Urteil des BGH vom 27.01.2016

Leitsatzentscheidung zu Schwierigkeit des Verfahrens, Vertretung, Vaterschaft, Rechtskraft

ECLI:DE:BGH:2016:270116BXIIZB639.14.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 639/14
vom
27. Januar 2016
in der Abstammungssache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
FamFG §§ 78 Abs. 2, 172
Wegen der besonderen Schwierigkeit des Abstammungsverfahrens ist im Rahmen
der bewilligten Verfahrenskostenhilfe nicht nur hinsichtlich des Antragstellers, son-
dern auch für die weiteren Beteiligten regelmäßig eine Anwaltsbeiordnung geboten
(Fortführung von Senatsbeschluss vom 13. Juni 2012 - XII ZB 218/11 - FamRZ 2012,
1290).
BGH, Beschluss vom 27. Januar 2016 - XII ZB 639/14 - OLG Karlsruhe
AG Baden-Baden
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. Januar 2016 durch den
Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Dr. Klinkhammer, Schilling,
Dr. Botur und Guhling
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 2 wird der Beschluss
des 2. Zivilsenats - Senat für Familiensachen - des Oberlandesge-
richts Karlsruhe vom 29. Oktober 2014 aufgehoben.
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2 wird der Beschluss des
Amtsgerichts Baden-Baden vom 18. Juni 2014 teilweise abgeän-
dert. Der Beteiligten zu 2 wird mit Wirkung ab Antragstellung
Rechtsanwältin H. in Baden-Baden beigeordnet.
Die der Beteiligten zu 2 im Rechtsbeschwerdeverfahren entstan-
denen außergerichtlichen Kosten werden der Staatskasse aufer-
legt.
Gründe:
I.
Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist die Notwendigkeit der
Beiordnung eines Rechtsanwalts für die am Verfahren auf Anfechtung der Va-
terschaft beteiligte Mutter (Beteiligte zu 2).
Die Beteiligten zu 1 und 2 sind getrennt lebende Ehegatten. Der Beteilig-
te zu 1 hat die Vaterschaft zu dem während der Ehe geborenen minderjährigen
Kind N. angefochten. Das Amtsgericht hat der Beteiligten zu 2 Verfahrenskos-
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tenhilfe bewilligt. Die Beiordnung ihrer Rechtsanwältin hat es abgelehnt, weil
dies weder aus objektiven noch subjektiven Gesichtspunkten erforderlich sei.
Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde der Beteiligten zu 2 zurückgewie-
sen. Dagegen richtet sich deren zugelassene Rechtsbeschwerde, mit der sie
den Antrag auf Beiordnung weiterverfolgt.
Das Amtsgericht hat inzwischen in der Hauptsache entschieden und
festgestellt, dass der Beteiligte zu 1 nicht der Vater des Kindes ist.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts ist ein Rechtsanwalt nur
beizuordnen, wenn wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Ver-
tretung durch diesen erforderlich erscheint. Allein die existenzielle Bedeutung
der Sache könne nach dem seit 1. September 2009 geltenden Verfahrensrecht
die Beiordnung nicht mehr begründen. Im vorliegenden Fall sei die Beteiligte zu
2 auch nicht Antragstellerin, so dass sich die Notwendigkeit der Beiordnung
nach den Umständen des Einzelfalls richte.
Das nicht kontradiktorisch geführte Vaterschaftsanfechtungsverfahren
habe für die Beteiligte zu 2 keine besonderen Schwierigkeiten aufgewiesen. Die
Beteiligten hätten bereits vorgerichtlich einvernehmlich ein Abstammungsgut-
achten eingeholt, welches die biologische Vaterschaft des Beteiligten zu 1 aus-
schließt. Die Beteiligte zu 2 habe sich der Anfechtung auch nicht entgegenge-
stellt. Soweit sie geltend mache, es sei Aufgabe ihrer Verfahrensbevollmächtig-
ten gewesen, in Vorbereitung ihrer Antragserwiderung den Tatsachenvortrag,
insbesondere die Anfechtungsfristen, zu prüfen und zu entscheiden, ob und in
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welchem Umfang sie dem Vorbringen des Beteiligten zu 1 zustimme, bestün-
den im vorliegenden Einzelfall keine Anhaltspunkte dafür, dass sie ihre Ent-
scheidung, dem Antrag zuzustimmen, von der Prüfung der Anfechtungsfristen
abhängig gemacht habe. Vielmehr habe es offenkundig in ihrem Interesse ge-
legen, die Vaterschaft zu ihrer Tochter zu klären, nicht aber dem Anfechtungs-
antrag des rechtlichen Vaters aus „formalen Gründen“ entgegenzutreten. Da sie
den Beteiligten zu 1 von seiner möglichen Nichtvaterschaft unterrichtet und
freiwillig an der Einholung eines Gutachtens mitgewirkt habe, sei ihr Interesse
dem des Beteiligten zu 1 nicht entgegengerichtet gewesen. Weil das Privatgut-
achten einvernehmlich verwertet worden sei, sei auch die Notwendigkeit der
Prüfung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens entfallen. Die Schwie-
rigkeiten bei der Beantwortung der Frage, wer das minderjährige Kind vertreten
könne, seien vor allem beim Kind selbst verortet und damit gegebenenfalls bei
der Beurteilung der Notwendigkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts für die-
ses, nicht aber hier zu berücksichtigen.
Anders als der Antragsteller hätten die weiteren Beteiligten eines Vater-
schaftsanfechtungsverfahrens nicht die Hürde des schlüssigen Vortrags und
der strengen Beweisanforderungen zu nehmen. Auch der Prüfung, ob der An-
tragsteller den strengen Voraussetzungen gerecht geworden sei, bedürfe es in
einem einvernehmlich geführten Verfahren nicht. Dem Interesse der Beteiligten
zu 2 sei schon damit gedient gewesen, dass sie dem Antrag des Beteiligten zu
1 nicht entgegentrete oder diesem zustimme. Dazu allein habe sie keiner an-
waltlichen Vertretung bedurft.
Dass der Beteiligte zu 1 anwaltlich vertreten gewesen sei, führe ebenfalls
nicht ohne Weiteres zur Notwendigkeit der Beiordnung. Der Gesetzgeber habe
bei der gesetzlichen Neuregelung in § 78 Abs. 2 FamFG bewusst den in § 121
Abs. 2 Alt. 2 ZPO zum Ausdruck gekommenen Grundsatz der Waffengleichheit
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nicht übernommen. Auch eine Notwendigkeit, in besonderem Maße ihre Intim-
oder Privatsphäre zu offenbaren, sei für die Beteiligte zu 2 infolge der gleichge-
richteten Interessen "beider Beteiligter" nicht zu befürchten gewesen.
Anhaltspunkte für eine Notwendigkeit anwaltlicher Vertretung aufgrund
besonderer subjektiver Umstände lägen nicht vor.
2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Gemäß § 78 Abs. 2 FamFG wird einem Beteiligten, wenn eine Vertretung
durch einen Rechtsanwalt nicht vorgeschrieben ist, auf seinen Antrag ein zur
Vertretung bereiter Rechtsanwalt seiner Wahl beigeordnet, wenn wegen der
Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Vertretung durch einen Rechtsan-
walt erforderlich erscheint.
Nach der Rechtsprechung des Senats kann sich das Verfahren für einen
Beteiligten allein wegen einer schwierigen Sach- oder Rechtslage so kompliziert
darstellen, dass auch ein bemittelter Beteiligter einen Rechtsanwalt hinzuziehen
würde (Senatsbeschlüsse BGHZ 186, 70 = FamRZ 2010, 1427 Rn. 14 und vom
13. Juni 2012 - XII ZB 218/11 - FamRZ 2012, 1290 Rn. 14). Die Erforderlichkeit
der Beiordnung eines Rechtsanwalts beurteilt sich zudem nach den subjektiven
Fähigkeiten des betroffenen Beteiligten (Senatsbeschluss BGHZ 186, 70 =
FamRZ 2010, 1427 Rn. 24 f.). Allein die existentielle Bedeutung der Sache
kann die Beiordnung eines Rechtsanwalts nach neuem Recht dagegen nicht
mehr begründen (vgl. Senatsbeschlüsse BGHZ 186, 70 = FamRZ 2010, 1427
Rn. 19 und vom 13. Juni 2012 - XII ZB 218/11 - FamRZ 2012, 1290 Rn. 14).
Mit der Frage der Erforderlichkeit einer Anwaltsbeiordnung in Abstam-
mungssachen nach dem seit 1. September 2009 geltenden Recht hat sich der
Senat bereits befasst und diese dahin beantwortet, dass jedenfalls für den An-
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tragsteller eine Anwaltsbeiordnung regelmäßig erforderlich ist (Senatsbeschluss
vom 13. Juni 2012 - XII ZB 218/11 - FamRZ 2012, 1290 Rn. 15 ff. mwN). Der
Senat hat dies mit den besonderen Anforderungen an den Vortrag des Antrag-
stellers begründet sowie mit der gebotenen Prüfung eines eingeholten Ab-
stammungsgutachtens und der gesetzlichen Vertretung des am Verfahren zu
beteiligenden Kindes. Da sich die Rechtslage im Vaterschaftsanfechtungsver-
fahren regelmäßig als schwierig im Sinne von § 78 Abs. 2 FamFG erweise und
sich zu Beginn des Verfahrens nicht sicher einschätzen lasse, welche der er-
wähnten einzelnen Schwierigkeiten im weiteren Verfahren möglicherweise auf-
träten, sei eine pauschal anzunehmende Erforderlichkeit der Beiordnung ge-
rechtfertigt (vgl. Senatsbeschluss vom 13. Juni 2012 - XII ZB 218/11 - FamRZ
2012, 1290 Rn. 18 ff.).
Nach diesen Maßstäben ist auch im vorliegenden Fall eine Beiordnung
notwendig.
Das Oberlandesgericht hat der generellen Schwierigkeit des Verfahrens
bereits nicht hinreichend Rechnung getragen. Die Einschätzung des Oberlan-
desgerichts, dass das Verfahren nicht kontradiktorisch geführt werde und die
Interessen der Beteiligten übereinstimmten, wird der Eigenart des Abstam-
mungsverfahrens nicht hinreichend gerecht. Damit wird vernachlässigt, dass die
Interessen der Beteiligten weder durch die Art der Verfahrensbeteiligung noch
durch die Antragstellung vorgegeben sind (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 193, 1 =
FamRZ 2012, 859 Rn. 17). Die am Verfahren beteiligte Mutter hat nicht not-
wendig ein Interesse am Erfolg der Vaterschaftsanfechtung, schon weil sie dem
Kind dadurch möglicherweise allein unterhaltspflichtig wird. Aus ihrer Zustim-
mung zum Anfechtungsantrag kann entgegen der Auffassung des Oberlandes-
gerichts nichts Gegenteiliges gefolgert werden, weil diese notwendigerweise
erst das Ergebnis der vorausgegangenen Prüfung der Sach- und Rechtslage
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ist. Wäre die Mutter selbst Antragstellerin, wäre ihr demnach regelmäßig ein
Rechtsanwalt beizuordnen. Aber auch wenn unterstellt wird, dass sie wie der
anfechtende rechtliche Vater ein Interesse am Erfolg der Vaterschaftsanfech-
tung hat, muss sie ebenfalls in der Lage sein, die mit dem Verfahren verbunde-
nen rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten zuverlässig einzuschätzen
und erforderlichenfalls auf die Verfahrensführung des Gerichts Einfluss zu
nehmen. Dazu gehört es auch, etwaigen Verfahrensfehlern des Gerichts vorzu-
beugen und etwa den Eintritt der Rechtskraft der für und gegen alle wirkenden
Statusentscheidung (vgl. § 184 Abs. 2 FamFG) zu sichern. Entgegen der Auf-
fassung des Oberlandesgerichts gehört dazu auch die Gewährleistung einer
wirksamen gesetzlichen Vertretung des Kindes, die mithin nicht nur die Interes-
sen des Kindes betrifft.
Dass im vorliegenden Fall die Sach- und Rechtslage nicht einfach und
zweifelsfrei ist, zeigt sich schon daran, dass dem Amtsgericht ein schwerer Ver-
fahrensfehler unterlaufen ist. Es hat entgegen § 172 Abs. 1 Nr. 1 FamFG das
Kind nicht am Verfahren beteiligt (vgl. zum früheren Recht Senatsurteil vom
27. März 2002 - XII ZR 203/99 - FamRZ 2002, 880, 881 f.). Die mit dem Betei-
ligten zu 1 verheiratete Beteiligte zu 2 war zudem entsprechend § 1795 Abs. 1
Nr. 3 BGB gehindert, das Kind im Anfechtungsverfahren gesetzlich zu vertreten
(vgl. Senatsbeschluss BGHZ 193, 1 = FamRZ 2012, 859 Rn. 21). Die unterblie-
bene Beteiligung des Kindes schiebt den Eintritt der formellen Rechtskraft je-
denfalls hinaus und sperrt insoweit etwa auch eine wirksame Anerkennung
durch den leiblichen Vater (vgl. §§ 1594 Abs. 2, 1599 Abs. 1 BGB).
Nach alledem ist wegen der besonderen Schwierigkeit des Abstam-
mungsverfahrens im Rahmen der bewilligten Verfahrenskostenhilfe nicht nur
hinsichtlich des Antragstellers, sondern auch für die weiteren Beteiligten regel-
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mäßig eine Anwaltsbeiordnung geboten. Im vorliegenden Fall liegt die Notwen-
digkeit der Anwaltsbeiordnung für die Beteiligte zu 2 jedenfalls auf der Hand.
Dose Klinkhammer Schilling
Botur Guhling
Vorinstanzen:
AG Baden-Baden, Entscheidung vom 18.06.2014 - 6 F 122/14 -
OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 29.10.2014 - 2 WF 172/14 -