Urteil des BGH vom 18.03.2015

Leitsatzentscheidung zu Elektronische Signatur, Beschwerdeschrift, Elterliche Sorge, Original, Computer

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X I I Z B 4 2 4 / 1 4
vom
18. März 2015
in der Familiensache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
FamFG §§ 14 Abs. 2, 64 Abs. 2; ZPO § 130 a
Eine Beschwerdeschrift ist in schriftlicher Form eingereicht, sobald bei dem Ge-
richt, dessen Beschluss angefochten wird, ein Ausdruck der als Anhang einer
elektronischen Nachricht übermittelten, die vollständige Beschwerdeschrift ent-
haltenden PDF-Datei vorliegt. Ist die Datei durch Einscannen eines von dem
Beschwerdeführer oder seinem Bevollmächtigten handschriftlich unterzeichne-
ten Schriftsatzes hergestellt, ist auch dem Unterschriftserfordernis des § 64
Abs. 2 Satz 4 genügt (im Anschluss an BGH Beschluss vom 15. Juli 2008
- X ZB 8/08 - NJW 2008, 2649).
BGH, Beschluss vom 18. März 2015 - XII ZB 424/14 - Kammergericht Berlin
AG Tempelhof-Kreuzberg
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. März 2015 durch den
Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Schilling, Dr. Günter, Dr. Nedden-
Boeger und Dr. Botur
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 3 wird der
Beschluss des 13. Zivilsenats - Senat für Familiensachen - des
Kammergerichts in Berlin vom 8. August 2014 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Kam-
mergericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 3.000
Gründe:
I.
Die Beteiligte zu 3 (im Folgenden: Mutter) wendet sich gegen die Verwer-
fung ihrer Beschwerde wegen Versäumung der Beschwerdefrist.
Der Beschluss des Amtsgerichts, mit dem der Mutter die elterliche Sorge
für ihr Kind entzogen und das Jugendamt zum Vormund des Kindes bestellt
worden war, wurde ihr am 31. Mai 2014 zugestellt. Mit elektronischem, auf den
4. Juni 2014 datierten Dokument, das am 25. Juni 2014 auf dem elektronischen
Gerichts- und Verwaltungspostfach des Amtsgerichts eingegangen ist, hat die
Mutter Beschwerde eingelegt und die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe be-
antragt. Der Beschwerdeschriftsatz war nicht mit einer qualifizierten elektroni-
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schen Signatur versehen. Vielmehr wurde der Beschwerdeschriftsatz mitsamt
Anlagen eingescannt und als PDF-Datei elektronisch an das Amtsgericht ver-
sandt.
Das Kammergericht hat die Beschwerde verworfen; hiergegen richtet
sich die Rechtsbeschwerde der Mutter.
II.
Die zugelassene Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhe-
bung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an
das Beschwerdegericht.
1. Das Kammergericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausge-
führt, dass eine Beschwerde zwar auch auf elektronischem Wege bei Gericht
eingelegt werden könne, sie aber in diesem Fall mit einer qualifizierten elektro-
nischen Signatur versehen sein müsse. Daran fehle es hier, denn die Be-
schwerdeschrift sei lediglich als elektronisches PDF-Dokument übermittelt wor-
den, das zwar unterzeichnet, aber nicht mit einer qualifizierten elektronischen
Signatur nach dem Signaturgesetz versehen gewesen sei. Die einfache Unter-
schrift unter dem elektronisch übermittelten Dokument reiche nicht aus. Die Be-
schwerde sei daher mangels formgerechter Einlegung unwirksam und deshalb
als unzulässig zu verwerfen. Eine Wiedereinsetzung von Amts wegen in die
versäumte Beschwerdefrist komme nicht in Betracht, denn die Mutter sei nicht
ohne ihr Verschulden verhindert gewesen, die betreffende Frist einzuhalten.
2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nur teilweise
stand. Zwar ist das Beschwerdegericht zu Recht davon ausgegangen, dass die
mittels Datei übersandte Beschwerdeschrift nicht den Anforderungen an ein
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elektronisches Dokument gerecht wird. Jedoch hat sich das Beschwerdegericht
nicht die Frage vorgelegt, ob der ausweislich des Eingangsstempel am 25. Juni
2014 im Geschäftsgang des Amtsgerichts eingegangene Ausdruck der PDF-
Datei mit dem unterzeichneten Beschwerdeschriftsatz die am 30. Juni 2014
abgelaufene Frist zur Einlegung der Beschwerde gewahrt hat.
a) Grundsätzlich sieht § 64 Abs. 2 Satz 1 FamFG die Einlegung der Be-
schwerde durch Einreichung einer Beschwerdeschrift oder zur Niederschrift der
Geschäftsstelle vor. Die Beschwerde ist gemäß § 64 Abs. 2 Satz 4 FamFG von
dem Beschwerdeführer oder seinem Bevollmächtigten eigenhändig zu unter-
zeichnen. Das Erfordernis der Unterschrift soll die Identifizierung des Urhebers
einer Verfahrenshandlung ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum
Ausdruck bringen, die volle Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu
übernehmen und diesen bei Gericht einzureichen. Dadurch soll sichergestellt
werden, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen unautorisierten
Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Wollen des Berechtigten dem
Gericht zugeleitet worden ist (vgl. GmS-OGB BGHZ 75, 340 = NJW 1980, 172,
174 und BGHZ 144, 160 = NJW 2000, 2340, 2341).
aa) Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 FamFG können die Beteiligten Anträge und
Erklärungen auch als elektronisches Dokument übermitteln. Über § 14 Abs. 2
Satz 2 FamFG gelten für das elektronische Dokument § 130 a Abs. 1 und 3
ZPO sowie § 298 ZPO entsprechend. Anstelle der vom Urheber unterzeichne-
ten Urkunde besteht das elektronische Dokument aus der in der elektronischen
Datei enthaltenen Datenfolge selbst. An die Stelle der Unterschrift tritt demge-
mäß die qualifizierte elektronische Signatur (§ 14 Abs. 2 Satz 2 FamFG i.V.m.
§ 130 a Abs. 1 Satz 2 ZPO). Bei der qualifizierten elektronischen Signatur han-
delt es sich um eine elektronische Signatur nach § 2 Nr. 1 Signaturgesetz
(SigG), die zusätzlich die Voraussetzungen der fortgeschrittenen elektronischen
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Signatur nach § 2 Nr. 2 SigG erfüllen und weiter auf einem zum Zeitpunkt ihrer
Erzeugung gültigen qualifizierten Zertifikat beruhen und mit einer sicheren
Signaturerstellungseinheit erzeugt worden sein muss (BGHZ 184, 75 = NJW
2010, 2134 Rn. 12 ff.; BGHZ 197, 209 = NJW 2013, 2034 Rn. 9). Bestimmende
Schriftsätze müssen grundsätzlich entweder mit einer Unterschrift oder mit ei-
ner qualifizierten elektronischen Signatur nach § 130 a Abs. 1 Satz 2 ZPO ver-
sehen werden (BGHZ 184, 75 = NJW 2010, 2134 Rn. 15 ff.).
bb) Zu den schriftlichen, nicht den elektronischen Dokumenten zählen
diejenigen, die im Wege eines Telegramms, mittels Fernschreiben oder per Te-
lefax übermittelt werden (vgl. zu den Ausnahmen vom Unterschriftserfordernis
insoweit jeweils die Nachweise bei GmS-OGB BGHZ 144, 160 = NJW 2000,
2340, 2341). Für die Übermittlung einer Berufungsbegründung durch Computer-
fax hat der Gemeinsame Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes ent-
schieden, dass in Prozessen mit Anwaltszwang bestimmende Schriftsätze form-
wirksam durch elektronische Übertragung einer Textdatei mit eingescannter Un-
terschrift auf ein Faxgerät des Gerichts übermittelt werden können (GmS-OGB
BGHZ 144, 160 = NJW 2000, 2340 f.). Maßgeblich für die Beurteilung der Wirk-
samkeit eines elektronisch übermittelten Schriftsatzes ist allein die auf Veran-
lassung des Absenders beim Gericht erstellte körperliche Urkunde. Die vorüber-
gehende Speicherung tritt aber nicht an die Stelle der Schriftform. Statt der
handschriftlichen Unterschrift auf der Urkunde genügt bei der elektronischen
Übermittlungsform die Wiedergabe der Unterschrift in der bei Gericht erstellten
Kopie. Der alleinige Zweck der Schriftform, die Rechtssicherheit und Verläss-
lichkeit der Eingabe sicherzustellen, kann auch im Fall einer derartigen elektro-
nischen Übermittlung gewahrt werden.
Wird eine im Original eigenhändig unterzeichnete Berufungsbegründung
eingescannt und im Anhang einer Email als PDF-Datei nach vorheriger Rück-
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sprache mit der Geschäftsstellenbeamtin an die Geschäftsstelle des Berufungs-
gerichts geschickt, genügt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
der Ausdruck einer auf diesem Weg übermittelten Datei der Schriftform. Denn
der Ausdruck verkörpert die Berufungsbegründung in einem Schriftstück und
schließt mit der Unterschrift des Prozessbevollmächtigten ab. Dass die Unter-
schrift nur in Kopie wiedergegeben ist, ist entsprechend § 130 Nr. 6 Alt. 2 ZPO
unschädlich, weil der im Original unterzeichnete Schriftsatz elektronisch über-
mittelt und von der Geschäftsstelle entgegengenommen worden ist (BGH Be-
schluss vom 15. Juli 2008 - X ZB 8/08 - NJW 2008, 2649 Rn. 13; ebenso BAG
NZA 2013, 983 Rn. 12; vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom
16. August 2012 - L 3 R 801/11 - juris Rn. 39).
b) Nach diesen Maßstäben ist das Kammergericht zwar zutreffend davon
ausgegangen, dass die Übersendung der PDF-Datei mit der eingescannten
Beschwerdeschrift den Anforderungen an ein elektronisches Dokument nach
§ 14 Abs. 2 Satz 1 FamFG i.V.m. § 130 a Abs. 1 ZPO nicht genügt, weil es an
der hierfür erforderlichen qualifizierten elektronischen Signatur fehlt.
Indes hat sich das Beschwerdegericht nicht mit der Tatsache befasst,
dass sich in den Akten eine ausgedruckte und mit der Unterschrift der Mutter
versehene Beschwerdeschrift befindet, die ausweislich des Eingangsstempels
am 25. Juni 2014 zu den Akten gelangt ist. Dieser Fall ist mit dem bereits vom
Bundesgerichtshof entschiedenen Fall (BGH Beschluss vom 15. Juli 2008
- X ZB 8/08 - NJW 2008, 2649) vergleichbar. Die Mutter hat ihre Beschwerde-
schrift eingescannt und als PDF-Datei an das elektronische Gerichts- und Ver-
waltungspostfach des Amtsgerichts übermittelt, wo der Schriftsatz ausgedruckt
und zur Akte genommen wurde. Das Beschwerdegericht hat allerdings offen
gelassen, ob die Mutter das Original des Beschwerdeschriftsatzes vor dem Ein-
scannen handschriftlich unterzeichnet oder es lediglich mit ihrer eingescannten
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bzw. hineinkopierten Unterschrift versehen hat. Hierauf kommt es aber maß-
geblich an.
Von dem grundsätzlichen Erfordernis der eigenhändigen Unterschrift
sind Ausnahmen bislang stets nur dann zugelassen worden, wenn eine Unter-
schrift auf Grund der technischen Besonderheiten des Übermittlungswegs nicht
möglich war (BGH Beschluss vom 10. Oktober 2006 - XI ZB 40/05 - NJW 2006,
3784 Rn. 8). Zu diesen Ausnahmen gehört etwa die Möglichkeit, verfahrensbe-
stimmende Schriftsätze per Computerfax zu übermitteln. Da hier ein Ausdruck
des Schriftsatzes im Verantwortungsbereich des Absenders nicht gefertigt wird,
weil die im Computer erstellte Datei unmittelbar aus dem Computer an das
Faxgerät des Gerichts übermittelt wird, und der Schriftsatz erstmals bei Gericht
die Papierform erhält, scheidet eine eigenhändige Unterschrift aus technischen
Gründen aus. Anders verhält es sich aber, wenn der bestimmende Schriftsatz
mittels eines normalen Telefaxgeräts übermittelt wird, weil dann der ausge-
druckt vorliegende, per Fax zu übermittelnde Schriftsatz von dem Absender
ohne weiteres unterschrieben werden kann. Mangels technischer Notwendigkeit
genügt daher eine eingescannte Unterschrift nicht den Formerfordernissen des
§ 130 Nr. 6 ZPO (bzw. § 64 Abs. 2 Satz 4 FamFG), wenn der Schriftsatz mit
Hilfe des normalen Faxgeräts und nicht unmittelbar aus dem Computer ver-
sandt wird (BGH Beschluss vom 10. Oktober 2006 - XI ZB 40/05 - NJW 2006,
3784 Rn. 9).
Diese unterschiedlichen Anforderungen an die Unterschrift bei Übermitt-
lung eines bestimmenden Schriftsatzes per Computerfax einerseits und her-
kömmlichen Telefax andererseits verstoßen nach der Rechtsprechung des Bun-
desverfassungsgerichts nicht gegen Art. 3 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG. Der Um-
stand, dass die Rechtsprechung dem technischen Fortschritt Rechnung trage
und Ausnahmen von dem Erfordernis der eigenhändigen Unterschrift zulasse,
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zwinge nicht dazu, diese noch auf weitere Fälle zu erstrecken (BVerfG NJW
2007, 3117, 3118). Das Erfordernis der eigenhändigen Unterschrift auf dem
Original eines bestimmenden Schriftsatzes stelle am wirkungsvollsten sicher,
dass der Berechtigte das Schreiben autorisiert habe. Bei der eingescannten
oder hineinkopierten Unterschrift sei dies nicht in gleicher Weise gegeben. Die
in Dateiform gespeicherte Unterschrift könne dem Ausdruck vielmehr von jeder
Person beigefügt werden, ohne dass diese Person im Nachhinein erkennbar sei
(BVerfG NJW 2007, 3117, 3118).
Aus denselben Gründen wird die Einreichung eines mit einem Faksimile-
Stempel versehenen Schriftsatzes als dem eigenhändigen Unterschrifterforder-
nis nicht genügend angesehen (BAG NJW 2009, 3596 Rn. 18). Ist es aber un-
zulässig, einen bestimmenden Schriftsatz mit einer Faksimile-Unterschrift über
ein herkömmliches Faxgerät zu versenden, kann es ebenso wenig zulässig
sein, denselben Schriftsatz mittels eines Scanners einzulesen und über den
Computer zu versenden. In beiden Fällen fehlt es an der technischen Notwen-
digkeit, eine Faksimile-Unterschrift genügen zu lassen (BGH Beschluss vom
15. Juli 2008 - X ZB 8/08 - NJW 2008, 2649 Rn. 19).
Für den Fall, dass die Mutter den Beschwerdeschriftsatz im Original un-
terschrieben und den Schriftsatz mit ihrer eigenhändig geleisteten Unterschrift
insgesamt eingescannt und verschickt hat, wäre dem Unterschriftserfordernis
genüge getan. Die Mutter hätte dann die Beschwerdefrist eingehalten. Für den
Fall, dass sie das Original der Beschwerdeschrift lediglich mit einer eingescann-
ten oder hineinkopierten Unterschrift versehen hat, wäre die Beschwerde dage-
gen nicht wirksam eingelegt. Mangels entsprechender Feststellungen ist zu-
gunsten der Mutter im Rechtsbeschwerdeverfahren davon auszugehen, dass
sie den Beschwerdeschriftsatz im Original unterschrieben hat.
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3. Die Sache ist deswegen gemäß § 74 Abs. 5 und Abs. 6 Satz 2 FamFG
aufzuheben und an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, weil es an den
erforderlichen Feststellungen fehlt.
Dose
Schilling
Günter
Nedden-Boeger
Botur
Vorinstanzen:
AG Tempelhof-Kreuzberg, Entscheidung vom 27.05.2014 - 155 F 19415/13 -
Kammergericht Berlin, Entscheidung vom 08.08.2014 - 13 UF 202/14 -
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