine Sonderregelung für die der Klageforderung zu Grunde liegende Rechts-
problematik, in der Präambel seien die dem Verzicht unterfallenden Forderun-
gen des Klägers benannt und der bei Vergleichsabschluss den Parteien jeden-
falls als möglich bekannte Klageanspruch übersteige mit seinem Volumen von
ca. 180 Mio.
€ das Gesamtvolumen der Vergleichsvereinbarung um ein Mehrfa-
ches.
Die unter Ziffer 13.2.4 getroffene Regelung der Vergleichsvereinbarung
erfasse den streitgegenständlichen Anspruch ebenfalls nicht, weil diese sich nur
auf die von Finanzamt und Besitzgesellschaft zur Insolvenztabelle angemeldete
Forderung wegen der Umsatzsteuer für den Zeitraum März bis Juni 2009 be-
ziehe. Dies folge daraus, dass Ziffer 13.2.4 Buchst. a) der Vereinbarung diesen
Sachverhalt beschreibe, in Ziffer 13.2.4 Buchst. b) die Anwendung der Abgel-
tungsklausel nur für diesen Fall geregelt sei und weitergehende Ansprüche an
keiner Stelle der Vergleichsvereinbarung Erwähnung fänden.
Der streitgegenständliche Anspruch werde auch durch die allgemeine
Abgeltungsklausel in Ziffer 13.1 der Vergleichsvereinbarung nicht erfasst. Dies
ergebe sich aus dem Gesamtbild der Vergleichsvereinbarung. Die Präambel
erwähne die Streitpunkte, vor deren Hintergrund die Vereinbarung abgeschlos-
sen worden sei, und das damit jeweils verbundene wirtschaftliche Interesse. Die
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in Ziffer 13 der Vereinbarung getroffene Regelung benenne zwar auch das
Problem der geänderten Beurteilung der umsatzsteuerlichen Organschaft durch
das Finanzamt, beschränke dies aber auf den Zeitraum März bis Juni 2009.
Mögliche Ansprüche wegen früherer Zeiträume seien in der Präambel nicht er-
wähnt, obwohl sie von den Vertragsparteien zum Zeitpunkt des Vertragsschlus-
ses mit einem Volumen von ca. 180 Mio.
€ beziffert worden seien. Sie seien
daher von der Vergleichsvereinbarung nicht erfasst. Die Motivation der Partei-
en, durch den Vergleichsabschluss sämtliche Streitpunkte zu erledigen, spre-
che nicht gegen dieses Auslegungsergebnis, da es sich bei den jetzt streitge-
genständlichen Ansprüchen zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses allenfalls
um in ihrem Bestand noch ungewisse Eventualpositionen gehandelt habe. Ob
die Besitzgesellschaft noch für andere Zeiträume als März bis Juni 2009 geän-
derte Umsatzsteuererklärungen einreichen würde, sei von den Vertragsparteien
ersichtlich zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses noch nicht abschließend
diskutiert gewesen.
Dass sich die Parteien der Vergleichsvereinbarung vor deren Abschluss
nicht über eine Erledigung oder Abgeltung der streitgegenständlichen Forde-
rung verständigt hätten, ergebe sich aus der Würdigung des vom Landgericht
dazu erhobenen Zeugenbeweises. Damit habe die Beklagte den ihr obliegen-
den Beweis für einen Verzicht auf die Klageforderung oder deren Abgeltung
nicht geführt. Die Beweisaufnahme rechtfertige darüber hinaus sogar die Fest-
stellung, dass hinsichtlich des streitgegenständlichen Anspruchs gerade keine
Einigung der Vertragsparteien, sondern ein bloßer "Scheinkonsens" vorliege.
Im Übrigen scheitere die Annahme eines Verzichts des Klägers auch da-
ran, dass ein solcher unwirksam wäre, weil er dem Insolvenzzweck der gleich-
mäßigen Gläubigerbefriedigung zuwiderlaufe und der darin liegende Pflichtver-
stoß des Klägers für einen verständigen Beobachter ohne weiteres ersichtlich
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gewesen sei. Einem Verzicht in der in Rede stehenden Höhe stehe kein ange-
messener Vorteil für die Insolvenzmasse gegenüber. Der Betrag sei sogar er-
heblich höher als die gesamte Insolvenzmasse.
Der Zahlungsanspruch des Klägers sei auch fällig. Ihm stehe allerdings
die zur Aufrechnung gestellte Forderung der Beklagten auf Übernahme derjeni-
gen Beträge gegenüber, zu denen die Gesellschafter der Beklagten über die
erlassenen Haftungsbescheide für die Steuerverbindlichkeiten herangezogen
würden. Dabei handele es sich um eine Forderung der Beklagten, da sie "fak-
tisch" Schuldnerin der jeweiligen Beträge sei. Die Haftung aus § 74 AO sei kei-
ne persönliche Haftung der Gesellschafter, sondern sie beziehe sich lediglich
auf das der Betriebsgesellschaft pachtweise zur Verfügung gestellte Vermögen
der Beklagten. Anspruchsgrundlage für einen entsprechenden Freistellungsan-
spruch gegen den Kläger sei ebenfalls der - insoweit ergänzend auszulegende -
Pachtvertrag. Der Freistellungsanspruch sei nach § 257 Abs. 1 BGB in einen
Zahlungsanspruch umgewandelt, da die Inanspruchnahme der Gesellschafter
aufgrund der bereits ergangenen Haftungsbescheide feststehe bzw. mit Sicher-
heit zu erwarten sei.
Der Anspruch der Beklagten sei ein selbständiger Anspruch, mit dem
diese aufrechnen könne. Es handele sich bei den wechselseitigen Ansprüchen
der Parteien nicht um unselbständige und im Wege der Verrechnung auszuglei-
chende Rechnungsposten im Rahmen eines Abrechnungsverhältnisses. Dies
ergebe sich zwar nicht aus einer ergänzenden Auslegung des Pachtvertrages,
da insoweit jeder Anhaltspunkt fehle, wie die Parteien die Regelungslücke ge-
füllt hätten. Jedoch seien vorliegend die wechselseitigen Forderungen auf völlig
unterschiedliche Lebenssachverhalte zurückzuführen, auch wenn sie auf der-
selben vertraglichen Regelung beruhten. Im Falle der Insolvenz sei außerdem
zu beachten, dass die Annahme einer bloßen Verrechnung für den berechtigten
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Insolvenzgläubiger zu einem nicht zu rechtfertigenden Vorteil gegenüber den
anderen Gläubigern führe, was dem Ziel des Insolvenzverfahrens zuwiderlaufe,
einen Ausgleich der Gläubigerinteressen zu schaffen.
Die Aufrechnungslage sei erst während des Insolvenzverfahrens ent-
standen. Die sich gegenüberstehenden Forderungen hätten zur Zeit der Eröff-
nung des Insolvenzverfahrens bereits bestanden, seien aber erst danach fällig
geworden. Der Ausgleichsanspruch der Beklagten sei mit Ablauf des Vorsteu-
eranmeldezeitraums Januar bis Juni 2009, also vor der Eröffnung des Insol-
venzverfahrens, entstanden und seit dem 1. Juli 2011, dem Datum des Ablaufs
der in den Haftungsbescheiden vom 31. Mai 2011 enthaltenen Zahlungsauffor-
derung, fällig. Die Klageforderung sei mit der Entstehung des auszukehrenden
Steuererstattungsanspruchs insolvenzrechtlich entstanden. Dies sei ebenfalls
vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Fall gewesen, weil die umsatz-
steuerliche Organschaft unstreitig vor dem Eröffnungsbeschluss nicht bestan-
den habe. Da der Ausgleichsanspruch der Beklagten vor dem Anspruch des
Klägers fällig geworden sei, stehe § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO einer Aufrechnung
nicht entgegen.
Über die Aufrechnungsforderung der Beklagten sei eine abschließende
Entscheidung allerdings noch nicht möglich, so dass durch Vorbehaltsurteil zu
entscheiden sei. Ob die Forderung bestehe, hänge davon ab, ob das Finanzamt
nach § 74 AO vorgehen könne. Dies sei offen und nicht nach § 17 Abs. 2 Satz 1
GVG durch das Berufungsgericht zu klären, sondern durch die Finanzbehörden
und -gerichte. Für die Klärung einer für eine Aufrechnungsforderung unabding-
baren Vorfrage müsse dasselbe gelten wie für die Aufrechnung mit einer Forde-
rung, die in den Kompetenzbereich einer anderen Gerichtsbarkeit falle. Daher
sei das Verfahren im Umfang des Vorbehalts auszusetzen, bis eine rechtskräf-
tige finanzgerichtliche Entscheidung über die Haftung nach § 74 AO vorliege.
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Dem Erlass eines Vorbehaltsurteils stehe auch nicht entgegen, dass die gegen-
seitigen Forderungen auf denselben vertraglichen Grundlagen beruhten. Denn
sie stünden in keinem unmittelbaren Zusammenhang, insbesondere nicht in
einem Gegenseitigkeitsverhältnis. Ein Vorbehaltsurteil mit der damit geschaffe-
nen Vollstreckungsmöglichkeit bedeute auch keine Existenzgefährdung der Be-
klagten.
Ansprüche des Klägers auf Nutzungsersatz - und demnach auch vorge-
lagerte Auskunftsansprüche - bestünden nicht, da der Anspruch eine vertragli-
che Rechtsgrundlage habe und keine bereicherungsrechtliche. Der Zinsan-
spruch folge aus §§ 386 Abs. 1 Satz 1, 288 Satz 2 BGB.
B.
Die Revisionen sind uneingeschränkt zulässig.
Das Berufungsgericht hat die im Urteilsausspruch enthaltene Revisions-
zulassung nicht eingeschränkt. Zwar ist in den Entscheidungsgründen ausge-
führt, die Revisionszulassung erfolge wegen der "verschiedenen vertrags-, in-
solvenz- und abgaberechtlichen Fragen". Sollte hierin aus der Sicht des Beru-
fungsgerichts eine Beschränkung der Revisionszulassung auf eine bestimmte
Rechtsfrage liegen, wäre diese unbeachtlich. Die Zulassung der Revision kann
nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichthofs nur auf einen tatsäch-
lich und rechtlich selbständigen Teil des Gesamtstreitstoffes beschränkt wer-
den, der Gegenstand eines Teilurteils sein oder auf den der Revisionskläger
selbst seine Revision beschränken könnte. Unzulässig ist es, die Zulassung auf
einzelne von mehreren Anspruchsgrundlagen oder auf bestimmte Rechtsfragen
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zu beschränken (Senatsurteil vom 30. April 2014 - XII ZR 146/12 - NJW 2014,
2102 Rn. 18 mwN).
Danach scheidet hier eine Beschränkung der Zulassung der Revision
aus. Wollte man die vom Berufungsgericht genannten Fragen trotz ihrer Allge-
meinheit bereits als ausreichend bestimmte Rechtsfragen ansehen, so würde
es sich um solche handeln, die für den gesamten Rechtsstreit entscheidungs-
erheblich sind. Bei einer unzulässigen Beschränkung der Revisionszulassung
muss das angefochtene Urteil in vollem Umfang überprüft werden (Senatsurteil
vom 30. April 2014 - XII ZR 146/12 - NJW 2014, 2102 Rn. 20).
C.
Die Ausführungen in dem angegriffenen Urteil halten nicht in vollem Um-
fang der rechtlichen Nachprüfung stand.
I. Revision der Beklagten
Die Beklagte greift mit ihrer Revision die vom Berufungsgericht vorge-
nommene Auslegung des § 3 Buchst. a) des Pachtvertrages sowie dessen Aus-
legung der Vergleichsvereinbarung vom 25. März 2010 an, wonach die Ansprü-
che des Klägers auf Erstattung der Umsatzsteuerrückzahlungen davon nicht
erfasst werden.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Aus-
legung von Individualvereinbarungen grundsätzlich Sache des Tatrichters. Des-
sen Auslegung unterliegt nur einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Über-
prüfung dahin, ob der Auslegungsstoff vollständig berücksichtigt worden ist, ob
gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, sonstige Erfahrungs-
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sätze oder die Denkgesetze verletzt sind oder ob die Auslegung auf Verfah-
rensfehlern beruht (vgl. Senatsurteil vom 27. Januar 2010 - XII ZR 148/07 -
NJW-RR 2010, 1508 Rn. 30; BGHZ 194, 301 = NJW 2012, 3505 Rn. 14 mwN).
Danach ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung des § 3
Buchst. a) des Pachtvertrags sowie der Vergleichsvereinbarung vom 25. März
2010 aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
1. Soweit das Berufungsgericht der Regelung in § 3 Buchst. a) des
Pachtvertrags im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung einen Anspruch
des Klägers gegen die Beklagte auf Auszahlung der erfolgten Umsatzsteuer-
rückerstattungen entnommen hat, vermag die Revision der Beklagten keine
revisionsrechtlich relevanten Auslegungsfehler aufzuzeigen.
a) Die Beklagte wendet sich in diesem Zusammenhang vornehmlich ge-
gen die Annahme des Berufungsgerichts, der Klageanspruch sei bereits "ent-
standen bzw. fällig", obwohl die Gesellschafter der Beklagten nach § 74 AO in
Anspruch genommen würden. Damit habe das Berufungsgericht gegen das
Gebot der beiderseits interessengerechten Auslegung verstoßen, weil redliche
und verständige Parteien keinen derartigen Anspruch vereinbart hätten. Denn
die Beklagte treffe bei einer Inanspruchnahme ihrer Gesellschafter nach § 74
AO das Risiko, die Steuerrückzahlung nicht für die Ablösung der Verbindlichkei-
ten gegenüber dem Finanzamt verwenden zu können, wenn sie sie an den Klä-
ger auskehren müsse.
b) Damit kann die Revision der Beklagten nicht durchdringen. Das Gebot
der beiderseits interessengerechten Auslegung (vgl. etwa BGHZ 150, 32 = NJW
2002, 3248, 3250 und BGHZ 131, 136 = NJW 1996, 248) steht unter dem Vor-
behalt, dass eine solche Auslegung möglich ist. Es kann dann nicht verletzt
sein, wenn ein mögliches Auslegungsergebnis dem Interesse der einen Seite,
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ein anderes aber dem der anderen Seite entgegenkommt, ohne dass ein Mit-
telweg ersichtlich ist (MünchKommBGB/Busche 6. Aufl. § 133 Rn. 63).
So liegt der Fall hier. Ergebnis der Auslegung kann vorliegend nur sein,
ob die Betriebsgesellschaft bzw. den Kläger oder die Beklagte das Risiko der
Haftung gegenüber dem Finanzamt trifft, ohne diese Zahlung durch die von der
Beklagten vereinnahmte Steuerrückzahlung kompensieren zu können. Soweit
die Beklagte insoweit geltend macht, es verstoße auch gegen den in § 4 Satz 2
des Pachtvertrages geschützten Vermögensstand der Beklagten, wenn sie mit
diesem Risiko belastet werde, so hat die Beklagte auf diese Regelung zwar be-
reits mit der Berufungsbegründung hingewiesen, und das Berufungsgericht hat
diesen Gesichtspunkt nicht erwogen. Allerdings ist auch nicht erkennbar, inwie-
fern dieser für die hier im Rahmen der Auslegung zu entscheidende Frage der
Risikoverteilung aussagekräftig hätte sein können. Angesichts des Umstands,
dass das beschriebene Risiko nur entweder den Kläger oder die Beklagte tref-
fen kann, ist aus dem Gebot der beiderseitig interessengerechten Auslegung
kein entscheidender Gesichtspunkt abzuleiten, der es geboten hätte, dieses
Risiko dem Kläger zuzuweisen.
2. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung, wonach sich
aus Ziffer 7.2 der Vergleichsvereinbarung vom 25. März 2010 kein Verzicht des
Klägers auf die streitgegenständlichen Ansprüche ergibt, begegnet ebenfalls
keinen revisionsrechtlichen Bedenken.
a) Aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist die Auffassung des Be-
rufungsgerichts, dass sich aus dem Wortlaut der Vergleichsvereinbarung vom
25. März 2010 ein eindeutig erklärter Verzicht des Klägers auf Rückzahlungs-
ansprüche wegen möglicher an die Beklagte geleisteter Umsatzsteuererstat-
tungen nicht ergibt. Zu Recht hat das Berufungsgericht daher durch Auslegung
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der Vergleichsvereinbarung vom 25. März 2010 ermittelt, ob sich den dort ent-
haltenen Regelungen ein Verzicht des Klägers auf die streitgegenständlichen
Zahlungsansprüche entnehmen lässt.
b) Die Revision der Beklagten rügt insoweit ohne Erfolg, das Berufungs-
gericht habe bei der Auslegung von Ziffer 7 der Vereinbarung anerkannte
Grundsätze der Vertragsauslegung missachtet.
aa) Die Revision macht geltend, das Berufungsgericht habe seinen Aus-
legungserwägungen nur die systematische Stellung der Regelung im Gesamt-
vertrag zugrunde gelegt statt sich vorrangig mit dem Wortlaut der Verzichts-
klausel zu befassen. Deshalb habe es bei der Auslegung nicht beachtet, dass
die streitgegenständlichen Ansprüche bereits von dem Generalverzicht in Zif-
fer 7.2 Satz 2 der Vereinbarung erfasst würden. Danach solle sich der Verzicht
ausdrücklich auch auf diejenigen Ansprüche beziehen, für deren Vorhanden-
sein dem Insolvenzverwalter oder seinen Mitarbeitern im Zeitpunkt des Ver-
tragsschlusses Umstände bekannt gewesen seien oder für die Anhaltspunkte
vorgelegen hätten. Dies sei für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch
auf Auszahlung der Umsatzsteuerrückzahlung der Fall, weil der Anspruch be-
reits bei den Verhandlungen über die Vergleichsvereinbarung zwischen den
Parteien thematisiert worden sei. Zudem habe das Berufungsgericht bei der
Auslegung nicht berücksichtigt, dass die Parteien mit der Vergleichsvereinba-
rung und der Verzichtsklausel den Zweck verfolgt hätten, im Hinblick auf den
geplanten Verkauf des Betriebsgeländes eine endgültige Erledigung der wech-
selseitigen Ansprüche der Parteien zu erreichen. Schließlich spreche - entge-
gen der Auffassung des Berufungsgerichts - auch die systematische Stellung
der Klausel im Gesamtvertrag dafür, dass die streitgegenständlichen Ansprüche
von der Verzichtsklausel erfasst seien.
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bb) Damit kann die Revision der Beklagten nicht durchdringen.
(1) Zwar ist bei der Auslegung von Individualvereinbarungen in erster Li-
nie der von den Parteien gewählte Wortlaut und der dem Wortlaut zu entneh-
mende objektiv erklärte Parteiwille zu berücksichtigen (vgl. BGHZ 150, 32
= NJW 2002, 3248, 3249 mwN). Zu den anerkannten Grundsätzen für die Aus-
legung einer Individualvereinbarung gehört aber auch, dass zwar der Wortlaut
einer Individualvereinbarung den Ausgangspunkt der Auslegung bildet, der
übereinstimmende Parteiwille dem Wortlaut und jeder anderen Interpretation
jedoch vorgeht (Senatsbeschluss vom 30. April 2014 - XII ZR 124/12 - juris
Rn. 17). Der Tatrichter hat daher bei seiner Willenserforschung auch den mit
der Absprache verfolgten Zweck und die Interessenlage der Parteien zu be-
rücksichtigen (Senatsurteil vom 7. September 2011 - XII ZR 114/10 - GuT 2012,
268 Rn. 17). Wegen des sich aus den §§ 133, 157 BGB ergebenden Verbots
einer sich ausschließlich am Wortlaut orientierenden Interpretation darf der
Richter schließlich einer Erklärung sogar eine Deutung geben, die von ihrem
nach dem allgemeinen Sprachgebrauch eindeutigen Wortsinn abweicht, wenn
Begleitumstände vorliegen, aus denen geschlossen werden kann, dass der Er-
klärende mit seinen Worten einen anderen Sinn verbunden hat, als es dem all-
gemeinen Sprachgebrauch entspricht (BGHZ 150, 32 = NJW 2002, 3248,
3250).
(2) Nach diesen Maßgaben bestehen gegen das Auslegungsergebnis
des Berufungsgerichts, wonach der in Ziffer 7.2 Satz 2 der Vergleichsvereinba-
rung enthaltene Verzicht die streitgegenständlichen Ansprüche des Klägers
nicht erfasst, keine rechtlichen Bedenken.
Es kann in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben, ob der Wortlaut
der Regelung in Ziffer 7.2 Satz 2 der Vergleichsvereinbarung tatsächlich so ein-
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deutig ist, wie die Revision der Beklagten annimmt. Auch ein klarer und eindeu-
tiger Wortlaut einer Erklärung bildet keine Grenze für die Auslegung anhand der
Gesamtumstände. Die Revision der Beklagten verkennt insoweit, dass sich die
Feststellung, ob eine Erklärung eindeutig ist oder nicht, erst durch eine alle Um-
stände berücksichtigende Auslegung treffen lässt (Senatsurteil vom 19. De-
zember 2001 - XII ZR 281/99 - NJW 2002, 1260, 1261 mwN). Daher ist es aus
Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht bei der Aus-
legung die Regelungssystematik der Vergleichsvereinbarung berücksichtigt hat.
Die damit verbundene Annahme des Berufungsgerichts, die Parteien hätten in
Ziffer 13 der Vergleichsvereinbarung eine ausdrückliche Regelung für Ansprü-
che getroffen, die sich aus dem Nichtbestehen einer umsatzsteuerrechtlichen
Organschaft ergeben, weshalb sich der in Ziffer 7.2 Satz 2 der Vergleichsver-
einbarung enthaltene Verzicht nicht auf den vom Kläger geltend gemachten
Anspruch auf Auszahlung der von der Beklagten vereinnahmten Umsatzsteuer-
rückerstattung beziehe, ist eine vertretbare Schlussfolgerung, die sich im Rah-
men der tatrichterlichen Verantwortung bewegt.
Entgegen der Auffassung der Revision der Beklagten konnte das Beru-
fungsgericht bei seinen Erwägungen zur Auslegung der Verzichtsvereinbarung
auch berücksichtigen, dass an die Auslegung einer Willenserklärung, die zum
Verlust einer Rechtsposition führt, strenge Anforderungen zu stellen sind und
in der Regel eine insoweit eindeutige Willenserklärung erforderlich ist, weil
ein Rechtsverzicht niemals zu vermuten ist. Das Berufungsgericht hat insoweit
eine anerkannte Auslegungsregel angewendet (vgl. BGH Urteile vom 20. De-
zember 1983 - VI ZR 19/82 - NJW 1984, 1346, 1347; vom 16. November 1993
- XI ZR 70/93 - NJW 1994, 379, 380 und vom 22. Juni 1995 - VII ZR 118/94 -
WM 1995, 1677, 1678 f.) und mit der Annahme, dass ein Verzicht auf mögliche
Ansprüche aus der den Parteien bei Abschluss der Vergleichsvereinbarung be-
reits bekannten Problematik der Nichtanerkennung der jahrelang praktizierten
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umsatzsteuerrechtlichen Organschaft einer ausdrücklichen Regelung bedurft
hätte, eine vertretbare und aus Rechtsgründen nicht zu beanstandende
Schlussfolgerung gezogen.
c) Soweit die Revision der Beklagten schließlich meint, das Berufungsge-
richt habe seine Auslegung nicht auf den Gesichtspunkt stützen dürfen, dass
der den Parteien bei Vergleichsabschluss jedenfalls als möglich bekannte Kla-
geanspruch seinem Volumen nach das Gesamtvolumen der Vergleichsverein-
barung um ein Mehrfaches übersteige, ergibt sich hieraus ebenfalls kein revisi-
onsrechtlich relevanter Auslegungsfehler. Bei dieser Erwägung des Berufungs-
gerichts handelt es sich ersichtlich um die bloße Berücksichtigung eines Be-
gleitumstands, der für das vom Berufungsgericht gefundene Auslegungsergeb-
nis nicht tragend ist.
3. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung der Abgeltungs-
klausel in Ziffer 13 der Vergleichsvereinbarung ist ebenfalls aus Rechtsgründen
nicht zu beanstanden.
a) Das Berufungsgericht hat unter Berücksichtigung der bereits dargeleg-
ten anerkannten Auslegungsregeln umfassend und sorgfältig die von den Par-
teien in Ziffer 13 der Vergleichsvereinbarung gewählte Regelungssystematik
analysiert und ist dabei zu dem - von der Revision der Beklagten auch hinge-
nommenen - Auslegungsergebnis gekommen, dass sich die Regelung in Zif-
fer 13.2.4 der Vergleichsvereinbarung nur auf mögliche Ansprüche wegen der
bereits von der Beklagten und dem Veranlagungs-Finanzamt zur Insolvenz-
tabelle angemeldeten Umsatzsteuer für die Monate März bis Juni 2009 er-
streckt. Anders als das Berufungsgericht möchte die Revision der Beklagten
hieraus aber den Schluss ziehen, dass die streitgegenständlichen Ansprüche
des Klägers von der in Ziffer 13.1 der Vergleichsvereinbarung enthaltenen all-
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gemeinen Abgeltungsklausel erfasst werden. Sie rügt auch insoweit, dass das
Berufungsgericht bei der Auslegung den eindeutigen Wortlaut der Abgeltungs-
klausel nicht ausreichend berücksichtigt habe und unzutreffend davon ausge-
gangen sei, dass sich die Abgeltungsklausel nur auf die in der Präambel er-
wähnten Ansprüche, mithin nur auf die Ansprüche wegen der Umsatzsteuerfor-
derungen für den Zeitraum März bis Juni 2009, erstrecken sollte.
b) Auch diesen Angriffen halten die Auslegungserwägungen des Beru-
fungsgerichts stand.
Zwar könnte der Wortlaut der Regelung in Ziffer 13.1 der Vergleichsver-
einbarung auch die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche erfassen, womit
diese auch abgegolten sein könnten. Das Berufungsgericht hat jedoch bei sei-
nen Auslegungserwägungen zu Recht auch die weiteren in der Vereinbarung
enthaltenen Regelungen in den Blick genommen. Vor dem Hintergrund, dass
nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen zum Zeitpunkt des
Abschlusses der Vergleichsvereinbarung nur die Umsatzsteuer für den Zeit-
raum März bis Juni 2009 vom Finanzamt neu festgesetzt und es deshalb kei-
neswegs sicher war, ob auf die Vertragsparteien wegen der Nichtanerkennung
der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft auch für vorangehende Zeiträume
weitere Umsatzsteuerforderungen zukommen, ist das vom Berufungsgericht
gefundene Auslegungsergebnis nicht zu beanstanden. Den Parteien war be-
kannt, dass aufgrund der Änderung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs
die über viele Jahre praktizierte umsatzsteuerrechtliche Organschaft von den
Finanzbehörden zwischenzeitlich nicht mehr anerkannt wird. Sie mussten daher
damit rechnen, dass für die nicht verjährten Festsetzungszeiträume vor 2009
geänderte Umsatzsteuerbescheide erlassen werden, die zu Umsatzsteuernach-
forderungen und -rückzahlungen führen konnten. Nach den Feststellungen des
Berufungsgerichts ist diese Problematik bei den vor Abschluss der Vergleichs-
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vereinbarung geführten Gesprächen thematisiert worden, wobei den Parteien
auch die ungefähre Größenordnung möglicher Ansprüche bekannt war. Unter
diesen Umständen hätte es - wie vom Berufungsgericht angenommen - nahe-
gelegen, entsprechende Zahlungsansprüche des Klägers gegen die Beklagte
ausdrücklich in die Abgeltungsklausel aufzunehmen. Letztlich haben die Partei-
en sich jedoch darauf beschränkt, in Ziffer 13.2.4 der Vergleichsvereinbarung
nur insoweit Regelungen im Zusammenhang mit der Nichtanerkennung der
umsatzsteuerrechtlichen Organschaft zu treffen, als zum Zeitpunkt des Ver-
gleichsabschlusses bereits geänderte Steuerbescheide vorlagen und über die
damit zusammenhängenden Auswirkungen auf die Rechtsbeziehungen der be-
teiligten Gesellschaften und Gesellschafter Klarheit herrschte.
Schließlich hat das Berufungsgericht bei der Auslegung auch den von
den Parteien verfolgten Zweck, sich möglichst endgültig zu trennen und alle
zwischen ihnen noch offenen Fragen zu regeln, berücksichtigt.
c) Die Angriffe der Revision der Beklagten zu den Ausführungen des Be-
rufungsgerichts, denen zufolge die erstinstanzliche Beweisaufnahme sogar die
"positive Feststellung" rechtfertige, dass hinsichtlich der betroffenen Ansprüche
"gerade keine Einigung" der Parteien des Vergleichsvertrages vorliege, können
ebenfalls keinen Erfolg haben. Das Berufungsurteil wird bereits durch die recht-
lich nicht zu beanstandenden Überlegungen zur Vertragsauslegung und zur
erstinstanzlichen - von der Revision nicht angegriffenen - Beweisaufnahme ge-
tragen. Die von der Revision beanstandeten Ausführungen sind ersichtlich vom
Berufungsgericht angestellte Hilfserwägungen, die das Auslegungsergebnis nur
zusätzlich stützen sollen.
d) Gleiches gilt für die von der Revision der Beklagten angegriffenen
Überlegungen des Berufungsgerichts zur Insolvenzzweckwidrigkeit eines Ver-
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zichts des Klägers auf die Klageforderung. Auch insoweit handelt es sich ledig-
lich um alternative Erwägungen ("unabhängig davon") im Berufungsurteil, auf
die es nicht gestützt ist, da dieses bereits durch die Überlegungen zur Ver-
tragsauslegung getragen wird.
II. Revision des Klägers
Der Kläger wendet sich mit der Revision zu Recht gegen die Auffassung
des Berufungsgerichts, im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ergebe
sich aus § 3 Buchst. a) des Pachtvertrags ein Ausgleichsanspruch der Beklag-
ten wegen der Haftung ihrer Gesellschafter für die Umsatzsteuerschuld der Be-
triebsgesellschaft nach § 74 AO, mit dem sie gegen den Anspruch des Klägers
auf Auszahlung der Umsatzsteuerrückerstattungen nebst Zinsen aufrechnen
könne, und gegen den damit verbundenen Erlass eines Vorbehaltsurteils.
1. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht ein Vorbehaltsurteil gemäß
§ 302 ZPO erlassen, weil der Beklagten ein aufrechenbarer Gegenanspruch
nicht zusteht.
Voraussetzung für den Erlass eines Vorbehaltsurteils ist neben der Ent-
scheidungsreife der Klageforderung das Bestehen einer aufrechenbaren Ge-
genforderung, über die im Zeitpunkt des Urteilserlasses noch nicht entschieden
werden kann. Steht fest, dass die Aufrechnung unzulässig ist oder die zur Auf-
rechnung gestellte Gegenforderung nicht besteht, kann das Gericht auch über
die Gegenforderung entscheiden. Ein Vorbehaltsurteil darf dann nicht ergehen
(vgl. MünchKommZPO/Musielak 4. Aufl. § 302 Rn. 4; Zöller/Vollkommer ZPO
30. Aufl. § 302 Rn. 4).
2. So liegen die Dinge hier. Der Beklagten steht gegen den Kläger kein
aufrechenbarer Gegenanspruch zu. Denn die Annahme des Berufungsgerichts,
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aus § 3 Buchst. a) des Pachtvertrages ergebe sich im Wege der ergänzenden
Vertragsauslegung ein Anspruch der Beklagten gegen den Kläger auf Zahlung
des Betrages, in dessen Höhe die Gesellschafter der Beklagten durch Haf-
tungsbescheide nach § 74 AO in Anspruch genommen werden, ist nicht frei von
Rechtsfehlern.
a) Zwar unterliegt die Auslegung des Berufungsgerichts auch insoweit
nur einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung (vgl. dazu Senats-
urteile vom 11. Januar 2012 - XII ZR 40/10 - NJW 2012, 844 Rn. 23 und vom
21. Januar 2009 - XII ZR 79/07 - NJW-RR 2009, 593 Rn. 18; BGHZ 194, 301
= NJW 2012, 3505 Rn. 14 mwN). Die Annahme des Berufungsgerichts, die Re-
gelung in § 3 Buchst. a) des Pachtvertrags zum Pachtzins weise im Hinblick auf
die Haftung der Gesellschafter der Beklagten für die nach § 74 AO vom Finanz-
amt geltend gemachten Umsatzsteuerforderungen der Betriebsgesellschaft eine
ausfüllungsbedürftige Regelungslücke auf, die im Wege der ergänzenden Ver-
tragsauslegung zu schließen sei, begegnet jedoch durchgreifenden rechtlichen
Bedenken. Denn es hat wesentlichen Auslegungsstoff nicht ausreichend be-
rücksichtigt und die Voraussetzungen für eine ergänzende Vertragsauslegung
verkannt. Insoweit unterliegt das Urteil der revisionsgerichtlichen Kontrolle (vgl.
Senatsurteil vom 27. Januar 2010 - XII ZR 148/07 - NJW-RR 2010, 1508
Rn. 30).
b) Das Berufungsgericht ist bei seinen Auslegungserwägungen bereits
von der unzutreffenden Annahme ausgegangen, dass sich die Haftung der vom
Finanzamt in Anspruch genommenen Gesellschafter nur auf die der Betriebs-
gesellschaft zur Verfügung gestellten Grundstücke und Betriebsanlagen, die im
Eigentum der Beklagten stehen, beschränkt und daher diese faktisch Schuldne-
rin der mit den Haftungsbescheiden geltend gemachten Steuerforderungen sei.
Insoweit hat das Berufungsgericht die sich aus § 74 AO ergebenden Rechtsfol-
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gen nicht in vollem Umfang erkannt und damit wesentlichen Auslegungsstoff
unberücksichtigt gelassen.
aa) Nach § 74 Abs. 1 Satz 1 AO haftet der Eigentümer von Gegenstän-
den, die einem Unternehmen dienen, aber nicht dem Unternehmer, sondern
einer an dem Unternehmen wesentlich beteiligten Person gehören, mit diesen
Gegenständen für diejenigen Steuern des Unternehmens, bei denen sich die
Steuerpflicht auf den Betrieb des Unternehmens gründet. Diese Regelung soll
die Durchsetzung von Steueransprüchen im Wege der Vollstreckung für den
Fall sichern, dass das Unternehmen (auch) mit Gegenständen betrieben wird,
die im Eigentum eines Dritten stehen (vgl. Klein/Rüsken AO 12. Aufl. § 74
Rn. 1). Die nach § 74 AO in Anspruch genommenen Gesellschafter haften
grundsätzlich persönlich, dabei aber gegenständlich beschränkt, weil nach § 74
Abs. 1 Satz 1 AO der Eigentümer nur "mit" den Gegenständen haftet, die er
dem Unternehmen überlassen hat (dazu Pahlke/Koenig/Intemann Abgabenord-
nung 2. Aufl. § 74 Rn. 14 mwN). Die Haftung ist danach auf Zahlung eines
Geldbetrags durch den Haftungsschuldner gerichtet (Pahlke/Koenig/Intemann
Abgabenordnung 2. Aufl. § 74 Rn. 34) und wird durch Haftungsbescheid nach
§ 191 AO geltend gemacht. Die gegenständliche Haftungsbeschränkung wirkt
sich nur aus, wenn die Steuerschuld, auf die sich die Haftung bezieht, im Wege
der Zwangsvollstreckung durchgesetzt werden muss. Dann ist der Vollstre-
ckungszugriff der Finanzbehörde auf die dem Unternehmen zur Betriebsführung
überlassenen Gegenstände beschränkt
bb) Im vorliegenden Fall wirkt sich die Heranziehung der Gesellschafter
der Beklagten als Haftungsschuldner nach § 74 AO also nur dann auf das Ge-
samthandsvermögen der Beklagten als Kommanditgesellschaft aus, wenn die
in Haftung genommenen Gesellschafter auf die Haftungsbescheide keine Leis-
tung erbringen können oder wollen. Hierzu hat das Berufungsgericht jedoch
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keine Feststellungen getroffen. Der Umstand, dass einzelne Gesellschafter we-
gen ihrer Inanspruchnahme als Haftungsschuldner für die gegen die Betriebs-
gesellschaft gerichteten Umsatzsteuernachforderungen bereits Ausgleichsfor-
derungen zur Insolvenztabelle angemeldet haben, legt zudem die Vermutung
nahe, dass die Gesellschafter die Haftungsschuld persönlich begleichen wür-
den und die Haftungsbescheide daher nicht im Vollstreckungswege durchge-
setzt werden müssten. Ob sich der Erlass der Haftungsbescheide überhaupt
auf das Vermögen der Beklagten auswirken wird, ist somit noch völlig unge-
wiss. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann daher nicht ange-
nommen werden, dass faktisch die Beklagte Schuldnerin der mit den Haftungs-
bescheiden geltend gemachten Steuerforderungen sei.
c) Zudem rügt die Revision des Klägers zu Recht, dass der Pachtvertrag
auch keine planwidrige Regelungslücke aufweist, die im Wege der ergänzen-
den Vertragsauslegung zu schließen ist.
aa) Voraussetzung einer ergänzenden Vertragsauslegung ist das Beste-
hen einer Regelungslücke, also einer planwidrigen Unvollständigkeit der Best-
immungen des Rechtsgeschäfts (BGHZ 90, 69 = NJW 1984, 1177, 1178), die
nicht durch die Heranziehung von Vorschriften des dispositiven Rechts sachge-
recht geschlossen werden kann (BGHZ 137, 153 = NJW 1998, 450, 451). Allein
der Umstand, dass ein Vertrag für eine bestimmte Fallgestaltung keine Rege-
lung enthält, besagt nicht, dass es sich um eine planwidrige Unvollständigkeit
handelt. Von einer planwidrigen Unvollständigkeit kann nur gesprochen werden,
wenn der Vertrag eine Bestimmung vermissen lässt, die erforderlich ist, um
den ihm zugrunde liegenden Regelungsplan der Parteien zu verwirklichen,
mithin ohne Vervollständigung des Vertrags eine angemessene, interessenge-
rechte Lösung nicht zu erzielen wäre (Senatsurteil vom 11. Januar 2012
- XII ZR 40/10 - NJW 2012, 844 Rn. 24 mwN). Die ergänzende Vertragsausle-
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gung muss sich als zwingende selbstverständliche Folge aus dem Gesamtzu-
sammenhang des Vereinbarten ergeben, so dass ohne die vorgenommene Er-
gänzung das Ergebnis in offenbarem Widerspruch zu dem nach dem Inhalt des
Vertrags tatsächlich Vereinbarten stehen würde. Zudem darf die ergänzende
Vertragsauslegung nicht zu einer wesentlichen Erweiterung des Vertragsinhalts
führen (BGHZ 40, 91 = NJW 1963, 2071, 2075).
bb) Auf dieser rechtlichen Grundlage begegnet die Annahme des Beru-
fungsgerichts, § 3 Buchst. a) des Pachtvertrags weise im Hinblick auf die Haf-
tung der Gesellschafter der Beklagten für die gegen die Betriebsgesellschaft
gerichteten Umsatzsteuerforderungen eine ausfüllungsbedürftige Regelungslü-
cke auf, durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Denn zur Verwirklichung des
mit dem Abschluss des Pachtvertrags verfolgten Regelungsplans der Vertrags-
parteien ist es nicht erforderlich, die in § 3 Buchst. a) des Pachtvertrags enthal-
tene Vereinbarung zum Pachtzins auf mögliche Ausgleichsforderungen der Be-
klagten wegen der steuerrechtlichen Haftung ihrer Gesellschafter für Umsatz-
steuerschulden der Betriebsgesellschaft auszudehnen.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts wurde der Pachtvertrag
1949 im Rahmen einer Umstrukturierung des damaligen Fahrzeugbauunter-
nehmens abgeschlossen. Voraussetzung für die mit der Betriebsaufspaltung
beabsichtigten haftungs- und steuerrechtlichen Ziele war dabei nur, dass die
Besitzgesellschaft der Betriebsgesellschaft eine ihrer Funktion nach wesentli-
che Betriebsgrundlage zur Nutzung überlässt. Die seinerzeit beteiligten Ver-
tragsparteien mussten daher lediglich die Nutzungsüberlassung der im Eigen-
tum der Beklagten stehenden Grundstücke und Betriebsanlagen an die Be-
triebsgesellschaft vertraglich regeln. Ausreichend hierfür war ein Pachtvertrag,
der die insoweit wesentlichen Regelungen, wie etwa die Bezeichnung der
Pachtgegenstände, Pachtdauer und die zu zahlende Pacht, beinhaltet. Eine
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darüberhinausgehende Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen der
Beklagten als Besitzgesellschaft und der Betriebsgesellschaft war für die mit
der Betriebsaufspaltung verfolgten Zielen nicht erforderlich und von den Partei-
en nach dem übrigen Inhalt des Pachtvertrags auch nicht beabsichtigt.
Die in § 3 Buchst. a) des Pachtvertrags enthaltene Regelung, wonach die
Betriebsgesellschaft als Teil des Pachtzinses "die öffentlichen Abgaben und
Steuern mit Ausnahme der seitens der Verpächter zu tragenden Einkommens-
und Vermögenssteuern" zu übernehmen hat, beruhte dabei ersichtlich auf dem
Umstand, dass - bis zu der entsprechenden Änderung der Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs - die Beklagte als Organträgerin die im Organkreis anfallende
Umsatzsteuer an das Finanzamt abzuführen hatte, die steuerbaren Umsätze
jedoch im Wesentlichen bei der Betriebsgesellschaft anfielen. Mit der Verpflich-
tung der Betriebsgesellschaft, die von der Beklagten zu tragenden Steuern und
öffentlichen Abgaben als Pacht zu zahlen, wollten die Vertragsparteien errei-
chen, dass letztlich die Umsatzsteuer von der Gesellschaft getragen wird, bei
der die steuerrechtlich relevanten Umsätze auch verwirklicht werden.
Anlass, in den Pachtvertrag weitere Regelungen zu den Rechtsbezie-
hungen zwischen der Besitz- und der Betriebsgesellschaft aufzunehmen, ins-
besondere einen Ausgleichsanspruch der Beklagten für den Fall vorzusehen,
dass die Gesellschafter der Beklagten als Haftungsschuldner für nicht entrichte-
te Steuern der Betriebsgesellschaft in Anspruch genommen werden, bestand
zum Zeitpunkt des Abschlusses des Pachtvertrags nicht.
Eine auszufüllende Regelungslücke besteht auch deshalb nicht, weil ein
angemessener und interessengerechter Ausgleich zwischen den Haftungs-
schuldnern und der Betriebsgesellschaft als Steuerpflichtige bereits durch das
dispositive Gesetzesrecht gewährleistet wird. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 AO haf-
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ten Personen, die nebeneinander dieselbe Leistung aus dem Steuerschuldver-
hältnis schulden oder für sie haften, als Gesamtschuldner. Diese Vorschrift gilt
nicht nur zwischen mehreren Steuerschuldnern oder einer Mehrzahl von Haf-
tenden, sondern auch dann, wenn die Finanzbehörde den einen als Steuer-
schuldner, den anderen dagegen als Haftungsschuldner in Anspruch nehmen
kann (BGHZ 120, 50 = NJW 1993, 585, 586 mwN). Der Ausgleich zwischen
dem Steuerpflichtigen und dem Haftungsschuldner bestimmt sich daher gemäß
§ 426 Abs. 1 BGB. Nach dieser Vorschrift haften Gesamtschuldner im Verhält-
nis zueinander zu gleichen Anteilen, sofern nichts anderes bestimmt ist. Etwas
anderes iSv § 426 Abs. 1 BGB ist auch dann bestimmt, wenn sich eine abwei-
chende Regelung des Innenverhältnisses aus der Natur der Sache ergibt
(BGHZ 120, 50 = NJW 1993, 585, 586).
Aus dem Zweck einer Betriebsaufspaltung und im vorliegenden Fall zu-
sätzlich auch aus der in § 3 Buchst. a) des Pachtvertrags getroffenen Regelung
zum Pachtzins lässt sich die Absicht der Vertragsparteien entnehmen, dass die
innerhalb des Organkreises anfallenden Steuern im Innenverhältnis allein von
der Gesellschaft getragen werden sollen, die ohne die Organschaft steuerpflich-
tig wäre. Daraus ergibt sich im vorliegenden Fall, dass die durch die Tätigkeit
der Betriebsgesellschaft angefallene Umsatzsteuer im Innenverhältnis von die-
ser allein zu tragen wäre. Folglich hätten die Gesellschafter der Beklagten, so-
weit sie als Haftungsschuldner Umsatzsteuerschulden der Betriebsgesellschaft
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bezahlen, gegen den Kläger einen entsprechenden Regressanspruch nach
§ 426 Abs. 1 BGB. Ein Bedürfnis, im Wege der ergänzenden Vertragsausle-
gung einen zusätzlichen Ausgleichsanspruch der Beklagten anzunehmen, be-
steht daher nicht.
Dose
Weber-Monecke
Günter
Botur
Guhling
Vorinstanzen:
LG Osnabrück, Entscheidung vom 26.10.2011 - 1 O 3113/10 -
OLG Oldenburg, Entscheidung vom 07.08.2012 - 12 U 129/11 -