Urteil des BGH vom 01.02.2017

Leitsatzentscheidung zu Eltern, Wohl des Kindes, Persönliche Anhörung, Kindeswohl

ECLI:DE:BGH:2017:010217BXIIZB601.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 601/15
vom
1. Februar 2017
in der Familiensache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
BGB §§ 1684, 1697 a; FamFG §§ 26, 159
a) Eine gerichtliche Umgangsregelung, die im Ergebnis zu einer gleichmäßigen Be-
treuung des Kindes durch beide Eltern im Sinne eines paritätischen Wechselmo-
dells führt, wird vom Gesetz nicht ausgeschlossen. Auch die Ablehnung des
Wechselmodells durch einen Elternteil hindert eine solche Regelung für sich ge-
nommen noch nicht. Entscheidender Maßstab der Regelung ist vielmehr das im
konkreten Einzelfall festzustellende Kindeswohl.
b) Die auf ein paritätisches Wechselmodell gerichtete Umgangsregelung
setzt eine bestehende Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Eltern
voraus (Fortführung des Senatsbeschlusses vom 15. Juni 2016 - XII ZB 419/15 -
FamRZ 2016, 1439). Dem Kindeswohl entspricht es daher nicht, ein Wechsel-
modell zu dem Zweck anzuordnen, eine Kommunikations- und Kooperationsfä-
higkeit erst herbeizuführen.
c) Ist das Verhältnis der Eltern erheblich konfliktbelastet, so liegt die auf ein paritäti-
sches Wechselmodell gerichtete Anordnung in der Regel nicht im wohlverstan-
denen Interesse des Kindes.
d) Das Familiengericht ist im Umgangsverfahren zu einer umfassenden Aufklärung
verpflichtet, welche Form des Umgangs dem Kindeswohl am besten entspricht.
Dies erfordert grundsätzlich auch die persönliche Anhörung des Kindes (im An-
schluss an Senatsbeschluss vom 15. Juni 2016 - XII ZB 419/15 - FamRZ 2016,
1439).
BGH, Beschluss vom 1. Februar 2017 - XII ZB 601/15 - OLG Nürnberg
AG Schwabach
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 1. Februar 2017 durch den
Vorsitzenden Richter Dose, die Richter Dr. Klinkhammer, Dr. Günter und
Guhling und die Richterin Dr. Krüger
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 1 wird der
Beschluss des 11. Zivilsenats und Senats für Familiensachen des
Oberlandesgerichts Nürnberg vom 8. Dezember 2015 aufgeho-
ben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Ober-
landesgericht zurückverwiesen.
Wert: 3.000
Gründe:
I.
Die Beteiligten zu 1 (im Folgenden: Vater) und 2 (im Folgenden: Mutter)
sind die geschiedenen Eltern ihres im April 2003 geborenen Sohnes K. Sie sind
gemeinsam sorgeberechtigt. Der Sohn hält sich überwiegend bei der Mutter
auf. Die Eltern trafen im Januar 2013 eine Umgangsregelung, nach welcher der
Sohn den Vater alle 14 Tage am Wochenende besucht. Außerdem vereinbarten
sie den Umgang in den Weihnachtsferien 2013. Der Ferienumgang wird seither
von den Eltern einvernehmlich festgelegt.
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Der Vater erstrebt im vorliegenden Verfahren die Anordnung eines - pari-
tätischen - Wechselmodells als Umgangsregelung. Er will den Sohn im wö-
chentlichen Turnus abwechselnd von Montag nach Schulschluss bis zum fol-
genden Montag zum Schulbeginn zu sich nehmen, außerdem erstrebt er die
gleiche Aufteilung der Ferien und Feiertage sowie eine gegenseitige Information
der Eltern über die Belange des Kindes. Das Amtsgericht hat den Antrag des
Vaters zurückgewiesen. Dessen Beschwerde ist vor dem Oberlandesgericht
ohne Erfolg geblieben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt er sein
Begehren weiter.
II.
Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Be-
schlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
1. Das Oberlandesgericht hat seine in FamRZ 2016, 2119 veröffentlichte
Entscheidung damit begründet, das vom Vater begehrte Wechselmodell könne
aus rechtlichen Gründen nicht angeordnet werden. Deshalb sei auch von der
persönlichen Anhörung des Kindes abgesehen worden. Das Wechselmodell sei
rechtssystematisch der Ausübung der elterlichen Sorge zuzuordnen. Das Um-
gangsrecht ermögliche dem Elternteil, in dessen Obhut das Kind nicht lebe, sich
von dem körperlichen und geistigen Befinden des Kindes und seiner Entwick-
lung durch Augenschein fortlaufend zu überzeugen, die verwandtschaftlichen
Beziehungen aufrechtzuerhalten, um einer Entfremdung vorzubeugen, sowie
dem Liebesbedürfnis beider Teile Rechnung zu tragen. Das Umgangsrecht die-
ne dagegen nicht der gleichberechtigten Teilhabe beider Eltern am Leben ihrer
Kinder. Es sei vom Aufenthaltsbestimmungsrecht abzugrenzen, das Teil der
elterlichen Sorge sei. Umgangsanordnungen müssten ihre Grenze spätestens
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dort finden, wo sie zu einer Änderung oder Festlegung des Lebensmittelpunkts
des Kindes führen würden, was jedenfalls bei einer Anordnung der hälftigen
Betreuung durch die Eltern und damit eines doppelten Lebensmittelpunkts des
Kindes der Fall wäre. Es bestehe deshalb keine Möglichkeit, im Rahmen des
Umgangsrechts ein paritätisches Wechselmodell anzuordnen. Auch aus verfas-
sungsrechtlicher Sicht bestehe keine Verpflichtung des Gesetzgebers, bei feh-
lender Einigkeit der Eltern eine paritätische Betreuung als Regelfall vorzusehen.
Nur ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass nach den durchgeführten
Ermittlungen auch die materiellen Voraussetzungen für ein Wechselmodell nicht
vorlägen. Ein Wechselmodell stelle hohe Anforderungen an die Kommunikati-
ons- und Kooperationsfähigkeit beider Eltern. Es könne deshalb nicht gegen
den Willen eines Elternteils angeordnet werden. Die Annahme des Vaters, das
Wechselmodell habe deeskalierende Wirkung, lasse sich nicht belegen. Viel-
mehr ergäben sich Anhaltspunkte dafür, dass eine gerichtliche Verordnung und
rigide Durchführung des Wechselmodells zu Belastungen des Kindes beitrüge.
Auch in der Anhörung der Eltern sei deutlich geworden, dass sich der Wunsch
des Vaters mehr am eigenen Bedürfnis, ein gleichberechtigter Elternteil zu wer-
den, als an den Bedürfnissen des Kindes orientiere. Es sei nicht zu erkennen,
wie die Eltern den hohen Abstimmungsbedarf im Rahmen eines wöchentlichen
paritätischen Wechselmodells bewältigen könnten, ohne dass das Kind zum
ständigen Informationsträger zwischen ihnen werde. Auf die daraus resultieren-
de Belastung habe schon das Jugendamt hingewiesen.
2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht in jeder Hinsicht stand.
a) Nach § 1684 Abs. 1 BGB hat ein Kind das Recht auf Umgang mit je-
dem Elternteil und ist jeder Elternteil zum Umgang mit dem Kind verpflichtet und
berechtigt. Gemäß § 1684 Abs. 3 Satz 1 BGB kann das Familiengericht über
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den Umfang des Umgangsrechts entscheiden und seine Ausübung, auch
gegenüber Dritten, näher regeln. Bei dem Verfahren betreffend den Umgang
zwischen Eltern und Kind nach § 1684 BGB handelt es sich um ein grundsätz-
lich nicht antragsgebundenes Verfahren (vgl. Senatsbeschlüsse vom 6. Juli
2016 - XII ZB 47/15 - FamRZ 2016, 1752 Rn. 46 f.; vom 1. Februar 2012
- XII ZB 188/11 - FamRZ 2012, 533 Rn. 21 und vom 27. Oktober 1993
- XII ZB 88/92 - FamRZ 1994, 158; OLG Hamm FamRZ 1982, 94; Staudinger/
Rauscher BGB [2014] § 1684 Rn. 158 mwN; Johannsen/Henrich/Jaeger Fami-
lienrecht 6. Aufl. § 1684 BGB Rn. 21).
Entscheidender Maßstab ist hierbei das Kindeswohl. Das Familiengericht
hat grundsätzlich die Regelung zu treffen, die - unter Berücksichtigung der
Grundrechtspositionen der Eltern - dem Kindeswohl nach § 1697 a BGB am
besten entspricht (BVerfG FamRZ 2010, 1622, 1623). Bei einem Ausschluss
des Umgangs im Fall der Trennung von Eltern und Kind gilt ein strengerer
Maßstab (BVerfG FamRZ 2013, 361, 363). In diesem Fall ist nach § 1684
Abs. 4 Satz 2 BGB die besondere Voraussetzung der Kindeswohlgefährdung zu
beachten (vgl. Johannsen/Henrich/Jaeger Familienrecht 6. Aufl. § 1684 BGB
Rn. 34 mwN).
Das familiengerichtliche Verfahren unterliegt nach § 26 FamFG der
Amtsermittlung. Nach § 159 Abs. 1 FamFG ist ein Kind, das das 14. Lebensjahr
vollendet hat, persönlich anzuhören. Auch ein jüngeres Kind ist gemäß § 159
Abs. 2 FamFG persönlich anzuhören, wenn die Neigungen, Bindungen oder der
Wille des Kindes für die Entscheidung von Bedeutung sind oder wenn eine per-
sönliche Anhörung aus sonstigen Gründen angezeigt ist. Die Neigungen, Bin-
dungen und der Kindeswille sind gewichtige Gesichtspunkte des Kindeswohls
(Senatsbeschlüsse vom 15. Juni 2016 - XII ZB 419/15 - FamRZ 2016, 1439
Rn. 44 und BGHZ 185, 272 = FamRZ 2010, 1060 Rn. 19). Zumal sämtliche im
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Gesetz aufgeführten Aspekte in Verfahren betreffend das Umgangsrecht ein-
schlägig sind, ist eine Anhörung auch des noch nicht 14 Jahre alten Kindes re-
gelmäßig erforderlich (vgl. zum Sorgerecht Senatsbeschluss vom 15. Juni 2016
- XII ZB 419/15 - FamRZ 2016, 1439 Rn. 44).
Das Familiengericht darf das Verfahren grundsätzlich nicht ohne eine
den Umgang ausgestaltende Regelung, also nicht etwa durch bloße Zurückwei-
sung des von einem Elternteil gestellten Antrags beenden. Das gilt auch, wenn
ein Umgang dem Kindeswohl im Ergebnis zuwiderliefe. In diesem Fall hat das
Gericht den Umgang nach § 1684 Abs. 4 Satz 1 und 2 BGB insoweit auszu-
schließen, als es zum Wohl des Kindes erforderlich ist (Senatsbeschlüsse vom
27. Oktober 1993 - XII ZB 88/92 - FamRZ 1994, 158, 159 f. und vom 13. April
2016 - XII ZB 238/15 - FamRZ 2016, 1058 Rn. 16 f.; BVerfG FamRZ 2006,
1005, 1006; vgl. zur Unterbringung in einer Pflegefamilie BVerfG FamRZ 2013,
361, 363).
Liegt bereits eine gerichtliche Umgangsregelung vor, so ist eine abän-
dernde Regelung nach § 1696 Abs. 1 BGB nur zu treffen, wenn dies aus trifti-
gen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründen angezeigt ist (vgl.
Senatsbeschlüsse vom 19. Februar 2014 - XII ZB 165/13 - FamRZ 2014, 732
Rn. 26 und vom 1. Februar 2012 - XII ZB 188/11 - FamRZ 2012, 533 Rn. 22 f.).
b) Ob eine gerichtliche Umgangsregelung auch ein Umgangsrecht im
Umfang eines strengen oder paritätischen Wechselmodells, also einer etwa
hälftigen Aufteilung der Betreuung zwischen den Eltern (vgl. Senatsbeschlüsse
vom 5. November 2014 - XII ZB 599/13 - FamRZ 2015, 236 Rn. 20 und vom
12. März 2014 - XII ZB 234/13 - FamRZ 2014, 917 Rn. 28 ff. mwN), zum Inhalt
haben kann, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten.
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aa) Eine verbreitete Auffassung geht mit dem Oberlandesgericht davon
aus, dass die gerichtliche Anordnung eines Wechselmodells vom Gesetz nicht
vorgesehen und ohne einen entsprechenden Konsens der Eltern nicht möglich
sei (OLG Schleswig FamRZ 2016, 1945 [LSe]; OLG Brandenburg FamRZ 2016,
1473 [LS]; OLG Jena FamRZ 2016, 2122 und FamRZ 2016, 2126; OLG
Dresden MDR 2016, 1456 und FamRZ 2011, 1741; OLG München FamRZ
2016, 2120; OLG Düsseldorf ZKJ 2011, 256; OLG Hamm FamRZ 2012, 1883;
OLG Karlsruhe FamRZ 2015, 1736; KG Berlin FamRZ 2015, 1910; OLG
Koblenz FamRZ 2015, 1911; OLG München FamRZ 2013, 1822; OLG
Naumburg FamRZ 2014, 50 und FamRZ 2015, 764; OLG Nürnberg FamRZ
2011, 1803; OLG Saarbrücken FamRZ 2015, 62 und FuR 2015, 678;
Staudinger/Rauscher BGB [2014] § 1684 Rn. 50, 162a; Marchlewski FF 2015,
98; Johannsen/Henrich/Jaeger Familienrecht 6. Aufl. § 1684 BGB Rn. 28a; Kin-
derrechtekommission des Deutschen Familiengerichtstags FamRZ 2014, 1157,
1166; Völker/Clausius Sorge- und Umgangsrecht in der Praxis 6. Aufl. § 1
Rn. 320 ff.; wohl auch Coester FF 2010, 10, 12).
Demgegenüber sehen andere die gerichtliche Anordnung des Wechsel-
modells auch gegen den Willen eines Elternteils grundsätzlich als zulässig
an, wobei unterschiedlich beurteilt wird, ob eine entsprechende Anordnung
als - gegebenenfalls ausschließliche - sorgerechtliche Regelung (so OLG
Schleswig SchlHA 2014, 456; Sünderhauf Wechselmodell S. 376 ff.; Hammer
FamRZ 2015, 1433, 1438 f.; vgl. auch OLG Naumburg FamRZ 2014, 1860)
oder als Umgangsregelung ergehen kann (so KG Berlin FamRZ 2012, 886;
OLG Hamburg FamRZ 2016, 912; AG Erfurt FamRZ 2013, 1590; Schmid
NZFam 2016, 818, 819 f.; Sünderhauf/Rixe FamRB 2014, 418, 420 f.; Gutjahr
FPR 2006, 301, 304).
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bb) Nach zutreffender Auffassung enthält das Gesetz keine Beschrän-
kung des Umgangsrechts dahingehend, dass vom Gericht angeordnete Um-
gangskontakte nicht zu hälftigen Betreuungsanteilen der Eltern führen dürfen.
Ob auf entsprechenden Antrag eines Elternteils und mit welchem Inhalt auch
eine auf das gleiche Ergebnis gerichtete Sorgerechtsregelung möglich ist, kann
hier offenbleiben.
(1) Eine Vorgabe, in welchem Umfang ein Umgang maximal angeordnet
werden kann, enthält das Gesetz nicht. Daher ist es vom Gesetzeswortlaut
auch umfasst, durch Festlegung der Umgangszeiten beider Eltern die Betreu-
ung des Kindes hälftig unter diesen aufzuteilen (Hammer FamRZ 2015, 1433,
1438).
(2) Auch aus der Systematik des Sorge- und Umgangsrechts folgt keine
Einschränkung hinsichtlich des Umfangs der Umgangskontakte.
(a) Aus § 1687 BGB lässt sich eine gesetzliche Festlegung der Kinderbe-
treuung auf das Residenzmodell nicht herleiten. Zwar ist die darin enthaltene
Regelung wie andere Gesetzesbestimmungen (etwa § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB
und § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB) auf den Fall zugeschnitten, dass ein Elternteil
das Kind hauptsächlich betreut, während der andere sein Umgangsrecht aus-
übt. Dass die gesetzliche Regelung sich am Residenzmodell orientiert, besagt
allerdings nur, dass der Gesetzgeber die praktisch häufigste Gestaltung als tat-
sächlichen Ausgangspunkt der Regelung gewählt hat, nicht aber, dass er das
Residenzmodell darüber hinausgehend als ein andere Betreuungsmodelle aus-
schließendes gesetzliches Leitbild festlegen wollte (vgl. Hammer FamRZ 2015,
1433, 1436). Das Wechselmodell war als mögliche Ausgestaltung der Kindes-
betreuung dem Gesetzgeber vielmehr bewusst (vgl. BT-Drucks. 13/4899
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S. 36 f.). Dass er dieses etwa als von vornherein kindeswohlschädlich betrach-
tet hätte, liegt mithin fern (vgl. Hammer FamRZ 2015, 1433, 1436 mwN).
(b) Selbst wenn ein Streit über den Lebensmittelpunkt des Kindes regel-
mäßig im Rahmen eines Verfahrens über das Aufenthaltsbestimmungsrecht
und nicht eines solchen über das Umgangsrecht auszutragen ist, spricht dies
jedenfalls bei Bestehen des gemeinsamen Sorgerechts der Eltern nicht gegen
die Anordnung des Wechselmodells im Wege einer Umgangsregelung (aA OLG
Brandenburg FamRZ 2012, 1886 und Beschluss vom 15. Februar 2016
- 10 UF 213/14 - juris Rn. 28; Hammer FamRZ 2015, 1433, 1439 mwN). Die
gesetzliche Regelung zum Sorgerecht schreibt bereits die Festlegung eines
hauptsächlichen Aufenthalts des Kindes nicht vor (vgl. zur insoweit anderslau-
tenden Regelung im österreichischen Recht Österr. VfGH FamRZ 2016, 32 so-
wie OGH Wien Beschluss vom 26. September 2016 - 6 Ob 149/16d). Soweit in
anderen rechtlichen Zusammenhängen die Festlegung des hauptsächlichen
Aufenthalts des Kindes bei einem Elternteil unausweichlich ist, steht die Be-
stimmung des Lebensmittelpunkts eines Kindes regelmäßig vor dem Hinter-
grund der praktikablen Festlegung öffentlich-rechtlicher Rechtsfolgen und dient
hier etwa zur Vereinfachung der Auszahlung öffentlicher Leistungen (vgl. BFH
FamRZ 2005, 1173, 1174; Senatsbeschluss vom 20. April 2016 - XII ZB 45/15 -
FamRZ 2016, 1053 Rn. 12 f. - jeweils zum Kindergeld) oder der verlässlichen
ordnungsrechtlichen Zuordnung einer Person (BVerwG FamRZ 2016, 44 - zum
Melderecht; vgl. Hennemann NZFam 2016, 825). Dementsprechend kann im
Familienrecht vergleichbaren Schwierigkeiten, welche sich aus dem Wechsel-
modell ergeben, etwa bei der Geltendmachung des Kindesunterhalts durch Zu-
weisung der elterlichen Sorge an einen Elternteil nach § 1628 BGB (vgl. Se-
natsurteil vom 21. Dezember 2005 - XII ZR 126/03 - FamRZ 2006, 1015, 1016;
OLG Frankfurt NJW 2017, 336 f.) oder durch eine nach § 1606 Abs. 3 Satz 1
BGB ermittelte Unterhaltsbeteiligung der Eltern (vgl. Senatsbeschluss vom
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11. Januar 2017 - XII ZB 565/15 - zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt) wirk-
sam begegnet werden, ohne dass dadurch die grundsätzliche Zulässigkeit der
Betreuung des Kindes im Wechselmodell in Frage gestellt wird.
(c) Eine zum paritätischen Wechselmodell führende Umgangsregelung
steht ebenso wie eine gleichlautende Elternvereinbarung mit dem gemeinsa-
men Sorgerecht im Einklang (aA Marchlewski FF 2015, 98), zumal beide Eltern
gleichberechtigte Inhaber der elterlichen Sorge sind und die im Wechselmodell
praktizierte Betreuung sich als eine dementsprechende Sorgerechtsausübung
zweifellos im vorgegebenen Kompetenzrahmen hält. Das Oberlandesgericht hat
insoweit zutreffend darauf hingewiesen, dass es sich bei der Festlegung eines
bestimmten Betreuungsmodells um eine Frage der tatsächlichen Ausübung der
elterlichen Sorge handelt. Nicht anders verhält es sich aber auch bei einer her-
kömmlichen Umgangsregelung. Durch diese wird ebenfalls in die Ausübung des
Sorgerechts eingegriffen, indem das Aufenthaltsbestimmungsrecht und gege-
benenfalls das Umgangsbestimmungsrecht (Senatsbeschluss vom 6. Juli 2016
- XII ZB 47/15 - FamRZ 2016, 1752 Rn. 44 ff.) des oder der Sorgeberechtigten
eingeschränkt werden, ohne aber elterliche Kompetenzen zu entziehen oder
von dem einen auf den anderen Elternteil zu übertragen. Die mit einer Um-
gangsregelung verbundene Einschränkung in der Ausübung der elterlichen
Sorge ist in der gesetzlichen Systematik von Sorge- und Umgangsrecht mithin
angelegt. Mit welchem Umfang das Umgangsrecht gerichtlich festgelegt wird,
stellt sich dann als bloß quantitative Frage dar und hat keinen Einfluss auf das
grundsätzliche Verhältnis von Sorge- und Umgangsrecht. Das Umgangsrecht
wird schließlich von Gesetzes wegen nicht auf die Gewährleistung eines Kon-
taktminimums oder den in der Praxis gebräuchlichen zweiwöchentlichen Wo-
chenendumgang begrenzt.
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(d) Dass eine auf das Wechselmodell gerichtete Umgangsregelung in
bestimmten Fallgestaltungen, wenn der umgangsberechtigte Elternteil nicht
mitsorgeberechtigt ist, zur sorgerechtlichen Regelung möglicherweise in sachli-
chen Widerspruch treten kann, stellt sich als eine im jeweiligen Einzelfall zu be-
antwortende Frage der inhaltlichen Folgerichtigkeit einer zu treffenden Ent-
scheidung dar und kann eine generelle Ausschließlichkeit der sorgerechtlichen
Regelung aus systematischen Gründen nicht rechtfertigen. Auch die Erwägung,
dass der gerichtlich gebilligte Umgangsvergleich (§ 156 Abs. 2 FamFG) die
über den Umgang hinausgehenden sorgerechtlichen Elemente nicht verbindlich
erfassen könne (Kinderrechtekommission des Deutschen Familiengerichtstags
FamRZ 2014, 1157, 1166), schließt jedenfalls bei bestehender gemeinsamer
elterlicher Sorge eine auf das Wechselmodell gerichtete Anordnung mithin nicht
aus. Die sich aus der umgangsrechtlichen Anordnung des Wechselmodells er-
gebenden sorgerechtlichen Folgen lassen sich wie bei einem von den Eltern
vereinbarten Wechselmodell und bei Umgangsregelungen im allgemeinen
§ 1687 BGB entnehmen (Schilling NJW 2007, 3233, 3236; Schmid NZFam
2016, 818, 820; Jokisch, FuR 2013, 679, 680; Staudinger/Salgo BGB [2014]
§ 1687 Rn. 15; Hammer FamRZ 2015, 1433, 1436 mwN auch zur aA). Differen-
zen der Eltern in Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung können im Wege
der Anordnung nach § 1628 BGB beseitigt werden (vgl. Senatsbeschluss vom
9. November 2016 - XII ZB 298/15 - FamRZ 2017, 119 Rn. 9 ff.).
Schließlich ergibt sich auch daraus nichts anderes, dass das Gesetz bei
einstweiligen Anordnungen den Rechtsschutz gegenüber sorgerechtlichen
Maßnahmen in § 57 Satz 1 FamFG einschränkt. Auch hier ist darauf zu verwei-
sen, dass eine Umgangsregelung im Unterschied zu einem Sorgerechtseingriff
lediglich eine Regelung zur Ausübung der elterlichen Sorge darstellt, die im
Vergleich zu einem Eingriff in das Sorgerecht grundsätzlich von geringerer In-
tensität ist (vgl. Dose Einstweiliger Rechtsschutz in Familiensachen 3. Aufl.
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Rn. 415 f.). Wie auch bei anderen, im Vergleich zum Wechselmodell weniger
weitreichenden Umgangsregelungen begegnet es daher - insbesondere bei
bestehender gemeinsamer elterlicher Sorge - keinen verfassungsrechtlichen
Bedenken, dass ein Rechtsmittel gegen eine das Wechselmodell anordnende
einstweilige Anordnung nicht statthaft ist (vgl. BVerfG FamRZ 2005, 1233,
1235). Für die Umdeutung einer erstinstanzlichen Umgangsregelung in eine
sorgerechtliche Regelung (so OLG München FamRZ 2016, 2120) besteht mit-
hin ungeachtet methodischer Bedenken kein Anlass (vgl. auch OLG Hamm
FamRZ 2014, 1839).
(3) Eine von den Eltern getroffene Umgangsvereinbarung, die eine Be-
treuung im Wechselmodell beinhaltet, wird schließlich von der einhelligen Auf-
fassung als zulässig angesehen, ohne dass gegen deren Vereinbarkeit mit der
gesetzlichen Regelung von Sorge- und Umgangsrecht Bedenken erhoben wor-
den sind. Die Umgangsvereinbarung ist vom Familiengericht vielmehr regelmä-
ßig nach § 156 Abs. 2 FamFG durch Beschluss zu billigen. Der familiengericht-
lich gebilligte Vergleich ist gemäß § 86 Abs. 1 Nr. 2 FamFG sodann auch taug-
liche Grundlage einer Vollstreckung (vgl. Senatsbeschlüsse vom 19. Februar
2014 - XII ZB 165/13 - FamRZ 2014, 732 Rn. 10 und vom 1. Februar 2012
- XII ZB 188/11 - FamRZ 2012, 533 Rn. 11).
cc) Da das Gesetz auf das Wechselmodell gerichtete - umgangs- oder
sorgerechtliche - Entscheidungen nicht ausschließt, ist über die Anordnung des
Wechselmodells folglich nach der Lage des jeweiligen Einzelfalls zu entschei-
den (vgl. BVerfG FamRZ 2015, 1585 Rn. 21; Britz FF 2015, 387, 388 f.). Ent-
scheidender Maßstab für die Regelung des Umgangs ist das Kindeswohl (Kin-
deswohlprinzip, § 1697 a BGB) unter Berücksichtigung der Grundrechtspositio-
nen der Eltern.
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(1) Ob im Einzelfall danach die Anordnung des Wechselmodells geboten
sein kann, ist unter Berücksichtigung anerkannter Kriterien des Kindeswohls zu
entscheiden. Als gewichtige Gesichtspunkte des Kindeswohls hat der Senat in
Sorgerechtsfragen bislang die Erziehungseignung der Eltern, die Bindungen
des Kindes, die Prinzipien der Förderung und der Kontinuität sowie die Beach-
tung des Kindeswillens angeführt (Senatsbeschlüsse BGHZ 185, 272 = FamRZ
2010, 1060 Rn. 19 und vom 6. Dezember 1989 - IVb ZB 66/88 - FamRZ 1990,
392, 393 mwN). Gleiches gilt auch für Regelungen zum Umgangsrecht und mit-
hin hier für die Anordnung des paritätischen Wechselmodells. Ähnlich wie bei
der gemeinsamen Sorge als paritätischer Wahrnehmung des Elternrechts (vgl.
Senatsbeschluss vom 15. Juni 2016 - XII ZB 419/15 - FamRZ 2016, 1439
Rn. 21 ff.) setzt die Kindeswohldienlichkeit des paritätischen Wechselmodells
als hälftig geteilter Ausübung der gemeinsamen Sorge auch die Kooperations-
und Kommunikationsfähigkeit der Eltern voraus (vgl. Kinderrechtekommission
FamRZ 2014, 1157, 1165; Hammer FamRZ 2015, 1433, 1441 f.; Heilmann
NJW 2015, 3346, 3347).
(2) Dass zwischen den Eltern über die Betreuung des Kindes im Wech-
selmodell Konsens besteht, ist hingegen keine Voraussetzung für eine entspre-
chende Anordnung. Das ergibt sich bereits aus der Erwägung, dass der Wille
des Elternteils und das Kindeswohl nicht notwendig übereinstimmen und es
auch nicht in der Entscheidungsbefugnis eines Elternteils liegt, ob eine dem
Kindeswohl entsprechende gerichtliche Anordnung ergehen kann oder nicht
(vgl. Senatsbeschluss vom 5. Oktober 2016 - XII ZB 280/15 - FamRZ 2016,
2082 Rn. 35; OLG Naumburg FamRZ 2014, 1860, 1861; Schmid NZFam 2016,
818, 819; aA OLG Düsseldorf ZKJ 2011, 256; OLG Brandenburg FF 2012, 457
juris Rn. 20). Würde der entgegengesetzte Wille eines Elternteils gleichsam als
Vetorecht stets ausschlaggebend sein, so würde der Elternwille ohne Rücksicht
auf die zugrundeliegende jeweilige Motivation des Elternteils in sachwidriger
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Weise über das Kindeswohl gestellt. Vergleichbar ist das Einverständnis beider
Eltern auch nicht Voraussetzung der Begründung oder Aufrechterhaltung der
gemeinsamen elterlichen Sorge in den Fällen der §§ 1626 a, 1671 BGB. Durch
die Regelung in § 1626 a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 1 BGB ist vielmehr gerade
ermöglicht worden, den Vater auch ohne Zustimmung der Mutter an der elterli-
chen Sorge zu beteiligen, wenn dies dem Kindeswohl nicht widerspricht (vgl.
Senatsbeschluss vom 15. Juni 2016 - XII ZB 419/15 - FamRZ 2016, 1439
Rn. 21 ff.).
(3) Das Wechselmodell ist danach anzuordnen, wenn die geteilte Be-
treuung durch beide Eltern im Vergleich mit anderen Betreuungsmodellen dem
Kindeswohl im konkreten Fall am besten entspricht.
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass der Umgang des Kindes mit
beiden Elternteilen zum Wohl des Kindes gehört (vgl. § 1626 Abs. 3 Satz 1
BGB). Mit der Vorschrift ist allerdings noch keine quantitative Festlegung einer
zu treffenden Umgangsregelung verbunden. Eine solche muss vielmehr im
konkreten Einzelfall dem Kindeswohl entsprechen. Bei § 1626 Abs. 3 Satz 1
BGB handelt es sich um die gesetzliche Klarstellung eines einzelnen - wenn
auch gewichtigen - Kindeswohlaspekts. Dass dadurch die Bedeutung der Be-
ziehung des Kindes zu beiden Elternteilen unterstrichen wird, verleiht diesem
Gesichtspunkt aber noch keinen generellen Vorrang gegenüber anderen Kin-
deswohlkriterien (Senatsbeschluss BGHZ 185, 272 = FamRZ 2010, 1060
Rn. 25). Beim Wechselmodell kommt hinzu, dass dieses gegenüber herkömmli-
chen Umgangsmodellen höhere Anforderungen an die Eltern und das Kind
stellt, das bei doppelter Residenz zwischen zwei Haushalten pendelt und sich
auf zwei hauptsächliche Lebensumgebungen ein- bzw. umzustellen hat.
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Auf Seiten des Kindes wird ein Wechselmodell nur in Betracht zu ziehen
sein, wenn eine auf sicherer Bindung beruhende tragfähige Beziehung zu bei-
den Elternteilen besteht (zur Problematik bei Säuglingen und Kleinkindern vgl.
Kindler/Walper NZFam 2016, 820, 822; Salzgeber NZFam 2014, 921, 922).
Hierfür kann gegebenenfalls auch Bedeutung gewinnen, in welchem Umfang
beide Elternteile schon zur Zeit des Zusammenlebens in die Betreuung des
Kindes eingebunden waren (vgl. Hammer FamRZ 2015, 1433, 1441; Schmid
NZFam 2016, 818, 819). Wesentlicher Aspekt ist zudem der vom Kind geäußer-
te Wille, dem mit steigendem Alter zunehmendes Gewicht beizumessen ist. Bei
Kindern im Jugendalter verringert sich ohnedies die gemeinsame Zeit von El-
tern und Kind, weil die Kinder ihren Aktionsradius erweitern und für sie die mit
Gleichaltrigen verbrachte Zeit bedeutsamer wird (Walper Brühler Schriften zum
Familienrecht 19 S. 99, 104).
Zwischen den Eltern ergibt sich bei der praktischen Verwirklichung der
geteilten Betreuung erhöhter Abstimmungs- und Kooperationsbedarf, was ge-
eignete äußere Rahmenbedingungen, so etwa eine gewisse Nähe der elterli-
chen Haushalte und die Erreichbarkeit von Schule und Betreuungseinrichtun-
gen, aber auch eine entsprechende Kooperations- und Kommunikationsfähig-
keit der Eltern voraussetzt. Dementsprechend sollten beide Eltern hinreichende
Erziehungskompetenzen aufweisen und erkannt haben, dass eine kontinuierli-
che und verlässliche Kindererziehung der elterlichen Kooperation und eines
Grundkonsenses in wesentlichen Erziehungsfragen bedarf (vgl. Walper Brühler
Schriften zum Familienrecht 19 S. 99, 104; Heilmann NJW 2015, 3346, 3347).
Bei bestehender hoher elterlicher Konfliktbelastung wird das Wechsel-
modell dagegen in der Regel nicht dem Kindeswohl entsprechen. Denn das
Kind wird durch vermehrte oder ausgedehnte Kontakte auch mit dem anderen
Elternteil verstärkt mit dem elterlichen Streit konfrontiert und gerät durch den
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von den Eltern oftmals ausgeübten "Koalitionsdruck" in Loyalitätskonflikte (vgl.
Kindler/Walper NZFam 2016, 820, 823; Walper Brühler Schriften zum Familien-
recht 19 S. 99, 106; Kostka ZKJ 2014, 54; Salzgeber NZFam 2014, 921, 929;
Rohmann FPR 2013, 307, 310 f.; Hammer FamRZ 2015, 1433, 1441; Finke
NZFam 2014, 865, 869; aA Sünderhauf Wechselmodell S. 365 ff.). Zugleich
wird es den Eltern aufgrund ihres fortwährenden Streits oft nicht möglich sein,
die für die Erziehung des Kindes nötige Kontinuität und Verlässlichkeit zu
schaffen. Zwar ist die Senkung des elterlichen Konfliktniveaus ein Anliegen der
mit der Trennungs- und Scheidungsproblematik befassten Professionen und
das Familiengericht dementsprechend schon von Gesetzes wegen angehalten,
auf eine einvernehmliche Konfliktlösung hinzuwirken (vgl. § 156 Abs. 1
FamFG). Jedoch erscheint die Anordnung des Wechselmodells grundsätzlich
ungeeignet, die im Konflikt befangenen Eltern dadurch zu einem harmonischen
Zusammenwirken in der Betreuung und Erziehung des Kindes zu veranlassen
(vgl. Walper Brühler Schriften zum Familienrecht 19 S. 99, 105 f.; aA
Sünderhauf Wechselmodell S. 119 ff.; 365 ff.). Das schließt nicht aus, dass die
Eltern im Einzelfall gleichwohl in der Lage sind, ihren persönlichen Konflikt von
der - gemeinsamen - Wahrnehmung ihrer Elternrolle gegenüber dem Kind zu
trennen und dieses von ihrem Streit zu verschonen (vgl. Kindler/Walper NZFam
2016, 820, 823). Auch mag ein Wechselmodell in akuten Trennungssituationen
- etwa zunächst versuchsweise - angeordnet werden können, um eine für das
Kind möglichst wenig belastende Elterntrennung zu ermöglichen und insbeson-
dere bei starker Bindung des Kindes zu beiden Elternteilen Kontinuität herzu-
stellen, die dem Kind bei der Bewältigung der Elterntrennung helfen kann (vgl.
Salzgeber NZFam 2014, 921, 929).
c) Ob das Familiengericht - neben der grundsätzlich gebotenen persönli-
chen Anhörung des Kindes - im Rahmen der nach § 26 FamFG durchzuführen-
den Amtsermittlung ein Sachverständigengutachten (§ 163 FamFG) einholt
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oder einen Verfahrensbeistand bestellt (§ 158 FamFG), ist schließlich im Rah-
men des tatrichterlichen Ermessens im Einzelfall zu prüfen.
d) Die angefochtene Entscheidung entspricht den genannten Kriterien
nicht. Indem das Oberlandesgericht davon ausgegangen ist, dass eine Um-
gangsanordnung von Rechts wegen nicht möglich sei, hat es seinen Entschei-
dungsspielraum unzutreffend eingeengt.
Die Entscheidung erweist sich auch nicht aus der vom Oberlandesgericht
"ergänzend" angestellten Kindeswohlbetrachtung als richtig. Hierbei hat es al-
lerdings zutreffend berücksichtigt, dass die Konfliktbelastung der Eltern einen
gewichtigen Grund gegen die Anordnung eines Wechselmodells darstellt. Dass
die Streitigkeiten sich zum größten Teil auf vermögensrechtliche Fragen bezie-
hen, worauf die Rechtsbeschwerde verweist, steht dem nicht ohne weiteres
entgegen. Auch deutet die Haltung des Vaters, der ausschließlich ein paritäti-
sches Wechselmodell anstrebt und jede Zwischenlösung ausdrücklich abge-
lehnt hat, darauf hin, dass seine Rechtsverfolgung nicht hinreichend am Kin-
deswohl orientiert ist. Eine abschließende Beurteilung ist aber schon deswegen
ausgeschlossen, weil das betroffene Kind weder vom Amtsgericht noch vom
Oberlandesgericht angehört worden ist. Das Oberlandesgericht hat zwar zu-
nächst eine Anhörung des Kindes beabsichtigt, davon aber abgesehen, nach-
dem die Mutter den Sohn zum Anhörungstermin nicht mitgebracht hatte. Die
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Begründung des Oberlandesgerichts, die Anordnung des Wechselmodells sei
aus Rechtsgründen nicht möglich, trifft - wie ausgeführt - nicht zu. Das Ober-
landesgericht hätte demnach gemäß §§ 68 Abs. 3 Satz 2, 159 Abs. 2 FamFG
das Kind persönlich anhören müssen (vgl. Senatsbeschluss vom 10. Februar
2016 - XII ZB 478/15 - FamRZ 2016, 802 Rn. 10 f. zur verfahrensfehlerhaft un-
terbliebenen Anhörung im Unterbringungsverfahren).
3. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben. Da mit der Anhö-
rung des betroffenen Kindes weitere tatrichterliche Feststellungen erforderlich
sind, ist das Verfahren an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen.
Dose
Klinkhammer
Günter
Guhling
Krüger
Vorinstanzen:
AG Schwabach, Entscheidung vom 10.09.2015 - 1 F 280/15 (2) -
OLG Nürnberg, Entscheidung vom 08.12.2015 - 11 UF 1257/15 -
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