Urteil des BGH vom 26.10.2016

Persönliche Anhörung, Ärztliches Zeugnis, Einverständnis, Tatsachenfeststellung

ECLI:DE:BGH:2016:261016BXIIZB8.16.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 8/16
vom
26. Oktober 2016
in der Betreuungssache
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Oktober 2016 durch den
Vorsitzenden Richter Dose, die Richter Schilling, Dr. Günter und Dr. Botur und
die Richterin Dr. Krüger
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss
der 3. Zivilkammer des Landgerichts Marburg vom 30. November
2015 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch
über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfah-
rens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Das Rechtsbeschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei.
Wert: 5.000
Gründe:
I.
Der Betroffene erteilte am 16. Juli 2009 der Beteiligten zu 1 (Tochter),
der Beteiligten zu 2 (Ehefrau) und dem Beteiligten zu 3 (Sohn) eine umfassen-
de notariell beurkundete General- und Vorsorgevollmacht.
Auf Anregung der Beteiligten zu 1 hat das Amtsgericht ein Betreuungs-
verfahren eingeleitet und den Allgemeinarzt Dr. O. um ein ärztliches Zeugnis
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zur Erforderlichkeit einer Kontrollbetreuung gebeten, das dieser unter dem
20. Februar 2015 erstattet hat. Nach vorheriger Anhörung des Betroffenen und
mit dessen Einverständnis hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 5. Juni 2015
die Beteiligte zu 4 zur Kontrollbetreuerin bestellt.
Die von den Beteiligten zu 2 und 3 namens des Betroffenen eingelegte
Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die
Rechtsbeschwerde des Betroffenen.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des ange-
fochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landge-
richt.
1. Die angefochtene Entscheidung ist verfahrensfehlerhaft ergangen. Die
Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass das Beschwerdegericht nicht von einer
erneuten persönlichen Anhörung des Betroffenen hätte absehen dürfen.
a) Das Beschwerdeverfahren bestimmt sich gemäß § 68 Abs. 3 Satz 1
FamFG nach den Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug. Das
Beschwerdegericht kann nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG unter anderem von
der Durchführung der persönlichen Anhörung des Betroffenen (§ 278 Abs. 1
Satz 1 FamFG) absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenom-
men wurde und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse
zu erwarten sind.
Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist eine erneute Anhörung
im Beschwerdeverfahren allerdings immer dann erforderlich, wenn von ihr neue
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Erkenntnisse im Sinne des § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG zu erwarten sind, was in
der Regel der Fall ist, wenn der Betroffene an seinem in der amtsgerichtlichen
Anhörung erklärten Einverständnis mit einer Betreuung im Beschwerdeverfah-
ren nicht mehr festhält (Senatsbeschluss vom 24. Juni 2015 - XII ZB 98/15 -
FamRZ 2015, 1603 Rn. 6 mwN).
b) Gemessen hieran hätte das Beschwerdegericht den Betroffenen
selbst anhören müssen.
Bis zum Erlass der erstinstanzlichen Entscheidung war der Betroffene
mit der Bestellung eines Kontrollbetreuers einverstanden. So hat er in einem an
das Amtsgericht gerichteten Schreiben vom 18. Januar 2015 ausdrücklich den
Wunsch geäußert, dass in Bezug auf die seinen Kindern erteilte Generalvoll-
macht eine Kontrollbetreuung eingerichtet wird. In seiner Anhörung vor dem
Amtsgericht hat der Betroffene diesen Wunsch wiederholt und angegeben, dass
er die Bestellung eines Kontrollbetreuers für sinnvoll halte.
Nach Eingang der Beschwerde hat sich die zu beurteilende Sachlage
signifikant geändert. Da der Betroffene mit der Einlegung des Rechtsmittels zu
erkennen gegeben hat, dass er an seinem zuvor geäußerten Einverständnis mit
der Kontrollbetreuung nicht mehr festhält, waren von einer erneuten Anhörung
durch das Landgericht zusätzliche Erkenntnisse zu erwarten. Das Landgericht
hätte durch eine persönliche Anhörung zum einen die Hintergründe des Sin-
neswandels bei dem Betroffenen aufklären und sich zum anderen selbst - gege-
benenfalls nach Einholung einer ergänzenden sachverständigen Stellungnah-
me - einen Eindruck davon verschaffen müssen, ob der Betroffene tatsächlich
nicht in der Lage ist, einen freien Willen zu bilden (vgl. Senatsbeschluss vom
16. Dezember 2015 - XII ZB 381/15 - FamRZ 2016, 456 Rn. 19 mwN).
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2. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat verwehrt, weil die Sache
mangels hinreichender Tatsachenfeststellung noch nicht entscheidungsreif ist
(vgl. § 74 Abs. 6 Satz 1 und 2 FamFG). Die angegriffene Entscheidung ist da-
her aufzuheben, und die Sache ist an das Beschwerdegericht zurückzuverwei-
sen.
Dieses wird nunmehr die erforderlichen Ermittlungen zum Vorliegen ei-
nes freien Willens nachzuholen und dabei den Betroffenen persönlich anzuhö-
ren haben.
3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 74
Abs. 7 FamFG abgesehen.
Dose
Schilling
Günter
Botur
Krüger
Vorinstanzen:
AG Marburg/Lahn, Entscheidung vom 05.06.2015 - 32 XVII 1065/14 W -
LG Marburg, Entscheidung vom 30.11.2015 - 3 T 157/15 -
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