Urteil des BGH vom 12.09.2012

Leitsatzentscheidung zu Genehmigung, Unterbringung, Ärztliches Zeugnis, Nummer, Vergütung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 543/11
vom
12. September 2012
in der Betreuungssache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB §§ 1835 Abs. 3, 1906; FamFG §§ 277, 312, 317, 318; RVG § 15 Abs. 2 Satz 1
Hat das Betreuungsgericht den anwaltlichen Verfahrenspfleger in einem Verfahren
über die Genehmigung einer Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 bis 3 BGB einerseits
und einer freiheitsentziehenden Maßnahme nach § 1906 Abs. 4 BGB andererseits
bestellt, kann er beide Tätigkeiten jeweils nach Nr. 6300 VV RVG abrechnen; es
handelt sich insoweit nicht um dieselbe Angelegenheit im Sinne des § 15 Abs. 2
Satz 1 RVG.
BGH, Beschluss vom 12. September 2012 - XII ZB 543/11 - LG Siegen
AG Siegen
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. September 2012 durch
den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Dr. Klinkhammer, Schilling,
Dr. Günter und Dr. Botur
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 1 wird der Be-
schluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Siegen vom 27. Sep-
tember 2011 aufgehoben.
Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 1 wird der Beschluss des
Amtsgerichts Siegen vom 28. Juni 2011 dahin abgeändert, dass
auf den Antrag des Beteiligten zu 1 vom 11. April 2011 ein Betrag
von insgesamt 357
€ festgesetzt wird.
Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kos-
ten des Beteiligten zu 1 werden dem Beteiligten zu 2 auferlegt
(§ 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG).
Wert: bis 300
Gründe:
I.
Der Beteiligte zu 1 begehrt für seine Tätigkeit als Verfahrenspfleger für
den Betroffenen eine Gesamtvergütung von 357
€.
Mit Beschluss vom 7. April 2011 genehmigte das Amtsgericht die ge-
schlossene Unterbringung des an Demenz leidenden Betroffenen. Zudem be-
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stellte es den Beteiligten zu 1, der Rechtsanwalt ist, für den Betroffenen zum
Verfahrenspfleger. Dabei stellte es fest, dass die Verfahrenspflegschaft in Aus-
übung des Berufes geführt werde. Mit einem weiteren Beschluss vom gleichen
Tage genehmigte das Amtsgericht die zeitweise Beschränkung der Freiheit des
Betroffenen unter anderem durch den Einsatz von Bettgittern und sedierender
Medikamente. Auch für dieses Verfahren bestellte das Amtsgericht den Beteilig-
ten zu 1 unter den vorgenannten Bedingungen zum Verfahrenspfleger.
Dem Antrag des Beteiligten zu 1, ihm seine Gebühren und Auslagen in
einer Gesamthöhe von 357
€ festzusetzen (eine Verfahrensgebühr nach
Nr. 6300 VV RVG iHv 172
€ und eine Verfahrensgebühr nach Nr. 6302 VV RVG
in Höhe von 108
€ zuzüglich Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer), hat das
Amtsgericht nur in Höhe von 228,48
€ entsprochen; im Übrigen hat es das
Rechtsmittel der Beschwerde zugelassen. Das Landgericht hat die Beschwerde
zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Beteiligte zu 1 mit seiner vom
Landgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung u. a. ausge-
führt, seit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 17. November 2010
(XII ZB 244/10) stehe fest, dass die - auch hier erfolgte - gerichtliche Feststel-
lung, wonach eine anwaltsspezifische Tätigkeit erforderlich sei, für das Kosten-
festsetzungsverfahren bindend sei. Folglich habe der Beteiligte zu 1 nach den
Regelungen des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes liquidieren dürfen.
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Dem Beteiligten zu 1 stehe allerdings lediglich die einfache Verfahrens-
gebühr nebst Auslagen und Mehrwertsteuer zu. Der Gebührentatbestand ge-
mäß Nr. 6302 VV RVG sei bereits nicht erfüllt. Soweit der Beteiligte zu 1 sei-
nen Antrag hilfsweise darauf stütze, dass er in zwei unterschiedlichen Angele-
genheiten tätig geworden sei und jeweils eine Verfahrensgebühr verdient habe,
bleibe dem ebenfalls der Erfolg versagt. Denn er sei in derselben Angelegenheit
im Sinne von § 15 RVG für den Betroffenen tätig geworden, mit der Folge, dass
er die Verfahrensgebühr nur einmal fordern könne. Gemäß § 15 Abs. 1 RVG
würden die Gebühren, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimme, die ge-
samte Tätigkeit des Rechtsanwalts vom Auftrag bis zur Erledigung der Angele-
genheiten entgelten; nach § 15 Abs. 2 Satz 1 RVG könne der Rechtsanwalt
Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern. Entscheidend für den
Vergütungsanspruch des Rechtsanwalts sei daher, ob seine Dienste sich auf
"dieselbe" Angelegenheit bezogen hätten. "Dieselbe Angelegenheit" sei im Ge-
setz selbst nicht definiert. Allgemein sei eine Angelegenheit ein einheitlicher
Lebensvorgang. Es müssten ein Auftrag, ein Rahmen der Tätigkeit und ein in-
nerer Zusammenhang vorliegen. Bezogen auf den vorliegenden Fall könnte
insoweit nur die Frage des einheitlichen Auftrages fraglich sein, da die Beauf-
tragung vorliegend in zwei Beschlüssen erfolgt sei. Ein einheitlicher Auftrag lie-
ge aber auch dann vor, wenn der Rechtsanwalt zu verschiedenen Zeiten beauf-
tragt worden sei, sofern Einigkeit bestehe, dass die Ansprüche gemeinsam be-
handelt werden sollten. So liege es im vorliegenden Fall. Der zum Verfahrens-
pfleger bestellte Beteiligte zu 1 habe den einheitlichen Sachverhalt der Unter-
bringung des Betroffenen mit einhergehenden weiteren Beschränkungen des-
sen Freiheit überprüfen sollen. Eine getrennte Behandlung sei insoweit nicht
erforderlich. Entsprechend habe der Beteiligte zu 1 den Betroffenen auch nur
einmal aufgesucht und einmal an das Gericht berichtet. Es wäre lebensfremd,
hieraus verschiedene Angelegenheiten im gebührenrechtlichen Sinne zu kon-
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struieren. Dem widerspreche nicht, dass es sowohl für die Unterbringung sowie
auch für die Genehmigung freiheitsbeschränkender Maßnahmen einer Ent-
scheidung durch das Gericht bedürfe. Dass dies aus Gründen im Zusammen-
hang mit der Verwendung des Programms "BetreuTex" in zwei Beschlüssen
geschehen sei, rechtfertige keine andere Beurteilung. Dies werde auch durch
die Regelung in § 18 Nr. 2 RVG gestützt, wonach im Falle von einstweiligen
Anordnungen mehrere Anordnungen in derselben Hauptsache eine Angelegen-
heit seien.
2. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Zutreffend hat das Beschwerdegericht erkannt, dass der Beteiligte
zu 1 als anwaltlicher Verfahrenspfleger nach dem Rechtsanwaltsvergütungsge-
setz abrechnen kann. Dabei stellen seine Tätigkeiten als Verfahrenspfleger in
dem Verfahren der Genehmigung einer freiheitsentziehenden Unterbringung
eines Betreuten nach § 1906 Abs. 1 bis 3 BGB i.V.m. § 312 Nr. 1 FamFG einer-
seits und in dem Verfahren der Genehmigung einer freiheitsentziehenden Maß-
nahme nach § 1906 Abs. 4 BGB i.V.m. § 312 Nr. 2 FamFG andererseits aller-
dings verschiedene Angelegenheiten im Sinne des § 15 RVG dar.
aa) Wie der Senat bereits entschieden hat (Senatsbeschluss vom
17. November 2010 - XII ZB 244/10 - FamRZ 2011, 203 Rn. 12 ff.), kann der
anwaltliche Verfahrenspfleger eine Vergütung nach dem Rechtsanwaltsvergü-
tungsgesetz beanspruchen, soweit er im Rahmen seiner Bestellung solche Tä-
tigkeiten zu erbringen hat, für die ein Laie in gleicher Lage vernünftigerweise
einen Rechtsanwalt zuziehen würde. Dabei ist die - auch hier getroffene - ge-
richtliche Feststellung, dass eine anwaltsspezifische Tätigkeit erforderlich ist, für
die anschließende Kostenfestsetzung bindend.
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bb) Die Vergütung des Rechtsanwalts richtet sich in Unterbringungssa-
chen im Sinne von § 312 FamFG nach Teil 6 Abschnitt 3 - und dort grundsätz-
lich nach Nr. 6300 - des Vergütungsverzeichnisses zum RVG (vgl. Senatsbe-
schluss vom 13. Juni 2012 - XII ZB 346/10 - FamRZ 2012, 1377 Rn. 6). Der
- vom Beteiligten zu 1 in seinem Vergütungsantrag ebenfalls in Bezug genom-
mene - Tatbestand der Nr. 6302 VV RVG bezieht sich auf Verlängerungs- oder
Aufhebungsentscheidungen, um die es hier nicht geht.
cc) Die Frage, ob der anwaltliche Verfahrenspfleger die Vergütung nach
Nr. 6300 VV RVG in Unterbringungssachen - wie vom Beschwerdegericht ent-
schieden - nur einmal fordern kann, richtet sich nach § 15 Abs. 2 RVG. Danach
kommt es darauf an, ob es sich bei der Genehmigung der Unterbringung nach
§ 1906 Abs. 1 bis 3 BGB und der Genehmigung der weiteren freiheitsentzie-
henden Maßnahmen nach § 1906 Abs. 4 BGB kostenrechtlich um dieselbe An-
gelegenheit handelt. Werden allerdings mehrere Verfahren nebeneinander ge-
führt, so liegen stets verschiedene Angelegenheiten im Sinne des § 15 RVG vor
(N. Schneider in Anwaltkommentar RVG 5. Aufl. § 15 Rn. 80 mwN).
dd) Das Gesetz unterteilt die Unterbringungssachen in § 312 FamFG in
verschiedene Verfahren. Dessen Nummer 1 erfasst die Verfahren zur Geneh-
migung einer freiheitsentziehenden Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 bis 3, 5
BGB. Nummer 2 bezieht sich auf die Genehmigung einer freiheitsentziehenden
Maßnahme nach § 1906 Abs. 4 BGB durch einen Betreuer oder einen Bevoll-
mächtigten (Senatsbeschluss vom 27. Juni 2012 - XII ZB 24/12 - FamRZ 2012,
1372 Rn. 12).
Dass es sich bei den Genehmigungen im vorgenannten Sinn nach
Nummer 1 und Nummer 2 um verschiedene Verfahren mit entsprechend unter-
schiedlichen Voraussetzungen handelt, zeigt bereits die Regelung des § 321
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FamFG. Während vor einer Unterbringungsmaßnahme nach § 1906 Abs. 1 und
2 BGB eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über
die Notwendigkeit der Maßnahme stattzufinden hat, genügt gemäß § 321
Abs. 2 FamFG für eine Maßnahme nach § 1906 Abs. 4 BGB ein ärztliches
Zeugnis.
Es handelt sich vorliegend auch nicht etwa deshalb um dieselbe Angele-
genheit im Sinne des § 15 Abs. 2 Satz 1 RVG, weil eine Genehmigung nach
§ 1906 Abs. 4 BGB bereits in der Genehmigung der Unterbringung als solcher
enthalten wäre. Da die Unterbringung den Betroffenen im Einzelfall weniger
beeinträchtigt als eine freiheitsentziehende Maßnahme iSv § 1906 Abs. 4 BGB,
ist letztere stets auch dann gesondert gerichtlich zu genehmigen, wenn der Be-
troffene nach § 1906 Abs. 1 bis 3 BGB untergebracht ist (Senatsbeschluss
BGHZ 166, 141, 153 = FamRZ 2006, 615, 618; Marschner in: Marsch-
ner/Volckart/Lesting Freiheitsentziehung und Unterbringung 5. Aufl. § 1906
BGB Rn. 43 mwN; Palandt/Diederichsen BGB 71. Aufl. § 1906 Rn. 34 mwN).
Die materiell-rechtlich verschiedenen Angelegenheiten sind deswegen auch
gebührenrechtlich nicht als dieselbe Angelegenheit iSv § 15 Abs. 2 Satz 1 RVG
zu behandeln.
b) Gemessen an den vorstehenden Anforderungen ist der Beteiligte zu 1
als anwaltlicher Verfahrenspfleger nicht (nur) in derselben Angelegenheit im
Sinne des § 15 RVG tätig geworden.
Dass das Amtsgericht die beiden Beschlüsse am selben Tag und unter
demselben Aktenzeichen erlassen hat, steht der gebührenrechtlichen Behand-
lung als verschiedene Angelegenheiten nicht entgegen. Denn maßgeblich ist
allein, dass es sich bei den der Bestellung zugrundeliegenden Verfahren bzw.
Verfahrensgegenständen nicht um dieselbe Angelegenheit handelt (vgl. zur
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Vergütung des Verfahrensbeistandes Senatsbeschluss vom 1. August 2012
- XII ZB 456/11 - juris). Zwar mag die Tätigkeit des Verfahrenspflegers dadurch
erleichtert worden sein, dass er den Betroffenen - in beiden Angelegenheiten -
nur einmal aufsuchen musste und insgesamt auch nur einmal dem Gericht be-
richtet hat. Das ändert aber nichts daran, dass der Beteiligte zu 1 im Interesse
des Betroffenen die Rechtmäßigkeit sowohl der Genehmigung der Unterbrin-
gung als auch der Genehmigung der freiheitsentziehenden Maßnahmen zu
überprüfen hatte. Denn die Rechtmäßigkeit der Genehmigung der Unterbrin-
gung geht nicht mit der Rechtmäßigkeit der Genehmigung der freiheitsentzie-
henden Maßnahmen nach § 1906 Abs. 4 BGB einher.
Zwar hat das Beschwerdegericht zutreffend darauf hingewiesen, dass
der von dem Beteiligten zu 1 zusätzlich geltend gemachte Gebührentatbestand
der Nr. 6302 VV RVG nicht einschlägig ist, weil er sich auf Verlängerungs- bzw.
Aufhebungsentscheidungen bezieht. Die unzutreffende Bezeichnung hindert
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das Gericht indes nicht, dem Verfahrenspfleger den richtigen Vergütungstatbe-
stand (hier also ein weiteres Mal die Nr. 6300 VV RVG) zuzuerkennen, wenn
auch im Ergebnis - seinem Antrag entsprechend - in reduzierter Höhe.
Dose
Klinkhammer
Schilling
Günter
Botur
Vorinstanzen:
AG Siegen, Entscheidung vom 28.06.2011 - 33 XVII K 1831 -
LG Siegen, Entscheidung vom 27.09.2011 - 4 T 190/11 -