Urteil des BGH vom 08.12.2010

Änderung der Verhältnisse, Bedürftige Partei, Veränderte Verhältnisse, Zustellung, Beendigung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 39/09
vom
8. Dezember 2010
in der Familiensache
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Dezember 2010 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, den Richter Prof. Dr. Wagenitz, die Richterin
Dr. Vézina und die Richter Dose und Dr. Günter
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss
des 13. Zivilsenats - 1. Senat für Familiensachen - des Oberlan-
desgerichts Koblenz vom 9. Februar 2009 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an
das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens wer-
den nicht erstattet.
Wert: bis 1.200 €
Gründe:
A.
Der Antragsteller wendet sich gegen die Aufhebung der ihm bewilligten
Prozesskostenhilfe.
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Dem durch Rechtsanwältin Dr. W. vertretenen Antragsteller war mit Be-
schluss des Amtsgerichts vom 29. November 2005 ratenfreie Prozesskostenhil-
fe für eine Abänderungsklage bewilligt und Rechtsanwältin Dr. W. beigeordnet
worden. Im Januar 2006 schlossen die Parteien über den Gegenstand des Ver-
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fahrens einen Vergleich, in dem sie sich unter anderem über eine Kostenaufhe-
bung verständigten.
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In der Folgezeit forderte das Amtsgericht den Antragsteller wiederholt er-
folglos dazu auf, eine Erklärung darüber abzugeben, ob sich die für die Bewilli-
gung der Prozesskostenhilfe maßgeblichen persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnisse wesentlich geändert hätten und kündigte zuletzt eine Aufhebung
der Prozesskostenhilfe an.
Mit Beschluss vom 20. Mai 2008 hat das Amtsgericht die Prozesskos-
tenhilfe aufgehoben. Der Beschluss ist dem Antragsteller am 29. Mai 2008 zu-
gestellt worden und Rechtsanwältin Dr. W. durch formlose Übermittlung am
2. Juni 2008 zugegangen.
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Die am 2. Juli 2008 bei Gericht eingegangene sofortige Beschwerde des
Antragstellers
hat das Beschwerdegericht als unzulässig verworfen. Hiergegen
wendet sich der Antragsteller mit seiner von dem Beschwerdegericht zugelas-
senen Rechtsbeschwerde.
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B.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg und führt zur Aufhebung des angefoch-
tenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesge-
richt.
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Für das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das bis Ende
August 2009 geltende Prozessrecht anwendbar, weil der Rechtsstreit vor die-
sem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. Senatsurteil vom 16. Dezember 2009
- XII ZR 50/08 - FamRZ 2010, 357 - Rn. 7 mwN).
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I.
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Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil das Beschwerdegericht sie ge-
mäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO i.V.m. § 574 Abs. 2 ZPO zur Sicherung ei-
ner einheitlichen Rechtsprechung zugelassen hat und es um Fragen des Ver-
fahrens der Prozesskostenhilfe geht (Senatsbeschlüsse vom 18. November
2009 - XII ZB 152/09 - FamRZ 2010 197 - Rn. 5 mwN und vom 4. August 2004
- XII ZA 6/04 - FamRZ 2004, 1633 f.).
II.
Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
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1. Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde für unzulässig erachtet,
weil sie nicht innerhalb der Beschwerdefrist von einem Monat seit Zustellung
des angefochtenen Beschlusses eingelegt worden sei (§§ 127 Abs. 2 Satz 2,
569 Abs. 1 ZPO) und die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand nicht vorlägen. Maßgebend für den Fristbeginn sei der Zeitpunkt
der Zustellung des Beschlusses an den Antragsteller und nicht der Zugang bei
der Prozessbevollmächtigten des Hauptverfahrens. Diese habe sich im Pro-
zesskostenhilfeaufhebungsverfahren nicht für den Antragsteller bestellt. Daher
sei ihr der Aufhebungsbeschluss nur zu Informationszwecken übersandt wor-
den. Dies entspreche der Regelung des § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO, wonach nur
in einem anhängigen Verfahren die Zustellung an den für den Rechtszug be-
stellten Prozessbevollmächtigten zu erfolgen habe. Das anhängige Verfahren
ende mit der formellen Rechtskraft der abschließenden Entscheidung. Werde
danach ein die Aufhebung der Prozesskostenhilfe betreffendes Verfahren ein-
geleitet, sei dieses nicht Teil des Hauptverfahrens. Auch falle es nicht unter die
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sonstigen in § 172 ZPO aufgezählten Verfahren. Es komme nicht darauf an, ob
der bevollmächtigte Rechtsanwalt das Hauptsacheverfahren seinerzeit durch
einen Prozesskostenhilfeantrag eingeleitet habe, denn die Bevollmächtigung
zur Beantragung der Prozesskostenhilfe begründe nicht die Vermutung, dass
der Anwalt auch für das Verfahren gemäß § 120 Abs. 4 ZPO bevollmächtigt sei.
Der Umfang der Prozessvollmacht ergebe sich allein aus § 81 ZPO.
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
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Nach § 120 Abs. 4 ZPO kann das Gericht innerhalb eines Zeitraums von
vier Jahren ab rechtskräftiger Entscheidung oder sonstiger Beendigung des
Verfahrens die Entscheidung über die im Rahmen der bewilligten Prozesskos-
tenhilfe zu leistenden Zahlungen ändern, wenn sich die für die Prozesskosten-
hilfe maßgebenden persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich
geändert haben. Auf Verlangen des Gerichts hat sich die Partei darüber zu er-
klären, ob eine Änderung der Verhältnisse eingetreten ist. Nach § 124 Nr. 2
Alt. 2 ZPO kann das Gericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufheben,
wenn die Partei eine Erklärung nach § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO nicht abgegeben
hat.
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In Rechtsprechung und Literatur ist streitig, ob die Aufforderung zur Er-
klärung über die persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse und der Be-
schluss, durch den nach rechtskräftigem Abschluss des Hauptsacheverfahrens
die für dieses Verfahren bewilligte Prozesskostenhilfe gemäß §§ 120 Abs. 4,
124 ZPO aufgehoben wird, der Partei persönlich oder gemäß § 172 Abs. 1 ZPO
deren (früheren) Prozessbevollmächtigten zugestellt werden müssen.
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a) Überwiegend wird die Ansicht vertreten, die Zustellung könne wirksam
nur an die Partei erfolgen. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt,
mit dem Eintritt der formellen Rechtskraft ende das anhängige Verfahren im
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Sinne des § 172 Abs. 1 ZPO. Das Verfahren gemäß §§ 120 Abs. 4, 124 ZPO
gehöre nicht zum Rechtszug im Sinne dieser Norm. Ebenso wenig sei es einem
der in § 172 Abs. 1 Satz 2 ZPO genannten Verfahren vergleichbar. Vielmehr
stelle es ein selbständiges Verwaltungsverfahren und als solches ein neues
Verfahren dar, welches einer Abänderungsklage nach § 323 ZPO gleiche. Die
Vertretung im Prozesskostenhilfeüberprüfungsverfahren sei auch nicht vom ge-
setzlichen Umfang der Prozessvollmacht gemäß § 81 ZPO umfasst (OLG
Dresden NJ 2008, 315 f.; OLG Hamm FamRZ 2009, 1234, 1235; OLG Naum-
burg OLGR 2008, 404 f.; OLG Koblenz FamRZ 2008, 1358; OLG Köln FamRZ
2007, 908; OLG München FamRZ 1993, 580; Musielak/Fischer ZPO 7. Aufl.
§ 124 Rn. 3; Musielak/Wolst aaO § 172 Rn. 5; Thomas/Putzo ZPO 31. Aufl.
§ 172 Rn. 7; Wieczorek/Schütze/Rohe ZPO 3. Aufl. § 172 Rn. 25; Zöller/Geimer
ZPO 28. Aufl. § 120 Rn. 28, § 124 Rn. 23).
b) Nach der Gegenmeinung haben auch in einem nach Beendigung des
Hauptsacheverfahrens durchgeführten Verfahren zur Überprüfung der Prozess-
kostenhilfe (§§ 120 Abs. 4, 124 ZPO) Zustellungen jedenfalls dann gemäß
§ 172 Abs. 1 ZPO an den Prozessbevollmächtigten zu erfolgen, wenn dieser
die Partei bereits im Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren vertreten hatte.
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Zur Begründung wird darauf abgestellt, dass zu einem anhängigen Pro-
zesskostenhilfeverfahren auch das sich gegebenenfalls erst nach Abschluss
des Hauptsacheverfahrens anschließende Prozesskostenhilfeüberprüfungsver-
fahren gehöre. Bei diesem Verfahren handele es sich um ein dem Wiederauf-
nahmeverfahren vergleichbares Verfahren, in dem gemäß § 172 Abs. 1 Satz 2
ZPO Zustellungen an den bestellten Prozessbevollmächtigten erfolgen müss-
ten. Demgemäß erstrecke sich die von der Partei für das Prozesskostenhilfe-
verfahren erteilte Prozessvollmacht auch auf das sich anschließende Prozess-
kostenhilfeüberprüfungsverfahren (BAG Beschluss vom 19. Juli 2006 - 3 AZB
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18/06 - juris; OLG Brandenburg FamRZ 2009, 1426 f.; 2008, 1356, 1357; 2008,
72 und Beschluss vom 1. Februar 2008 - 9 WF 362/07 - juris; OLG Hamm Be-
schluss vom 30. Januar 2007 - 2 WF 9/07 - juris; LAG Rheinland-Pfalz MDR
2007, 175; LAG Baden-Württemberg DB 2003, 948; Hart-
mann/Lauterbach/Albers ZPO 69. Aufl. § 120 Rn. 32; MünchKomm
ZPO/Häublein 3. Aufl. § 172 Rn. 19).
3. Der Senat schließt sich der zuletzt genannten Auffassung an.
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Auch nach Beendigung der Instanz bzw. des Hauptsacheverfahrens
müssen Zustellungen im Prozesskostenhilfeüberprüfungsverfahren jedenfalls
dann gemäß § 172 ZPO an den Prozessbevollmächtigten erfolgen, wenn dieser
die Partei im Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren vertreten hat.
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a) Das Prozesskostenhilfeüberprüfungsverfahren gehört zum Rechtszug
im Sinne des § 172 Abs. 1 ZPO.
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aa) Zweck der Vorschrift ist, im Interesse der Prozessökonomie und der
Privatautonomie sicher zu stellen, dass der von der Partei bestellte Prozessbe-
vollmächtigte, in dessen Verantwortung die Prozessführung liegt, über den ge-
samten Prozessstoff informiert wird und sich somit in dessen Hand alle Fäden
des Prozesses vereinigen (BGH Urteile vom 19.
September 2007
-
VIII
ZB
44/07
- FamRZ 2008, 141 -
Rn.
10 und vom 17.
Januar 2002
- IX ZR 100/99 - NJW 2002, 1728, 1729; Musielak/Wolst ZPO 7. Aufl. § 172
Rn. 1; Stein/Jonas/Roth ZPO 22. Aufl. § 172 Rn. 1; Hartmann/Lauterbach/
Albers ZPO 69. Aufl. § 172 Rn. 2). Für den Gesetzgeber lag der Grund für die
obligatorische Zustellung an den Prozessbevollmächtigten in der Annahme,
dass die Partei durch die Erteilung der Prozessvollmacht das Betreiben des
Prozesses aus der Hand gegeben hat und deshalb der Prozessbevollmächtigte
und nicht das Gericht die Partei über den jeweiligen Stand des Prozesses auf
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dem Laufenden zu halten habe. Dem Interesse der Partei sei im Falle der Zu-
stellung an ihren Anwalt mehr gedient, als wenn an sie selbst zugestellt werde.
Denn in den meisten Fällen werde sich die Partei ohnehin an ihren Anwalt wen-
den müssen, weil sie außer Stande sei, die Angemessenheit oder Notwendig-
keit der weiteren Schritte beurteilen zu können (Hahn/Stegemann Die gesamten
Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen Bd. 2 Materialien zur Zivilprozess-
ordnung Abteilung 1 2. Aufl. 1983 S. 227 f.).
bb) Ein Bedürfnis an einer umfassenden Information des Prozessbevoll-
mächtigten besteht über den formellen Abschluss des Hauptsacheverfahrens
hinaus. Dem tragen § 172 Abs. 1 Satz 2 und 3 ZPO Rechnung, die den Umfang
des Rechtszugs über das Hauptsacheverfahren hinaus auf weitere Verfahren
erstrecken. Die in § 172 Abs. 1 Satz 2 und 3 ZPO enthaltene Aufzählung ist
dabei nicht abschließend (MünchKommZPO/Wenzel 2. Aufl. § 178 Rn. 1; Wiec-
zorek/Schütze/Rohe § 172 Rn. 24; Stein/Jonas/Roth ZPO 22. Aufl. § 172 Rn.
15; aA OLG Dresden NJ 2008, 315, 316). Der Gesetzgeber verfolgte mit der
Vorgängernorm des § 172 Abs. 1 Satz 2 und 3 ZPO nicht die Absicht, einen
erschöpfenden Katalog der noch zum Rechtszug zählenden Verfahrensab-
schnitte zu erstellen. Vielmehr wollte er lediglich einzelne Zweifelsfälle einer
ausdrücklichen Regelung zuführen (Hahn/Stegemann aaO S. 229). Dafür
spricht auch deren Unvollständigkeit. So wird das Kostenfestsetzungsverfahren
(§ 103 ff. ZPO) nicht genannt, das nach einhelliger Meinung Teil des (ersten)
Rechtszuges im Sinne des § 172 Abs. 1 ZPO ist (BVerfG NJW 1990, 1104 f.;
Stein/Jonas/Roth ZPO 22. Aufl. § 172 Rn. 14; Zöller/Stöber ZPO 28. Aufl. § 172
Rn. 14), obwohl es bei Eintritt der formellen Rechtskraft der Entscheidung in der
Hauptsache (vgl. BGH Beschluss vom 1. Februar 1995 - VIII ZB 53/94 - NJW
1995, 1095, 1096) häufig noch nicht abgeschlossen ist. Auch erfordert der
Zweck des § 172 ZPO, den Prozessbevollmächtigten umfassend zu informie-
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ren, eine weite Auslegung der Norm (vgl. Hartmann/Baumbach/Lauterbach
ZPO 69. Aufl. § 172 Rn. 2).
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cc) Das Prozesskostenhilfeüberprüfungsverfahren gehört nach dem
Zweck des § 172 ZPO in dessen Anwendungsbereich.
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Die Prozesskostenhilfe hängt eng mit dem Hauptsacheverfahren zu-
sammen. Ihre Bewilligung setzt gemäß § 114 ZPO die Erfolgsaussicht der be-
absichtigten Rechtsverfolgung bzw. Rechtsverteidigung voraus. Außerdem
schafft die Prozesskostenhilfe für die bedürftige Partei erst die wirtschaftlichen
Voraussetzungen dafür, einen Prozess in der Hauptsache zu führen bzw. sich
darin zu verteidigen. Auch wirkt sich eine Aufhebung der Prozesskostenhilfe
gemäß § 124 ZPO auf die Kostentragungspflicht und damit auf die wirtschaftli-
che Grundlage der Prozessführung aus. Mit der Aufhebung der Prozesskosten-
hilfe entfallen für die Partei rückwirkend die Vergünstigungen des § 122 ZPO.
Die Staatskasse kann insbesondere die Gerichtskosten und die auf sie überge-
gangenen Ansprüche des beigeordneten Anwalts gegen die Partei geltend ma-
chen, auch kann der Rechtsanwalt nunmehr die volle Wahlanwaltsgebühr von
der Partei fordern (MünchKommZPO/Motzer 3. Aufl. § 122 Rn. 15, § 124
Rn. 25; Musielak/Fischer ZPO 7. Aufl. § 124 Rn. 10; Zöller/Geimer ZPO
28. Aufl. § 124 Rn. 24).
Entsprechend besteht ein Interesse der Partei daran, dass das gesamte
Prozesskostenhilfeverfahren in den Händen ihres Prozessbevollmächtigten zu-
sammengeführt und dieser dadurch in die Lage versetzt wird, die Partei über
den jeweiligen Stand dieses Verfahrens auf dem Laufenden zu halten und die
notwendigen Schritte zu unternehmen.
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Diese Interessenlage ändert sich durch den formellen Abschluss des
Hauptsacheverfahrens nicht. Hat die Partei ihren Prozessbevollmächtigten für
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das Prozesskostenhilfeverfahren beauftragt, rechnet sie nicht damit, in diesem
Verfahren selbst tätig werden zu müssen. Vielmehr geht sie davon aus, dass ihr
Prozessbevollmächtigter sie informieren und beraten wird, wenn Handlungsbe-
darf besteht. Dabei wird sie nicht danach differenzieren, ob das Hauptsachever-
fahren bereits beendet ist oder nicht. Dem Interesse der Partei kann der Pro-
zessbevollmächtigte aber nur dann Rechnung tragen, wenn das Gericht ihm
auch über den formellen Abschluss des Hauptsacheverfahrens hinaus Kenntnis
von der Fortführung des Prozesskostenhilfeverfahrens im Überprüfungsverfah-
ren verschafft.
dd) Dafür, dass das Prozesskostenhilfeüberprüfungsverfahren auch über
den formellen Abschluss des Hauptsacheverfahrens hinaus als zur Instanz ge-
hörendes Verfahren angesehen wird, spricht auch, dass die Aktenführung wei-
terhin unter dem Aktenzeichen des Hauptsacheverfahrens erfolgt und daher
auch von den Beteiligten - mehr noch als das Wiederaufnahmeverfahren - als
mit dem Hauptsacheverfahren zusammenhängend wahrgenommen wird. Im
Übrigen wird eine Partei nur schwer verstehen, dass sie bis zur Rechtskraft der
Hauptsacheentscheidung auf Anfragen und Entscheidungen des Gerichts nicht
selbst reagieren muss, sondern sich auf die Information und Beratung durch
ihren Rechtsanwalt verlassen kann, dass sie aber nach Ablauf der Rechtsmittel-
frist selbst tätig werden muss.
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ee) Gegen eine Anwendung des § 172 ZPO auf das Prozesskostenhilfe-
überprüfungsverfahren spricht auch nicht die von der Gegenansicht gezogene
Parallele zum - vom Anwendungsbereich des § 172 ZPO nicht umfassten - Ab-
änderungsverfahren gemäß § 323 ZPO bzw. §§ 238 ff. FamFG (Zöller/Geimer
ZPO 28. Aufl. § 120 Rn. 28). Das Prozesskostenhilfeüberprüfungsverfahren ist
enger mit dem Hauptsacheverfahren verknüpft als das - selbständige - Abände-
rungsverfahren. Die Aufhebung der Prozesskostenhilfe wirkt sich unmittelbar
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auf die Kostentragungspflicht für das Hauptsacheverfahren aus. Sie hat zur Fol-
ge, dass für die Partei die Vergünstigungen des § 122 ZPO rückwirkend entfal-
len. Im Übrigen ist allenfalls das Verfahren gemäß § 120 Abs. 4 ZPO, welches
eine Anpassung der Ratenzahlungspflicht an veränderte Verhältnisse ermög-
licht, mit dem Abänderungsverfahren gemäß § 323 ZPO bzw. §§ 238 ff. FamFG
vergleichbar. Demgegenüber haben die Aufhebungsgründe des § 124 ZPO, zu
denen gemäß § 124 Nr. 2 Alt. 2 ZPO auch die unterlassene Abgabe einer Er-
klärung nach § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO gehört, keine Änderung der Verhältnisse
zur Voraussetzung. Es erscheint indes nicht sachgerecht, innerhalb des Pro-
zesskostenhilfeüberprüfungsverfahrens zu differenzieren und dieses nur teil-
weise vom Anwendungsbereich des § 172 ZPO auszunehmen.
ff) Auch das Argument der Gegenansicht, es handele sich bei dem Pro-
zesskostenhilfeüberprüfungsverfahren um eine Verwaltungsangelegenheit
(OLG Hamm FamRZ 2009, 1234, 1235; OLG Dresden NJ 2008, 315, 316; OLG
München FamRZ 1993, 580), auf die § 172 ZPO nicht anwendbar sei, greift
nicht. Zuständig für die Änderung bzw. Aufhebung bleibt auch nach rechtskräf-
tiger Beendigung des Hauptsacheverfahrens das Gericht. Das ergibt sich schon
aus dem Wortlaut des § 120 Abs. 4 ZPO, wonach das Gericht noch vier Jahre
nach dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens den Bewilligungsbeschluss
abändern kann (Schoreit/Groß Beratungshilfe, Prozesskostenhilfe, Verfahrens-
kostenhilfe 10. Aufl. § 120 ZPO Rn.36 mwN). Das Überprüfungs- bzw. Abände-
rungsverfahren ist Teil des Prozesskostenhilfeverfahrens. Für dieses gilt § 172
ZPO (BAG Beschluss vom 19. Juli 2006 - 3 AZB 18/06 - juris).
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b) Weitere Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 172 ZPO ist die
(fortdauernde) Bestellung des Prozessbevollmächtigten der Partei für das in
Rede stehende Verfahren. Davon ist hier auszugehen. Die Prozessbevollmäch-
tigte des Antragstellers hatte für diesen bereits Prozesskostenhilfe beantragt
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und sich damit im Prozesskostenhilfeverfahren für ihn bestellt. Das Prozesskos-
tenhilfeverfahren umfasst nicht nur das Verfahren bis zur Entscheidung über
den Antrag auf Prozesskostenhilfebewilligung, sondern auch das sich anschlie-
ßende Verfahren zur Überprüfung der Prozesskostenhilfebewilligung gemäß
§§ 120 Abs. 4, 124 ZPO. Dabei ist ohne Bedeutung, ob das Hauptverfahren zu
diesem Zeitpunkt bereits formell abgeschlossen ist. Denn das Gesetz trennt
nicht zwischen dem Verfahren bis zur Entscheidung über die Bewilligung der
Prozesskostenhilfe einerseits und dem Verfahren betreffend die Abwicklung der
bewilligten Prozesskostenhilfe andererseits. Dies folgt zum einen aus der ge-
setzlichen Systematik der §§ 114 ff. ZPO, die das Verfahren gemäß §§ 120
Abs. 4, 124 ZPO nicht als eigenständiges Verfahren erfasst, und zum anderen
aus der Beschwerderegelung in § 127 ZPO, die lediglich das Verfahren über die
Prozesskostenhilfe kennt und damit keine Differenzierung zwischen verschie-
denen selbständigen Verfahren zulässt (LAG Baden-Württemberg DB 2003,
948; im Ergebnis ebenso BAG Beschluss vom 19. Juli 2006 - 3 AZB 18/06 -
juris Rn. 10; OLG Brandenburg FamRZ 2008, 1356, 1357; aA Zöller/Geimer
ZPO 28. Aufl. § 120 Rn. 28).
III.
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Die angefochtene Entscheidung kann danach keinen Bestand haben.
Der Beschluss des Amtsgerichts vom 20. Mai 2008, durch den die Prozesskos-
tenhilfe aufgehoben wurde, hätte gemäß § 172 ZPO der Prozessbevollmächtig-
ten des Antragstellers zugestellt werden müssen. Die Zustellung an den An-
tragsteller persönlich war nicht wirksam und hat die Beschwerdefrist nicht in
Lauf gesetzt (vgl. BGH Beschluss vom 28. November 2006 - VIII ZB 52/06 -
NJW-RR 2007, 356 - Rn. 6 mwN). Da der Antragsteller die - auch ansonsten
zulässige - sofortige Beschwerde somit fristgerecht eingelegt hat, hat das
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Oberlandesgericht diese zu Unrecht als unzulässig verworfen. Auf den hilfswei-
se gestellten Wiedereinsetzungsantrag des Antragsstellers kommt es demge-
mäß nicht an. Die Sache ist an das Oberlandesgericht zur Entscheidung über
die Begründetheit der sofortigen Beschwerde zurückzuverweisen.
Hahne Wagenitz
Vézina
Dose
Günter
Vorinstanzen:
AG Lahnstein, Entscheidung vom 20.05.2008 - 5 F 356/05 -
OLG Koblenz, Entscheidung vom 09.02.2009 - 13 WF 90/09 -