Urteil des BGH vom 11.04.2012

Leitsatzentscheidung zu Persönliche Anhörung, Tod, Beschwerdeinstanz, Erstreckung, Post

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 504/11
vom
11. April 2012
in der Betreuungssache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 1896; FamFG §§ 68, 278
a) Auch im Beschwerdeverfahren in einer Betreuungssache besteht grundsätzlich
die Pflicht des Beschwerdegerichts, den Betroffenen persönlich anzuhören.
b) Sieht das Beschwerdegericht von einer persönlichen Anhörung ab, muss es die
Gründe dafür in der Beschwerdeentscheidung nachvollziehbar darlegen. Das ist
ausnahmsweise dann entbehrlich, wenn aus den übrigen Gründen ohne weiteres
ersichtlich ist, dass eine Anhörung keine weitere Aufklärung erwarten lässt.
BGH, Beschluss vom 11. April 2012 - XII ZB 504/11 - LG Stade
AG Buxtehude
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. April 2012 durch die
Richter Dose, Dr. Klinkhammer, Schilling, Dr. Günter und Dr. Nedden-Boeger
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der
9. Zivilkammer des Landgerichts Stade vom 14. September 2011
aufgehoben.
Das Verfahren wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung
- auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das
Landgericht zurückverwiesen.
Wert: 3.000
Gründe:
I.
Die Betroffene ist 1955 in Rumänien geboren. Sie ist verwitwet und hat
zwei Kinder.
Seit dem Tod ihres Ehemannes Anfang des Jahres 2011 befindet sich
die Betroffene in Erbauseinandersetzungen mit ihren Kindern. Die Kinder haben
die Einrichtung einer Betreuung angeregt. Auf weitere Anregung der Betreu-
ungsstelle und nach Einholung eines ärztlichen Sachverständigengutachtens,
das eine schwere psychische Erkrankung in Form einer anhaltenden wahnhaf-
ten Störung mit chronifiziertem Verlauf festgestellt hat, hat das Amtsgericht den
weiteren Beteiligten zum Betreuer bestellt. Den Aufgabenkreis hat es auf die
Vermögenssorge und die Regelung der Erbangelegenheiten nach dem Tod des
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Ehemannes der Betroffenen sowie die damit verbundenen Post- und Fernmel-
deangelegenheiten erstreckt.
Das Landgericht hat die dagegen von der Betroffenen eingelegte Be-
schwerde zurückgewiesen. Es hat die Betroffene - anders als das Amtsgericht -
nicht persönlich angehört. Mit der Rechtsbeschwerde erstrebt die Betroffene
weiterhin die Aufhebung der Betreuung.
II.
Die gemäß § 70 Abs. 3 Nr. 1 FamFG statthafte und auch im Übrigen zu-
lässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlus-
ses. Dieser beruht auf einem Verfahrensfehler.
1. Nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG bestimmt sich das Beschwerdever-
fahren nach den Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug. Das gilt
auch für die nach § 278 Abs. 1 Satz 1 FamFG vor der Bestellung eines Betreu-
ers gebotene persönliche Anhörung des Betroffenen.
Allerdings kann das Beschwerdegericht nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG
von der persönlichen Anhörung absehen, wenn diese bereits im ersten Rechts-
zug vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung keine neuen
Erkenntnisse zu erwarten sind (Senatsbeschlüsse vom 27. Juli 2011
- XII ZB 118/11 - FamRZ 2011, 1577 Rn. 13 und vom 16. März 2011
- XII ZB 601/10 - FamRZ 2011, 880 Rn. 13; s. auch Senatsbeschluss vom
11. August 2010 - XII ZB 171/10 - FamRZ 2010, 1650 Rn. 5 ff.). Das Be-
schwerdegericht hat aber - wie auch das erstinstanzliche Gericht - die Gründe,
aus denen es von einer Anhörung ausnahmsweise absehen will, in den Ent-
scheidungsgründen nachprüfbar darzulegen (vgl. Senatsbeschlüsse vom
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12. Juli 1984 - IVb ZB 95/83 - FamRZ 1984, 1084 und vom 11. Juli 1984
- IVb ZB 73/83 - FamRZ 1985, 169 - zu §§ 50 a, 50 b FGG; Keidel/Sternal
FamFG 17. Aufl. § 68 Rn. 59 a mwN; vgl. auch Senatsbeschluss BGHZ 185,
272 = FamRZ 2010, 1060 Rn. 46). Allerdings ist im Einzelfall eine Begründung
entbehrlich, wenn aus den weiteren Entscheidungsgründen ersichtlich wird,
dass das Beschwerdegericht in zulässiger Weise von einer erneuten persönli-
chen Anhörung des Betroffenen absehen konnte.
Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass es dem angefochtenen Be-
schluss an einer Begründung für die unterbliebene Anhörung der Betroffenen
fehlt. Dass eine Anhörung der Betroffenen entbehrlich ist, ergibt sich auch nicht
aus den übrigen Beschlussgründen. Vielmehr handelt es sich um die erstmalige
Bestellung eines Betreuers und zudem um einen auf einzelne spezielle Angele-
genheiten zugeschnittenen Aufgabenkreis, die eine nähere Begründung des
Absehens von einer Anhörung in der Beschwerdeinstanz unverzichtbar ma-
chen. Aufgrund des angefochtenen Beschlusses kann demnach nicht festge-
stellt werden, warum das Landgericht von der Anhörung abgesehen hat und ob
es hierzu berechtigt war. Da demnach nicht ausgeschlossen ist, dass die Ent-
scheidung auf der mangelnden Anhörung beruht, ist der angefochtene Be-
schluss aufzuheben.
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2. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass die Not-
wendigkeit der Erstreckung der Betreuung über die Erbschaftsangelegenheit
hinaus auf sämtliche Vermögensangelegenheiten der Betroffenen bislang nicht
hinreichend begründet worden sein dürfte und die Erforderlichkeit der Betreu-
ung insoweit fraglich ist.
Dose
Klinkhammer
Schilling
Günter
Nedden-Boeger
Vorinstanzen:
AG Buxtehude, Entscheidung vom 18.04.2011 - 7 XVII 76/11 -
LG Stade, Entscheidung vom 14.09.2011 - 9 T 86/11 -
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