Urteil des BGH vom 06.07.2016

Leitsatzentscheidung zu Einwilligung, Aktive Sterbehilfe, Persönliche Anhörung, Ermächtigung

ECLI:DE:BGH:2016:060716BXIIZB61.16.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 61/16
vom
6. Juli 2016
in der Betreuungssache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
BGB §§ 1901 a, 1901 b, 1904
a) Der Bevollmächtigte kann in eine der in § 1904 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB ge-
nannten Maßnahmen nur einwilligen, nicht einwilligen oder die Einwilligung wi-
derrufen, wenn der Vollmachttext hinreichend klar umschreibt, dass sich die Ent-
scheidungskompetenz des Bevollmächtigten auf die im Gesetz genannten ärztli-
chen Maßnahmen sowie darauf bezieht, sie zu unterlassen oder am Betroffenen
vornehmen zu lassen. Hierzu muss aus der Vollmacht auch deutlich werden,
dass die jeweilige Entscheidung mit der begründeten Gefahr des Todes oder ei-
nes schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schadens verbunden sein
kann.
b) Einem für einen Betroffenen bestehenden Betreuungsbedarf wird im Zusammen-
hang mit der Entscheidung zur Durchführung von lebensverlängernden Maß-
nahmen im Sinne des § 1904 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB durch eine Bevollmäch-
tigung erst dann nicht ausreichend Genüge getan, wenn offenkundig ist, dass der
Bevollmächtigte sich mit seiner Entscheidung über den Willen des Betroffenen
hinwegsetzen würde.
c) Die schriftliche Äußerung, "keine lebenserhaltenden Maßnahmen" zu wünschen,
enthält für sich genommen nicht die für eine bindende Patientenverfügung not-
wendige konkrete Behandlungsentscheidung des Betroffenen. Die insoweit er-
forderliche Konkretisierung kann aber gegebenenfalls durch die Benennung be-
stimmter ärztlicher Maßnahmen oder die Bezugnahme auf ausreichend spezifi-
zierte Krankheiten oder Behandlungssituationen erfolgen.
BGH, Beschluss vom 6. Juli 2016 - XII ZB 61/16 - LG Mosbach
AG Adelsheim
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. Juli 2016 durch den Vor-
sitzenden Richter Dose, die Richter Dr. Klinkhammer, Dr. Nedden-Boeger und
Guhling und die Richterin Dr. Krüger
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 2 wird der
Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Mosbach vom
26. Januar 2016 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Land-
gericht zurückverwiesen.
Das Rechtsbeschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei.
Wert: 5.000
Gründe:
A.
Die im Jahre 1941 geborene Betroffene erlitt Ende November 2011 einen
Hirnschlag. Noch im Krankenhaus wurde ihr eine PEG-Sonde gelegt, über die
sie seitdem ernährt wird und Medikamente verabreicht bekommt. Im Januar
2012 wurde sie in ein Pflegeheim aufgenommen. Die zu diesem Zeitpunkt noch
vorhandene Fähigkeit zur verbalen Kommunikation verlor die Betroffene infolge
einer Phase epileptischer Anfälle im Frühjahr 2013.
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Aus der Ehe der Betroffenen mit ihrem - im Februar 2013 verstorbenen -
Ehemann sind drei volljährige Töchter (die Beteiligten zu 1 bis 3) hervorgegan-
gen. Bereits am 10. Februar 2003 hatte die Betroffene eine schriftliche "Patien-
tenverfügung" folgenden Inhalts unterzeichnet:
"Für den Fall, daß ich
(…) aufgrund von Bewußtlosigkeit oder Bewußt-
seinstrübung (…) nicht mehr in der Lage bin, meinen Willen zu äußern,
verfüge ich:
Solange eine realistische Aussicht auf Erhaltung eines erträglichen Le-
bens besteht, erwarte ich ärztlichen und pflegerischen Beistand unter
Ausschöpfung der angemessenen Möglichkeiten.
Dagegen wünsche ich, daß lebensverlängernde Maßnahmen unterblei-
ben, wenn medizinisch eindeutig festgestellt ist,
- daß ich mich unabwendbar im unmittelbaren Sterbeprozeß befinde,
bei dem jede lebenserhaltende Therapie das Sterben oder Leiden
ohne Aussicht auf Besserung verlängern würde, oder
- daß keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewußtseins besteht,
oder
- daß aufgrund von Krankheit oder Unfall ein schwerer Dauerschaden
des Gehirns zurückbleibt, oder
- daß es zu einem nicht behandelbaren, dauernden Ausfall lebenswich-
tiger Funktionen meines Körpers kommt.
Behandlung und Pflege sollen in diesen Fällen auf die Linderung von
Schmerzen, Unruhe und Angst gerichtet sein, selbst wenn durch die
notwendige Schmerzbehandlung eine Lebensverkürzung nicht auszu-
schließen ist. Ich möchte in Würde und Frieden sterben können, nach
Möglichkeit in meiner vertrauten Umgebung.
Aktive Sterbehilfe lehne ich ab.
Ich bitte um menschliche und seelsorgerische Begleitung."
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In derselben Urkunde erteilte sie für den Fall, dass sie außerstande sein
sollte, ihren Willen zu bilden oder zu äußern, der Beteiligten zu 2 (im Folgen-
den: Bevollmächtigte) als ihrer Vertrauensperson die Vollmacht,
"
an meiner Stelle mit der behandelnden Ärztin (…) alle erforderlichen
Entscheidungen abzusprechen. Die Vertrauensperson soll meinen Willen
im Sinne dieser Patientenverfügung einbringen und in meinem Namen
Einwendungen vortragen, die die Ärztin (…) berücksichtigen soll."
Patientenverfügung und Vollmacht erneuerte die Betroffene am 18. No-
vember 2011 wortlautidentisch. Darüber hinaus erteilten die Betroffene und ihr
Ehemann sich mit notarieller Urkunde vom 26. Februar 2003 gegenseitige Ge-
neralvollmacht und setzten als Ersatzbevollmächtigte an erster Stelle die Be-
vollmächtigte und an zweiter Stelle die Beteiligte zu 1 ein. In der Vollmachtsur-
kunde heißt es unter anderem:
"Die Vollmacht berechtigt auch zur Vertretung in Fragen der medizini-
schen Versorgung und Behandlung, insbesondere im Sinne von § 1904
BGB. Der Bevollmächtigte kann auch in eine Untersuchung des Gesund-
heitszustandes, in eine Heilbehandlung oder in die Durchführung eines
ärztlichen Eingriffs einwilligen, die Einwilligung hierzu verweigern oder
zurücknehmen, Krankenunterlagen einsehen und in deren Herausgabe
an Dritte einwilligen.
(…)
Die Vollmacht enthält die Befugnis, über den Abbruch lebensverlängern-
der Maßnahmen zu entscheiden. Wir wurden darüber belehrt, dass sol-
che Entscheidungen unter bestimmten engen Voraussetzungen in Be-
tracht kommen. Im Falle einer zum Tode führenden Erkrankung legen wir
keinen Wert auf lebensverlängernde Maßnahmen, wenn feststeht, dass
eine Besserung des Zustandes nicht erwartet werden kann. Die Voll-
machtgeber wünschen eine angemessene und insbesondere schmerz-
lindernde Behandlung, nicht jedoch die künstliche Lebensverlängerung
durch Gerätschaften. Die Schmerzlinderung hat nach Vorstellung der
Vollmachtgeber Vorrang vor denkbarer Lebensverkürzung, welche bei
der Gabe wirksamer Medikamente nicht ausgeschlossen werden kann."
Die Bevollmächtigte und die die Betroffene behandelnde Hausärztin sind
übereinstimmend der Auffassung, dass der Abbruch der künstlichen Ernährung
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nicht dem in der Patientenverfügung geäußerten Willen der Betroffenen ent-
spricht. Demgegenüber vertreten die beiden anderen Töchter, die Beteiligten
zu 1 und zu 3, die gegenteilige Meinung.
Die Beteiligte zu 1 hat daher im März 2015 beim Betreuungsgericht die
Anträge "auf Umsetzung der Patientenverfügung und auf Befolgung des Patien-
tenwillens" sowie "auf Entzug des Betreuungsrechtes" der Bevollmächtigten
gestellt; die Beteiligte zu 3 hat sich dem angeschlossen. Das Amtsgericht hat
dies als Antrag auf Anordnung einer Kontrollbetreuung ausgelegt und diesen
zurückgewiesen. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1 hat das Landgericht
den amtsgerichtlichen Beschluss aufgehoben und die Beteiligte zu 1 "zur Be-
treuerin mit dem Aufgabenkreis des Widerrufs der von der Betroffenen (…) er-
teilten Vollmachten, allerdings nur für den Bereich der Gesundheitsfürsorge,
bestellt."
Hiergegen wendet sich die Bevollmächtigte mit ihrer Rechtsbeschwerde,
mit der sie die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung erstrebt.
B.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG ohne
Zulassung statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist die Bevoll-
mächtigte berechtigt, die Rechtsbeschwerde im eigenen Namen einzulegen.
Dies folgt zwar entgegen der Annahme der Rechtsbeschwerde weder aus
§ 303 Abs. 4 FamFG, der lediglich die Befugnis des Bevollmächtigten zur
Einlegung im Namen des Betroffenen regelt, noch aus einer unmittelbaren
Beeinträchtigung eigener Rechte im Sinne des § 59 Abs. 1 FamFG (vgl. Se-
natsbeschluss vom 15. April 2015 - XII ZB 330/14 - FamRZ 2015, 1015 Rn. 9
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mwN). Die Beschwerdeberechtigung ergibt sich aber aus § 303 Abs. 2 Nr. 1
FamFG, weil die Bevollmächtigte als Tochter der Betroffenen zu dem von die-
ser Vorschrift genannten Personenkreis gehört, in den vorhergehenden Rechts-
zügen beteiligt worden ist und die Rechtsbeschwerde jedenfalls auch im Inte-
resse der Betroffenen eingelegt hat (vgl. Senatsbeschluss vom 4. März 2015
- XII ZB 396/14 - FamRZ 2015, 843 Rn. 6 ff. mwN).
Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
I.
Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt,
die materiellen Voraussetzungen für die Anordnung einer Betreuung lägen vor.
Die Betroffene befinde sich seit zweieinhalb Jahren in einem Zustand massiver
Beeinträchtigung der Hirnfunktion, unfähig zur Kommunikation mit der Umwelt.
Die Vollmacht stehe der Bestellung eines Kontrollbetreuers nicht entgegen. Wie
sich aus dem im Beschwerdeverfahren eingeholten Sachverständigengutachten
ergebe, sei unwiederbringlich ein Dauerschaden am Gehirn der Betroffenen
eingetreten. Mithin wäre es die Pflicht der Bevollmächtigten gewesen, den Wil-
len der Betroffenen umzusetzen, die gewünscht habe, dass lebensverlängernde
Maßnahmen - zu denen das Befüllen einer gelegten PEG-Sonde mit Nahrung
gehöre - unterblieben. Denn es stehe fest, dass auf Grund von Krankheit ein
schwerer Dauerschaden des Gehirns zurückbleibe. Für diesen Fall habe die
Betroffene in der Patientenverfügung aber festgelegt, dass die Behandlung und
Pflege nur noch auf die Linderung von Schmerzen, Unruhe und Angst gerichtet
sein solle.
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Davon, dass das Unterlassen der Nahrungszufuhr zu einem qualvollen
Verhungern führen werde, sei nach dem Sachverständigengutachten nicht aus-
zugehen. Die fehlende Flüssigkeitszufuhr habe den Ausfall der Nierenfunktion
zur Folge, wodurch es zum urämischen Koma mit Bewusstlosigkeit und nach-
folgender Beeinträchtigung der Herz-, Kreislauf- und Atemfunktion komme.
Durch angemessene palliativmedizinische Versorgung könne unnötigem Leid
im Rahmen des Sterbeprozesses wirksam begegnet werden.
II.
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das
Landgericht hat zwar entgegen der Annahme der Rechtsbeschwerde eine so
genannte Kontrollbetreuung im Sinne des § 1896 Abs. 3 BGB angeordnet, wie
sich aus den Gründen des angefochtenen Beschlusses eindeutig ergibt. Es hat
aber zu Unrecht das Vorliegen derer Voraussetzungen bejaht.
1. Rechtlich nicht zu beanstanden ist allerdings, dass das Landgericht
die Beteiligte zu 2 als Bevollmächtigte der Betroffenen im Sinne des § 1896
Abs. 3 BGB für den Bereich der gesamten Gesundheitsfürsorge und insbeson-
dere auch für Fragen im Zusammenhang mit Fortführung oder Abbruch der
künstlichen Ernährung angesehen hat.
a) Mit der notariellen Urkunde vom 26. Februar 2003 hat die Betroffene
der Beteiligten zu 2 eine Vorsorgevollmacht für den Bereich der Gesundheits-
fürsorge erteilt, indem sie ihr die Vertretung in Fragen der medizinischen Ver-
sorgung und Behandlung übertragen hat.
Damit ist die Bevollmächtigte auch ohne weiteres ermächtigt, zu ent-
scheiden, dass lebensverlängernde ärztliche Maßnahmen nicht beendet wer-
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den. Insoweit muss die Vollmacht nicht den Anforderungen des § 1904 Abs. 5
Satz 2 BGB genügen. Nach dieser Vorschrift ist einem Bevollmächtigten das
Recht, in eine Untersuchung des Gesundheitszustands, in eine Heilbehandlung
oder in einen ärztlichen Eingriff bei Vorliegen der in § 1904 Abs. 1 und 2 BGB
genannten besonderen Gefahrensituation einzuwilligen, nicht einzuwilligen oder
die Einwilligung zu widerrufen, nur unter der Voraussetzung eingeräumt, dass
die Vollmacht diese Maßnahmen ausdrücklich umfasst und schriftlich erteilt ist.
§ 1904 Abs. 1 BGB erfasst die Einwilligung in Maßnahmen, mit deren Durchfüh-
rung die begründete Gefahr des Todes oder eines schweren und länger dau-
ernden gesundheitlichen Schadens verbunden ist. Dies ist bei der bloßen Fort-
führung einer lebenserhaltenden künstlichen Ernährung - anders als bei deren
Abbruch (vgl. dazu Senatsbeschluss BGHZ 202, 226 = FamRZ 2014, 1909
Rn. 11 ff. mwN) - gerade nicht der Fall. § 1904 Abs. 2 BGB wiederum betrifft die
Unterlassung oder Beendigung von lebenserhaltenden Maßnahmen, nicht je-
doch deren Fortführung (zur strafrechtlichen Bewertung vgl. Haas JZ 2016,
714 ff.).
b) Die der Bevollmächtigten erteilte notarielle Vollmacht würde aber auch
zur Abgabe des für die Beendigung der künstlichen Ernährung der Betroffenen
erforderlichen Widerrufs der Einwilligung ermächtigen, weil sie die von § 1904
Abs. 5 Satz 2 BGB für die rechtliche Gleichstellung des Bevollmächtigten mit
dem Betreuer (§ 1904 Abs. 5 Satz 1 BGB) geforderten Voraussetzungen erfüllt.
aa) Voraussetzung dafür, dass der Bevollmächtigte nach § 1904 BGB
die Einwilligung, Nichteinwilligung und den Widerruf der Einwilligung des
einwilligungsunfähigen Betroffenen rechtswirksam ersetzen kann, ist neben der
Schriftform (§ 126 BGB) der Vollmacht, dass diese inhaltlich § 1904
Abs. 5 Satz 2 BGB genügt. Aus dem Sinn des Gesetzes, dem Vollmachtgeber
die Tragweite der Bevollmächtigung deutlich vor Augen zu führen (vgl.
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MünchKommBGB/Schwab 6. Aufl. § 1904 Rn. 75), folgt zwar nicht, dass der
Wortlaut von § 1904 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BGB wiedergegeben werden
muss. Nicht ausreichend ist jedoch allein der Verweis auf die gesetzliche Be-
stimmung, weil ein solcher keine ausdrückliche Nennung der Maßnahmen be-
inhaltet und damit den mit § 1904 Abs. 5 Satz 2 BGB bezweckten Schutz des
Vollmachtgebers (vgl. BT-Drucks. 13/7158 S. 34; HK-BUR/Bauer [Stand: Okto-
ber 2015] § 1904 BGB Rn. 127) nicht gewährleisten kann (Staudinger/Bienwald
BGB [2013] § 1904 Rn. 116). Der Vollmachttext muss vielmehr hinreichend klar
umschreiben, dass sich die Entscheidungskompetenz des Bevollmächtigten auf
die im Gesetz genannten ärztlichen Maßnahmen sowie darauf bezieht, diese zu
unterlassen oder am Betroffenen vornehmen zu lassen (vgl. MünchKommBGB/
Schwab 6. Aufl. § 1904 Rn. 75).
Hierzu muss aus der Vollmacht auch deutlich werden, dass die jewei-
lige Entscheidung mit der begründeten Gefahr des Todes oder eines schweren
und länger dauernden gesundheitlichen Schadens verbunden sein kann (LG
Hamburg FamRZ 1999, 1613, 1614; HK-BUR/Bauer [Stand: Oktober 2015]
§ 1904 Rn. 127; Dodegge/Fritsche NJ 2001, 176, 181; Müller DNotZ 2010, 169,
186; tendenziell ebenso: jurisPK-BGB/Jaschinski [Stand: 7. September 2015]
§ 1904 Rn. 121; Knittel Betreuungsrecht [Stand: 1. März 2010] § 1904 Rn. 145;
a.A. OLG Zweibrücken FamRZ 2003, 113, 114 zu § 1904 Abs. 2 BGB aF;
MünchKommBGB/Schwab 6. Aufl. § 1904 Rn. 74; Diehn FamRZ 2009, 1958;
Diehn/Rebhan NJW 2010, 326, 329; MüllerDNotZ 1999, 107, 112 zu § 1904
Abs. 2 BGB aF).
(1) Dies legt bereits der Wortlaut der Vorschrift nahe. In § 1904 Abs. 1
Satz 1 und Abs. 2 BGB werden als Maßnahmen nicht allgemein die den Be-
reich der Gesundheitsfürsorge beschreibenden Elemente der Untersuchung
des Gesundheitszustands, der Heilbehandlung und des ärztlichen Eingriffs ge-
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nannt, sondern nur solche, bei denen die dort näher beschriebene begründete
Gefahr besteht. Nur auf Maßnahmen mit dieser qualifizierten Gefahrensituation
bezieht sich § 1904 BGB, und nur für solche schreibt § 1904 Abs. 5 Satz 2 BGB
die besonderen Anforderungen an eine Bevollmächtigung vor.
(2) Das Erfordernis, dass diese Gefahrenlage in der Vollmacht zum Aus-
druck kommt, ergibt sich jedenfalls eindeutig aus dem Gesetzeszweck. Zum
einen soll dem Vollmachtgeber durch den Vollmachttext unmissverständlich vor
Augen geführt werden, dass er dem Bevollmächtigten (auch) für Situationen, in
denen die Gefahr des Todes oder schwerer und länger dauernder Gesund-
heitsschäden besteht, die Entscheidungsbefugnis überträgt, die dann gegebe-
nenfalls auch Fragen der passiven Sterbehilfe umfasst. Zum anderen soll der
Vollmachttext es auch Dritten ermöglichen, zweifelsfrei nachzuvollziehen, dass
es dem Willen des Betroffenen entspricht, dem Bevollmächtigten die Entschei-
dung in Angelegenheiten der Gesundheitsfürsorge gerade auch in den von
§ 1904 BGB erfassten Situationen zu überantworten, in denen es buchstäblich
um Leben oder Tod geht.
(3) Dies steht mit dem Willen des Gesetzgebers im Einklang.
Eine dem § 1904 Abs. 5 BGB vergleichbare Regelung wurde erst-
mals mit dem Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts und weiterer Vor-
schriften vom 25. Juni 1998 (BGBl. I S. 1580; Betreuungsrechtsänderungsge-
setz - BtÄndG) eingeführt, mit dem der bis zum 31. August 2009 geltende Ab-
satz 2 an § 1904 BGB angefügt wurde. Danach galt § 1904 Abs. 1 BGB auch
für Bevollmächtigte, wobei die Einwilligung des Bevollmächtigten nur wirksam
war, wenn die Vollmacht schriftlich erteilt war und die in Absatz 1 Satz 1 ge-
nannten Maßnahmen ausdrücklich umfasste. Nach den Gesetzesmaterialien
sollte sich die Vollmacht "ausdrücklich - zumindest auch - auf Untersuchungen
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des Gesundheitszustandes, auf Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe" be-
ziehen (BT-Drucks 13/7158 S. 34). Die Bezeichnung der Gefahrensituation war
in der Begründung des Gesetzentwurfs nicht genannt.
Selbst wenn sich daraus entnehmen ließe, dass der Gesetzgeber ur-
sprünglich die Rechtsmacht zur Einwilligung in eine Maßnahme nach § 1904
Abs. 1 BGB nicht an die Bezeichnung der Gefahrenlage in der Vollmacht knüp-
fen wollte, wäre dies durch die weitere Gesetzgebung überholt. Mit der zum
1. September 2009 in Kraft getretenen Neuregelung durch das Dritte Gesetz
zur Änderung des Betreuungsrechts vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2286; sog.
Patientenverfügungsgesetz) hat der Gesetzgeber nicht nur in § 1904 Abs. 2
BGB Regelungen mit Blick auf die so genannte passive Sterbehilfe erlassen. Er
hat darüber hinaus in § 1904 Abs. 4 BGB auch vorgesehen, dass bei Einver-
nehmen zwischen Betreuer oder Bevollmächtigtem und behandelndem Arzt das
Erfordernis einer gerichtlichen Genehmigung entfällt, und zwar sowohl bei pas-
siver Sterbehilfe als auch in den Fällen des weiter geltenden § 1904 Abs. 1
BGB. Mit der Änderung des § 1904 Abs. 5 BGB wollte der Gesetzgeber sicher-
stellen, dass von der Vollmacht "Entscheidungen nach den Absätzen 1 und 2
ausdrücklich umfasst sind" (BT-Drucks. 16/8442 S. 19). Solche Entscheidungen
sind aber nur diejenigen, bei denen die qualifizierte Gefahrensituation besteht.
Damit korrespondiert der Umstand, dass durch die Gesetzesänderung die ei-
nem Bevollmächtigten übertragbaren Befugnisse bei gleichzeitiger Einschrän-
kung der gerichtlichen Kontrolle deutlich erweitert worden sind. Dies verstärkt
die mit § 1904 Abs. 5 Satz 2 BGB verbundene Notwendigkeit erheblich, dem
Vollmachtgeber die möglichen schwerwiegenden Konsequenzen der Vollmach-
terteilung und damit auch die besondere Gefahrenlage eindeutig vor Augen zu
führen.
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Diese inhaltlichen Anforderungen des § 1904 Abs. 5 Satz 2 BGB an die
Vollmacht führen nicht zu einer ungerechtfertigten "Benachteiligung" des Be-
vollmächtigten gegenüber einem Betreuer (so aber wohl allgemein Spickhoff
Medizinrecht 2. Aufl. § 1904 BGB Rn. 18). Denn die Vollmacht erteilt der Be-
vollmächtigte, ohne dass zuvor zwingend eine rechtliche Beratung oder gar ei-
ne gerichtliche Überprüfung hinsichtlich der Eignung des Bevollmächtigten er-
folgt. Dann entspricht es aber dem wohlverstandenen Schutz des Vollmachtge-
bers, ihm durch die Vollmacht selbst zu verdeutlichen, dass er dem Bevoll-
mächtigten die Entscheidung über sein Schicksal in ganz einschneidenden Ge-
fahrenlagen anvertraut. Demgegenüber hat der Betreuerbestellung eine umfas-
sende gerichtliche Prüfung vorauszugehen, wegen der es keines weiteren
Schutzes vor einer unüberlegten Übertragung der entsprechenden Rechts-
macht auf den Betreuer als den Dritten bedarf.
bb) Ob die von der Betroffenen erteilten privatschriftlichen Vollmachten
diesen inhaltlichen Erfordernissen gerecht werden, unterliegt Bedenken, kann
aber letztlich dahinstehen. Denn jedenfalls die notarielle Vollmacht genügt den
gesetzlichen Anforderungen.
(1) Indem die mit "Vollmacht" überschriebenen Texte vom 10. Februar
2003 und vom 18. November 2011 auf die jeweils in derselben Urkunde enthal-
tenen und von der Unterschriftsleistung mit erfassten "Patientenverfügungen"
Bezug nehmen, in denen lebensverlängernde ärztliche Maßnahmen ebenso wie
ihre Vornahme und ihr Unterbleiben ausdrücklich genannt sind, werden die
Maßnahmen zwar in einer § 1904 Abs. 5 Satz 2 BGB genügenden Weise um-
schrieben. Der jeweilige Text der Vollmacht enthält jedoch lediglich die Ermäch-
tigung, an Stelle der Betroffenen die erforderlichen Entscheidungen mit den
Ärzten "abzusprechen". Dabei soll die Bevollmächtigte den in der Patientenver-
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fügung geäußerten Willen "einbringen" sowie "Einwendungen vortragen", die
die Ärzte dann "berücksichtigen" sollen.
Dies könnte dahin zu verstehen sein, dass der Bevollmächtigten in
diesen Urkunden nicht das Recht zur Letztentscheidung übertragen ist, das
allein der Befugnis der (noch) einwilligungsfähigen Betroffenen entsprechen
würde, im Außenverhältnis gegebenenfalls auch gegen ärztlichen Rat über
die Frage von Erfolgen oder Unterbleiben der in § 1904 Abs. 1 Satz 2 und
Abs. 2 BGB genannten Maßnahmen zu entscheiden. Denn nach ihrem Wortlaut
beinhaltet die Vollmacht jeweils lediglich die Ermächtigung der Bevollmächtig-
ten zur Mitsprache in den in der Patientenverfügung genannten Fallgestaltun-
gen, nicht aber zur Bestimmung der Vorgehensweise. Dies entspräche nicht der
§ 1904 Abs. 1 bis 4 BGB zugrundeliegenden Rechtsmacht des Betreuers, die
(Nicht-)Einwilligung oder den Widerruf der Einwilligung abzugeben. Vielmehr
würde es allenfalls die den Bevollmächtigten bei Vorliegen einer Patientenver-
fügung allgemein nach § 1901 a Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 BGB treffende Pflicht
abdecken, dem Willen des Betroffenen Ausdruck und Geltung zu verschaffen.
(2) Jedenfalls die notarielle Vollmacht vom 26. Februar 2003 überträgt
der Bevollmächtigten aber zweifelsfrei die Entscheidungsbefugnis im Bereich
der Gesundheitsfürsorge und bedient sich dabei teilweise des Wortlauts von
§ 1904 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BGB, indem Untersuchung des Gesundheits-
zustands, Heilbehandlung und ärztlicher Eingriff sowie die Einwilligung - nebst
Verweigerung und Zurücknahme - benannt sind. Darüber hinaus ist in der Voll-
macht ausdrücklich die Befugnis aufgeführt, über den Abbruch von lebensver-
längernden Maßnahmen zu entscheiden, womit zugleich auch die mit dem Wi-
derruf der Einwilligung verbundene begründete Gefahr des Todes und damit die
von § 1904 Abs. 2 BGB insoweit erfasste besondere Gefahrensituation ausrei-
chend deutlich im Text bezeichnet ist.
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2. Im Grundsatz zutreffend geht das Landgericht weiter davon aus, dass
gemäß § 1896 Abs. 3 BGB ein Betreuer zur Geltendmachung von Rechten des
Betreuten gegenüber seinem Bevollmächtigten bestellt und unter bestimmten
Voraussetzungen auch zum Widerruf der Vollmacht ermächtigt werden kann.
a) Mit einer Kontrollbetreuung kann im Falle einer wirksam erteilten Vor-
sorgevollmacht für eine Kontrolle des Bevollmächtigten gesorgt werden, wenn
der Vollmachtgeber aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperli-
chen, geistigen oder seelischen Behinderung nicht mehr in der Lage ist, den
Bevollmächtigten zu überwachen und gegebenenfalls die Vollmacht zu widerru-
fen. Eine Kontrollbetreuung darf jedoch wie jede andere Betreuung (vgl. § 1896
Abs. 2 Satz 1 BGB) nur dann eingerichtet werden, wenn sie erforderlich ist. Da
der Vollmachtgeber die Vorsorgevollmacht gerade für den Fall bestellt hat, dass
er seine Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln kann, um eine gerichtlich
angeordnete Betreuung zu vermeiden, kann das Bedürfnis nach einer Kontroll-
betreuung nicht allein damit begründet werden, dass der Vollmachtgeber auf-
grund seiner Erkrankung nicht mehr selbst in der Lage ist, den Bevollmächtig-
ten zu überwachen. Denn der Wille des Vollmachtgebers ist auch bei der Frage
der Errichtung einer Kontrollbetreuung zu beachten (vgl. § 1896 Abs. 1a BGB).
Daher müssen weitere Umstände hinzutreten, die die Errichtung einer Kontroll-
betreuung erforderlich machen. Notwendig ist der konkrete, d.h. durch hinrei-
chende tatsächliche Anhaltspunkte untermauerte Verdacht, dass mit der Voll-
macht dem Betreuungsbedarf nicht Genüge getan wird (Senatsbeschluss vom
23. September 2015 - XII ZB 624/14 - FamRZ 2015, 2163 Rn. 14 f. mwN).
Dies kann der Fall sein, wenn nach den üblichen Maßstäben aus der
Sicht eines vernünftigen Vollmachtgebers unter Berücksichtigung des in den
Bevollmächtigten gesetzten Vertrauens eine ständige Kontrolle schon deshalb
geboten ist, weil Anzeichen dafür sprechen, dass der Bevollmächtigte mit dem
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Umfang und der Schwierigkeit der vorzunehmenden Geschäfte überfordert ist,
oder wenn gegen die Redlichkeit oder die Tauglichkeit des Bevollmächtigten
Bedenken bestehen. Ein Missbrauch der Vollmacht oder ein entsprechender
Verdacht ist nicht erforderlich. Ausreichend sind konkrete Anhaltspunkte dafür,
dass der Bevollmächtigte nicht mehr entsprechend der Vereinbarung und dem
Interesse des Vollmachtgebers handelt (Senatsbeschluss vom 23. September
2015 - XII ZB 624/14 - FamRZ 2015, 2163 Rn. 16 mwN).
b) Dem Kontrollbetreuer kann auch der Aufgabenkreis Vollmachtwiderruf
übertragen werden. Dies setzt tragfähige Feststellungen voraus, dass das
Festhalten an der erteilten Vorsorgevollmacht eine künftige Verletzung des
Wohls des Betroffenen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit und in erheblicher
Schwere befürchten lässt. Sind behebbare Mängel bei der Vollmachtausübung
festzustellen, erfordert der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz regelmäßig zunächst
den Versuch, durch einen zu bestellenden (Kontroll-)Betreuer auf den Bevoll-
mächtigten positiv einzuwirken. Nur wenn diese Maßnahmen fehlschlagen oder
es aufgrund feststehender Tatsachen mit hinreichender Sicherheit als ungeeig-
net erscheint, drohende Schäden auf diese Weise abzuwenden, ist die Ermäch-
tigung zum Vollmachtwiderruf, der die ultima ratio darstellt, verhältnismäßig
(Senatsbeschluss vom 23. September 2015 - XII ZB 624/14 - FamRZ 2015,
2163 Rn. 17 mwN).
3. Entgegen der Annahme des Landgerichts sind bei Anlegung dieses
rechtlichen Maßstabs die Voraussetzungen für eine Kontrollbetreuung mit Er-
mächtigung zum Vollmachtwiderruf hier aber nicht erfüllt. Ausreichende An-
haltspunkte dafür, dass dem für einen Betroffenen bestehenden Betreuungsbe-
darf nicht ausreichend genügt wird, und Umstände, die die Ermächtigung zum
Widerruf einer Vollmacht rechtfertigen, können sich zwar grundsätzlich auch im
Zusammenhang mit der Entscheidung des Bevollmächtigten zur Durchführung
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von lebensverlängernden Maßnahmen im Sinne des § 1904 Abs. 1 Satz 1,
Abs. 2 BGB ergeben (vgl. Staudinger/Bienwald BGB [2013] § 1904 Rn. 121).
Hierfür müsste sich der Bevollmächtigte offenkundig über den - insbesondere in
einer Patientenverfügung niedergelegten - Willen des Betroffenen hinwegset-
zen. Das ist vorliegend jedoch nicht der Fall.
a) Die den Bevollmächtigten treffenden Pflichten bei der Entscheidung
darüber, ob lebensverlängernde Maßnahmen erfolgen sollen, folgen aus der
Systematik der §§ 1901 a, 1901 b, 1904 BGB.
aa) Der Bevollmächtigte muss nach § 1901 a Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 BGB
prüfen, ob eine eigene, in einer Patientenverfügung im Sinne der Legaldefinition
des § 1901 a Abs. 1 Satz 1 BGB niedergelegte Entscheidung des Betroffenen
vorliegt und ob diese auf die aktuell eingetretene Lebens- und Behandlungssi-
tuation des Betroffenen zutrifft. In diesem Zusammenhang hat der Bevollmäch-
tigte auch zu hinterfragen, ob die Entscheidung noch dem Willen des Betroffe-
nen entspricht, was die Prüfung einschließt, ob das aktuelle Verhalten des nicht
mehr entscheidungsfähigen Betroffenen konkrete Anhaltspunkte dafür liefert,
dass er unter den gegebenen Umständen den zuvor schriftlich geäußerten Wil-
len nicht mehr gelten lassen will, und ob er bei seinen Festlegungen diese Le-
benssituation mitbedacht hat (vgl. BT-Drucks. 16/8442 S. 14/15). Dabei hat er
gemäß § 1901 b Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 BGB die Maßnahme unter Berücksichti-
gung des Patientenwillens mit dem behandelnden Arzt zu erörtern; nach
§ 1901 b Abs. 2 und 3 BGB soll nahen Angehörigen und sonstigen Vertrauens-
personen des Betroffenen Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden, wenn
dies ohne erhebliche Verzögerung möglich ist (vgl. auch BT-Drucks. 16/8442
S. 15).
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Liegt eine wirksame und auf die aktuelle Situation zutreffende Patienten-
verfügung vor, hat der Betroffene die Entscheidung selbst getroffen. Dem
Bevollmächtigten obliegt es dann gemäß § 1901 a Abs. 1 Satz 2, Abs. 5 BGB
nur noch, dem in der Patientenverfügung niedergelegten Willen des Betroffenen
Ausdruck und Geltung zu verschaffen (Senatsbeschluss BGHZ 202, 226
= FamRZ 2014, 1909 Rn. 14 mwN). Anderenfalls hat der Bevollmächtigte ge-
mäß § 1901 a Abs. 2 und 5 BGB die Behandlungswünsche oder den mutmaßli-
chen Willen des Betroffenen festzustellen (vgl. dazu Senatsbeschluss BGHZ
202, 226 = FamRZ 2014, 1909 Rn. 25 ff. mwN), hierbei wiederum §§ 1901 a,
1901 b BGB zu beachten und auf dieser Grundlage zu entscheiden.
Dabei kann es im Einzelfall schwierig oder auch unmöglich sein, den
Behandlungswillen eines entscheidungsunfähigen Betroffenen festzustellen
(BT-Drucks. 16/8442 S. 12). Kann ein auf die Durchführung, die Nichteinleitung
oder die Beendigung einer ärztlichen Maßnahme gerichteter Wille des Betroffe-
nen auch nach Ausschöpfung aller verfügbaren Erkenntnisquellen nicht festge-
stellt werden, gebietet es das hohe Rechtsgut auf Leben, entsprechend dem
Wohl des Betroffenen zu entscheiden und dabei dem Schutz seines Lebens
Vorrang einzuräumen (BT-Drucks. 16/8442 S. 16).
bb) Besteht zwischen dem Bevollmächtigten und dem behandelnden Arzt
Einvernehmen darüber, welche Vorgehensweise dem Willen des Betroffenen
nach § 1901 a Abs. 1 und 2 BGB entspricht, bedarf selbst eine Maßnahme im
Sinne des § 1904 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB keiner gerichtlichen Genehmigung
(§ 1904 Abs. 4 und Abs. 5 Satz 1 BGB). Einen Antrag auf betreuungsgerichtli-
che Genehmigung der Einwilligung in den Abbruch etwa einer künstlichen Er-
nährung als lebensverlängernder Maßnahme müsste das Betreuungsgericht
dann ohne weitere gerichtliche Ermittlungen ablehnen und ein sogenanntes
Negativattest erteilen, aus dem sich ergibt, dass eine gerichtliche Genehmigung
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nicht erforderlich ist (Senatsbeschluss BGHZ 202, 226 = FamRZ 2014, 1909
Rn. 20). Damit soll nach dem Willen des Gesetzgebers sichergestellt sein, dass
eine gerichtliche Genehmigung nur in Konfliktfällen erforderlich ist.
Dem Schutz des Patienten vor einem etwaigen Missbrauch der Befug-
nisse des Bevollmächtigten wird zum einen dadurch Rechnung getragen, dass
eine wechselseitige Kontrolle zwischen Arzt und Betreuer bei der Entschei-
dungsfindung stattfindet. Zum anderen kann jeder Dritte, insbesondere Ehegat-
te, Lebenspartner, Verwandter oder Vertrauensperson des Betreuten, aufgrund
des Amtsermittlungsprinzips im Betreuungsverfahren jederzeit eine betreu-
ungsgerichtliche Kontrolle der Entscheidung des Bevollmächtigten in Gang set-
zen (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 202, 226 = FamRZ 2014, 1909 Rn. 18;
BT-Drucks. 16/8442 S. 19).
cc) Darüber hinaus kann zum einen die Patientenverfügung Näheres zu
den Pflichten des Bevollmächtigten bei der Entscheidung über lebensverlän-
gernde Maßnahmen regeln, etwa dass sie trotz konkreter Entscheidungen nicht
unmittelbar gelten soll, sondern der Bevollmächtigte immer die Entscheidung
über die Behandlung zu treffen und welchen Entscheidungsspielraum er hierbei
hat (BT-Drucks. 16/8442 S. 15). Zum anderen kann auch die Vollmacht weitere
Pflichten des Bevollmächtigten festlegen oder Pflichten und Befugnisse in ihrem
Umfang näher konkretisieren.
b) Bei der Beurteilung, ob mit der Vollmacht dem Betreuungsbedarf Ge-
nüge getan wird und ob bei Festhalten an der erteilten Vorsorgevollmacht sogar
- wie für die Ermächtigung zum Vollmachtwiderruf erforderlich - eine künftige
Verletzung des Wohls des Betroffenen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit
und in erheblicher Schwere zu befürchten ist, muss die gesetzgeberische Wer-
tung zum Pflichtenprogramm des Bevollmächtigten und zur gerichtlichen Kon-
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trolldichte von Entscheidungen bei lebensverlängernden Maßnahmen Berück-
sichtigung finden.
Der Gesetzgeber hat mit den Regelungen in §§ 1901 a und b, 1904 BGB
das Ziel verfolgt, dem Betroffenen eine vorsorgende privatautonome Entschei-
dung der Fragen zu ermöglichen, die sich im Zusammenhang mit ärztlichen
Maßnahmen zu einem Zeitpunkt stellen können, in dem der Betroffene zu einer
eigenen rechtlich maßgeblichen Entscheidung mangels Einwilligungsfähigkeit
nicht mehr in der Lage ist. Hierfür hat er einerseits die Möglichkeit der Patien-
tenverfügung vorgesehen; andererseits kann der Betroffene eine Vertrauens-
person mit der Umsetzung des Willens, aber auch mit einer eigenständigen
Entscheidung auf der Grundlage des mutmaßlichen Willens des Betroffenen
bevollmächtigen. Dem Grundsatz nach soll bei Vorliegen einer wirksamen
Vollmacht eine betreuungsgerichtliche Befassung auf die Fälle des Konflikts
zwischen Bevollmächtigtem und behandelndem Arzt beschränkt und ansonsten
lediglich eine Missbrauchskontrolle vorzunehmen sein. Dieser gesetzgeberi-
schen Wertung ist auch bei der Beurteilung der Frage, ob es einer Kontrollbe-
treuung - ggf. mit der Ermächtigung zum Widerruf der Vollmacht - bedarf,
Rechnung zu tragen. Anderenfalls würde die durch die Instrumente der Vorsor-
gevollmacht und der Patientenverfügung erfolgte Stärkung des Selbstbestim-
mungsrechts des Betroffenen über den Umweg der Kontrollbetreuung wieder
entwertet.
Daraus erhellt, dass ein Kontrollbetreuer erst dann bestellt werden darf,
wenn offenkundig ist, dass der Bevollmächtigte sich mit seiner Entscheidung
über den Willen des Betroffenen hinwegsetzen würde. Dies wird gerade bei
Einvernehmen zwischen Bevollmächtigtem und behandelndem Arzt nur selten
der Fall sein. Bedeutung erlangt insoweit zum einen, wie verlässlich der Wille
des Betroffenen ermittelt werden kann und inwieweit seine Äußerungen einer
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Wertung zugänglich sind. Zum anderen ist auch in den Blick zu nehmen, ob der
Betroffene die Bindungswirkung seiner etwaigen Willensäußerung für den Be-
vollmächtigten eingeschränkt hat.
c) Dass die Bevollmächtigte sich in dieser Weise über den Willen der Be-
troffenen hinwegsetzt, wenn sie in den Abbruch der künstlichen Ernährung mit-
tels PEG-Sonde nicht einwilligt, wird von den Feststellungen des Landgerichts
nicht getragen.
aa) Die Betroffene hat entgegen der der Beschwerdeentscheidung offen-
sichtlich zugrunde liegenden Annahme keine Patientenverfügung im Sinne des
§ 1901 a Abs. 1 Satz 1 BGB erstellt, der sich eine in der aktuellen Lebens- und
Behandlungssituation bindende Entscheidung für die Fortführung oder den Ab-
bruch der künstlichen Ernährung entnehmen lässt.
(1) Unmittelbare Bindungswirkung entfaltet eine Patientenverfügung im
Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB nur dann, wenn ihr konkrete Entscheidungen
des Betroffenen über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte, noch
nicht unmittelbar bevorstehende ärztliche Maßnahmen entnommen werden
können. Von vornherein nicht ausreichend sind allgemeine Anweisungen, wie
die Aufforderung, ein würdevolles Sterben zu ermöglichen oder zuzulassen,
wenn ein Therapieerfolg nicht mehr zu erwarten ist. Die Anforderungen an die
Bestimmtheit einer Patientenverfügung dürfen aber auch nicht überspannt wer-
den. Vorausgesetzt werden kann nur, dass der Betroffene umschreibend fest-
legt, was er in einer bestimmten Lebens- und Behandlungssituation will und
was nicht. Maßgeblich ist nicht, dass der Betroffene seine eigene Biografie als
Patient vorausahnt und die zukünftigen Fortschritte in der Medizin vorwegneh-
mend berücksichtigt (Senatsbeschluss BGHZ 202, 226 = FamRZ 2014, 1909
Rn. 29).
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Die Äußerung, "keine lebenserhaltenden Maßnahmen" zu wünschen,
enthält jedenfalls für sich genommen keine hinreichend konkrete Behandlungs-
entscheidung (vgl. BT-Drucks. 16/8442 S. 15; Palandt/Götz BGB 75. Aufl.
§ 1901 a Rn. 5). Die insoweit erforderliche Konkretisierung kann aber gegebe-
nenfalls durch die Benennung bestimmter ärztlicher Maßnahmen oder die Be-
zugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituatio-
nen erfolgen.
(2) Danach kommen sowohl die beiden privatschriftlichen Schriftstücke
als auch die in der notariellen Vollmacht enthaltenen Äußerungen nicht als bin-
dende, auf den Abbruch der künstlichen Ernährung gerichtete Patientenverfü-
gungen in Betracht. Sie beziehen sich nicht auf konkrete Behandlungsmaß-
nahmen, sondern benennen ganz allgemein "lebensverlängernde Maßnah-
men". Auch im Zusammenspiel mit den weiteren Angaben ergibt sich nicht die
für eine Patientenverfügung zu verlangende bestimmte Behandlungsentschei-
dung. Die notarielle Vollmacht bezeichnet mit einer "zum Tode führenden
Krankheit" eine bei der Betroffenen nicht vorliegende Behandlungssituation. Die
"Patientenverfügungen" stellen alternativ auf vier verschiedene Behandlungssi-
tuationen ab. Gerade die vom Landgericht angenommene eines schweren
Dauerschadens des Gehirns ist so wenig präzise, dass sie keinen Rückschluss
auf einen gegen konkrete Behandlungsmaßnahmen - hier die künstliche Ernäh-
rung mittels PEG-Sonde - gerichteten Willen der Betroffenen erlaubt.
bb) Die Bevollmächtigte hat bei der Ermittlung von auf den Abbruch oder
die Fortsetzung der künstlichen Ernährung bezogenen Behandlungswünschen
bzw. des mutmaßlichen Willens der Betroffenen (§ 1901 a Abs. 2 BGB) keine
eine Kontrollbetreuung rechtfertigenden Pflichtverstöße begangen. Insbesonde-
re ist sie ihrer aus § 1901 b Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 BGB folgenden Pflicht nach-
gekommen, die ärztliche Maßnahme mit der behandelnden Ärztin zu erörtern.
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Nach den Feststellungen des Amtsgerichts steht sie mit dieser im engen Kon-
takt und hat die Entscheidung mit ihr abgesprochen, also Einvernehmen dar-
über erzielt, dass ein auf Abbruch der künstlichen Ernährung gerichteter Be-
handlungswunsch oder mutmaßlicher Wille der Betroffenen nicht feststellbar ist.
Wie sich aus der erstinstanzlichen Entscheidung ergibt, besucht sie die Be-
troffene regelmäßig, so dass sie sich ein Bild über die aktuelle Situation ma-
chen kann.
Tatrichterliche Feststellungen dazu, ob die Bevollmächtigte auch nahen
Angehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen der Betroffenen Gelegen-
heit zur Äußerung gegeben und so § 1901 b Abs. 2 und 3 BGB genügt hat,
liegen zwar nicht vor. Bei dieser Regelung handelt es sich nach dem ein-
deutigen Wortlaut jedoch lediglich um eine Soll-Vorschrift, deren Nichtbeach-
tung nicht zur Rechtswidrigkeit der (Nicht-)Einwilligung des Bevollmächtigten
führt (MünchKommBGB/Schwab 6. Aufl. § 1901 b Rn. 9). Zudem erlegt die
"Patientenverfügung" der Bevollmächtigten vorliegend nur eine Absprache mit
der behandelnden Ärztin, nicht aber mit sonstigen Dritten auf (vgl. auch
MünchKommBGB/Schwab 6. Aufl. § 1901 a Rn. 57).
cc) Die bislang getroffenen Feststellungen tragen nicht die Annahme,
dass das von der Bevollmächtigten gefundene Ergebnis offenkundig dem - als
Behandlungswunsch geäußerten oder mutmaßlichen - Willen der Betroffenen
widerspricht.
(1) Ein auf den Abbruch der künstlichen Ernährung gerichteter Behand-
lungswunsch der Betroffenen im Sinne des § 1901 a Abs. 2 BGB ist vom Land-
gericht nicht festgestellt und insbesondere den von der Betroffenen unterzeich-
neten Schriftstücken nicht zu entnehmen.
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Einen solchen Behandlungswunsch können alle Äußerungen eines Be-
troffenen darstellen, die Festlegungen für eine konkrete Lebens- und Behand-
lungssituation enthalten, aber den Anforderungen an eine Patientenverfügung
im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB nicht genügen, etwa weil sie nicht schriftlich
abgefasst wurden, keine antizipierenden Entscheidungen treffen oder von ei-
nem minderjährigen Betroffenen verfasst wurden. Auch eine Patientenverfü-
gung im Sinne des § 1901 a Abs. 1 BGB, die jedoch nicht sicher auf die aktuelle
Lebens- und Behandlungssituation des Betroffenen passt und deshalb keine
unmittelbare Wirkung entfaltet, kann als Behandlungswunsch Berücksichtigung
finden. Behandlungswünsche sind insbesondere dann aussagekräftig, wenn sie
in Ansehung der Erkrankung zeitnah geäußert worden sind, konkrete Bezüge
zur aktuellen Behandlungssituation aufweisen und die Zielvorstellungen des
Patienten erkennen lassen. An die Behandlungswünsche des Betroffenen ist
der Bevollmächtigte nach § 1901 a Abs. 2 und 3 BGB gebunden (Senatsbe-
schluss BGHZ 202, 226 = FamRZ 2014, 1909 Rn. 25). Für die Annahme eines
Behandlungswunsches ist ein mit einer Patientenverfügung vergleichbares Maß
an Bestimmtheit zu verlangen. Wann eine Maßnahme hinreichend bestimmt
benannt ist, kann nur im Einzelfall beurteilt werden. Ebenso wie eine schriftliche
Patientenverfügung sind auch mündliche Äußerungen des Betroffenen der Aus-
legung zugänglich (Senatsbeschluss BGHZ 202, 226 = FamRZ 2014, 1909
Rn. 30).
Hier fehlt es der in den beiden handschriftlichen Patientenverfügungen
sowie in der notariellen Vollmacht enthaltenen Bezeichnung "lebensverlängern-
de Maßnahmen" auch unter Berücksichtigung der weiteren in den Schriftstü-
cken enthaltenen Angaben an der für einen auf Abbruch der künstlichen Ernäh-
rung gerichteten Behandlungswunsch erforderlichen Bestimmtheit. Das Vorlie-
gen eines mündlich geäußerten Behandlungswunschs hat das Landgericht
nicht geprüft.
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(2) Dass der mutmaßliche Wille der Betroffenen eindeutig auf den Ab-
bruch der künstlichen Ernährung gerichtet wäre, ist derzeit nicht feststellbar.
Auf den mutmaßlichen Willen des Betroffenen ist abzustellen, wenn sich
sein auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation bezogener Wille nicht
feststellen lässt. Der mutmaßliche Wille ist anhand konkreter Anhaltspunkte zu
ermitteln, insbesondere anhand früherer mündlicher oder schriftlicher Äußerun-
gen (die jedoch keinen Bezug zur aktuellen Lebens- und Behandlungssituation
aufweisen), ethischer oder religiöser Überzeugungen und sonstiger persönli-
cher Wertvorstellungen des Betroffenen (§ 1901 a Abs. 2 Satz 2 und 3 BGB).
Der Bevollmächtigte stellt letztlich eine These auf, wie sich der Betroffene selbst
in der konkreten Situation entschieden hätte, wenn er noch über sich selbst be-
stimmen könnte (Senatsbeschluss BGHZ 202, 226 = FamRZ 2014, 1909
Rn. 26).
Die Rechtsbeschwerde verweist hierzu mit Recht zum einen darauf, dass
die Betroffene der künstlichen Ernährung mittels PEG-Sonde zu der Zeit, als sie
selbst noch kommunikationsfähig war, nicht widersprochen hat, und zum ande-
ren auf die von der Betroffenen bei der erstinstanzlichen Anhörung gezeigten
Reaktionen, die im Übrigen auch der Schilderung der Betreuungsbehörde ent-
sprechen. Hinzu kommt, dass die Betroffene nach dem Text der zuletzt im No-
vember 2011 und damit kurz vor dem Hirnschlag erteilten privatschriftlichen
Vollmacht ihren in der "Patientenverfügung" geäußerten Willen lediglich in den
Entscheidungsprozess eingebracht und berücksichtigt wissen wollte, woraus
eine nur eingeschränkte Bindung und ein weiter Ermessensspielraum der Be-
vollmächtigten bei der im Dialog mit der behandelnden Ärztin zu findenden Ent-
scheidung folgen. Zudem lässt die "Patientenverfügung" mit der Anknüpfung an
die "Erhaltung eines erträglichen Lebens" und an die "angemessenen Möglich-
keiten" sowie mit dem unscharfen Begriff des "schweren" Dauerschadens einen
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weiten Interpretationsspielraum. Dass die Bevollmächtigte diesen nur in dem
vom Landgericht vertretenen Sinne, also auf den Abbruch der künstlichen Er-
nährung gerichtet, hätte ausfüllen dürfen, ist nicht ansatzweise ersichtlich.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem im Beschwerdeverfahren
eingeholten Sachverständigengutachten. Dass nach Einschätzung des Sach-
verständigen ein "Dauerschaden des Gehirns" der Betroffenen eingetreten und
bei Einstellung der künstlichen Ernährung nicht mit einem "qualvollen Verhun-
gern" zu rechnen ist, erlaubt keinen Rückschluss auf einen gegen die Fortfüh-
rung der künstlichen Ernährung gerichteten mutmaßlichen Willen der Betroffe-
nen.
d) Soweit das Landgericht die Kontrollbetreuung über die mit der Ent-
scheidung über Abbruch oder Fortführung der künstlichen Ernährung zusam-
menhängenden Fragen hinaus auf die gesamte Gesundheitsfürsorge erstreckt
hat, hat das aus Rechtsgründen ebenfalls keinen Bestand. Es wird weder im
angefochtenen Beschluss aufgezeigt noch ist anderweitig ersichtlich, dass in-
soweit die Voraussetzungen für die Anordnung einer Kontrollbetreuung vorlie-
gen. Der Begründung der Beschwerdeentscheidung sind Erwägungen allein im
Zusammenhang mit der Entscheidung über lebensverlängernde Maßnahmen,
nicht aber bezogen auf die übrige Gesundheitsfürsorge zu entnehmen. Dass
die Bevollmächtigte ihre Vollmacht in den Angelegenheiten der sonstigen Ge-
sundheitsfürsorge nicht zum Wohl der Betroffenen ausgeübt hätte, haben nicht
einmal die Beteiligten zu 1 und zu 3 behauptet.
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III.
Danach ist der angefochtene Beschluss gemäß § 74 Abs. 5 FamFG auf-
zuheben. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif und daher gemäß § 74
Abs. 6 Satz 1 und 2 FamFG an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.
Dieses wird der Frage nachzugehen haben, ob die in den schriftlichen
Stellungnahmen der Beteiligten zu 1 und zu 3 sowie der Schwester und der
Cousine der Betroffenen behaupteten Äußerungen der Betroffenen gefallen
sind und ob sich ihnen Behandlungswünsche oder - falls das nicht der Fall ist -
jedenfalls Hinweise auf den mutmaßlichen Willen der Betroffenen entnehmen
lassen. Außerdem gibt die Zurückverweisung dem Landgericht die Gelegenheit,
die - wie die Rechtsbeschwerde zutreffend rügt - bislang rechtsfehlerhaft im
Beschwerdeverfahren unterbliebene persönliche Anhörung der Betroffenen
nachzuholen. Nur wenn nach den weiteren Ermittlungen trotz des weiten Er-
messensspielraums der Bevollmächtigten und der für die Auffassung der Be-
vollmächtigten sprechenden Umstände offenkundig sein sollte, dass die Be-
vollmächtigte sich über den auf den Abbruch der künstlichen Ernährung gerich-
teten Willen der Betroffenen hinwegsetzen würde, lägen die Voraussetzungen
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einer Kontrollbetreuung vor. Das Landgericht wird sich dann auch mit den Ein-
wänden der Rechtsbeschwerde zur Betreuerauswahl und dazu, ob die Voraus-
setzungen für die Ermächtigung zum Widerruf der Vollmacht vorliegen, ausei-
nanderzusetzen haben (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 206, 321 = FamRZ 2015,
1702 Rn. 33 ff.).
Dose
Klinkhammer
Nedden-Boeger
Guhling
Krüger
Vorinstanzen:
AG Adelsheim, Entscheidung vom 14.10.2015 - XVII 39/15 -
LG Mosbach, Entscheidung vom 26.01.2016 - 3 T 7/15 -