Urteil des BGH vom 16.09.2015

Formelle Rechtskraft, Anhalten, Generalvollmacht, Beschränkung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X I I Z B 5 2 6 / 1 4
vom
16. September 2015
in der Betreuungssache
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. September 2015
durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Schilling, Dr. Günter,
Dr. Nedden-Boeger und Dr. Botur
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 1 gegen den
Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Erfurt vom
23. September 2014 wird verworfen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei.
Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Beschwerdewert: 5.000
Gründe:
I.
Die Betroffene erteilte ihrer Tochter, der Beteiligten zu 2, im Jahr 2010
eine notariell beurkundete Generalvollmacht, die u. a. die Entscheidungsbefug-
nis in allen persönlichen und vermögensrechtlichen Angelegenheiten umfasst.
Auf eine entsprechende Anregung der Beteiligten zu 2 hat das Amtsge-
richt den Beteiligten zu 3 zum Kontrollbetreuer für den Aufgabenkreis der Ver-
mögenssorge bestellt. Zugleich hat es die Beteiligte zu 2 zur Betreuerin für den
Aufgabenkreis Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der für die Betroffene
bestimmten Postsendungen bestellt.
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Mit Schreiben vom 29. August 2014 hat die Betroffene "Widerspruch ge-
gen den Beschluss, dass Frau B. H. für mich als Betreuerin fungieren soll" er-
hoben. Mit anwaltlichem Schreiben vom 28. August 2014 hat auch ihr Ehe-
mann, der Beteiligte zu 1, Beschwerde eingelegt, mit der er sich ebenfalls ge-
gen die Bestellung der Beteiligten zu 2 zur Betreuerin wendet. Das Landgericht,
das angenommen hat, dass sich die Rechtsmittel der Betroffenen und des Be-
teiligten zu 1 nicht gegen die Anordnung der Kontrollbetreuung richten, hat die
amtsgerichtliche Entscheidung aufgehoben, soweit dort die Betreuung für den
Aufgabenkreis Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der für die Betroffene
bestimmten Postsendungen angeordnet wurde. Hiergegen richtet sich die
Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 1, mit der er seine in der Beschwer-
deinstanz gestellten Anträge weiterverfolgt.
II.
Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG statthafte Rechtsbeschwerde
ist unzulässig. Dem Beteiligten zu 1 fehlt für die Rechtsbeschwerde das Rechts-
schutzinteresse, weil er und die Betroffene bereits mit der angegriffenen Ent-
scheidung ihr jeweils mit den (Erst-)Beschwerden verfolgtes Rechtsschutzziel,
nämlich die Aufhebung der Bestellung der Beteiligten zu 2 zur Betreuerin, er-
reicht haben.
1. Das für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels erforderliche Rechts-
schutzinteresse fehlt, wenn der Rechtsmittelführer kein schutzwürdiges Interesse
an der begehrten Entscheidung hat (Senatsbeschluss vom 28. April 2011
- XII ZB 170/11 - FamRZ 2011, 959 Rn. 16). Das ist hier der Fall.
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Das Beschwerdegericht hat zu Recht angenommen, dass die Betroffene
und der Beteiligte zu 1 die erstinstanzliche Entscheidung nur insoweit angegriffen
haben, als dort die Beteiligte zu 2 zur Betreuerin für den Aufgabenkreis Entge-
gennahme, Öffnen und Anhalten der für die Betroffene bestimmten Postsendun-
gen bestellt worden ist. Die Betroffene hat in einem persönlich verfassten Schrei-
ben ausdrücklich "gegen den Beschluss, dass Frau B. H. für mich als Betreuerin
fungieren soll" Widerspruch erhoben und die Beteiligte zu 2 als Betreuerin abge-
lehnt. Der Beteiligte zu 1 hat sich in der von seinem Verfahrensbevollmächtigten
verfassten Beschwerde ausdrücklich nur gegen die Bestellung der Beteiligten
zu 2 zur Betreuerin gewandt und dies mit Bedenken gegen deren Redlichkeit und
Geeignetheit, insbesondere im Hinblick auf die Verwaltung des Vermögens der
Betroffenen begründet. In beiden Beschwerdeschreiben finden sich keine An-
haltspunkte dafür, dass sich die Betroffene oder der Beteiligte zu 1 auch gegen
die Anordnung der Kontrollbetreuung wenden wollten. Daher ist die vom Be-
schwerdegericht vorgenommene Auslegung, wonach beide Beschwerden aus-
schließlich mit dem Ziel eingelegt worden sind, die Bestellung der Beteiligten zu 2
zur Betreuerin für den ihr übertragenen Aufgabenkreis zu beseitigen, nicht zu
beanstanden.
2. Die Beschwerden konnten auch auf die Entscheidung über die Bestel-
lung der Beteiligten zu 2 zur Betreuerin beschränkt werden.
Die Beschränkung eines Rechtsmittels ist in Antragsverfahren und in Ver-
fahren, die von Amts wegen betrieben werden, zulässig, wenn der Verfahrensge-
genstand teilbar ist oder in der angefochtenen Entscheidung über mehrere selb-
ständige Verfahrensgegenstände entschieden wurde (Keidel/Sternal FamFG
18. Aufl. § 64 Rn. 37).
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Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt. Die Anordnung einer Kontroll-
betreuung für Vermögensangelegenheiten nach § 1896 Abs. 3 BGB und die zu-
sätzliche Bestellung eines Betreuers für einen Aufgabenkreis, der von einer er-
teilten Generalvollmacht vermeintlich nicht erfasst wird, sind trennbare Teile der
Entscheidung. Die Entscheidung über die Erforderlichkeit der Betreuung für den
Aufgabenkreis Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der für die Betroffene be-
stimmten Postsendungen kann rechtlich und tatsächlich selbständig geprüft und
beurteilt werden.
3. Aufgrund der wirksamen Beschränkung der Beschwerden gegen die
amtsgerichtliche Entscheidung hatte das Beschwerdegericht nur über die Recht-
mäßigkeit der Anordnung der Betreuung für den Aufgabenkreis Entgegennahme,
Öffnen und Anhalten der für die Betroffene bestimmten Postsendungen zu befin-
den.
Zwar tritt das Beschwerdegericht in vollem Umfang an die Stelle des Erst-
gerichts (§ 68 Abs. 3 FamFG) und entscheidet unter Berücksichtigung des Sach-
und Streitstandes zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung über die Sache
neu. Die Entscheidungskompetenz des Beschwerdegerichts ist jedoch durch den
Beschwerdegegenstand begrenzt; das Beschwerdegericht darf nur insoweit über
eine Angelegenheit entscheiden, als sie in der Beschwerdeinstanz angefallen ist
(Senatsbeschlüsse vom 3. Dezember 2014 - XII ZB 355/14 - FamRZ 2015, 486
Rn. 24 und vom 11. Dezember 2013 - XII ZB 280/11 - FamRZ 2014, 378 Rn. 9
mwN).
Somit ist die amtsgerichtliche Entscheidung, soweit sie die Bestellung ei-
nes Kontrollbetreuers zum Inhalt hat, in formelle Rechtskraft erwachsen. Ob die
Kontrollbetreuung zu Recht angeordnet worden ist, war damit nicht Prüfungsge-
genstand im Beschwerdeverfahren. Der Beteiligte zu 1 kann daher auch im
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Rechtsbeschwerdeverfahren nicht mehr gegen die Kontrollbetreuung vorgehen.
Soweit er mit der Rechtsbeschwerde das Ziel verfolgt, die Beteiligte zu 2 als Be-
treuerin zu entlassen, hat er dieses Ziel bereits mit der Erstbeschwerde erreicht,
weil das Beschwerdegericht die amtsgerichtliche Entscheidung insoweit aufge-
hoben hat. Daher besteht für den Beteiligten zu 1 kein schutzwürdiges Interesse
mehr an einer Entscheidung durch das Rechtsbeschwerdegericht.
Dose
Schilling
Günter
Nedden-Boeger
Botur
Vorinstanzen:
AG Arnstadt, Entscheidung vom 29.07.2014 - 4 XVII 114/14 -
LG Erfurt, Entscheidung vom 23.09.2014 - 3 T 357/14 -