Urteil des BGH vom 27.04.2016

Leitsatzentscheidung zu Häusliche Gemeinschaft, Lebensgemeinschaft, Wirkung der Ehe, Selbstbehalt

ECLI:DE:BGH:2016:270416BXIIZB485.14.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
BESCHLUSS
XII ZB 485/14
Verkündet am:
27. April 2016
Küpferle,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Familiensache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
BGB §§ 1360, 1360 a
a) Wird ein Ehegatte stationär pflegebedürftig, so entsteht ihm ein besonderer
persönlicher Bedarf, der vor allem durch die anfallenden Heim- und Pflege-
kosten bestimmt wird. In diesem Fall richtet sich der Familienunterhaltsan-
spruch ausnahmsweise auf Zahlung einer Geldrente.
b) Ein solcher Unterhaltsanspruch setzt die Leistungsfähigkeit des Unterhalts-
schuldners voraus. Der dem Unterhaltsschuldner mindestens zu belassende
Eigenbedarf kann in zulässiger Weise nach dem in der Düsseldorfer Tabelle
und den Leitlinien der Oberlandesgerichte ausgewiesenen sogenannten
eheangemessenen Selbstbehalt bemessen werden.
BGH, Beschluss vom 27. April 2016 - XII ZB 485/14 - OLG Hamm
AG Warstein
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 27. April 2016 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richterin Weber-
Monecke und die Richter Dr. Klinkhammer, Dr. Nedden-Boeger und Guhling
für Recht erkannt:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 7. Senats für
Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm vom 12. August
2014 wird auf Kosten der Antragstellerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
I.
Die Beteiligten sind Ehegatten und streiten um Familienunterhalt.
Die Antragstellerin (im Folgenden: Ehefrau) ist aufgrund einer schweren
Erkrankung pflegebedürftig. Für sie ist eine Betreuerin bestellt worden. Sie lebt
seit dem 28. Mai 2013 in einem Pflegezentrum. Die monatlichen Pflegekosten
von 3.923,59
€ werden im Wesentlichen aus Sozialhilfeleistungen bestritten.
Davon nicht abgedeckt ist ein vom Sozialhilfeträger angesetzter Eigenanteil der
Ehefrau in Höhe von monatlich 132,56 €, der aus dem sozialhilferechtlich ein-
bezogenen Einkommen des Antragsgegners (im Folgenden: Ehemann) errech-
net worden ist. Der Ehemann ist Rentner und bezieht monatliche Rentenein-
künfte von netto
1.042,82 €.
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Die Ehefrau macht, vertreten durch ihre Betreuerin, für die Zeit ab
28. Mai 2013 Familienunterhalt
in Höhe von monatlich 132,56 € geltend. Das
Amtsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Auf die Beschwerde des Ehemanns
hat das Oberlandesgericht erst für die Zeit ab Juli 2013 Unterhalt zugesprochen
und diesen
auf monatlich 43 € herabgesetzt. Dagegen richtet sich die zugelas-
sene Rechtsbeschwerde der Ehefrau, die ihre Unterhaltsansprüche noch für die
Zeit ab Juli 2013 in voller Höhe weiterverfolgt.
II.
Die Rechtsbeschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass
die Ehefrau gegen den Ehemann einen Anspruch auf Familienunterhalt aus
§§ 1360, 1360 a Abs. 3 iVm § 1613 Abs. 1 BGB habe.
Familienunterhalt sei geschuldet, weil ein Getrenntleben der Ehegatten
nicht festgestellt werden könne. Allein die Unterbringung eines Ehegatten in
einem Pflegeheim erfülle die Voraussetzungen des Getrenntlebens nicht, es sei
denn, es könne zusätzlich ein Trennungswille festgestellt werden. Dabei müsse
der Wille, die eheliche Lebensgemeinschaft aufzugeben, deutlich erkennbar
sein und sich im Verhalten des trennungswilligen Ehegatten manifestieren, was
vom Ehemann nicht dargelegt worden sei.
Der Ehemann sei allerdings nur begrenzt leistungsfähig. Hierfür sei der in
den Leitlinien des Oberlandesgerichts ausgewiesene "eheangemessene
Selbstbehalt"
von 1.000 € zu beachten. Zwar hänge der nach dem Halbtei-
lungsgrundsatz zu errechnende Anspruch auf Familienunterhalt grundsätzlich
nicht von der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners im Sinne von
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§§ 1581, 1603 BGB ab. Deshalb könne in der Regel nicht auf die Selbstbe-
haltssätze der Leitlinien abgestellt werden. Allerdings begrenze der eheange-
messene Selbstbehalt den Anspruch auf Familienunterhalt ausnahmsweise,
wenn dieser sich nicht auf Naturalunterhalt, sondern auf eine Geldrente richte.
In diesem Fall werde der Unterhaltspflichtige im Ergebnis durch die Unterhalts-
verpflichtung so belastet, als schulde er Trennungsunterhalt.
Dem Unterhaltsschuldner sei nicht lediglich das Existenzminimum zu be-
lassen, sondern der eheangemessene Selbstbehalt. Zwar sei den Ehegatten
innerhalb der intakten Ehe ein größeres Maß an ehelicher Solidarität gegenüber
dem pflegebedürftigen Gatten abzuverlangen als nach dem Scheitern der eheli-
chen Lebensgemeinschaft. Die wirtschaftlichen Konsequenzen träfen den un-
terhaltspflichtigen Ehegatten jedoch gleichermaßen und unabhängig davon, ob
die eheliche Lebensgemeinschaft fortbestehe oder durch Trennung aufgehoben
sei. Mit der Unterbringung des pflegebedürftigen Ehegatten entfielen dauerhaft
die Synergieeffekte, die das eheliche Zusammenleben erheblich mitbestimmt
hätten. Dies rücke die vorliegende Fallkonstellation in die Nähe der Trennungs-
situation. In Folge der Pflegebedürftigkeit eines Ehegatten, die dessen stationä-
re Unterbringung erforderlich mache, decke der unterhaltspflichtige Ehegatte
durch Ausgaben für die Unterkunft, allgemeine Lebenshaltung und soziale Teil-
habe nicht mehr zugleich den eigenen und den Bedarf des Ehegatten. Dem
Pflichtigen erwachse vielmehr eine wirtschaftlich ungleich höhere Belastung
dadurch, dass er nicht nur den eigenen Lebensunterhalt bestreiten müsse, son-
dern zusätzlich für Kosten aufzukommen habe, die aus der ehelichen Lebens-
gemeinschaft resultierten, wie Kosten der Wohnung, eines Fahrzeugs oder
Verbindlichkeiten des anderen Ehegatten, ohne dass diese Leistungen dem
pflegebedürftigen Ehegatten noch zu Gute kämen. Zu dem Lebensunterhalt des
bedürftigen Ehegatten müsse der Schuldner vielmehr gesondert beitragen.
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2. Das hält einer rechtlichen Überprüfung stand.
Nach § 1360 Abs. 1 Satz 1 BGB sind Ehegatten einander verpflichtet,
durch ihre Arbeit und mit ihrem Vermögen die Familie angemessen zu unterhal-
ten. Der Anspruch auf Familienunterhalt nach § 1360 BGB ist ein grundsätzlich
wechselseitiger Anspruch unter Ehegatten bei bestehender Lebensgemein-
schaft (MünchKommBGB/Weber-Monecke 6. Aufl. § 1360 Rn. 2 f.; Wendl/
Bömelburg Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 9. Aufl. § 3
Rn. 1).
a) Der vom Gesetz als Wirkung der Ehe vorgesehene Anspruch auf Fa-
milienunterhalt setzt das Bestehen der ehelichen Lebensgemeinschaft im Sinne
von § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB voraus. Nach Trennung der Ehegatten tritt der
Trennungsunterhalt nach § 1361 Abs. 1 BGB an die Stelle des Familienunter-
halts zwischen Ehegatten. Das Oberlandesgericht ist rechtsfehlerfrei davon
ausgegangen, dass im vorliegenden Fall eine Trennung der Ehegatten nicht
erfolgt ist, und hat demzufolge zutreffend das Fortbestehen der ehelichen Le-
bensgemeinschaft zugrunde gelegt. Die vom Antragsgegner insoweit erhobene
Gegenrüge ist unbegründet.
aa) Der Begriff des Getrenntlebens ist in § 1567 BGB gesetzlich definiert.
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerdeerwiderung stimmt der Begriff
des Getrenntlebens im Sinne von § 1361 Abs. 1 BGB mit demjenigen des
§ 1567 BGB überein (vgl. MünchKommBGB/Weber-Monecke 6. Aufl. § 1361
Rn. 5; NK-BGB/Kaiser 3. Aufl. § 1360 Rn. 3; Palandt/Brudermüller BGB
75. Aufl. § 1361 Rn. 9). Während § 1360 BGB einen Anspruch bei bestehender
ehelicher Lebensgemeinschaft gewährt, erfordert die Anwendbarkeit des
§ 1361 BGB deren Aufhebung.
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Unter der Lebensgemeinschaft der Ehegatten ist primär die wechselseiti-
ge innere Bindung der Ehegatten zu verstehen. Die häusliche Gemeinschaft
umschreibt dagegen die äußere Realisierung dieser Lebensgemeinschaft in
einer beiden Ehegatten gemeinsamen Wohnstätte. Die häusliche Gemeinschaft
bezeichnet nur einen äußeren, freilich nicht notwendigen Teilaspekt dieser Ge-
meinschaft (Senatsurteil BGHZ 149, 140 = FamRZ 2002, 316, 317; vgl. auch
Schwab Handbuch des Scheidungsrechts 7. Aufl. Teil II Rn. 135 ff.).
Nach § 1567 Abs. 1 Satz 1 BGB leben die Ehegatten getrennt, wenn
zwischen ihnen keine häusliche Gemeinschaft besteht und ein Ehegatte sie
erkennbar nicht herstellen will, weil er die eheliche Lebensgemeinschaft ab-
lehnt. Allein aus dem Nichtbestehen der häuslichen Gemeinschaft ergibt sich
ein Getrenntleben der Ehegatten daher noch nicht. Eine eheliche Lebensge-
meinschaft kann vielmehr auch dann bestehen, wenn die Ehegatten einver-
nehmlich eigenständige Haushalte unterhalten (vgl. Staudinger/Rauscher BGB
[2010] § 1567 Rn. 49 ff.). Auch die dauerhafte stationäre Pflege eines Ehegat-
ten in einem Pflegeheim führt für sich genommen nicht zur Trennung der Ehe-
gatten (Senatsurteil vom 25. Januar 1989 - IVb ZR 34/88 - FamRZ 1989, 479;
MünchKommBGB/Weber-Monecke 6. Aufl. § 1360 Rn. 2; jurisPK-BGB/Viefhues
[Stand: 4. April 2016] § 1361 Rn. 2.1). Der von den Ehegatten vollzogenen
räumlichen Trennung kann dann nicht die Bedeutung eines einseitig oder bei-
derseitig geäußerten Trennungswillens zugemessen werden. Will ein Ehegatte
dennoch die Trennung im Sinne von § 1567 BGB herbeiführen, so bedarf es
hierzu einer entsprechenden Äußerung oder eines sonstigen für den anderen
Ehegatten erkennbaren Verhaltens, das unmissverständlich den Willen zum
Ausdruck bringt, die eheliche Lebensgemeinschaft nicht weiterführen zu wollen
(vgl. Senatsurteil vom 25. Januar 1989 - IVb ZR 34/88 - FamRZ 1989, 479 f.;
vgl. auch BSG FamRZ 2010, 973).
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bb) Das Oberlandesgericht hat demnach zu Recht schon dem Vortrag
des Antragsgegners nicht entnommen, dass die eheliche Lebensgemeinschaft
der Ehegatten aufgehoben sei. Mit der Aufnahme der Antragstellerin in einer
Pflegeeinrichtung war demzufolge lediglich eine Aufhebung der häuslichen
Gemeinschaft verbunden. Dass einer der Ehegatten zudem unmissverständlich
die Ablehnung auch der ehelichen Lebensgemeinschaft zu erkennen gegeben
hat, hat der Antragsgegner nicht vorgetragen und wird von ihm auch in der
Rechtsbeschwerdeinstanz nicht vorgebracht.
b) Inhaltlich weist der Anspruch auf Familienunterhalt unter Ehegatten
nach § 1360 BGB gegenüber dem Anspruch auf Trennungsunterhalt gemäß
§ 1361 BGB in verschiedener Hinsicht Besonderheiten auf. Anders als letzterer
ist der Anspruch grundsätzlich nicht auf Zahlung einer für den Empfänger frei
verfügbaren Geldrente gerichtet. Er dient sowohl der Befriedigung des Bedarfs
der Ehegatten als auch desjenigen der gemeinsamen minderjährigen Kinder,
mithin des Bedarfs des gesamten Familienverbands. In seiner konkreten Aus-
gestaltung orientiert sich der Anspruch am Einvernehmen der Ehegatten und
der von ihnen gewählten Aufgabenverteilung. Der Familienunterhalt wird daher
nur in seltenen Fällen, etwa bei Zahlung unzureichenden Wirtschafts- oder Ta-
schengelds an den haushaltführenden Ehegatten, Anlass für eine gerichtliche
Geltendmachung geben (vgl. Wendl/Bömelburg Das Unterhaltsrecht in der fa-
milienrichterlichen Praxis 9. Aufl. § 3 Rn. 6).
aa) Der Anspruch auf Familienunterhalt nach den §§ 1360, 1360 a BGB
lässt sich zwar nicht ohne weiteres nach den zum Ehegattenunterhalt nach
Trennung oder Scheidung entwickelten Grundsätzen bemessen. Seinem Um-
fang nach umfasst der Anspruch auf Familienunterhalt gemäß § 1360 a BGB
alles, was für die Haushaltsführung und die Deckung der persönlichen Bedürf-
nisse der Ehegatten und eventueller Kinder erforderlich ist. Sein Maß bestimmt
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sich aber nach den ehelichen Lebensverhältnissen, so dass der Senat in Fällen
der Konkurrenz mit anderen Unterhaltsansprüchen § 1578 BGB als Orientie-
rungshilfe herangezogen hat (Senatsurteil BGHZ 196, 21 = FamRZ 2013, 363
Rn. 33 mwN; BGHZ 186, 350 = FamRZ 2010, 1535 Rn. 30).
Der insofern anzuwendende Halbteilungsgrundsatz ist indessen nur auf
den Regelfall zugeschnitten und dient dazu, das für Konsumzwecke zur Verfü-
gung stehende Familieneinkommen bei gleichartiger Bedarfslage gerecht unter
den Ehegatten aufzuteilen. Wird ein Ehegatte hingegen pflegebedürftig, so ent-
steht ihm aufgrund seiner Pflegebedürftigkeit ein besonderer, in der Regel exis-
tenznotwendiger Bedarf. Dieser wird, wie der vorliegende Fall zeigt, das Ein-
kommen der Ehegatten nicht selten erreichen oder sogar übersteigen. Als un-
abweisbarer konkreter Bedarf kann er dann - insoweit ähnlich dem allgemeinen
Mindestbedarf (vgl. Senatsurteile BGHZ 184, 13 = FamRZ 2010, 357 Rn. 25 ff.
und vom 17. Februar 2010 - XII ZR 140/08 - FamRZ 2010, 629 Rn. 32) - nicht
auf einen hälftigen Anteil am Familieneinkommen beschränkt bleiben, sondern
bemisst sich nach den für den Lebensbedarf des pflegebedürftigen Ehegatten
konkret erforderlichen Kosten (vgl. OLG Düsseldorf NJW 2002, 1353; OLG Köln
FamRZ 2010, 2076; OLG Celle FamRB 2016, 133). Der Bedarf kann in diesem
Fall wie der Bedarf pflegebedürftiger Eltern im Rahmen des Elternunterhalts
bemessen werden. Er bestimmt sich somit bei stationärer Pflege nach den
Heim- und Pflegekosten zuzüglich eines Barbetrags für die Bedürfnisse des
täglichen Lebens (vgl. Senatsurteile vom 21. November 2012 - XII ZR 150/10 -
FamRZ 2013, 203 Rn. 15 ff. mwN und vom 19. Februar 2003 - XII ZR 67/00 -
FamRZ 2003, 860).
bb) Aufgrund der Besonderheiten des Familienunterhalts ist der Senat
bislang davon ausgegangen, dass abweichend von der regelmäßigen Rechts-
natur des Unterhalts die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen keine
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Voraussetzung des Unterhaltsanspruchs sei. Der Verpflichtete könne im Ver-
hältnis zu seinem Partner seinen Beitrag zum Familienunterhalt nicht unter
Hinweis darauf verweigern, er sei ohne Gefährdung seines Eigenbedarfs zur
Unterhaltsleistung nicht in der Lage. Ein solches Verhalten wäre dem ehege-
meinschaftlichen Prinzip fremd und widerspräche der familienrechtlichen Unter-
haltsregelung (Senatsurteil vom 12. April 2006 - XII ZR 31/04 - FamRZ 2006,
1010 Rn. 36 mwN; ebenso BVerfG FamRZ 1984, 346, 350 mwN; vgl.
Wendl/Bömelburg Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 9. Aufl.
§ 3 Rn. 43; NK-BGB/Kaiser 3. Aufl. § 1360 Rn. 14).
Diese Erwägungen beziehen sich indessen, wie das Oberlandesgericht
richtig gesehen hat, auf den Regelfall des häuslichen Zusammenlebens der
Familie. Beim häuslichen Zusammenleben kommen die vom Unterhaltspflichti-
gen an die Familie geleisteten Beiträge diesem selbst wieder zugute, indem sie
auch für seine Lebensbedürfnisse Verwendung finden. Daher besteht in der
Regel keine Veranlassung dazu, dem Ehegatten als Selbstbehalt einen Betrag
zu belassen, der vergleichbar mit dem Trennungsunterhalt und dem nacheheli-
chen Unterhalt zur Bestreitung seines eigenen Unterhalts bestimmt ist. Zugleich
hat der Unterhaltspflichtige regelmäßig seinerseits einen Unterhaltsanspruch.
Dieser richtet sich grundsätzlich auf einen gleichwertigen Beitrag des anderen
Ehegatten zum Familienunterhalt und kann bei einem nicht erwerbstätigen
Ehegatten etwa in der Haushaltsführung bestehen. Es dürfte auch tatsächlicher
Handhabung von in häuslicher Gemeinschaft zusammenlebenden Ehegatten
entsprechen, dass sie - abgesehen von einer möglichen Vermögensbildung -
die verfügbaren Geldmittel zum gemeinsamen Verbrauch verwenden. Reichen
diese zur Bestreitung des Familienunterhalts nicht aus, werden - abgesehen
von der Aufnahme von Konsumentenkrediten - folgerichtig Sozialleistungen be-
antragt werden müssen, wobei das Sozialrecht ebenfalls den Bedarf sämtlicher
Familienmitglieder einbezieht und im Rahmen der Bedarfs- bzw. Einsatzge-
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meinschaft das Einkommen beider Ehegatten berücksichtigt (§§ 7 Abs. 3, 9
Abs. 2 SGB II; § 27 Abs. 2 SGB XII).
Vom Regelfall familiären Zusammenlebens in einer häuslichen Gemein-
schaft, in dem bei den einzelnen Familienmitgliedern nur der Elementarbedarf
als Regelbedarf anfällt, unterscheidet sich der Fall einer bei einem Ehegatten
aufgetretenen Pflegebedürftigkeit wesentlich. Wegen des besonderen Mehrbe-
darfs des pflegebedürftigen Ehegatten, der seinerseits zu eigenen Familienun-
terhaltsleistungen nicht in der Lage ist, stellt sich die Frage der gleichmäßigen
Verteilung aller verfügbaren Mittel (vgl. § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB) nicht länger.
Vielmehr übersteigen die Pflegekosten - wie im vorliegenden Fall - oftmals das
gesamte Familieneinkommen und würden bei unbeschränkter Unterhaltspflicht
des anderen Ehegatten der übrigen Familie die Mittel entziehen, die diese für
den eigenen Lebensbedarf benötigt. Das würde dann folgerichtig etwa auch für
minderjährige haushaltsangehörige Kinder gelten und dürfte schon mit deren
nach § 1609 Nr. 1 BGB gegenüber dem Familienunterhalt des bedürftigen Ehe-
gatten zu beachtenden unterhaltsrechtlichem Vorrang nicht zu vereinbaren
sein.
Diese Erwägungen führen dazu, dass bei einem trotz fortbestehender
ehelicher Lebensgemeinschaft wegen individueller besonderer Bedürfnisse ei-
nes Ehegatten zu dessen gesonderter Verwendung zu leistenden Unterhalt die
Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen auch beim Familienunterhalt als
Anspruchsvoraussetzung zu beachten ist. Dem Unterhaltspflichtigen muss da-
her in diesem Fall im Unterschied zum Fall des häuslichen Zusammenlebens
auch beim Familienunterhalt der angemessene eigene Unterhalt als Selbstbe-
halt belassen werden. Das Oberlandesgericht hat diesen mit dem sogenannten
Ehegattenselbstbehalt (vgl. Senatsurteil BGHZ 166, 351 = FamRZ 2006, 683,
685 f.) bemessen und hat sich hierfür auf eine insoweit dem Trennungsunterhalt
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vergleichbare Situation berufen (ebenso OLG Düsseldorf NJW 2002, 1353;
OLG Köln FamRZ 2010, 2076; OLG Celle FamRB 2016, 133).
Dem ist zuzustimmen. Das Oberlandesgericht hat zu Recht ausgeführt,
dass die vorliegende Konstellation der Trennungssituation weitgehend angenä-
hert ist. Zwar ist zusammenlebenden Ehegatten grundsätzlich ein höheres Maß
an ehelicher Solidarität abzuverlangen als nach der Trennung. Tritt hingegen
die stationäre Pflegebedürftigkeit ein, so ist auch beim Familienunterhalt eine
übermäßige Belastung des Unterhaltspflichtigen mit den Pflegekosten zu ver-
meiden. Der Unterhaltspflichtige wird zudem bei Fortbestand der ehelichen Le-
bensgemeinschaft nicht selten weiterhin Fürsorge für den pflegebedürftigen
Ehegatten wahrnehmen und diese etwa in Form von Besuchen, Organisation
der Pflege oder sonstiger immaterieller Unterstützung leisten. Würde sich in
dieser Situation ein Unterschied zwischen Familienunterhalt und Trennungsun-
terhalt ergeben, stünde der Ehegatte besser, der sich zur Trennung vom pfle-
gebedürftigen Ehegatten entschließt, was nicht zuletzt diesen weiter beeinträch-
tigen dürfte.
Ob darüber hinaus dem Unterhaltspflichtigen auch gegenüber dem kon-
kreten Bedarf des Unterhaltsberechtigten generell die Hälfte seines Einkom-
mens als Selbstbehalt zu belassen ist (vgl. Senatsurteil BGHZ 192, 45 =
FamRZ 2012, 281 Rn. 33 ff.), erscheint naheliegend, bedarf in der vorliegenden
Fallkonstellation eines den Ehegattenselbstbehalt nur geringfügig übersteigen-
den Einkommens aber keiner Entscheidung.
Dass sich durch einen gegenüber der (bisherigen) sozialhilferechtlichen
Bedarfs- und Leistungsermittlung erhöhten Betrag des dem unterhaltspflichtigen
Ehegatten unterhaltsrechtlich zuzubilligenden Eigenbedarfs (Selbstbehalt) eine
Deckungslücke hinsichtlich der Heimkosten ergibt, stellt schließlich keinen ent-
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scheidenden Hinderungsgrund dar. Da es der Ehefrau insoweit an einem dem
sozialhilferechtlich der Einsatzgemeinschaft zugerechneten Einkommen korres-
pondierenden Unterhaltsanspruch mangelt, ist es vielmehr Aufgabe der Sozial-
hilfe, im Rahmen der gebotenen Existenzsicherung auch für den noch offenen
Betrag durch ergänzende Leistungen aufzukommen. Dies entspricht etwa der
Lage, wie sie sich bei einem Ausschluss des Anspruchsübergangs auch in an-
deren Fällen ergibt (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 206, 177 = FamRZ 2015, 1467
Rn. 31 ff.).
cc) Das Oberlandesgericht hat dementsprechend zu Recht den nach
seinen Leitlinien für die streitbefangene Zeit maßgebenden Selbstbehaltssatz
angewendet. Dass dieser nach einem Zwischenbetrag aus dem sogenannten
angemessenen und dem notwendigen Selbstbehalt bemessen ist, ist aus
Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Zwar erspart der Antragsgegner - wie
vom Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin im Senatstermin zutreffend
geltend gemacht worden ist - durch die Heimpflege der Antragstellerin Kosten,
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die im Fall einer fortbestehenden häuslichen Gemeinschaft der Ehegatten anfal-
len würden. Daraus kann sich aber schon deshalb keine andere Beurteilung
ergeben, weil der Selbstbehalt bereits auf den Bedarf eines alleinstehenden
Unterhaltspflichtigen zugeschnitten ist.
Dose Weber-Monecke Klinkhammer
Nedden-Boeger Guhling
Vorinstanzen:
AG Warstein, Entscheidung vom 12.03.2014 - 3a F 194/13 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 12.08.2014 - II-7 UF 55/14 -