Urteil des BGH vom 03.02.2016

Leitsatzentscheidung zu Anhörung, Rüge, Beschwerdegegenstand, Beschwerdeinstanz

ECLI:DE:BGH:2016:030216BXIIZB493.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 493/15
vom
3. Februar 2016
in der Betreuungssache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB §§ 1897 Abs. 4; FamFG §§ 64, 68 Abs. 3, 278 Abs. 2, 303 Abs. 2 Nr. 1
a) Die Beschwerde gegen einen Beschluss, mit dem eine Betreuung errichtet wird,
kann wirksam auf die Betreuerauswahl beschränkt werden (im Anschluss an Se-
natsbeschlüsse vom 25. März 2015 - XII ZB 621/14 - FamRZ 2015, 1178 und
BGHZ 132, 157 = FamRZ 1996, 607).
b) Wird die Beschwerde auf die Betreuerauswahl beschränkt, so hat das Be-
schwerdegericht nicht über die Rechtmäßigkeit der Betreuungsanordnung zu be-
finden (Fortführung des Senatsbeschlusses vom 16. September 2015
- XII ZB 526/14 - FamRZ 2016, 121).
BGH, Beschluss vom 3. Februar 2016 - XII ZB 493/15 - LG Leipzig
AG Leipzig
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. Februar 2016 durch den
Vorsitzenden Richter Dose, die Richterin Weber-Monecke und die Richter
Dr. Klinkhammer, Dr. Nedden-Boeger und Guhling
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer
des Landgerichts Leipzig vom 15. September 2015 wird auf Kos-
ten der weiteren Beteiligten zu 3 zurückgewiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei.
Wert: 5.000
Gründe:
I.
Die 1990 geborene Betroffene leidet unter einer frühkindlichen Hirnschä-
digung mit geistiger Retardierung. Im Mai 2014 regte die Einrichtung der Le-
benshilfe, in der die Betroffene arbeitete, die Bestellung eines Berufsbetreuers
an. Zur Begründung führte sie aus, die Betroffene lebe bei ihrer Mutter, der Be-
teiligten zu 3, die wohl selbst unter einer psychischen Erkrankung leide und den
Gesundheits- und Allgemeinzustand der Betroffenen zunehmend negativ beein-
flusse.
Das Amtsgericht hat ein zur Pflegebedürftigkeit der Betroffenen erstelltes
Gutachten des Medizinischen Dienstes verwertet, die Betroffene im Beisein ih-
rer Mutter angehört und dann eine Berufsbetreuerin (die Beteiligte zu 1) für ei-
nen praktisch alle Bereiche abdeckenden Aufgabenkreis bestellt. Die Be-
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schwerde der Mutter, mit der diese geltend gemacht hat, sie müsse anstelle der
Beteiligten zu 1 zur Betreuerin bestellt werden, ist erfolglos geblieben. Hierge-
gen wendet sich die Mutter mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt,
die Betroffene habe in der im Beschwerdeverfahren erfolgten Anhörung geäu-
ßert, die Beteiligte zu 1 solle ihre Betreuerin bleiben. Bei der Auswahl des ge-
eigneten Betreuers habe das Gericht auf die Wünsche der Betroffenen Rück-
sicht zu nehmen. Gründe, die gegen eine Geeignetheit der von der Betroffenen
gewünschten Berufsbetreuerin sprächen, seien nicht ersichtlich. Daher müsse
die Eignung der Mutter als Betreuerin nicht geklärt werden.
2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung stand.
a) Das Landgericht hat die von der Beteiligten zu 3 als Mutter der Be-
troffenen eingelegte Beschwerde zu Recht als zulässig angesehen und dabei
insbesondere zutreffend die Beschwerdeberechtigung gemäß § 303 Abs. 2
Nr. 1 FamFG bejaht. Denn die Beteiligte zu 3 war bei der erstinstanzlichen
Anhörung der Betroffenen nicht lediglich anwesend, sondern vom Amtsgericht
in diese einbezogen worden. Damit ist sie im ersten Rechtszug im Sinne von
§ 303 Abs. 2 FamFG beteiligt worden, wofür auch eine konkludente Hinzuzie-
hung ausreicht. Die Nichterwähnung im Rubrum des amtsgerichtlichen
Beschlusses steht einer tatsächlichen Hinzuziehung zum Verfahren im Sinne
des § 7 FamFG nicht entgegen (Senatsbeschlüsse vom 4. März 2015
- XII ZB 396/14 - FamRZ 2015, 843 Rn. 7 und vom 9. April 2014
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- XII ZB 595/13 - FamRZ 2014, 1099 Rn. 11 mwN). Es ist auch nicht ersichtlich,
dass die Beschwerde nicht zumindest auch im Interesse der Betroffenen einge-
legt worden ist.
b) Der angegriffene Beschluss ist im Verfahren der Rechtsbeschwerde
nicht zu beanstanden.
aa) Die Beteiligte zu 3 hat in ihrer anwaltlichen Beschwerdeschrift mittei-
len lassen, sie sei mit der Bestellung der Beteiligten zu 1 nicht einverstanden
und lege insoweit Beschwerde gegen die Entscheidung ein. In einem weiteren
Schriftsatz ihrer Anwältin ist ausgeführt, sie strebe nach wie vor die Übernahme
der rechtlichen Betreuung der Betroffenen an.
Das Rechtsmittel war mithin auf die Betreuerauswahl beschränkt, was
eine zulässige Teilanfechtung der die Betreuungserrichtung und die Betreuer-
bestellung umfassenden Einheitsentscheidung darstellt (Senatsbeschlüsse vom
25. März 2015 - XII ZB 621/14 - FamRZ 2015, 1178 Rn. 10 mwN und BGHZ
132, 157 = FamRZ 1996, 607; Keidel/Sternal FamFG 18. Aufl. § 64 Rn. 39).
Aufgrund dieser wirksamen Beschränkung der Beschwerde hatte das Be-
schwerdegericht nur über die Rechtmäßigkeit der Betreuerauswahl zu befinden.
Zwar tritt das Beschwerdegericht in vollem Umfang an die Stelle des Erstge-
richts (§ 68 Abs. 3 FamFG) und entscheidet unter Berücksichtigung des Sach-
und Streitstandes zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung über die Sache
neu. Die Entscheidungskompetenz des Beschwerdegerichts ist jedoch durch
den Beschwerdegegenstand begrenzt; das Beschwerdegericht darf nur insoweit
über eine Angelegenheit entscheiden, als sie in der Beschwerdeinstanz ange-
fallen ist (Senatsbeschlüsse vom 16. September 2015 - XII ZB 526/14 - FamRZ
2016, 121 Rn. 10 f. mwN und vom 3. Dezember 2014 - XII ZB 355/14 - FamRZ
2015, 486 Rn. 24).
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Prüfungsgegenstand im Beschwerdeverfahren war somit nicht, ob die
Voraussetzungen einer Betreuerbestellung vorgelegen haben, sondern aus-
schließlich die Frage der Person des Betreuers. Irgendwelche Ermittlungen zum
Betreuungsbedarf im Sinne des § 1896 Abs. 1 BGB oder zur Erforderlichkeit
der Betreuung nach § 1896 Abs. 2 BGB waren daher nicht veranlasst. Die hie-
rauf bezogenen verfahrens- und materiell-rechtlichen Rügen der Rechtsbe-
schwerde gehen deshalb ins Leere.
bb) Die Rechtsbeschwerde kann auch nicht mit ihrer Rüge durchdringen,
die vom Landgericht durchgeführte Anhörung habe nicht den formellen und in-
haltlichen Vorgaben des Gesetzes entsprochen.
Dies gilt zum einen, soweit die Rechtsbeschwerde geltend macht, im
Rahmen der Anhörung sei entgegen §§ 68 Abs. 3 Satz 1, 278 Abs. 2 Satz 1
FamFG nicht über den möglichen Verlauf des Verfahrens unterrichtet worden.
Es ist nicht ersichtlich, inwieweit dies - die Richtigkeit der Rüge unterstellt - die
Entscheidung des Beschwerdegerichts beeinflusst haben kann. Zum anderen
rügt die Rechtsbeschwerde ohne Erfolg, das Beschwerdegericht habe unter
Verstoß gegen §§ 68 Abs. 3 Satz 1, 278 Abs. 2 Satz 2 FamFG nicht auf die
Möglichkeit einer Vorsorgevollmacht hingewiesen. Abgesehen davon, dass be-
reits nichts für das konkrete Bestehen einer solchen Möglichkeit ersichtlich war,
betrifft die Erteilung der Vorsorgevollmacht die dem Beschwerdeverfahren vor-
liegend entzogene Frage der Erforderlichkeit einer Betreuung nach § 1896
Abs. 2 BGB.
Schließlich ist auch die Rüge der Rechtsbeschwerde unbegründet, das
Beschwerdegericht habe dem Amtsermittlungsgrundsatz des § 26 FamFG nicht
genügt, weil es ohne weitere Nachforschungen hingenommen habe, dass die
Betroffene entgegen ihren Angaben bei der erstinstanzlichen Anhörung eine
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Betreuung durch ihre Mutter nicht mehr wünschte. Zwar hatte die Betroffene in
der Anhörung vor dem Amtsgericht im Beisein ihrer Mutter erklärt, diese solle
die Betreuung führen. Dies hatte sie jedoch noch vor dem erstinstanzlichen Be-
schluss in einem weiteren Gespräch mit der Betreuungsbehörde korrigiert und
dort angegeben, dass sie gern von der Beteiligten zu 1 betreut werden wolle;
darauf hatte ihre anwesende Mutter lautstark mit Unverständnis reagiert. Im
Beschwerdeverfahren ließ die Betroffene zum einen von ihrer Rechtsanwältin
mitteilen, sie habe Angst vor ihrer Mutter und wolle auf keinen Fall diese, son-
dern vielmehr die Beteiligte zu 1 als Betreuerin. Dies bestätigte sie zum ande-
ren in der persönlichen Anhörung im Beschwerdeverfahren. Wenn das Be-
schwerdegericht bei dieser Sachlage und aufgrund des von der Betroffenen
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gewonnenen persönlichen Eindrucks von der Ernsthaftigkeit des geäußerten
Betreuerwunsches ausging und weitere Ermittlungen nicht für erforderlich hielt,
gibt das zu rechtlichen Beanstandungen keinen Anlass. Auch im Übrigen be-
stehen insbesondere mit Blick auf § 1897 Abs. 4 Satz 1 und 2 BGB gegen die
Betreuerauswahl keine Bedenken.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abge-
sehen.
Dose
Weber-Monecke
Klinkhammer
Nedden-Boeger
Guhling
Vorinstanzen:
AG Leipzig, Entscheidung vom 16.02.2015 - 534 XVII 1019/14 -
LG Leipzig, Entscheidung vom 15.09.2015 - 2 T 151/15 -
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