Urteil des BGH vom 11.04.2012
Leitsatzentscheidung zu Beschwerdebefugnis, Bekanntgabe, Beteiligter, Beschwerdeinstanz, Zivilprozessordnung
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 531/11
vom
11. April 2012
in der Betreuungssache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
FamFG §§ 7, 71, 274, 303
Die durch Hinzuziehung zum Betreuungsverfahren in erster Instanz begründete Be-
teiligtenstellung (hier: des Vaters der Betroffenen) besteht in der Beschwerdeinstanz
fort.
BGH, Beschluss vom 11. April 2012 - XII ZB 531/11 - LG Berlin
AG Schöneberg
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. April 2012 durch die
Richter Dose, Dr. Klinkhammer, Schilling, Dr. Günter und Dr. Nedden-Boeger
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 4 wird
der Beschluss der Zivilkammer 83 des Landgerichts Berlin vom
25. Juli 2011 aufgehoben.
Das Verfahren wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung
- auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das
Landgericht zurückverwiesen.
Wert: 3.000
€
Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat für die 1992 geborene Betroffene eine rechtliche
Betreuung eingerichtet, weil diese wegen einer geistigen Behinderung und ei-
nes zerebralen Anfallsleidens nicht hinreichend in der Lage sei, ihre Angele-
genheiten selbst zu besorgen.
Nachdem es die Beteiligte zu 3, die Mutter der Betroffenen (im Folgen-
den: Mutter), und den Beteiligten zu 4, den Vater (im Folgenden: Vater), hinzu-
gezogen und die Beteiligte zu 2 zur Verfahrenspflegerin bestellt hatte, hat es
die Beteiligte zu 1, eine Rechtsanwältin, zur berufsmäßigen Betreuerin bestellt.
Das Landgericht hat auf die dagegen eingelegte Beschwerde statt der Beteilig-
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ten zu 1 die Mutter zur Betreuerin bestellt. Den Vater hat es im Beschwerdever-
fahren nicht hinzugezogen und ihm den Beschwerdebeschluss nicht zugestellt.
Dagegen hat der Vater Rechtsbeschwerde eingelegt, mit welcher er die
Wiederherstellung der vom Amtsgericht getroffenen Regelung anstrebt.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des ange-
fochtenen Beschlusses und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
1. Das Landgericht hat das Absehen von der Hinzuziehung des Vaters
damit begründet, dass - wie sich aus § 68 Abs. 3 FamFG ergebe - das Be-
schwerdeverfahren ein eigenständiges Verfahren darstelle. Eine Hinzuziehung
des Vaters sei von vornherein nicht in Betracht gekommen, weil dies nach dem
Ergebnis der erstinstanzlichen Ermittlungen wegen dessen Voreingenommen-
heit gegenüber der Mutter nicht im Interesse der Betroffenen liege und zudem
durch seine Hinzuziehung eine weitere Verfahrensförderung nicht zu erwarten
gewesen sei. Da einem Antrag des Vaters auf Hinzuziehung nicht entsprochen
werden könne und insoweit auch die Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht in
Betracht komme, habe kein Anlass bestanden, diesen gemäß § 7 Abs. 4
FamFG über sein diesbezügliches Antragsrecht zu belehren, denn dies würde
sich als bloße Förmelei darstellen.
2. Das erweist sich als verfahrensfehlerhaft.
a) Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG
statthaft (vgl. Senatsbeschluss vom 15. September 2010 - XII ZB 166/10 -
FamRZ 2010, 1897 Rn. 10).
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b) Die Frist zur Einlegung (§ 71 Abs. 1 Satz 1 FamFG) und Begründung
(§ 71 Abs. 2 Satz 1, 2 FamFG) der Rechtsbeschwerde ist gewahrt. Beide Fris-
ten beginnen mit der schriftlichen Bekanntgabe des angefochtenen Beschlus-
ses zu laufen. Die Frist ist entsprechend der für das Beschwerdeverfahren gel-
tenden Regelung für jeden Beteiligten gesondert zu bestimmen (Keidel/Sternal
FamFG 17. Aufl. § 68 Rn. 20 mwN).
aa) Der Vater hat entgegen der Auffassung des Landgerichts auch im
Beschwerdeverfahren die Stellung eines Beteiligten nach §§ 7 Abs. 3, 274
Abs. 4 Nr. 1 FamFG gehabt. Denn er ist vom Amtsgericht nicht lediglich ange-
hört, sondern als Beteiligter hinzugezogen worden. Dass der Vater - wie auch
die Mutter - entgegen § 38 Abs. 2 Nr. 1 FamFG im Rubrum des amtsgerichtli-
chen Beschlusses nicht aufgeführt worden ist, steht dem nicht entgegen (vgl.
Keidel/Zimmermann FamFG 17. Aufl. § 7 Rn. 29). Von einer Hinzuziehung als
Beteiligter ist auch das Landgericht im angefochtenen Beschluss ausgegangen.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts besteht die durch Hinzuzie-
hung in erster Instanz begründete Beteiligtenstellung in der Beschwerdeinstanz
fort. Aus § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG folgt nichts anderes. Aus dem Verweis auf
die Vorschriften des erstinstanzlichen Verfahrens folgt insbesondere nicht, dass
das Beschwerdegericht über die Hinzuziehung der bereits erstinstanzlich Betei-
ligten abermals nach §§ 7 Abs. 3, 274 Abs. 4 Nr. 1 FamFG zu entscheiden hät-
te und diese nunmehr auch ablehnen könnte. Die Rechtsbeschwerde weist mit
Recht darauf hin, dass sich das Gegenteil bereits aus § 303 Abs. 2 FamFG
ergibt. Darin wird die Beschwerdebefugnis nach § 303 Abs. 2 Satz 1 FamFG
unter anderem den Eltern des Betroffenen zugestanden, wenn sie im ersten
Rechtszug beteiligt worden sind. Das ist notwendigerweise mit einer Beteiligung
am Beschwerdeverfahren verbunden. Dass zudem gemäß § 66 FamFG den
weiteren Beteiligten die Anschlussbeschwerde offensteht, zeigt, dass die Betei-
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ligung in der Beschwerdeinstanz auch nicht davon abhängig ist, welcher Betei-
ligter Beschwerde einlegt. Es wäre sogar widersinnig, wenn am Beschwerde-
verfahren nur derjenige zu beteiligen wäre, der die erstinstanzliche Entschei-
dung anficht, während der Beteiligte, der sie verteidigt, nicht hinzugezogen
werden müsste.
Demnach hätte die Beschwerdeentscheidung dem Vater bekannt gege-
ben werden müssen.
bb) Das Landgericht hat eine Bekanntgabe des Beschlusses vom 25. Juli
2011 an den Vater nicht veranlasst. Dieser hat den Beschluss vielmehr erst auf
seine Anforderung hin am 30. September 2011 erhalten. Durch die am 5. Okto-
ber 2011 eingegangene Rechtsbeschwerde ist die Einlegungsfrist gewahrt.
Anders als § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG (für das Beschwerdeverfahren;
vgl. auch § 548 ZPO für das Revisionsverfahren) enthält § 71 FamFG keine
Regelung für den Fall, dass die Bekanntgabe unterblieben ist. Ob die gesetzli-
che Regelung insoweit ergänzungsbedürftig ist (zur entsprechenden Frage bei
der Rechtsbeschwerde nach der Zivilprozessordnung s. MünchKommZPO/Lipp
§ 575 Rn. 5 mwN; Musielak/Ball ZPO 8. Aufl. § 575 Rn. 2 sowie - zu § 71
FamFG - Abramenko in Prütting/Helms FamFG 2. Aufl. § 71 Rn. 6 mwN) und
die Frist in diesem Fall fünf Monate nach Erlass der Entscheidung zu laufen
beginnt, bedarf hier keiner Entscheidung, weil auch eine so bestimmte Frist ge-
wahrt wäre.
c) Die Beschwerdebefugnis des Vaters der Betroffenen ergibt sich aus
§ 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG. Auf die Frage, ob sich die Beschwerdebefugnis für
das Rechtsbeschwerdeverfahren bereits daraus ergibt, dass der Vater zum Be-
schwerdeverfahren nicht hinzugezogen worden ist und dieses der Zurückwei-
sung oder Verwerfung einer eigenen Beschwerde (vgl. BGHZ 162, 137, 138 f.
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= FamRZ 2005, 1738 [LS]; Senatsbeschluss vom 25. August 1999
- XII ZB 109/98 - FamRZ 2000, 219 mwN) gleichzusetzen ist, kommt es nicht
an.
Denn der Vater ist bereits deswegen beschwerdebefugt, weil er in erster
Instanz beteiligt worden ist und er die Rechtsbeschwerde in zulässiger Weise
im Interesse der Betroffenen einlegen kann. Dass das Landgericht davon aus-
gegangen ist, dass von der Hinzuziehung eine weitere Verfahrensförderung
nicht zu erwarten gewesen sei, steht der Beschwerdeberechtigung im Interesse
der Betroffenen schon deswegen nicht entgegen, weil die Ablehnung der Hin-
zuziehung - wie die Rechtsbeschwerde zutreffend geltend macht - eine unzu-
lässige Vorwegnahme der gebotenen Sachaufklärung darstellen würde.
d) Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
Das Landgericht hat den Sachverhalt im Hinblick auf die Auswahl des
Betreuers nicht hinreichend aufgeklärt (§ 26 FamFG). Es hat den Vater, dessen
Beteiligtenstellung - wie oben ausgeführt - im Beschwerdeverfahren nicht entfal-
len ist, nicht von der Beschwerdeschrift und -begründung informiert und ihm
keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Außerdem durfte das Landge-
richt von der Anhörung der Betroffenen nicht absehen, schon weil es von der
Einschätzung des Amtsgerichts abgewichen ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom
27. Juli 2011 - XII ZB 118/11 - FamRZ 2011, 1577 Rn. 13 und vom 16. März
2011 - XII ZB 601/10 - FamRZ 2011, 880 Rn. 13; s. auch Senatsbeschluss vom
11. August 2010 - XII ZB 171/10 - FamRZ 2010, 1650 Rn. 5 ff.). Da nicht aus-
geschlossen werden kann, dass das Landgericht bei einer vollständigen Aufklä-
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rung zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, ist der angefochtene Beschluss
aufzuheben. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG
abgesehen.
Dose
Klinkhammer
Schilling
Günter
Nedden-Boeger
Vorinstanzen:
AG Schöneberg, Entscheidung vom 24.08.2010 - 50 XVII B 163/10 -
LG Berlin, Entscheidung vom 25.07.2011 - 83 T 508/10 -