Urteil des BGH vom 17.06.2015

Leitsatzentscheidung zu Sozialhilfe, Unterkunftskosten, Härte, Ausnahme

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
VERSÄUMNISBESCHLUSS
X I I Z B 4 5 8 / 1 4
Verkündet am:
17. Juni 2015
Küpferle,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Familiensache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
BGB §§ 1602, 1610; SGB XII §§ 94 Abs. 1 Satz 6 und Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, 105 Abs. 2
a) Liegt es im Verantwortungsbereich des Sozialhilfeträgers, dass der Unterhaltsberechtigte nicht
pflegeversichert ist und deshalb im später eingetretenen Pflegefall kein Pflegegeld bezieht, kann
der Übergang des Elternunterhaltsanspruchs gemäß § 94 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII in Höhe des
fiktiven Pflegegelds eine unbillige Härte bedeuten. Insoweit können allerdings fiktive Versiche-
rungsbeiträge den Bedarf des Unterhaltsberechtigten erhöhen.
b) Von den Unterkunftskosten des in einem Heim lebenden und Hilfe zum Lebensunterhalt oder
Grundsicherung im Alter oder bei Erwerbsminderung beziehenden Unterhaltsberechtigten unterlie-
gen mit Ausnahme der Kosten für Heizungs- und Warmwasserversorgung 56 % nicht der Rückfor-
derung und stehen damit einem Anspruchsübergang nach § 94 SGB XII entgegen.
c) Ist der Elternunterhaltspflichtige verheiratet und bei Zusammenveranlagung in Steuerklasse III und
sein Ehegatte in Steuerklasse V eingruppiert, ist für die Leistungsfähigkeit nicht von dessen tat-
sächlicher Steuerlast auszugehen. Vielmehr ist in Anlehnung an § 270 AO zunächst anhand der
fiktiven Steuerlast bei einer Einzelveranlagung die Relation der individuellen Steuerlast zur gesam-
ten Steuerlast zu ermitteln und anhand des entsprechenden Prozentsatzes die Steuerlast des Un-
terhaltspflichtigen am Maßstab der bei Zusammenveranlagung tatsächlich bestehenden Steuer-
schuld zu berechnen (im Anschluss an Senatsurteile vom 10. Juli 2013 - XII ZB 298/12 - FamRZ
2013, 1563; BGHZ 178, 79 = FamRZ 2008, 2189 und vom 31. Mai 2006 - XII ZR 111/03 - FamRZ
2006, 1178).
BGH, Versäumnisbeschluss vom 17. Juni 2015 - XII ZB 458/14 - OLG Karlsruhe
AG Baden-Baden
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 17. Juni 2015 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Schil-
ling, Dr. Günter, Dr. Nedden-Boeger und Dr. Botur
für Recht erkannt:
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss
des 16. Zivilsenats - Senat für Familiensachen - des Oberlandes-
gerichts Karlsruhe vom 31. Juli 2014 im Kostenpunkt und insoweit
aufgehoben, als das Oberlandesgericht den Antrag des Antrag-
stellers abgewiesen hat, an ihn für das Jahr 2010 weitere
3.222,54
€ nebst Zinsen zu zahlen.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbe-
schwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
A.
Der Antragsteller verlangt als Träger der Sozialhilfe vom Antragsgegner
Elternunterhalt aus übergegangenem Recht.
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Die im Dezember 1925 geborene Mutter des Antragsgegners (im Fol-
genden: Mutter) lebt seit 1998 in einem Altersheim. Soweit sie die Heimkosten
aus ihren Einkünften nicht vollständig zahlen konnte, übernahm diese der An-
tragsteller. Die Heim- einschließlich der Pflegekosten beliefen sich im für das
Rechtsbeschwerdeverfahren maßgeblichen Zeitraum von Januar bis Dezember
2010 - ohne Investitionskosten - auf 32.352,85
€. Daneben erhielt die Mutter,
deren Jahresrente sich auf 3.838,32
€ belief, ein Taschengeld von jährlich
1.347,48
€. Da sie nicht pflegeversichert war, bezog sie kein Pflegegeld.
Der 1950 geborene und verheiratete Antragsgegner ist seit 1. Januar
2010 verrentet und verfügte im Jahr 2010 bei Steuerklasse III monatlich über
eine Rente in Höhe von 1.388,70
€ sowie eine Betriebsrente in Höhe von
1.963,39
€. Zudem erhielt er eine Übergangszahlung. Außerdem verfügt er über
Leistungen aus zusätzlichen betrieblichen Altersversorgungen. Ferner erzielten
der Antragsgegner sowie seine Ehefrau, mit der er in einem im gemeinsamen
Miteigentum stehenden Zweifamilienhaus lebt, Kapital- und Mieteinkünfte. Sei-
ne Ehefrau verfügte im Jahr 2010 aufgrund ihrer Teilzeiterwerbstätigkeit bei
Steuerklasse V zudem über Nettoeinkünfte in Höhe von 799,74
€.
Der Antragsteller hat den Antragsgegner für das Jahr 2010, in dem die-
ser monatlich 405 € Unterhalt gezahlt hatte, auf Zahlung eines weiteren Betra-
ges von 28.976,86
€ in Anspruch genommen. Nachdem das Amtsgericht dem
Antragsteller insoweit einen Betrag von 3.557,83
€ zugesprochen hatte, hat
dieser in der Beschwerdeinstanz für das Jahr 2010 noch einen Gesamtbetrag
von 23.901,34
€ gefordert. Das Oberlandesgericht hat den Antragsgegner in-
soweit verpflichtet, an den Antragsteller einen Betrag von 7.476,96
€ zu zahlen.
Gegen die Abweisung seines weitergehenden Antrages wendet sich der An-
tragsteller mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde insoweit, als er weiteren
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rückständigen Elternunterhalt für das Jahr 2010 in Höhe von 3.222,54
€ nebst
Zinsen fordert.
B.
Da der Antragsgegner als Rechtsbeschwerdegegner in der mündlichen
Verhandlung trotz rechtzeitiger Bekanntgabe des Termins nicht vertreten war,
ist über die Rechtsbeschwerde des Antragstellers durch Versäumnisbeschluss
zu entscheiden (§§ 74 Abs. 4, 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG iVm § 331 ZPO). Die-
ser beruht jedoch inhaltlich nicht auf der Säumnis, sondern berücksichtigt von
Rechts wegen den gesamten Sach- und Streitstand (Senatsbeschluss vom
7. Mai 2014 - XII ZB 141/13 - FamRZ 2014, 1355 Rn. 5 mwN).
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
I.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig.
1. Der Antragsteller hat seine Rechtsbeschwerde im Rahmen der vom
Oberlandesgericht ausgesprochenen Zulassung auf den Zeitraum vom
1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2010 beschränkt. Da der streitgegen-
ständliche Unterhalt in zeitlicher Hinsicht teilbar ist, ist eine entsprechende Be-
grenzung der Rechtsbeschwerde möglich (vgl. Senatsurteil vom 16. Januar
2013 - XII ZR 39/10 - FamRZ 2013, 534 Rn. 9 mwN).
2. Gegen die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde spricht auch nicht,
dass der Landkreis die Rechtsbeschwerde eingelegt hat, obgleich in den Rub-
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ren der Vorentscheidungen jeweils das Land als Beteiligter genannt ist. Hierbei
handelt es sich um eine offensichtliche und unschädliche Falschbezeichnung
des Antragstellers.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH Urteil vom
24. Januar 2013 - VII ZR 128/12 - NJW-RR 2013, 394 Rn. 13) gilt für die Zivil-
prozessordnung folgendes: Wer Partei eines Zivilrechtsstreits ist, ergibt sich
aus der in der Klageschrift gewählten Parteibezeichnung, die als Teil einer Pro-
zesshandlung grundsätzlich der Auslegung zugänglich ist. Maßgebend ist, wel-
cher Sinn dieser prozessualen Erklärung bei objektiver Würdigung des Erklä-
rungsinhalts aus der Sicht der Empfänger beizulegen ist. Deshalb ist bei objek-
tiv unrichtiger oder mehrdeutiger Bezeichnung grundsätzlich diejenige Person
als Partei anzusehen, die erkennbar durch die fehlerhafte Parteibezeichnung
betroffen werden soll. Für die Ermittlung der Parteien durch Auslegung ihrer
Bezeichnung sind nicht nur die im Rubrum der Klageschrift enthaltenen Anga-
ben, sondern auch der gesamte Inhalt der Klageschrift einschließlich etwaiger
beigefügter Anlagen zu berücksichtigen. Dabei gilt der Grundsatz, dass die Kla-
geerhebung gegen die in Wahrheit gemeinte Partei nicht an deren fehlerhafter
Bezeichnung scheitern darf, wenn diese Mängel in Anbetracht der jeweiligen
Umstände letztlich keine vernünftigen Zweifel an dem wirklich Gewollten auf-
kommen lassen. Er greift auch dann, wenn statt der richtigen Bezeichnung irr-
tümlich die Bezeichnung einer tatsächlich existierenden (juristischen oder natür-
lichen) Person gewählt wird, solange nur aus dem Inhalt der Klageschrift und
etwaigen Anlagen unzweifelhaft deutlich wird, welche Partei tatsächlich gemeint
ist (BGH Urteil vom 24. Januar 2013 - VII ZR 128/12 - NJW-RR 2013, 394
Rn. 13). Außer der Bezeichnung in dem Schriftstück, das den Rechtsstreit ein-
leitet und dem darin enthaltenen Tatsachenvorbringen kann zur Bestimmung
der Partei auch das weitere Prozessgeschehen herangezogen werden; dies gilt
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auch für die Frage, wer Antragsteller ist (vgl. Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO,
36. Aufl., Vorbem. § 50 Rn. 4 mwN).
Diese Grundsätze finden auf Familienstreitsachen gemäß §§ 112, 113
FamFG gleichermaßen Anwendung.
b) Gemessen hieran ergibt eine Auslegung der Antragsschrift einschließ-
lich der zu den Akten gereichten Anlagen und des weiteren Verfahrensgesche-
hens, dass Antragsteller - auch in der Instanz - tatsächlich der Landkreis war.
Dies folgt schon daraus, dass ausschließlich Ansprüche aus übergegan-
genem Recht gemäß § 94 SGB XII verfahrensgegenständlich sind, für die allein
der Träger der Sozialhilfe aktivlegitimiert ist, vorliegend gemäß § 1 Abs. 1 des
Baden-Württembergischen Gesetz zur Ausführung des XII. Buches Sozialge-
setzbuch vom 1. Juli 2004 also der Landkreis (AGSGB XII GBl. 2004, 469,
534).
II.
Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
1. Das Oberlandesgericht hat - soweit für das Rechtsbeschwerdeverfah-
ren von Bedeutung - zur Begründung seiner in juris veröffentlichten Entschei-
dung ausgeführt:
Der Bedarf der Mutter sei mit Ausnahme der Investitionskosten ausrei-
chend dargetan. Lebten Eltern in einem Pflegeheim, werde der Bedarf im We-
sentlichen durch die Heim- und Pflegekosten sowie ein angemessenes Ta-
schengeld bestimmt. Die Heimkosten einschließlich der Investitionskosten zu-
züglich Taschengeld hätten im Jahr 2010 37.675,18
€ betragen (Heimkosten
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36.327,70
€/Taschengeld 1.347,48 €). Die Investitionskosten für 2010 in Höhe
von 3.974,85
€ seien beim Bedarf nicht zu berücksichtigen, weil der Antragstel-
ler trotz Hinweises nicht dargetan habe, dass dieser Bedarf anzuerkennen sei.
Die Mutter könne ihren Bedarf mit ihrer Altersrente in Höhe von 319,86
€ mo-
natlich teilweise selbst decken.
Überdies sei von ihrem Bedarf ein fiktives Pflegegeld abzusetzen. Die
Mutter beziehe keine Leistung aus der gesetzlichen Pflegeversicherung, weil
sie weder freiwillig noch gesetzlich krankenversichert sei. Zum Zeitpunkt des
Inkrafttretens der Pflegeversicherung am 1. Januar 1995 sei die Mutter sozial-
hilfeberechtigt gewesen. Eine freiwillige Weiterzahlung der privaten Kranken-
versicherungsbeiträge ab Januar 1995 habe der Sozialhilfeträger mit Bescheid
vom 19. Dezember 1994 abgelehnt; eine eigene Zahlung sei der Mutter nicht
möglich gewesen. Ihr Krankenversicherungsschutz sei im Rahmen der Kran-
kenhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz erfolgt. Damit habe es letztlich kei-
nen Versicherungsschutz in der Pflegeversicherung gegeben. Folge sei, dass
die Mutter kein Pflegegeld beziehe, ohne dass hieran irgendeine Mitverantwor-
tung des Antragsgegners bestehe. Wenn verabsäumt worden sei, ausreichen-
den Versicherungsschutz in zumutbarer Weise durch den Unterhaltsgläubiger
zu schaffen, so könne dies nicht zu Lasten des Unterhaltsschuldners gehen.
Die Auffassung des Oberlandesgerichts Oldenburg (FamRZ 2013, 1143), wo-
nach sich der Unterhaltsgläubiger in einem solchen Fall fiktive Leistungen der
Pflegeversicherung zurechnen lassen müsse, sei zutreffend. Dabei könne letzt-
lich dahingestellt bleiben, ob in Höhe des fiktiven Pflegegelds eine Bedarfsmin-
derung anzunehmen oder der Forderungsübergang nach § 94 Abs. 3 Satz 1
Nr. 2 SGB XII unbillig sei.
Etwas anderes ergebe sich auch dann nicht, wenn der Antragsgegner im
Zeitpunkt des ablehnenden Bescheids schon Betreuer seiner Mutter gewesen
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sei. Der Bescheid des Antragstellers enthalte keinerlei Hinweis auf die damit
entstehende Versicherungslücke hinsichtlich der zum 1. Januar 1995 in Kraft
getretenen Pflegeversicherung. Dass damit gleichzeitig die Aufnahme der Mut-
ter in die Pflegeversicherung verhindert werden würde, sei nicht ersichtlich ge-
wesen. Gerade im Hinblick auf die schon damals zutage getretenen erheblichen
gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Mutter sei jedoch ihre Aufnahme in
die Pflegeversicherung erkennbar wichtig gewesen. Einerseits in Kenntnis der
bestehenden Rechtslage eine Aufnahme in die Pflegeversicherung zu verhin-
dern und andererseits den vollen Bedarf nach Eintritt der Pflegebedürftigkeit
geltend zu machen, sei treuwidrig. Dies führe dazu, dass das Pflegegeld fiktiv
abzusetzen sei. Die Leistungen der Pflegeversicherung betrügen 1.279
€ mo-
natlich bei Pflegestufe 2. Abzusetzen seien damit 15.348
€.
Von den danach verbleibenden 14.514,01
€ sei die Forderung nur in Hö-
he von 12.336,91
€ auf den Antragsteller übergegangen. Im Übrigen sei ein
Forderungsübergang in Höhe von 15 % wegen der vom Antragsgegner seiner
Mutter gegenüber erbrachten Arbeits- und Pflegeleistungen gemäß § 94 Abs. 3
Satz 1 Nr. 2 SGB XII unbillig.
§ 94 Abs. 1 Satz 6 SGB XII i.V.m. § 105 Abs. 2 SGB XII sei entgegen der
Ansicht des Amtsgerichts und des Antragsgegners für das Jahr 2010 allerdings
nicht anwendbar. Die Mutter habe im Jahr 2010 keinen Anspruch auf Grundsi-
cherung gehabt. Darüber hinaus bestünden durchgreifende Bedenken gegen
die Berechnung des Amtsgerichts, soweit dieses 56 % der gesamten entstan-
denen Heimkosten als vom Anspruchsübergang ausgeschlossen angesehen
habe. Dies könne schon deshalb nicht richtig sein, weil in den Heimkosten auch
andere Kosten wie Pflegekosten und Verpflegung enthalten seien. Ausgehend
von dem aufgeführten Kostensatz von 11,25
€ am Tag für Unterkunftskosten
errechneten sich reine Unterkunftskosten von 337,50
€ monatlich. Rund 149 €
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wären ausgehend von dieser Berechnungsgrundlage auf die Antragstellerin
übergegangen, so dass sich der übergegangene Anspruch ohnehin nur um
2.268
€ jährlich mindern würde.
Der Antragsgegner sei zur Zahlung des geschuldeten Unterhalts auch
dann leistungsfähig, wenn man seiner Auffassung folgte, wonach die als Alters-
vorsorge bestimmten Zahlungen auf seine statistische Lebenserwartung umzu-
rechnen seien. Ziehe man die im März 2010 erfolgte Zahlung von 15.032,83
aus der betrieblichen Altersvorsorge von dem Jahresbetrag 2010 von
109.771,28
€ ab und addiere nur die im April 2010 geflossene Übergangszah-
lung von 6.269,23
€ hinzu, errechneten sich Nettoeinkünfte von 101.008,13 €,
monatlich 8.417,34
€. Dabei sei nicht berücksichtigt, dass auch nach dem Vor-
bringen des Antragsgegners die zusätzliche Altersvorsorge mit einem Betrag
von 4.700
€ brutto jährlich, 391 € monatlich, zu berücksichtigen sei.
Eine Leistungsfähigkeit des Antragsgegners im Unterhaltszeitraum 2010
bestehe schließlich auch dann, wenn zu seinen Gunsten eine fiktive Steuerbe-
rechnung vorgenommen werde. Der Antragsgegner und seine Ehefrau hätten
aufgrund des weitaus geringeren Einkommens der Ehefrau die Steuerklas-
sen III und V gewählt. Habe das unterhaltspflichtige Kind die Lohnsteuerklas-
se V gewählt, sei sein Nettoeinkommen entsprechend Lohnsteuerklasse I bzw.
IV fiktiv zu erhöhen. Konsequent sei es, bei der Steuerklassenwahl III/V zu-
gunsten des unterhaltspflichtigen Kindes das Nettoeinkommen auf der Basis
der fiktiven Besteuerung nach Steuerklassen IV/IV (entsprechend I/I) vorzu-
nehmen. Denn die Zugrundelegung des tatsächlich erzielten Einkommens führe
dazu, dass durch das - sich bei Steuerklasse III ergebende - höhere Einkom-
men des Antragsgegners eine erhöhte Leistungsfähigkeit eintrete. Letztlich füh-
re dies zu einer Schwiegerkindhaftung, die unterhaltsrechtlich nicht zulässig sei.
Bei Steuerklasse IV hätte der Antragsgegner im Jahr 2010 rund 5.000
€ mehr
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an Steuern zu entrichten, 416
€ monatlich. Auch unter Berücksichtigung der
dann höheren Kirchensteuer und des höheren Solidaritätsbeitrags würde sich
das Einkommen nicht um mehr als 600
€ monatlich verringern. Es würde sich
zumindest noch auf 7.800
€ belaufen. Nach Abzug von 2.055,34 € für Belas-
tungen entsprechend der Berechnung des Amtsgerichts für 2010 blieben rund
5.745
€. Auch unter weiterer Berücksichtigung der Sondertilgung des Antrags-
gegners sei ausreichendes Einkommen zur Zahlung des übergegangenen An-
spruchs gegeben.
2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht in jeder Hin-
sicht stand.
a) Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts ist die Bedarfsbe-
messung allerdings im Ansatz nicht zu beanstanden.
aa) Nach der Rechtsprechung des Senats bestimmt sich der Unterhalts-
bedarf des Elternteils regelmäßig durch seine Unterbringung in einem Heim und
deckt sich mit den dort anfallenden Kosten, soweit diese notwendig sind (Se-
natsurteil vom 21. November 2012 - XII ZR 150/10 - FamRZ 2013, 203 Rn. 15
mwN). Im Hinblick auf die Notwendigkeit der Kosten können sozialhilferechtli-
che Kriterien zwar einen Anhalt für die Angemessenheit bieten. Wegen der be-
stehenden Bandbreite von der Sozialhilfe anerkannter Pflegekosten und Kosten
der Unterkunft und Verpflegung (sogenannte Hotelkosten) sowie der unter-
schiedlichen Investitionskosten können sozialrechtlich und unterhaltsrechtlich
anzuerkennende Kosten aber voneinander abweichen (Senatsurteil vom
21. November 2012 - XII ZR 150/10 - FamRZ 2013, 203 Rn. 16).
Neben den Heimkosten umfasst die Sozialhilfe einen Barbetrag nach
§ 35 Abs. 2 Satz 1 SGB XII. Auch insoweit ist unterhaltsrechtlich ein Bedarf an-
zuerkennen. Ein in einem Heim lebender Unterhaltsberechtigter ist darauf an-
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gewiesen, für seine persönlichen, von den Leistungen der Einrichtung nicht er-
fassten Bedürfnisse über Barmittel verfügen zu können, weil er andernfalls nicht
in der Lage wäre, diese Bedürfnisse zu finanzieren (Senatsbeschluss vom
7. August 2013 - XII ZB 269/12 - FamRZ 2013, 1554 Rn. 16 mwN).
bb) Diesen Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung gerecht.
Es ist weder zu beanstanden noch von der Rechtsbeschwerde angegriffen,
dass das Oberlandesgericht für das Jahr 2010 im Ausgangspunkt von einem
Bedarf für die Mutter von 33.700,33
€ ausgegangen ist, der sich aus Heimkos-
ten inklusive der Pflegekosten und einem Barbetrag zusammensetzt, ohne zu-
sätzlich Investitionskosten zu berücksichtigen.
b) Dass das Oberlandesgericht bei der Prüfung der Bedürftigkeit der Mut-
ter ihre Altersrente in Abzug gebracht hat, ist ebenso wenig zu beanstanden wie
sein Ansatz, wonach sich im Einzelfall ein fiktives Pflegegeld unterhaltsmin-
dernd auswirken kann.
aa) Gemäß § 1602 Abs. 1 BGB ist unterhaltsberechtigt nur, wer außer-
stande ist, sich selbst zu unterhalten.
Zum unterhaltsrechtlich maßgeblichen Einkommen zählen grundsätzlich
sämtliche Einkünfte, wenn sie geeignet sind, den gegenwärtigen Lebensbedarf
des Einkommensbeziehers sicherzustellen. Dazu können auch dem Unterhalts-
gläubiger zu gewährende Sozialleistungen gehören, wenn sie nicht subsidiär
sind (vgl. Senatsurteil vom 20. Dezember 2006 - XII ZR 84/04 - FamRZ 2007,
noch dürfen Einkünfte aus Vermögen oder Erwerbstätigkeit zur Verfügung ste-
hen bzw. wegen entsprechender Verletzung der Obliegenheit fiktiv zuzurechnen
sein (Wendl/Wönne Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis
9. Aufl. § 2 Rn. 933).
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Verabsäumt der Unterhaltsberechtigte es, sich hinreichend für den Ein-
tritt seines Pflegefalles zu versichern, so kann ein - ihm bei angemessener Ab-
sicherung zustehendes - fiktives Pflegegeld grundsätzlich von seinem Unter-
haltsbedarf in Abzug gebracht werden, wenn der Pflegefall eingetreten ist (vgl.
OLG Oldenburg FamRZ 2013, 1143; jurisPK-BGB/Viefhues [Stand 1. Oktober
2014] § 1602 BGB Rn. 174; Palandt/Brudermüller BGB 74. Aufl. § 1601 Rn. 7).
bb) Jedoch vermögen die vom Oberlandesgericht getroffenen Feststel-
lungen eine Obliegenheitsverletzung der Mutter als ursprüngliche Unterhalts-
gläubigerin und damit die Anrechnung eines fiktiven Pflegegeldes nicht zu be-
gründen.
Dabei kann eine Obliegenheitsverletzung darin gesehen werden, dass
sie den Bescheid vom 19. Dezember 1994, mit dem der Antragsteller die Über-
nahme der Kosten für die Kranken-, und damit im Ergebnis auch der Pflegever-
sicherung abgelehnt hat, nicht angefochten oder - alternativ - nicht aus eigenen
Mitteln für den Abschluss einer Pflegeversicherung gesorgt hat.
Das Oberlandesgericht hat im Zusammenhang mit der Frage, ob der An-
tragsgegner als damaliger Betreuer für die unterbliebene Versicherung verant-
wortlich war, darauf hingewiesen, dass der Bescheid des Antragstellers keiner-
lei Hinweis auf die damit entstehende Versicherungslücke hinsichtlich der zum
1. Januar 1995 in Kraft getretenen Pflegeversicherung enthalten habe. Diese
Ausführungen des Oberlandesgerichts, denen zufolge es an einer Verantwort-
lichkeit des Antragsgegners als Betreuer für die unterbliebene Versicherung
fehlte, gelten auch für die Mutter. Wenn der Betreuer schon nicht verpflichtet
gewesen wäre, für eine Pflegeversicherung der Mutter Sorge zu tragen, dann
muss dies erst recht für die - unter Betreuung stehende - Mutter selbst gelten.
Daneben hat das Oberlandesgericht festgestellt, dass ihr eine eigene Zahlung
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hinsichtlich der freiwilligen Weiterversicherung in der privaten Krankenversiche-
rung nicht möglich gewesen sei.
c) Allerdings hat das Oberlandesgericht zu Recht erwogen, dass dem
Anspruchsübergang teilweise § 94 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII entgegensteht.
aa) Danach gehen Unterhaltsansprüche nicht über, soweit der Übergang
des Anspruchs eine unbillige Härte bedeuten würde. Entscheidend hierfür ist,
ob aus Sicht des Sozialhilferechts durch den Anspruchsübergang soziale Be-
lange berührt werden. Die Härte kann in materieller oder immaterieller Hinsicht
bestehen und entweder in der Person des Unterhaltspflichtigen oder in derjeni-
gen des Hilfeempfängers vorliegen. Bei der Auslegung der Härteklausel ist in
erster Linie die Zielsetzung der Hilfe zu berücksichtigen, daneben sind die all-
gemeinen Grundsätze der Sozialhilfe zu beachten. Eine unbillige Härte liegt
danach insbesondere vor, wenn und soweit der - öffentlich-rechtliche - Grund-
satz der familiengerechten Hilfe, nach dem unter anderem auf die Belange und
Beziehung in der Familie Rücksicht zu nehmen ist, einer Heranziehung entge-
gensteht. Weitere Gründe sind, dass die laufende Heranziehung in Anbetracht
der sozialen und wirtschaftlichen Lage des Unterhaltspflichtigen mit Rücksicht
auf die Höhe und Dauer des Bedarfs zu einer nachhaltigen und unzumutbaren
Beeinträchtigung des Unterhaltspflichtigen und der übrigen Familienmitglieder
führen würde, wenn die Zielsetzung der Hilfe infolge des Übergangs gefährdet
erscheint oder wenn der Unterhaltspflichtige den Sozialhilfeempfänger bereits
vor Eintritt der Sozialhilfe über das Maß einer zumutbaren Unterhaltsverpflich-
tung hinaus betreut oder gepflegt hat (Senatsurteil vom 15. September 2010
- XII ZR 148/09 - FamRZ 2010, 1888 Rn. 46 mwN).
bb) Gemessen hieran ist es von Rechts wegen nicht zu beanstanden und
von der Rechtsbeschwerde auch nicht gerügt, dass das Oberlandesgericht auf-
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grund der von ihm getroffenen Feststellungen im Ergebnis zu einem teilweisen
Ausschluss des Übergangs aus dem Gesichtspunkt der unterbliebenen Pflege-
versicherung gemäß § 94 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII gelangt ist.
(1) Das Oberlandesgericht hat festgestellt, im Hinblick auf die schon
damals zutage getretenen erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen der
Mutter sei ihre Aufnahme in die Pflegeversicherung erkennbar wichtig gewesen.
Danach sei es treuwidrig, einerseits in Kenntnis der bestehenden Rechtslage
eine Aufnahme in die Pflegeversicherung zu verhindern und dann andererseits
den vollen Bedarf nach Eintritt der Pflegebedürftigkeit geltend zu machen. Da-
mit liegt der gemäß § 94 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII erforderliche Bezug zum
Sozialhilferecht, insbesondere ein kausaler Zusammenhang zu einem Handeln
des Staates oder seiner Organe, vor (vgl. Senatsurteil vom 15. September 2010
- XII ZR 148/09 - FamRZ 2010, 1888 Rn. 45). Denn eine unbillige Härte im Sin-
ne der vorgenannten Norm kann ebenso darin bestehen, dass ein Sozialhilfe-
träger einen übergegangenen Unterhaltsanspruch auch insoweit geltend macht,
als eine Sozialhilfebedürftigkeit hätte vermieden werden können und dies gera-
de auf einem Handeln des Staates oder seiner Organe beruht (jurisPK-
SGB XII/Armbruster [Stand 12. Februar 2015] § 94 SGB XII Rn. 186). Dabei
kann letztlich dahin stehen, ob der Antragsteller seinerzeit rechtlich gehindert
war, für die Mutter eine Pflegeversicherung abzuschließen. Denn wäre dies ei-
ne Konsequenz der (seinerzeit) geltenden Rechtslage gewesen, wäre das Er-
gebnis ebenso dem Staat zuzurechnen.
(2) Zu Recht rügt die Rechtsbeschwerde indes, dass die Berücksichti-
gung eines fiktiven Pflegegeldes inkonsequent ist, wenn nicht zugleich die mo-
natlichen Aufwendungen für eine entsprechende Pflegeversicherung beim Be-
darf zusätzlich in Rechnung gestellt werden. Denn auch die Kosten der Kran-
ken- und Pflegeversicherung sind bei der Bedarfsbemessung zu berücksichti-
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gen (Senatsurteil vom 19. Februar 2003 - XII ZR 67/00 - FamRZ 2003, 860,
861).
Ob die von der Rechtsbeschwerde dargelegten Beträge zutreffend ermit-
telt sind, wird das Oberlandesgericht noch zu prüfen haben. Ebenso wird es im
Rahmen der Zurückverweisung noch Gelegenheit haben, festzustellen, inwie-
weit eine Beitragspflicht bei bereits eingetretenem Versicherungsfall fortbesteht.
cc) Von Rechts wegen ist es nicht zu beanstanden und von der Rechts-
beschwerde auch nicht gerügt, dass sowohl das Amtsgericht wie auch das
Oberlandesgericht im Hinblick auf die von dem Antragsgegner und seiner Ehe-
frau bereits vor Eintritt der Sozialhilfe übernommenen Betreuung und Pflege der
Mutter gemäß § 94 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII eine Kürzung des - um das fik-
tive Pflegegeld reduzierten - übergegangenen Anspruchs um 15 % vorgenom-
men haben.
d) Jedoch hat das Oberlandesgericht die Anwendung des § 94 Abs. 1
Satz 6 i.V.m. § 105 Abs. 2 SGB XII zu Unrecht ausgeschlossen.
aa) Gemäß § 94 Abs. 1 Satz 6 SGB XII gilt für Leistungsempfänger nach
dem Dritten Kapitel (Hilfe zum Lebensunterhalt) und dem Vierten Kapitel
(Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) für den Übergang des
Anspruchs § 105 Abs. 2 SGB XII entsprechend.
(1) Nach § 105 Abs. 2 SGB XII unterliegen von den - bei den Leistungen
nach § 27 a SGB XII oder § 42 SGB XII berücksichtigten - Kosten der Unter-
kunft, mit Ausnahme der Kosten für Heizungs- und Warmwasserversorgung,
56 % nicht der Rückforderung. Dabei orientiert sich der Satz von 56 % am tat-
sächlichen Subventionssatz des besonderen Mietzuschusses auf der Basis der
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empirischen Werte der Wohngeldstatistik 2001 (BT-Drucks. 15/1516 S. 63 zu
§ 40 SGB II; BT-Drucks. 15/1761 S. 7).
(2) Die Verweisung in § 94 Abs. 1 Satz 6 SGB XII auf § 105 Abs. 2 SGB
XII schließt auch die Kosten für die Unterkunft im Rahmen einer stationären
Einrichtung ein. Deshalb gehen 56 % der Wohnkosten (mit Ausnahme für
Warmwasser und Heizung) auch dann nicht auf den Sozialhilfeträger über,
wenn der Hilfeempfänger - wie hier - in einem Heim lebt (Wendl/Klinkhammer
Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 9. Aufl. § 8 Rn. 57, 70;
wohl ebenso BayVGH Urteil vom 27. April 2010 - 12 BV 08.3353 - juris Rn. 25
ff., 32). Dass § 105 Abs. 2 SGB XII neben § 42 SGB XII (Grundsicherung im
Alter und bei Erwerbsminderung) nur § 27 a SGB XII nennt, steht dem nicht
entgegen. Zwar regelt § 27 b SGB XII den notwendigen Lebensunterhalt in Ein-
richtungen. In Absatz 1 Satz 1 ist jedoch erläutert, dass der notwendige Le-
bensunterhalt in Einrichtungen den darin erbrachten sowie in stationären Ein-
richtungen zusätzlich den weiteren notwendigen Lebensunterhalt umfasst. Der
"darin erbrachte" notwendige Lebensunterhalt umfasst mithin auch die in § 27 a
Abs. 1 Satz 1 SGB XII aufgeführte Unterkunft. Daneben verweist § 27 b Abs. 1
Satz 2 SGB XII hinsichtlich des Umfangs der Leistungen auf § 42 Nr. 1, 2 und 4
SGB XII, der in § 105 Abs. 2 SGB XII ebenfalls ausdrücklich Erwähnung findet.
Eine andere Auslegung stünde im Übrigen dem Sinn und Zweck des
§ 94 Abs. 1 Satz 6 i.V.m. § 105 Abs. 2 SGB XII entgegen. Mit der Neufassung
des § 105 Abs. 2 SGB XII sollte bewirkt werden, dass sich der zum 1. Januar
2005 eingetretene Ausschluss u.a. der Sozialhilfeempfänger vom Wohngeldbe-
zug rechtlich und tatsächlich nicht auf den Betroffenen auswirkt. Dieser sollte
durch § 105 Abs. 2 SGB XII so gestellt werden, wie er stünde, wenn er Wohn-
geld, das grundsätzlich nicht der Erstattung unterliegt, erhalten hätte (Bericht
des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung zu dem Entwurf eines
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Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts BT-Drucks. 15/1761 S. 7 zu
§ 100 SGB XII E [später § 105 SGB XII]; s. auch BT-Drucks 15/1516 S. 48 f.
und 63 zu § 40 SGB II; Hußmann FPR 2004, 534, 536; jurisPK-
SGB XII/Armbruster [Stand 12. Februar 2015] § 94 SGB XII Rn. 145; Günther
FamFR 2012, 457, 459). Das hat auch Auswirkungen auf den Unterhaltspflich-
tigen. Während beim Bezug von Wohngeld bei diesem kein Rückgriff genom-
men werden kann, wäre der Rückgriff nunmehr - ohne die Vorschrift des § 94
Abs. 1 Satz 6 SGB XII - auch hinsichtlich der Unterkunftskosten eröffnet. Letzt-
lich sollte also verhindert werden, dass nicht nur der Leistungsempfänger, son-
dern im Hinblick auf § 94 Abs. 1 Satz 6 SGB XII auch der Unterhaltspflichtige
(jurisPK-SGB XII/Armbruster [Stand 12. Februar 2015] § 94 SGB XII Rn. 145;
Günther FamFR 2012, 457, 459) durch die Einbeziehung der Unterkunftskosten
in die Sozialhilfe und den damit einhergehenden Ausschluss der Wohngeldbe-
rechtigung schlechter gestellt wird (s. auch Hußmann FPR 2004, 534, 536;
Wendl/Klinkhammer Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis
9. Aufl. § 8 Rn. 70). Hiervon betroffen ist aber in gleicher Weise der in einem
Heim lebende Unterhaltsberechtigte bzw. derjenige, der ihm gegenüber zum
Unterhalt verpflichtet ist. Denn auch der Hilfeempfänger konnte nach früherem
Recht Wohngeld beantragen (s. etwa § 3 Abs. 2 Nr. 5 WoGG in der Fassung
vom 2. Januar 2001), ist jetzt aber vom Wohngeld nur deshalb ausgeschlossen,
weil er Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch
bezieht (s. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 WoGG und § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 WoGG).
Gründe, gerade diese Personengruppe von der Vergünstigung auszunehmen,
sind nicht ersichtlich.
bb) Dem wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht. Zwar hat
das Oberlandesgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass die Mutter für das
Jahr 2010 keinen Anspruch auf Grundsicherung hatte. Es hat aber verkannt,
dass die Verweisung auf § 105 Abs. 2 SGB XII auch gilt, wenn der Hilfeemp-
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fänger Leistungen nach dem Dritten Kapitel, also Hilfe zum Lebensunterhalt
erhält (BayVGH Urteil vom 27. April 2010 - 12 BV 08.3353 - juris Rn. 32).
Welcher Betrag insoweit vom Übergang ausgeschlossen ist, kann den
bislang vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen nicht entnommen
werden. Vor allem ist nicht ersichtlich, ob bei den vom Oberlandesgericht in Be-
zug genommenen Unterkunftskosten von 11,25
€ pro Tag bereits die Kosten für
die Heizungs- und Warmwasserversorgung abgezogen worden sind.
e) Nach den in der Rechtsbeschwerdeinstanz nicht angegriffenen Fest-
stellungen des Oberlandesgerichts zur Einkommenssituation des Antragsgeg-
ners wäre dieser zur Zahlung des von der Rechtsbeschwerde begehrten erhöh-
ten Unterhalts leistungsfähig. Das Oberlandesgericht ist unter Berücksichtigung
der Einwendungen des Antragsgegners in der Instanz bezogen auf die maß-
gebliche Steuerklasse sowie auf die Art und Weise der Berücksichtigung der
Altersversorgungsbeiträge seitens des Arbeitgebers zu einem Einkommen von
monatlich netto
5.745 € gelangt. Danach wäre der Antragsgegner auf der
Grundlage der vom Oberlandesgericht in Bezug genommenen und der Senats-
rechtsprechung entsprechenden Berechnung des Amtsgerichts (vgl. Senatsur-
teil BGHZ 186, 350 = FamRZ 2010, 1535 Rn. 30 ff.) in der Lage, neben dem
vom Oberlandesgericht bereits zugesprochenen Betrag von 1.028,08
€ auch
den von der Rechtsbeschwerde darüber hinaus geforderten monatlichen Betrag
von 268,54
€ zu zahlen.
Dabei ist das Oberlandesgericht zwar im Ansatz zutreffend davon aus-
gegangen, dass eine fiktive Besteuerung des Unterhaltspflichtigen sowie seines
Ehegatten vorzunehmen ist. Andernfalls würde in Fallkonstellationen wie der
vorliegenden, in denen der Unterhaltspflichtige mit dem höheren Einkommen
Steuerklasse III und sein Ehegatte mit dem geringeren Einkommen Steuerklas-
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se V gewählt haben, die in der Ehe an sich gleichmäßig zu verteilende Steuer-
begünstigung bezogen auf die Unterhaltsverpflichtung zu Lasten des unter-
haltspflichtigen Ehegatten ungleich verteilt (vgl. zum gegenläufigen Fall, in dem
der Unterhaltspflichtige im Verhältnis zu seinem Ehegatten die ungünstigere
Steuerklasse V gewählt hat, Senatsurteil vom 14. Januar 2004 - XII ZR 69/01 -
FamRZ 2004, 443, 444 f.). Jedoch ist der Ansatz des Oberlandesgerichts, die
Steuerlast der Ehegatten nach Steuerklasse IV bezogen auf ihr jeweiliges Ein-
kommen umzurechnen, fehlerhaft, weil damit ein geringeres Familieneinkom-
men zugrunde gelegt wird, als es den Ehegatten bei Zusammenveranlagung
tatsächlich zusteht. Beim Verwandtenunterhalt ist nach ständiger Senatsrecht-
sprechung vielmehr auf die reale Steuerbelastung abzustellen (siehe etwa Se-
natsurteile BGHZ 178, 79 = FamRZ 2008, 2189 Rn. 16, 22; vom 14. März 2007
- XII ZR 158/04 - FamRZ 2007, 882 Rn. 26 und BGHZ 163, 84 = FamRZ 2005,
1817, 1819). Dabei ist die von den Eheleuten nach der tatsächlich gewählten
Zusammenveranlagung (§ 26 b EStG) auf Grundlage des Splitting-Verfahrens
gemäß § 32 a Abs. 5 EStG geschuldete Steuer anteilig bezogen auf ihr jeweili-
ges Einkommen unter zusätzlicher Berücksichtigung der steuerlichen Progres-
sion aufzuteilen. Dazu ist fiktiv wie folgt zu rechnen:
In Anlehnung an § 270 AO ist zunächst anhand der fiktiven Steuerlast
bei einer Einzelveranlagung die Relation der individuellen Steuerlast zur ge-
samten Steuerlast und sodann anhand des entsprechenden Prozentsatzes die
Steuerlast des Unterhaltspflichtigen am Maßstab der bei Zusammenveranla-
gung tatsächlich bestehenden Steuerschuld zu ermitteln (Senatsbeschluss vom
10. Juli 2013 - XII ZB 298/12 - FamRZ 2013, 1563 Rn. 15; Senatsurteile BGHZ
178, 79 = FamRZ 2008, 2189 Rn. 33 und vom 31. Mai 2006 - XII ZR 111/03 -
FamRZ 2006, 1178, 1180). Diese Methode stellt sicher, dass das - nach Abzug
der nach der konkreten Veranlagung anfallenden Steuerlast - verbleibende Ein-
kommen insgesamt erfasst wird. Ferner wird so gewährleistet, dass die danach
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umzulegende Steuerlast nicht nur anteilig am Einkommen des Unterhaltspflich-
tigen bemessen wird, sondern dass zudem auch die Progression hinreichend
Berücksichtigung findet (vgl. Senatsurteile BGHZ 178, 79 = FamRZ 2008, 2189
Rn. 33 und vom 31. Mai 2006 - XII ZR 111/03 - FamRZ 2006, 1178, 1180).
III.
Gemäß § 74 Abs. 5 FamFG ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.
Da noch weitere Feststellungen zu treffen sind, kann der Senat in der Sache
nicht abschließend entscheiden. Deshalb ist sie gemäß § 74 Abs. 6 Satz 2
FamFG an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen.
Die Zurückverweisung wird es dem Oberlandesgericht ermöglichen, dem
Antragsgegner Gelegenheit zu geben, zu den fiktiven Versicherungsbeiträgen
Stellung zu nehmen. Ferner wird es gegebenenfalls entsprechende Feststellun-
gen zur Höhe dieser Beiträge und zur Frage zu treffen haben, welche Auswir-
kungen der Eintritt des Pflegeversicherungsfalls auf die Beitragspflicht hat.
Sollte sich aufgrund der weiteren Feststellungen ergeben, dass der Be-
darf um die fiktiven Versicherungsbeiträge zu erhöhen ist, wird das Oberlan-
desgericht Feststellungen zur Höhe der Unterkunftskosten nach Herausrech-
nung der Kosten für die Heizungs- und Warmwasserversorgung zu treffen ha-
ben, um feststellen zu können, inwieweit ein Übergang des Unterhaltsan-
spruchs auf den Antragsteller auch nach § 94 Abs. 1 Satz 6 i.V.m. § 105 Abs. 2
SGB XII ausscheidet.
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Rechtsbehelfsbelehrung
Gegen diesen Versäumnisbeschluss steht dem säumigen Beteiligten der
Einspruch zu. Dieser ist von einem bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen
Rechtsanwalt binnen einer Notfrist von zwei Wochen ab der Zustellung des
Versäumnisbeschlusses bei dem Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45 a, Karls-
ruhe, durch Einreichung einer Einspruchsschrift einzulegen.
Dose Schilling Günter
Nedden-Boeger Botur
Vorinstanzen:
AG Baden-Baden, Entscheidung vom 18.02.2013 - 3 F 70/11 -
OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 31.07.2014 - 16 UF 129/13 -