Urteil des BGH vom 01.07.2015

Leitsatzentscheidung zu Unterbringung, Zwangsbehandlung, Verfassungskonforme Auslegung, Körperliche Unversehrtheit

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X I I Z B 8 9 / 1 5
vom
1. Juli 2015
in der Unterbringungssache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
GG Art. 3 Abs. 1, 100 Abs. 1; BGB § 1906 Abs. 1, Abs. 3, Abs. 3a
Es wird eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu der Frage eingeholt,
ob § 1906 Abs. 3 BGB in der Fassung des Gesetzes zur Regelung der betreuungs-
rechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme vom 18. Februar 2013
(BGBl. I S. 266) mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, soweit er für die Einwilligung des
Betreuers in eine stationär durchzuführende ärztliche Zwangsmaßnahme auch bei
Betroffenen, die sich der Behandlung räumlich nicht entziehen wollen oder hierzu
körperlich nicht in der Lage sind, voraussetzt, dass die Behandlung im Rahmen einer
Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB erfolgt.
BGH, Beschluss vom 1. Juli 2015 - XII ZB 89/15 - LG Stuttgart
AG Stuttgart
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 1. Juli 2015 durch den Vor-
sitzenden Richter Dose, die Richterin Weber-Monecke und die Richter
Dr. Klinkhammer, Schilling und Guhling
beschlossen:
I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
II. Es wird eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu
folgender Frage eingeholt:
Ist § 1906 Abs. 3 BGB in der Fassung des Gesetzes zur Re-
gelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche
Zwangsmaßnahme vom 18. Februar 2013 (BGBl. I S. 266) mit
Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, soweit er für die Einwilligung des
Betreuers in eine stationär durchzuführende ärztliche
Zwangsmaßnahme auch bei Betroffenen, die sich der Be-
handlung räumlich nicht entziehen wollen oder hierzu körper-
lich nicht in der Lage sind, voraussetzt, dass die Behandlung
im Rahmen einer Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB er-
folgt?
Gründe:
A.
Die 63-jährige Betroffene leidet unter einer schizoaffektiven Psychose.
Sie steht deswegen seit Ende April 2014 unter Betreuung. Der Aufgabenkreis
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der Berufsbetreuerin (Beteiligte zu 1) umfasst unter anderem die Sorge für die
Pflege und Gesundheit einschließlich der Zustimmung zu ärztlichen Maßnah-
men und Behandlungen sowie die Aufenthaltsbestimmung einschließlich der
Entscheidung über eine Unterbringung oder unterbringungsähnliche Maßnah-
me.
Im August 2014 wurde bei der Betroffenen im Rahmen einer stationären
Behandlung eine Dermatomyositis, eine Autoimmunkrankheit, diagnostiziert, die
zu großflächigen Hautausschlägen und massiver Muskelschwäche mit akuten
Schluckstörungen führte. Im Zuge der Behandlung ergab sich auch der Ver-
dacht auf Brustkrebs, wobei die Betroffene weitere Untersuchungen ablehnte.
Anfang September 2014 wurde sie nochmals kurzzeitig in einer Pflegeeinrich-
tung aufgenommen, wo sie die Einnahme der zur Behandlung der Dermatomy-
ositis benötigten Medikamente ablehnte und die Essensaufnahme verweigerte
sowie Suizidabsichten äußerte. Ab Mitte September 2014 befand sich die Be-
troffene mit richterlicher Genehmigung auf einer geschlossenen Demenzstation
des Klinikums S. Auf der Grundlage mehrerer betreuungsgerichtlicher Be-
schlüsse wurden im Wege ärztlicher Zwangsmaßnahmen zum einen sowohl die
Dermatomyositis und eine Schilddrüsenunterfunktion als auch die psychische
Krankheit medikamentös behandelt, wobei die Medikation - ebenso wie die
Nahrung - über eine ebenfalls als ärztliche Zwangsmaßnahme gelegte Magen-
sonde verabreicht wurde; zum anderen wurden weitere Untersuchungen
(Stanzbiopsie) hinsichtlich der Krebserkrankung durchgeführt. Letztere bestätig-
ten den Verdacht eines - noch nicht durchgebrochenen - Mammakarzinoms
rechts. Aufgrund ihrer Erkrankung ist die Betroffene inzwischen körperlich stark
geschwächt und kann weder gehen noch sich selbst mittels eines Rollstuhls
fortbewegen. Sie hat einer Behandlung der Krebserkrankung widersprochen.
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Mit Schreiben vom 20. Januar 2015 hat die Betreuerin beantragt, die Un-
terbringungsgenehmigung zu verlängern und ärztliche Zwangsmaßnahmen ins-
besondere zur Behandlung des Brustkrebses (Brustektomie, Brustbestrahlung,
Knochenmarkspunktion zur weiteren Diagnostik), aber auch zur Fortsetzung der
medikamentösen Therapie der weiteren Erkrankungen zu genehmigen. Zur Be-
gründung hat sie unter anderem ausgeführt, die Tumorerkrankung werde im
Falle der Nichtbehandlung rasch fortschreiten und unausweichlich zu Pflegebe-
dürftigkeit, Schmerzen und letztlich zum Tod der Betroffenen führen. Diese
könne aufgrund ihrer psychischen Erkrankung die Notwendigkeit von Unterbrin-
gung und Behandlung nicht erkennen und nicht nach dieser Einsicht handeln.
Das Amtsgericht hat die beantragten Genehmigungen verweigert, das
Landgericht hat die von der Betreuerin namens der Betroffenen hiergegen ein-
gelegte Beschwerde zurückgewiesen. Mit der vom Beschwerdegericht zugelas-
senen Rechtsbeschwerde verfolgt die Betreuerin namens der Betroffenen die
Anträge auf Genehmigung der Unterbringung und der Einwilligung in die ärztli-
chen Zwangsmaßnahmen weiter.
B.
Das Verfahren ist nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG auszusetzen. Nach
Überzeugung des Senats ist es mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, dass § 1906
Abs. 3 BGB eine in stationärem Rahmen erfolgende ärztliche Maßnahme nach
§ 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB (Untersuchung des Gesundheitszustands, Heilbe-
handlung oder ärztlicher Eingriff) gegen den natürlichen Willen des Betroffenen
- bei Vorliegen der sonstigen materiell- und verfahrensrechtlichen Vorausset-
zungen - nur als möglich vorsieht, wenn der Betroffene zivilrechtlich unterge-
bracht ist, nicht jedoch für Fälle, in denen eine freiheitsentziehende Unterbrin-
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gung ausscheidet, weil der Betroffene sich der Behandlung räumlich nicht ent-
ziehen will und/oder aus körperlichen Gründen nicht kann. Zur Verfassungsmä-
ßigkeit ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen.
Die Richtervorlage ist eröffnet, obwohl die Vorlagefrage gesetzgeberi-
sches Unterlassen betrifft. Zwar kann schlichtes gesetzgeberisches Unterlassen
nicht Gegenstand einer Vorlage sein. Ist der Gesetzgeber aber auf einem Ge-
biet - wie hier dem der ärztlichen Zwangsmaßnahmen - bereits tätig geworden
und hält ein Gericht die geschaffenen Vorschriften angesichts einer grundrecht-
lichen Schutzpflicht für unzureichend oder das Unterlassen der Einbeziehung
weiterer Tatbestände in eine begünstigende Regelung für nicht gerechtfertigt,
ist eine Vorlage möglich (vgl. BVerfG FamRZ 2013, 605 Rn. 21 mwN).
I.
Nach Auffassung des Beschwerdegerichts kann weder die Unterbringung
der Betroffenen noch die Einwilligung der Betreuerin in die beabsichtigten ärztli-
chen Zwangsmaßnahmen betreuungsgerichtlich genehmigt werden.
Es könne unterstellt werden, dass die von der Betreuerin genannten Ein-
griffe und Untersuchungen zur Abwendung eines drohenden erheblichen ge-
sundheitlichen Schadens notwendig seien und die Betroffene wegen psychi-
scher Krankheit oder geistiger oder seelischer Behinderung die Notwendigkeit
der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kön-
ne. Das Amtsgericht habe gleichwohl zu Recht das Vorliegen der Vorausset-
zungen für die Genehmigung der Unterbringung verneint, weil alle diese ärztli-
chen Maßnahmen auch ohne eine Unterbringung in geschlossener Einrichtung
durchgeführt werden könnten. Auszugehen sei von einem engen Begriff der mit
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der Freiheitsentziehung verbundenen Unterbringung, wonach eine Freiheitsent-
ziehung nur dann notwendig und damit erforderlich sei, wenn sich der Betroffe-
ne ohne die Freiheit einschränkende Vorkehrungen der Örtlichkeit räumlich ent-
ziehen könne. Das sei hier nicht der Fall. Die Betroffene sei bettlägerig und
nicht in der Lage, sich selbständig aus dem Bett zu bewegen, geschweige denn
zu gehen. Auch mit dem Liegerollstuhl, in den sie regelmäßig verlegt werde,
könne sie sich nicht selbständig fortbewegen. Sie zeige zudem keinerlei Weg-
lauftendenzen dahingehend, dass sie andere Personen damit beauftragen
könnte oder würde, sie aus der Klinik abzuholen und an einen anderen Ort zu
bringen. Daher sei es aus tatsächlichen Gründen nicht notwendig, sie in einer
geschlossenen Einrichtung unterzubringen.
Eine solche Notwendigkeit ergebe sich auch nicht aus der
- unterstellten - Notwendigkeit der zwangsweisen Durchführung ärztlicher Maß-
nahmen. Aus dem Umstand, dass deren Erzwingung gegen den Widerstand
eines Betroffenen nur im Rahmen einer vom Betreuungsgericht genehmigten
freiheitsentziehenden Unterbringung zulässig sei, dürfe nicht gefolgert werden,
dass eine Unterbringung immer schon dann genehmigt werden dürfe, wenn die
medizinische Maßnahme notwendig sei, aber nur gegen den Widerstand des
Betroffenen durchgeführt werden könne. Vielmehr müsse gemäß § 1906 Abs. 1
Nr. 2 BGB die Unterbringung auch ihrerseits - und zwar tatsächlich - erforderlich
sein, um die medizinische Maßnahme durchzuführen. Sie sei in diesem Sinne
erforderlich, wenn zu erwarten sei, dass der Betroffene sich ohne die Unterbrin-
gung der medizinischen Maßnahme räumlich entziehen werde. Daran habe sich
auch durch die Einfügung des § 1906 Abs. 3 BGB als gesetzlicher Grundlage
für eine Zwangsbehandlung nichts geändert.
Ohne eine genehmigte freiheitsentziehende Unterbringung sei die
Zwangsbehandlung aber nicht zulässig. Die beantragten Maßnahmen wider-
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sprächen dem natürlichen Willen der Betroffenen. Die damit erforderliche ge-
richtliche Genehmigung sei ausschließlich im Rahmen einer genehmigten Un-
terbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB möglich. Das ergebe sich aus Systematik,
Wortlaut und Entstehungsgeschichte des Gesetzes. Eine andere Entscheidung
rechtfertige auch nicht die UN-Behindertenrechtskonvention vom 13. Dezember
2006. Die Auffassung der Betreuerin, die Nichtgenehmigung benachteilige die
immobile Betroffene gegenüber einem noch körperlich mobilen Betreuten, der
zum Weglaufen in der Lage sei, treffe nicht zu. Die Genehmigung eines so
schwerwiegenden Grundrechtseingriffs wie der hier beantragten ärztlichen
Zwangsmaßnahme sei keine Bevorzugung und damit die Nichtgenehmigung
auch keine Benachteiligung. Eine Gleichbehandlung im Rahmen staatlicher
Grundrechtseingriffe
im
negativen
Sinn
sei
nicht
Ziel
der
UN-
Behindertenrechtskonvention.
Eine Genehmigung der Zwangsbehandlung sei ferner nicht nach § 1904
BGB zu erteilen. Zum einen sei der Antrag der Betreuerin nicht auf eine solche
Genehmigung gerichtet. Zum anderen könne eine solche lediglich die rechtsge-
schäftliche Einwilligung der nicht einwilligungsfähigen Betroffenen ersetzen,
nicht aber ihren entgegenstehenden natürlichen Willen überwinden.
II.
Die Frage, ob § 1906 Abs. 3 BGB verfassungsgemäß ist, ist für die Ent-
scheidung über die zulässig eingelegte Rechtsbeschwerde erheblich (vgl. hier-
zu Ulsamer in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge BVerfGG [Stand: Dezem-
ber 2014] § 80 Rn. 248a mwN). Würde die Bestimmung gegen Art. 3 Abs. 1 GG
verstoßen, wäre der Senat jedenfalls teilweise - nämlich soweit es um ärztliche
Zwangsmaßnahmen hinsichtlich der Krebserkrankung geht - an einer Entschei-
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dung gehindert, während bei Annahme der Verfassungsmäßigkeit der Regelung
die Rechtsbeschwerde insgesamt zurückzuweisen wäre.
1. Für das Rechtsbeschwerdeverfahren ist mit dem Beschwerdegericht
davon auszugehen, dass die ärztlichen Eingriffe und Untersuchungen, für die
die Betreuerin um eine Genehmigung gemäß § 1906 Abs. 3a BGB nachgesucht
hat, erforderlich sind, einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden
abzuwenden (§ 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BGB) und die Betroffene aufgrund
ihrer psychischen Erkrankung die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahmen
nicht erkennen bzw. nicht nach dieser Einsicht handeln kann (§ 1906 Abs. 3
Satz 1 Nr. 1 BGB).
Dass die Frage der Verfassungsmäßigkeit nach einer weiteren Sachauf-
klärung, die im vorliegenden Fall von den Vorinstanzen noch nicht abschließend
durchgeführt worden ist, möglicherweise nicht beantwortet werden müsste, hin-
dert die Vorlage durch den Senat nicht. Denn anders als Tatsachengerichte,
denen vor der Klärung des Sachverhalts eine Richtervorlage nach Art. 100 Abs.
1 GG nicht eröffnet ist (vgl. BVerfGE 11, 330, 334 f.), ist der Bundesgerichtshof
als Rechtsbeschwerdegericht nicht in der Lage, die gebotenen Ermittlungen
selbst durchzuführen. Die Feststellung und Würdigung des Sachverhalts ist
vielmehr dem Tatrichter vorbehalten. Der die Rechtsbeschwerdeinstanz ab-
schließende Beschluss entscheidet auch dann, wenn er das Gesamtverfahren
nicht beendet, sondern die Sache zurückverweist, über Rechtsfragen, hebt die
bis dahin gültige Sachentscheidung auf und bindet das untere Gericht im Rah-
men der für die Aufhebung maßgebenden Begründung. Vor allem aber stellt
sich die Frage der Verfahrensökonomie bei einer Zurückverweisung anders als
bei der Entscheidung über die Durchführung einer Beweisaufnahme zur Sach-
verhaltsermittlung innerhalb ein- und derselben Instanz. Der Gesichtspunkt, das
Bundesverfassungsgericht vor einer Überlastung mit Verfahren der konkreten
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Normenkontrolle zu bewahren, tritt in diesem Fall nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts hinter dem berechtigten Interesse der Verfahrens-
beteiligten und der Gerichte, ein erneutes Durchlaufen des Instanzenzuges
nach Möglichkeit zu vermeiden, zurück (vgl. BVerfGE 24, 119, 133 f.; vgl. auch
Senatsbeschluss vom 27. Juni 2012 - XII ZR 89/10 - FamRZ 2012, 1489
Rn. 32).
Rechtsbeschwerderechtlich ist zudem zu unterstellen, dass der erhebli-
che gesundheitliche Schaden - hinsichtlich der Krebserkrankung der letztlich
tödliche Verlauf - durch keine andere der Betroffenen zumutbare Maßnahme
abgewendet werden kann (§ 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 BGB) und der zu erwar-
tende Nutzen der ärztlichen Zwangsmaßnahme die zu erwartende Beeinträchti-
gung deutlich überwiegt (§ 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BGB). Den tatrichterlichen
Feststellungen lässt sich allerdings nur entnehmen, dass die Betroffene den
krebsbehandelnden Maßnahmen widersprochen hat. Für diese ist rechtsbe-
schwerderechtlich wiederum davon auszugehen, dass erfolglos versucht wurde,
die Betroffene von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahmen zu überzeu-
gen (§ 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BGB).
2. Das Beschwerdegericht hat jedoch mit Recht das Vorliegen der Vo-
raussetzungen einer Unterbringung gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB verneint.
a) Die Vorschrift des § 1906 Abs. 1 BGB geht von einem engen Begriff
der mit Freiheitsentziehung verbundenen Unterbringung aus und erfasst nur
solche Maßnahmen, die die persönliche Bewegungsfreiheit des Betroffenen
nicht nur kurzfristig auf einen bestimmten räumlichen Lebensbereich begrenzen
(Senatsbeschlüsse vom 7. Januar 2015 - XII ZB 395/14 - FamRZ 2015, 567
Rn. 12; vom 7. August 2013 - XII ZB 559/11 - FamRZ 2013, 1646 Rn. 12; vom
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23. Januar 2008 - XII ZB 185/07 - FamRZ 2008, 866 Rn. 19 und BGHZ 145,
297 = FamRZ 2001, 149 f.).
Die Unterbringung zur Durchführung einer Untersuchung des Gesund-
heitszustands, einer Heilbehandlung oder eines ärztlichen Eingriffs gemäß
§ 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB verlangt nicht nur, dass die medizinische Maßnahme
als solche notwendig ist. Die freiheitsentziehende Unterbringung muss vielmehr
auch ihrerseits erforderlich sein, damit die medizinische Maßnahme durchge-
führt werden kann. Sie ist in diesem Sinne erforderlich, wenn zu erwarten ist,
dass der Betroffene sich ohne die freiheitsentziehende Unterbringung der erfor-
derlichen medizinischen Maßnahme räumlich - also etwa durch Fernbleiben
oder "Weglaufen" - entzieht. Umgekehrt begründet die Erforderlichkeit der me-
dizinischen Maßnahme ebenso wie die Erforderlichkeit, den dieser Maßnahme
entgegenstehenden Willen des Betroffenen zu brechen, für sich genommen
noch keine Notwendigkeit, den Betroffenen freiheitsentziehend unterzubringen.
Dies gilt etwa dann, wenn der Betroffene sich der Maßnahme zwar physisch
widersetzt, sich ihr aber nicht räumlich entzieht. Die gegenteilige Argumentation
würde dazu führen, bereits aus der Notwendigkeit einer Behandlung die Zuläs-
sigkeit einer freiheitsentziehenden Unterbringung herzuleiten. Ein solches Ver-
ständnis ist mit dem Wortlaut der Regelung, der die Zulässigkeit einer freiheits-
entziehenden Unterbringung an ein doppeltes Notwendigkeitskriterium knüpft,
nicht vereinbar. Es widerspricht auch dem Schutzzweck der Norm, die eine frei-
heitsentziehende Unterbringung dann nicht eröffnen will, wenn diese - etwa
mangels jeder "Weglaufgefahr" - unnötig ist (Senatsbeschluss vom 23. Januar
2008 - XII ZB 185/07 - FamRZ 2008, 866 Rn. 23).
b) Dass das Gesetz durch § 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BGB die Möglich-
keit einer ärztlichen Zwangsmaßnahme nur dann eröffnet, wenn diese im Rah-
men der Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB erfolgt, führt zu keiner ande-
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ren Beurteilung. Insbesondere hat es nicht zur Folge, dass als freiheitsentzie-
hende Unterbringung etwa auch der Aufenthalt in einer nicht geschlossenen
Einrichtung angesehen werden kann, solange dort eine ärztliche Behandlung
gegen den natürlichen Willen des Betroffenen durchgeführt wird.
aa) Der Senat hat in seiner früheren Rechtsprechung der Vorschrift des
§ 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB die Rechtsgrundlage für die Durchführung notwendi-
ger medizinischer Maßnahmen auch gegen den natürlichen Willen des Be-
troffenen entnommen. Dabei hat er den dargestellten engen Unterbringungsbe-
griff zugrunde gelegt und daher nicht die erzwungene Einnahme von Medika-
menten losgelöst von der Frage, wo sich diese Zwangsbehandlung vollzieht,
rechtlich als eine freiheitsentziehende Unterbringung angesehen. Zur Begrün-
dung hat er darauf hingewiesen, dass eine derart extensive Auslegung mit dem
Wortlaut des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht vereinbar und auch vom Zweck
dieser Vorschrift nicht gedeckt sei. Die sich aus dem Bemühen, den Anwen-
dungsbereich des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB auszuweiten, um auf diese Weise
der Zulässigkeit einer Zwangsbehandlung Betroffener in deren wohlverstande-
nem Eigeninteresse größeren Raum zu schaffen, erklärbare andere Auffassung
hat der Senat als methodisch nicht akzeptabel und wegen des Eingriffs in die
durch Gesetzesvorbehalt gesicherten Grundrechte des Betroffenen auch als
verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar eingestuft (Senatsbeschluss vom
23. Januar 2008 - XII ZB 185/07 - FamRZ 2008, 866 Rn. 22 ff. mwN).
Dabei hat der Senat nicht nur wiederholt darauf hingewiesen, dass die
von ihm vertretene enge Auslegung des Begriffs der mit Freiheitsentziehung
verbundenen Unterbringung zu einer Begrenzung der Möglichkeit führe, einen
Betroffenen gegen seinen Willen einer medizinischen Behandlung zu unterzie-
hen. Er hat auch deutlich gemacht, dass das Fehlen von Zwangsbefugnissen
zur Durchsetzung notwendiger medizinischer Maßnahmen außerhalb einer mit
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Freiheitsentziehung verbundenen Unterbringung dazu führen könne, dass ein
Betroffener aufgrund des Unterbleibens einer von ihm verweigerten medizini-
schen Maßnahme einen erneuten Krankheitsschub erleide und dann möglich-
erweise für längere Zeit untergebracht werden müsse, oder dass er in sonstiger
Weise erheblichen Schaden nehme (Senatsbeschlüsse vom 23. Januar 2008
- XII ZB 185/07 - FamRZ 2008, 866 Rn. 25 und BGHZ 145, 297, 310 = FamRZ
2001, 149, 152; vgl. auch Senatsbeschluss BGHZ 193, 337 = FamRZ 2012,
1366 Rn. 48).
bb) Nachdem der Senat mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundes-
verfassungsgerichts zur Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug (BVerfG Fa-
mRZ 2011, 1128 und 2011, 1927) seine Auffassung, wonach Zwangsbehand-
lungen im Rahmen des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB grundsätzlich genehmigungs-
fähig seien, aufgegeben und auf das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage hin-
gewiesen hatte (Senatsbeschlüsse BGHZ 193, 337 = FamRZ 2012, 1366
Rn. 25 ff.; vom 20. Juni 2012 - XII ZB 130/12 - juris Rn. 28 ff.; vom 8. August
2012 - XII ZB 671/11 - FamRZ 2012, 1634 Rn. 12 und vom 5. Dezember 2012
- XII ZB 665/11 - FamRZ 2013, 289 Rn. 13), hat der Gesetzgeber durch das
Gesetz zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche
Zwangsmaßnahme vom 18. Februar 2013 (BGBl. I S. 266) mit Wirkung vom
26. Februar 2013 in die Vorschrift des § 1906 BGB die neuen Absätze 3 und 3a
eingefügt. Mit diesen hat er die Voraussetzungen der Einwilligung des Betreu-
ers in eine ärztliche Zwangsmaßnahme sowie das gerichtliche Genehmigungs-
erfordernis geregelt und dabei in Absatz 3 Satz 1 Nr. 3 das Erfordernis normiert,
dass die ärztliche Zwangsmaßnahme im Rahmen einer Unterbringung nach
Absatz 1 zu erfolgen hat (vgl. auch BT-Drucks. 17/11513 S. 5, 6 und 7;
17/12086 S. 1). Inhaltliche Änderungen an § 1906 Abs. 1 BGB hat er - bis auf
die klarstellende Einfügung in Nr. 2, dass die ärztliche Maßnahme "zur Abwen-
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dung eines drohenden erheblichen gesundheitlichen Schadens" notwendig sein
muss - jedoch nicht vorgenommen.
Im Gegenteil wollte der Gesetzgeber ausdrücklich lediglich die bis zur
Rechtsprechungsänderung des Senats bestehende Rechtslage möglichst nah
abbilden (BT-Drucks. 17/11513 S. 5; vgl. auch Knittel Betreuungsrecht [Stand:
15. Juli 2013] § 1906 BGB Rn. 121) und eine Rechtsgrundlage für die Einwilli-
gung des Betreuers in eine ärztliche Zwangsmaßnahme im Rahmen einer Un-
terbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB schaffen (BT-Drucks. 17/11513 S. 5;
ebenso S. 6, 7).
Dies lässt allein den Schluss zu, dass die gesetzliche Regelung der Zu-
lässigkeit ärztlicher Zwangsmaßnahmen nicht zu Änderungen an dem § 1906
Abs. 1 BGB zugrunde liegenden engen Unterbringungsbegriff führen sollte,
sondern dieser nach wie vor für die Anwendung der Vorschrift maßgeblich ist.
c) Bei Anwendung dieses Maßstabs hat das Beschwerdegericht rechtlich
zutreffend die beantragte Unterbringungsgenehmigung versagt. Nach den von
den Tatsacheninstanzen rechtlich beanstandungsfrei getroffenen Feststellun-
gen ist die Betroffene körperlich nicht in der Lage, ihren Aufenthaltsort zu än-
dern und sich eventuellen Behandlungsmaßnahmen räumlich zu entziehen. Sie
zeigt auch keinerlei Tendenzen, Dritte damit zu beauftragen, sie aus dem Klini-
kum wegzubringen. Mithin fehlt es an der Erforderlichkeit einer freiheitsentzie-
henden Unterbringung.
3. Damit kommen aber gemäß § 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BGB weder
die Einwilligung der Betreuerin in ärztliche Zwangsmaßnahmen noch deren ge-
richtliche Genehmigung in Betracht.
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a) Nach dieser Bestimmung eröffnet das Gesetz die Möglichkeit, ärztli-
che Maßnahmen zwangsweise gegen den natürlichen Willen des Betroffenen
durchzusetzen, ausschließlich im Rahmen einer - hier nicht genehmigungsfähi-
gen - geschlossenen Unterbringung.
aa) Streitig ist dabei, ob die Zwangsbehandlung auch bei einer allein
nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB erfolgenden Unterbringung zulässig ist (so LG
Augsburg Beschluss vom 12. September 2013 - 51 T 2592/13 - juris Rn. 16 ff.;
HK-BUR/Bauer/Braun [Stand: August 2014] § 1906 BGB Rn. 245) oder zwin-
gend eine Unterbringung auf der Grundlage des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB
voraussetzt (so etwa LG Lübeck BtPrax 2014, 282, 284 mwN; Grotkopp BtPrax
2013, 83, 86, 90; Lipp FamRZ 2013, 913, 920). In § 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3
BGB ist zwar lediglich von "der Unterbringung nach Absatz 1" die Rede. Auch
könnte die Wiederholung der Abwendung des "drohenden gesundheitlichen
erheblichen" Schadens in Absatz 1 Nr. 2 und Absatz 3 Satz 1 Nr. 3 darauf hin-
deuten, dass auch eine Unterbringung nach Absatz 1 Nr. 1 ausreichend sein
soll. Gleichwohl dürfte der sich aus den Gesetzesmaterialien ergebende ge-
setzgeberische Wille (BT-Drucks. 17/11513 S. 5, 6, 7) für die strengere zweite
Auffassung sprechen.
Diese Frage bedarf im vorliegenden Fall allerdings keiner abschließen-
den Entscheidung. Denn eine Unterbringung der Betroffenen auf der Grundlage
des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB steht nicht im Raum - insbesondere ist eine aktu-
elle Selbsttötungsabsicht nicht festgestellt - und würde zudem aus den Gründen
ausscheiden, die auch einer Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB ent-
gegenstehen.
bb) Im Rahmen von Maßnahmen nach § 1906 Abs. 4 BGB, bei denen
einem Betreuten, der sich in einer Anstalt, einem Heim oder einer sonstigen
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Einrichtung aufhält, ohne untergebracht zu sein, durch mechanische Vorrich-
tungen, Medikamente oder auf andere Weise über einen längeren Zeitraum
oder regelmäßig die Freiheit entzogen werden soll, sind ärztliche Zwangsmaß-
nahmen nicht zulässig. Die Vorschrift verweist nicht auf die Regelungen in
§ 1906 Abs. 3 und 3a BGB.
cc) Wie das Beschwerdegericht zutreffend erkannt hat, betrifft die Vor-
schrift des § 1904 BGB die Ersetzung der rechtsgeschäftlichen Einwilligung des
nicht einwilligungsfähigen Betroffenen, nicht aber die zwangsweise Überwin-
dung von dessen einer ärztlichen Maßnahme entgegenstehendem natürlichen
Willen. Eine gesetzliche Grundlage für die Genehmigung einer Zwangsbehand-
lung enthält diese Vorschrift nicht. Dementsprechend richtet sich der Antrag der
Betreuerin auch nicht auf eine Genehmigung nach § 1904 BGB (vgl. auch Se-
natsbeschluss BGHZ 145, 297 = FamRZ 2001, 149, 152 sowie BVerfG Be-
schluss vom 10. Juni 2015 - 2 BvR 1967/12 - juris Rn. 19).
b) Die entsprechende Anwendung der Bestimmungen zu ärztlichen
Zwangsmaßnahmen nach § 1906 Abs. 3 und 3a BGB auf nicht geschlossen
untergebrachte Betroffene scheidet schon wegen Fehlens einer planwidrigen
Regelungslücke aus (Dodegge NJW 2013, 1965, 1970; Grotkopp BtPrax 2013,
83, 86; Knittel Betreuungsrecht [Stand: 15. Juli 2013] § 1906 Rn. 122; Lipp
FamRZ 2013, 913, 920).
Wie bereits ausgeführt, hatte der Senat zur alten Rechtslage wiederholt
darauf hingewiesen, dass aufgrund der Koppelung der Zwangsbehandlung an
die Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB und des engen Unterbrin-
gungsbegriffs ein großer Anteil objektiv behandlungsbedürftiger Betroffener
nicht ärztlichen Zwangsmaßnahmen zugeführt werden und allein deswegen in
ganz erheblicher Weise gesundheitlichen Schaden nehmen kann. Dies hat den
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Gesetzgeber jedoch nicht dazu veranlasst, der Zwangsbehandlung einen weiter
gefassten Anwendungsbereich zu eröffnen. Vielmehr hat er im Zuge des Ge-
setzgebungsverfahrens für das Zweite Gesetz zur Änderung des Betreuungs-
rechts (Zweites Betreuungsrechtsänderungsgesetz - 2. BtÄndG) vom 21. April
2005 (BGBl. I S. 1073) den noch im ersten Gesetzesentwurf als neuer § 1906 a
BGB vorgesehenen Vorschlag, eine ambulante Zwangsbehandlung zu ermögli-
chen (vgl. BT-Drucks. 15/2494 S. 7, 30), im weiteren Fortgang verworfen (vgl.
BT-Drucks. 15/4874 S. 8, 25 f., 27).
Indem er ärztliche Zwangsmaßnahmen nur im Rahmen einer Unterbrin-
gung nach § 1906 Abs. 1 BGB für zulässig erklärt hat, ist dem Gesetzgeber
mithin nicht ein Versehen unterlaufen. Vielmehr handelt es sich dabei um eine
bewusste gesetzgeberische Entscheidung, die die Rechtsprechung zu akzeptie-
ren hat (vgl. auch Senatsbeschluss vom 23. Januar 2008 - XII ZB 185/07 -
FamRZ 2008, 866 Rn. 25) und nicht im Wege der Rechtsfortbildung überwinden
darf.
c) Aus den vorstehenden Gründen kommt eine verfassungskonforme
Auslegung von § 1906 Abs. 3 BGB dahingehend, dass auch außerhalb ge-
schlossener Unterbringung ärztliche Zwangsmaßnahmen (bei Vorliegen der
sonstigen Voraussetzungen) möglich sind, wenn der Unterbringungsgenehmi-
gung "nur" das Fehlen jeder "Weglaufgefahr" entgegensteht, nicht in Betracht.
Denn die verfassungskonforme Auslegung findet ihre Grenze dort, wo sie zum
Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch
treten würde. Der Respekt vor dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber
verbietet es, im Wege der Auslegung einem nach Sinn und Wortlaut eindeuti-
gen Gesetz einen entgegengesetzten Sinn beizulegen oder den normativen
Gehalt einer Vorschrift grundlegend neu zu bestimmen (BVerfG NJW 2015,
1359 Rn. 132 mwN).
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35
- 17 -
d) Schließlich macht die Rechtsbeschwerde ohne Erfolg geltend, die Auf-
fassung des Beschwerdegerichts verstoße gegen das Übereinkommen der
Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom
13. Dezember 2006 (UN-Behindertenrechtskonvention; BGBl. 2008 II S. 1420),
das aufgrund des Gesetzes zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen
vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen
sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezember 2006 zum Übereinkom-
men der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen
vom 21. Dezember 2008 (BGBl. II S. 1419) in Deutschland Gesetzeskraft hat.
Dies
gilt
schon
deswegen,
weil
(auch)
die
UN-
Behindertenrechtskonvention nicht die für die Rechtmäßigkeit einer ärztlichen
Zwangsmaßnahme bei Betroffenen unabdingbare, die Voraussetzungen der
Zulässigkeit des Eingriffs bestimmende Gesetzesgrundlage enthält. Darüber
hinaus sind die Regelungen der Konvention - insbesondere deren Art. 12 Abs. 2
und Abs. 4 Satz 2 - vor allem auf Sicherung und Stärkung der Autonomie be-
hinderter Menschen und damit gerade nicht positiv auf die Ermöglichung ärztli-
cher Zwangsmaßnahmen gerichtet (vgl. auch BVerfG FamRZ 2011, 1128
Rn. 53).
4. Für die vom Senat zu treffende Entscheidung kommt es mithin jeden-
falls insoweit, als es um die Genehmigung der Einwilligung in die stationär
durchzuführenden ärztlichen Zwangsmaßnahmen zur Behandlung der bei der
Betroffenen vorliegenden Brustkrebserkrankung geht, darauf an, ob die strikte
Koppelung der Zulässigkeit ärztlicher Zwangsmaßnahmen an das Vorliegen
einer freiheitsentziehenden Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB verfas-
sungsgemäß ist.
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38
- 18 -
III.
Der Senat ist davon überzeugt, dass es gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt,
diese strikte Koppelung der Zulässigkeit ärztlicher Zwangsmaßnahmen an eine
freiheitsentziehende Unterbringung auch für Fallgestaltungen gesetzlich vorzu-
schreiben, in denen sich Betroffene einer stationär durchzuführenden ärztlichen
Maßnahme räumlich nicht entziehen wollen oder können.
1. Darin, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit einer ärztlichen Zwangs-
behandlung nicht auch für solche Fälle geregelt hat, liegt ein gesetzgeberisches
Unterlassen.
Ein solches kann einen Grundrechtsverstoß zum einen dann darstellen,
wenn die Verfassung einen ausdrücklichen Gesetzgebungsauftrag enthält, der
Inhalt und Umfang der Gesetzgebungspflicht im Wesentlichen umgrenzt (vgl.
etwa BVerfGE 12, 139, 142 mwN; 23, 242, 249; Höfling in Sachs Grundgesetz
7. Aufl. Art. 1 Rn. 102; Dreier in Dreier Grundgesetz-Kommentar 3. Aufl.
Art. 1 III Rn. 54; Leibholz/Rinck GG [Stand: März 2013] Art. 3 Rn. 136). Zum
anderen sind grundrechtswidrige Unterlassungen des Gesetzgebers dort denk-
bar, wo eine staatliche Schutzpflicht zugunsten der grundrechtlich geschützten
Rechtsgüter oder eine Pflicht zu grundrechtsfördernder Ausgestaltung der
Rechtsordnung missachtet wird (Dreier in Dreier Grundgesetz-Kommentar
3. Aufl. Vorb. Rn. 101 ff. mwN und Art. 1 III Rn. 54; Höfling in Sachs Grundge-
setz 7. Aufl. Art. 1 Rn. 102).
Darüber hinaus kann die Nichtberücksichtigung einer bestimmten Grup-
pe im Rahmen einer begünstigenden Vorschrift als teilweises gesetzgeberi-
sches Unterlassen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verletzen, wenn
zur begünstigten Gruppe keine Unterschiede von solcher Art und solchem Ge-
wicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (st.
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Rspr., vgl. etwa BVerfG NJW 1987, 2919, 2920; 1998, 2269, 2271; FamRZ
1998, 890, 892; vgl. auch Dreier in Dreier Grundgesetz-Kommentar 3. Aufl.
Art. 1 III Rn. 54; Leibholz/Rinck GG [Stand: März 2013] Art. 3 Rn. 137).
2. Ein ausdrücklicher Regelungsauftrag ist dem Grundgesetz in Bezug
auf die Ermöglichung ärztlicher Zwangsmaßnahmen nicht zu entnehmen.
Allerdings trifft den Staat zum einen die Pflicht, sich schützend und för-
dernd vor die von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG genannten Rechtsgüter Leben und
körperliche Unversehrtheit zu stellen und entsprechende rechtliche Rahmenbe-
dingungen zu schaffen. Bei der Erfüllung solcher Schutzpflichten kommt dem
Gesetzgeber ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum
zu, wobei er das sog. Untermaßverbot zu beachten hat (BVerfG NVwZ 2011,
991 Rn. 37 f.). Zum anderen ist der Staat verpflichtet, einen Menschen, der
nicht in der Lage ist, eine selbstbestimmte und eigenverantwortliche Entschei-
dung zu treffen, vor sich selbst zu schützen (vgl. BVerfGE 58, 208, 225 f.; Lipp
FamRZ 2013, 913, 915). Allgemein gilt, dass er einen Betroffenen nicht mit sei-
ner Krankheit allein lassen darf (vgl. BT-Drucks. 11/4528 S. 147).
Wie der Gesetzgeber ausdrücklich anerkennt, gehören zum Wohl eines
Betroffenen auch die Erhaltung seiner Gesundheit und die Verringerung und
Beseitigung von Krankheiten. Der Ausschluss von ärztlichen Zwangsmaßnah-
me birgt die Gefahr, dass Betroffene aufgrund ihrer psychischen Erkrankung
oder geistigen oder seelischen Behinderung ihre Behandlungsbedürftigkeit nicht
erkennen bzw. krankheitsbedingt nicht entsprechend einer vorhandenen Er-
kenntnis handeln können und eine Behandlung deshalb ablehnen; auch nach
Auffassung des Gesetzgebers darf daran aber etwa eine lebensnotwendige
Operation nicht scheitern (vgl. BT-Drucks. 11/4528 S. 72, 141; 17/11513 S. 5).
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Ob aus diesen Erwägungen überhaupt eine Verpflichtung des Gesetzge-
bers folgt, die gesetzlichen Voraussetzungen für ärztliche Zwangsmaßnahmen
bei Betroffenen zu schaffen - und wenn ja, für welche Konstellationen -, hat der
Senat bislang offen gelassen (BGHZ 193, 337 = FamRZ 2012, 1366 Rn. 47).
Dies bedarf auch hier keiner Entscheidung.
3. Denn der Gesetzgeber hat sich dazu entschlossen, ärztliche Zwangs-
maßnahmen bei Betroffenen zu ermöglichen und die gesetzlichen Vorausset-
zungen hierfür zu bestimmen. Die entsprechende Regelung in § 1906 Abs. 3
BGB bildet nicht nur die Grundlage für den mit der Durchführung einer ärztli-
chen Zwangsmaßnahme verbundenen schwerwiegenden Eingriff in die Grund-
rechte des Betroffenen. Sie stellt sich vielmehr als Bestandteil des staatlichen
Erwachsenenschutzes ebenso als Begünstigung dar. Von dieser Begünstigung
die Betroffenen auszunehmen, bei denen es einer stationär durchzuführenden
ärztlichen Maßnahme bedarf, der sie sich (rein) räumlich nicht entziehen wollen
und/oder können, fehlt es jedoch an einer hinreichenden Rechtfertigung, so
dass das Gesetz insoweit gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt.
a) Bei § 1906 Abs. 3 BGB handelt es sich nach Auffassung des Senats
um eine den Betroffenen jedenfalls auch begünstigende Vorschrift.
Die Regelungen der §§ 1896 ff. BGB zur rechtlichen Betreuung, die auch
die Bestimmungen über die zivilrechtliche Unterbringung und die ärztlichen
Zwangsmaßnahmen umfassen, normieren in ihrer Gesamtheit zwar die
Voraussetzungen, unter denen zum Wohl eines Betroffenen in sein Selbstbe-
stimmungsrecht, seine Fortbewegungsfreiheit sowie seine körperliche Unver-
sehrtheit eingegriffen werden kann.
Dieser staatliche Eingriffe beschränkende Inhalt ist aber nur Ausfluss der
eigentlichen Normfunktion. Denn bei dem gesamten Betreuungsrecht handelt
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es sich um ein Institut des Erwachsenenschutzes als Ausdruck der staatlichen
Wohlfahrtspflege, deren Anlass und Grundlage das öffentliche Interesse an der
Fürsorge für den schutzbedürftigen Einzelnen ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom
25. März 2015 - XII ZA 12/15 - FamRZ 2015, 1017 Rn. 8 und vom 28. Januar
2015 - XII ZB 520/14 - FamRZ 2015, 650 Rn. 13 mwN; vgl. auch BVerfG Be-
schluss vom 10. Juni 2015 - 2 BvR 1967/12 - juris Rn. 16 sowie BVerfG NJW
1980, 2179 zum früheren Vormundschaftsrecht für Volljährige). Mithin haben
die §§ 1896 ff. BGB nicht nur einen in die Grundrechte eingreifenden Gehalt,
sondern dienen insbesondere der Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts
und der Menschenwürde des Betroffenen, der wegen seiner Krankheit oder Be-
hinderung nicht eigenverantwortlich entscheiden kann (vgl. Lipp FamRZ 2013,
913, 915 f.), sowie dem Schutz seines Lebens und seiner Gesundheit.
Dementsprechend stellen sich zivilrechtliche Unterbringungen und ärztli-
che Zwangsmaßnahmen nicht nur als Grundrechtseingriffe, sondern vor allem
auch als den Betroffenen begünstigende Maßnahmen der staatlichen Fürsorge
dar. Ihr Zweck besteht neben ihrer die Eingriffsvoraussetzungen festlegenden
und damit Grundrechtseingriffe beschränkenden Funktion insbesondere darin,
den Anspruch des Betroffenen auf Schutz und Behandlung umzusetzen, wenn
er krankheitsbedingt keinen freien Willen bilden kann und sich dadurch erheb-
lich schädigen würde (vgl. Lipp FamRZ 2013, 913, 919). Dass dies nur mittels
schwerwiegender Eingriffe in die Grundrechte des Betroffenen möglich ist, än-
dert an diesem begünstigenden Charakter nichts.
b) Ein hinreichender Grund, untergebrachten Betroffenen diese Fürsorge
zuteilwerden zu lassen, hingegen von vorneherein andere Betroffene hiervon
auszuschließen, die sich einer dringend erforderlichen stationären Behandlung
zwar verweigern, aber räumlich nicht entziehen wollen und/oder können, be-
steht nicht.
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aa) Ein solcher liegt zum einen nicht in den Erwägungen, die den Ge-
setzgeber ersichtlich dazu bewogen haben, im Zuge des Gesetzgebungsverfah-
rens für das Zweite Betreuungsrechtsänderungsgesetz von der Regelung einer
ambulanten Heilbehandlung abzusehen.
(1) Der erste Gesetzesentwurf sah einen § 1906 a BGB vor, mit dem die
zwangsweise Zuführung des Betroffenen zur ambulanten ärztlichen Heilbe-
handlung durch den Betreuer geregelt werden sollte (BT-Drucks. 15/2494 S. 7,
30). Die Frage wurde im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags intensiv
mit Sachverständigen erörtert, die auch schriftlich hierzu Stellung nahmen (vgl.
das Protokoll der 49. Sitzung des Rechtsausschusses vom 26. Mai 2004 S. 69,
72, 74-76, 86, 98 f., 123, 131, 147-149, 157-159; Protokoll der 51. Sitzung des
Rechtsausschusses vom 16. Juni 2004 S. 113, 129 f.).
Dabei wurden allgemeine Einwände gegen jede Art von Zwangsbehand-
lungen geltend gemacht. Wenn eine solche aber unbedingt erforderlich sei,
dann solle sie in stationärem Rahmen erfolgen.
Gegen die ambulante Zwangsbehandlung selbst wurde vor allem ange-
führt, dass die zwangsweise Verbringung des Betroffenen zu einem niederge-
lassenen Arzt oder einer Krankenhausambulanz praktisch kaum umsetzbar sei.
Die vorgesehene Vorschrift helfe ohnedies nicht, wenn der Betroffene nieman-
den in seine Wohnung lasse. Die ambulante Zwangsbehandlung stelle zudem
sowohl für den Betroffenen als auch für den Behandler eine extreme Belastung
dar und übertreffe für einzelne Betroffene die Belastung durch eine geschlosse-
ne Unterbringung. Für den Betroffenen sei sie darüber hinaus mit einer nach
außen hervortretenden Diskriminierung verbunden. Auch habe sie massiv ne-
gative Auswirkungen auf dessen Beziehung zum Betreuer. Schließlich wurde
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die Gefahr gesehen, dass zu einer solchen Möglichkeit aus Bequemlichkeits-
gründen öfter gegriffen werde, als es zur Behandlung notwendig wäre.
Der Rechtsausschuss kam daraufhin zu der Empfehlung, diese Vorschrift
zu streichen (BT-Drucks. 15/4874 S. 8, 25 f.). In der anschließenden Bundes-
tagsdebatte wurde ausgeführt, die ambulante Zwangsbehandlung widerspreche
allen Ansätzen einer modernen Psychiatrie, die auf ein kooperatives Patienten-
verhältnis setze. Gerade in ihrem Zuhause bräuchten psychisch Kranke ver-
trauensvolle Unterstützung und Hilfe, nicht staatlich verordneten Zwang (BT-
Plenarprotokoll 15/158 S. 14830 A). Der Deutsche Bundestag ist dem Vor-
schlag des Rechtsausschusses gefolgt.
(2) Ein durchgreifender Grund, die Zulässigkeit ärztlicher Zwangsmaß-
nahmen ausschließlich im Rahmen einer Unterbringung nach § 1906 Abs. 1
BGB zuzulassen und so auch die Fälle einer stationären Behandlung auszu-
nehmen, in denen sich der Betroffene dieser räumlich nicht entziehen kann
oder will, ist dem nicht zu entnehmen.
Die allgemein gegen Zwangsbehandlungen gerichteten Einwendungen
haben den Gesetzgeber nicht von der aktuellen gesetzlichen Regelung abge-
halten. Die übrigen angeführten Gründe beziehen sich speziell auf ambulante
Zwangsmaßnahmen und greifen allesamt nicht für einen Betroffenen, der sich
bereits im stationären Umfeld befindet, ohne sich aus diesem entfernen zu wol-
len oder zu können. Ein solcher Betroffener ist nicht der Situation einer
zwangsweisen Verbringung in eine Arztpraxis oder Krankenhausambulanz aus-
gesetzt, die eine ambulante Zwangsbehandlung nicht als den regelmäßig ge-
genüber der Unterbringung weniger schwer wiegenden Grundrechtseingriff er-
scheinen lässt (vgl. dazu auch Senatsbeschluss BGHZ 145, 297 = FamRZ
2001, 149, 151).
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bb) Nichts anderes gilt für das vom Gesetzgeber im Lauf des Verfahrens
zum Erlass des Gesetzes zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung
in eine ärztliche Zwangsmaßnahme berücksichtigte Argument, nach Auskunft
der ärztlichen Praxis werde bei einer Unterbringung in der überwiegenden An-
zahl der Fälle mit den Betroffenen ein einvernehmliches Zusammenwirken zur
Behandlung erzielt, während sich der Betroffene nach erfolgter Unterbringung
lediglich in einer geringen Zahl der Fälle gegen eine Behandlung wende (BT-
Drucks. 17/11513 S. 7).
Dafür, dass dies bei Betroffenen anders wäre, die zwar nicht unterge-
bracht, aber bereits stationär aufgenommen sind, ist nichts ersichtlich. Vielmehr
besteht dann in gleicher Weise die Möglichkeit der die Behandlung beabsichti-
genden Ärzte, im Rahmen des Arzt-Patienten-Verhältnisses den Betroffenen
von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen und seine auf
Vertrauen gegründete Zustimmung zu erreichen (vgl. auch Senatsbeschluss
BGHZ 201, 324 = FamRZ 2014, 1358 Rn. 15).
cc) Sonstige Gründe für die bei der Zulässigkeit ärztlicher Zwangsmaß-
nahmen bestehende Ungleichbehandlung von untergebrachten und solchen
Betroffenen, die sich dem stationären Rahmen nicht räumlich entziehen wollen
oder können, sind nicht erkennbar. Im Gegenteil spricht nach Auffassung des
Senats alles dafür, insoweit von einer jedenfalls identischen Schutzbedürftigkeit
beider Gruppen auszugehen. Die Gesetz gewordene gegenteilige Meinung läuft
- wie die Rechtsbeschwerde zu Recht geltend macht - unter anderem darauf
hinaus, dass dem noch zum "Weglaufen" Fähigen (und Willigen) geholfen wer-
den kann, während etwa derjenige, der aufgrund der Krankheit schon zu
schwach für ein räumliches Entfernen ist, auch bei schwersten Erkrankungen
seiner Krankheit überlassen bleiben muss. Dies ist ein Ergebnis, das auch
durch die psychisch Kranken zuzugestehende "Freiheit zur Krankheit" (vgl. et-
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wa Senatsbeschlüsse BGHZ 166, 141 = FamRZ 2006, 615, 616 und BGHZ
145, 297 = FamRZ 2001, 149, 151; BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 48;
BVerfGE 58, 208, 226) in keiner Weise vorgezeichnet ist.
dd) Diese durch die Ungleichbehandlung verursachte Schutzlücke wird
nicht durch andere vom Gesetz eröffnete Möglichkeiten aufgefangen.
(1) Das hier einschlägige Landesrecht - das baden-württembergische
Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankhei-
ten (Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz - PsychKHG) vom 25. November 2014
(GBl. 2014, 534) - greift schon deshalb nicht zu Gunsten von Betroffenen ein,
die sich räumlich nicht aus dem stationären Rahmen entfernen wollen oder
können, weil es eine Zwangsbehandlung nach § 20 Abs. 3 PsychKHG ebenfalls
nur bei einer geschlossenen Unterbringung vorsieht.
(2) Auch der rechtfertigende Notstand des § 34 StGB, der einer ohne die
Einwilligung des Patienten oder gar gegen dessen Willen erfolgenden ärztlichen
Behandlung gegebenenfalls die Rechtswidrigkeit nehmen kann, lässt die Not-
wendigkeit der Aufnahme von Betroffenen, die sich räumlich nicht aus dem sta-
tionären Rahmen entfernen wollen oder können, in den Anwendungsbereich
des § 1906 Abs. 3 BGB nicht entfallen. Dies gilt unabhängig von der Frage, in-
wieweit angesichts der konkreten gesetzlichen Festlegung derjenigen Fälle, in
denen ärztliche Zwangsmaßnahmen zulässig sind, von der Bestimmung nicht
erfasste Fälle überhaupt notstandsfähig sein können. Denn die vom ärztlichen
Behandler in jedem Einzelfall vorzunehmende schwierige Interessenabwägung
zu § 34 StGB (vgl. dazu allgemein etwa Lackner/Kühl StGB 28. Aufl. § 34
Rn. 6 ff.; Schönke/Schröder/Perron StGB 29. Aufl. § 34 Rn. 22 ff.; jeweils mwN)
kann die vom Gesetzgeber vorzunehmende Festlegung der Voraussetzungen,
unter denen eine ärztliche Zwangsmaßnahme zulässig ist, nicht ersetzen. Sie
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bietet nicht annähernd die angesichts der betroffenen grundrechtlichen Belange
gebotene Rechtssicherheit einerseits gegen ungerechtfertigte, regelmäßig
schwerwiegende Grundrechtseingriffe, andererseits aber vor allem auch für den
im Wege der ärztlichen Zwangsmaßnahmen vorzunehmenden Schutz der
Grundrechte von Betroffenen.
Dose Weber-Monecke Klinkhammer
Schilling Guhling
Vorinstanzen:
AG Stuttgart, Entscheidung vom 21.01.2015 - 3 XVII 29/15 -
LG Stuttgart, Entscheidung vom 09.02.2015 - 19 T 38/15 -