Urteil des BGH vom 06.04.2016

Ausbildung, Anteil, Vergütung, Behandlung

ECLI:DE:BGH:2016:060416BXIIZB43.16.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 43/16
vom
6. April 2016
in der Betreuungssache
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. April 2016 durch den
Vorsitzenden Richter Dose, die Richterin Weber-Monecke und die Richter
Dr. Klinkhammer, Dr. Nedden-Boeger und Guhling
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 3 wird der
Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom
11. Januar 2016 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Landgericht zu-
rückverwiesen.
Beschwerdewert: 131
Gründe:
Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 3 (Staatskasse), mit der sie ei-
ne Festsetzung der Betreuervergütung mit einem Stundensatz von 27
€ statt
eines erhöhten Stundensatzes von 33,50
€ begehrt, führt zur Aufhebung der
Beschwerdeentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Be-
schwerdegericht.
1. Die Beurteilung des Beschwerdegerichts, wonach die Betreuerin durch
ihre im Jahr 1992 abgeschlossene Ausbildung zur Krankengymnastin (heutige
Berufsbezeichnung: Physiotherapeutin) für die Betreuung nutzbare Kenntnisse
i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 VBVG erworben habe, hält rechtlicher Überprüfung nicht
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stand. Das Beschwerdegericht hat die maßgeblichen Tatsachen nicht vollstän-
dig ermittelt.
a) Im Ansatz zutreffend geht das Beschwerdegericht allerdings davon
aus, dass ein erhöhter Stundensatz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 VBVG nicht schon
dann gerechtfertigt ist, wenn die Ausbildung gleichsam am Rande auch die
Vermittlung betreuungsrelevanter Kenntnisse zum Inhalt hat, sondern dass
vielmehr erforderlich ist, dass sie in ihrem Kernbereich hierauf ausgerichtet ist
(Senatsbeschluss vom 15. Juli 2015 - XII ZB 123/14 - FamRZ 2015, 1794 Rn. 4
mwN).
Erforderlich ist demnach die Feststellung, dass ein erheblicher Teil der
Ausbildung auf die Vermittlung solchen Wissens gerichtet ist und dass das
dadurch erworbene Wissen über ein Grundwissen deutlich hinausgeht. Allein
daraus, dass bestimmte Kenntnisse für die Berufsausübung von erheblicher
Bedeutung sind, kann nicht darauf geschlossen werden, dass diese auch einen
erheblichen Teil der Ausbildung darstellen. Solches Wissen kann nämlich auch
durch Lebenserfahrung, Fortbildungen oder Berufspraxis erworben werden,
was nicht zu einer erhöhten Vergütung nach § 4 Abs. 1 Satz 2 VBVG führt. Bei
der Entscheidung über eine erhöhte Vergütung nach § 4 Abs. 1 Satz 2 VBVG
muss das Gericht eine konkrete Betrachtung des tatsächlichen Inhalts der Aus-
bildung vornehmen, insbesondere den Umfang der für die Betreuung nutzbaren
Ausbildungsinhalte bzw. deren Anteil an der Gesamtausbildungszeit feststellen,
und in die Würdigung einbeziehen, inwieweit diese Kenntnisse selbständiger
und maßgeblicher Teil der Abschlussprüfung sind. Der Umfang bzw. Anteil der
Vermittlung für die Betreuung nutzbarer Kenntnisse muss dabei nicht so genau
festgestellt werden, dass ein exakter Prozentanteil angegeben werden kann.
Es genügt, wenn aufgrund des erkennbaren zeitlichen Aufwands oder anderer
Anhaltspunkte feststeht, dass ein erheblicher Teil der Ausbildungszeit auf
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die Vermittlung solchen Wissens fällt (Senatsbeschluss vom 15. Juli 2015
- XII ZB 123/14 - FamRZ 2015, 1794 Rn. 5 mwN).
b) Das Beschwerdegericht hat den Inhalt der Ausbildung nicht ermittelt,
sondern ist ohne nähere Prüfung davon ausgegangen, dass die Ausbildung in
ihrem Kernbereich medizinische Kenntnisse vermittle, was es der Betreuerin
ermögliche, bestimmte Krankheitsbilder besser einzuschätzen, den erforderli-
chen Therapiebedarf eigenständig zu beurteilen, dadurch besser und effektiver
die notwendigen Behandlungs-, Therapie- und Pflegemaßnamen in die Wege
zu leiten sowie bestimmte therapeutische Maßnahmen besser zu überwachen,
als dies einem Betreuer ohne eine entsprechende Ausbildung möglich wäre.
Dabei hat das Beschwerdegericht keine Feststellungen zum Umfang und
Anteil der Vermittlung für die Betreuung nutzbaren Wissens an der Gesamtaus-
bildung der Betreuerin getroffen (vgl. insoweit Senatsbeschluss vom 15. Juli
2015 - XII ZB 123/14 - FamRZ 2015, 1794 Rn. 5). Ferner fehlt es an der Fest-
stellung, ob bzw. inwieweit das angenommene für die Betreuung nutzbare Wis-
sen über Grundwissen hinausgeht. Das Erlernen physiotherapeutischer Be-
handlungstechniken gehört für sich genommen nicht zu den Ausbildungsinhal-
ten, die im Rahmen einer rechtlichen Betreuung nutzbar sind.
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2. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist daher aufzuheben. Da
die erforderlichen Feststellungen noch zu treffen sind, ist dem Senat eine ab-
schließende Entscheidung in der Sache verwehrt. Die Sache ist zur anderweiti-
gen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverwei-
sen (§ 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG).
Dose
Weber-Monecke
Klinkhammer
Nedden-Boeger
Guhling
Vorinstanzen:
AG Darmstadt, Entscheidung vom 20.03.2015 - 503 XVII 493/14 (V) -
LG Darmstadt, Entscheidung vom 11.01.2016 - 5 T 237/15 -
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