Urteil des BGH vom 17.09.2014

Leitsatzentscheidung zu Verweigerung der Leistung, Mittellosigkeit, Anhörung, Bekanntgabe, Verjährungsfrist

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X I I Z B 3 3 8 / 1 4
vom
17. September 2014
in der Betreuungssache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
FamFG § 168 Abs. 1 Satz 3, Abs. 4 Satz 1
Die Verjährung des Regressanspruchs der Staatskasse gegen den Betreuten
oder dessen Erben wegen gezahlter Betreuervergütung wird nicht durch die
Einleitung des Regressverfahrens oder durch die Anhörung des Betreuten oder
des Erben gehemmt.
BGH, Beschluss vom 17. September 2014 - XII ZB 338/14 - LG Kassel
AG Eschwege
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. September 2014 durch
den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Schilling, Dr. Günter,
Dr. Nedden-Boeger und Dr. Botur
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer
des Landgerichts Kassel vom 30. Mai 2014 wird auf Kosten der
weiteren Beteiligten zu 2 zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 4.400
Gründe:
I.
Das Land Hessen erstrebt von der Erbin des inzwischen verstorbenen
Betreuten die Erstattung der in den Jahren von 2007 bis 2012 an den Betreuer
ausgezahlten Vergütungen in einer Gesamthöhe von 9.020
€. Der Nachlass
besteht im Wesentlichen aus einem Wohn- und Geschäftshaus mit einem
Schätzwert von ca. 126.000
€. Die Erbin hat die Einrede der Verjährung hin-
sichtlich der vor dem 1. Januar 2010 entstandenen Ansprüche erhoben.
Das Amtsgericht hat die Erbin zur Zahlung von 9.020
€ aus dem Nach-
lass des Betroffenen verpflichtet. Dagegen hat diese Beschwerde eingelegt,
soweit es
Zahlungen an den Betreuer in Höhe von 4.400 € für den Zeitraum
vom 1. Juli 2007 bis 18. November 2009 betrifft. Das Landgericht hat der Be-
schwerde stattgegeben und den zu erstattenden Betrag auf 4.620
€ reduziert.
Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Staatskasse.
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II.
Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.
1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesent-
lichen ausgeführt: Die auf die Staatskasse übergehenden Vergütungsansprü-
che des Betreuers verjährten in drei Jahren. Die Verjährung beginne mit dem
Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden sei und der Gläubiger von
den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners
Kenntnis erlangt habe oder ohne grobe Fahrlässigkeit habe erlangen müssen.
Darauf, dass der Regressanspruch der Staatskasse erst nach Wegfall
der Mittellosigkeit des Betroffenen im Wege der gerichtlichen Festsetzung nach
§§ 292 Abs. 1, 168 Abs. 1 Satz 2, 3 FamFG geltend gemacht werden könne,
komme es nicht an. Maßgeblicher Zeitpunkt für den Beginn der Verjährung sei
der Schluss des Jahres der Zahlung der Betreuervergütung durch die Staats-
kasse. Soweit bis Ende 2009 insgesamt 4.400
€ gezahlt worden seien, habe die
Verjährung Ende 2009 begonnen und Ende 2012 geendet, so dass dieser Be-
trag bei Erlass der Entscheidung im November 2013 verjährt gewesen sei.
Eine Hemmung der Verjährung sei nicht durch die Einleitung des Re-
gressverfahrens gegenüber dem Betreuten am 15. Juli 2009 und durch das An-
hörungsschreiben vom 29. Oktober 2009 eingetreten. Diese Maßnahmen stün-
den einer Rechtsverfolgung nach § 204 BGB nicht gleich. Erst eine gerichtliche
Festsetzung des Regressanspruchs führe insoweit zur Hemmung der Verjäh-
rung. Auch liege in der Erklärung des Bezirksrevisors vom 10. Februar 2010,
wonach vorübergehend von einer ratenweisen Einziehung abgesehen werden
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könne, keine Vereinbarung über ein vorübergehendes Leistungsverweigerungs-
recht im Sinne des § 205 BGB.
2. Die angefochtene Entscheidung hält einer rechtlichen Nachprüfung
stand.
a) Gemäß § 1836 e Abs. 1 Satz 1 BGB gehen Ansprüche des Vormunds
oder Gegenvormunds gegen den Mündel auf die Staatskasse über, soweit die-
se den Vormund oder Gegenvormund befriedigt. Nach § 1908 i Abs. 1 BGB
findet die vorgenannte Vorschrift auch im Betreuungsverfahren Anwendung. Für
die übergegangenen Vergütungs- bzw. Aufwendungsersatzansprüche gilt die
regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren (Senatsbeschluss vom 25. Januar
2012 - XII ZB 605/10 - MDR 2012, 431 Rn. 11 f. mwN).
b) Der Vergütungsanspruch des Betreuers entsteht mit der Ausübung
seiner jeweiligen Amtstätigkeit. Mit ihr hat der Betreuer zugleich von den - den
Anspruch begründenden - Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis
erlangt. Fälligkeit des Anspruchs tritt regelmäßig in dem Moment ein, in dem
dem Betreuer eine zusammenfassende Abrechnung innerhalb eines angemes-
senen Zeitraums möglich und zumutbar ist; einen Anhaltspunkt hierfür gibt § 9
VBVG, der Abrechnungszeiträume von drei Monaten vorgibt. Spätestens aber
tritt die Fälligkeit mit Bewilligung der Vergütung nach § 1 Abs. 2 Satz 1 VBVG
ein (Senatsbeschluss vom 25. Januar 2012 - XII ZB 605/10 - MDR 2012, 431
Rn. 16 mwN).
Dass der Betreute ursprünglich mittellos im Sinne von § 1836 d BGB
war, steht dem Entstehen des Anspruchs im Sinne des § 198 BGB a.F. bzw.
§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB nicht entgegen. Denn wäre die Leistungsfähigkeit des
Betreuten Voraussetzung für das Entstehen des Vergütungs- bzw. Aufwen-
dungsersatzanspruches, wäre ein solcher bei Mittellosigkeit erst gar nicht ent-
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standen und hätte demgemäß auch nicht auf die Staatskasse gemäß § 1836 e
Abs. 1 Satz 1 BGB übergehen können. "Mittellosigkeit" im Sinne von § 1836 d
BGB ist vielmehr dahin zu verstehen, dass es dem Betreuten sozialrechtlich
nicht zugemutet werden soll, für die Kosten der Betreuung aufzukommen, wenn
dadurch seine eigene angemessene Lebensgestaltung in Frage gestellt würde;
deshalb hat der Staat im Falle der Mittellosigkeit in die Haftung einzutreten (Se-
natsbeschluss vom 25. Januar 2012 - XII ZB 605/10 - MDR 2012, 431 Rn. 18
mwN).
Dass der entstandene Anspruch mit Leistungserbringung seitens der
Staatskasse auf diese gemäß § 1836 e Abs. 1 Satz 1 BGB übergeht, die
Staatskasse den Regressanspruch gegenüber dem Betreuten wegen dessen
Mittellosigkeit aber nicht durchsetzen kann, lässt den bereits eingetretenen Be-
ginn der Verjährung unberührt. Die Staatskasse tritt insoweit als Zessionar le-
diglich in die Gläubigerstellung des Betreuers ein (Senatsbeschluss vom
25. Januar 2012 - XII ZB 605/10 - MDR 2012, 431 Rn. 19 mwN).
c) Die Verjährung der vor 2010 entstandenen Vergütungsansprüche war
auch nicht vor Ablauf der Verjährungsfrist am 31. Dezember 2012 gehemmt.
aa) Der Umstand, dass die Staatskasse wegen der Mittellosigkeit den
Betreuten zunächst nicht in Regress nehmen konnte, führt nicht zu einer Hem-
mung der Verjährung (Senatsbeschluss vom 25. Januar 2012 - XII ZB 605/10 -
MDR 2012, 431 Rn. 22).
bb) Auch sind bis zum Ablauf der Verjährungsfrist Ende 2012 keine Ver-
fahrensmaßnahmen ergriffen worden, die eine Verjährungshemmung bewirkt
hätten.
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Anknüpfungspunkte für einen verjährungshemmenden Tatbestand könn-
ten nur die Einleitung eines Regressverfahrens gegenüber dem Betreuten am
15. Juli 2009 und dessen Anhörungen unter dem 27. Februar 2012 sowie die
Anhörung der Erbin unter dem 14. Dezember 2012 bieten. Durch sie wurde je-
doch kein Hemmungstatbestand verwirklicht.
(1) Besondere Bestimmungen darüber, welche Verfahrensmaßnahmen
gegenüber dem Betroffenen oder seinen Erben eine Verjährungshemmung be-
wirken, enthalten weder die materiell-rechtlichen Vorschriften über die Betreu-
ervergütung noch das zur Durchsetzung der Ansprüche geschaffene Verfah-
rensrecht (§ 168 FamFG).
(2) Eine allgemeine gesetzliche Regelung über die Hemmung der Verjäh-
rung eines Rechtsanspruchs durch seine Geltendmachung enthält § 204 BGB.
Die dort normierten Hemmungstatbestände folgen dem Leitgedanken, dass der
Gläubiger dem Schuldner seinen Rechtsverfolgungswillen so deutlich macht,
dass dieser sich darauf einrichten muss, auch noch nach Ablauf der ursprüngli-
chen Verjährungsfrist in Anspruch genommen zu werden (vgl. BGH Beschluss
vom 28. April 1988 - IX ZR 176/87 - WM 1988, 1030; BGHZ 80, 222, 226 mwN;
BSG NZS 2014, 337 Rn. 14).
Demgegenüber kann durch rein interne Maßnahmen, die dem Schuldner
nicht mitgeteilt werden, wie etwa die Anregung des Vertreters der Staatskasse
zur Einleitung des Erstattungsverfahrens, die notwendige Deutlichkeit eines
bestehenden Rechtsverfolgungswillens nicht vermittelt werden. Zwar erfordert
die Verjährungshemmung nicht in jedem Fall die förmliche Zustellung eines den
Rechtsverfolgungswillen bekundenden Schriftstücks. So knüpft etwa die durch
einen Güteantrag bewirkte Verjährungshemmung lediglich an die Veranlassung
der Bekanntgabe des Güteantrags (§ 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB) und nicht an die
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tatsächliche Bekanntgabe an. Mit dieser Sonderregelung wird jedoch lediglich
auf mögliche Besonderheiten in der landesrechtlichen Ausgestaltung des Güte-
verfahrens Rücksicht genommen, die eine förmliche Bekanntgabe des Gütean-
trags nicht zwingend vorsehen muss (vgl. MünchKommBGB/Grothe 6. Aufl.
§ 204 Rn. 36). Solche Besonderheiten bestehen für das in § 168 FamFG gere-
gelte Regressverfahren nicht.
(3) Für Leistungsansprüche der Träger öffentlicher Gewalt auf dem Ge-
biet des Verwaltungsrechts, welche durch hoheitlichen Verwaltungsakt festge-
setzt werden können, ist eine Bestimmung über die Verjährungshemmung in
§ 53 Abs. 1 Satz 1 VwVfG enthalten. Danach hemmt ein Verwaltungsakt, der
zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen
Rechtsträgers erlassen wird, die Verjährung dieses Anspruchs.
Voraussetzung der Verjährungshemmung ist der Erlass des den An-
spruch festsetzenden Verwaltungsakts. Erlassen ist der Verwaltungsakt, wenn
er dem Anspruchsverpflichteten ordnungsgemäß bekanntgegeben ist, denn die
Bekanntgabe ist in den Begriff des Erlasses eingeschlossen (Stel-
kens/Bonk/Sachs VwVfG 8. Aufl. § 53 Rn. 44 f.). Vorbereitungshandlungen zum
Erlass des Verwaltungsakts reichen nicht aus (Stelkens/Bonk/Sachs VwVfG
8. Aufl. § 53 Rn. 44 f.). Der vorbereitenden Anhörung des Beteiligten (§ 28
VwVfG) kommt somit keine verjährungshemmende Wirkung zu.
(4) Auf dem Gebiet des Abgabenrechts erlöschen staatliche Steueran-
sprüche durch Festsetzungsverjährung nach Ablauf der gesetzlichen Festset-
zungsfrist (§§ 47, 169 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Festsetzungsfrist ist gewahrt,
wenn vor ihrem Ablauf der Steuerbescheid den Bereich der für die Steuerfest-
setzung zuständigen Finanzbehörde verlassen hat oder bei öffentlicher Zustel-
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lung die Benachrichtigung nach § 10 Abs. 2 Satz 1 VwZG bekannt gemacht
oder veröffentlicht wird (§ 169 Abs. 1 Satz 3 AO).
Hinsichtlich der Verjährungshemmung normiert § 171 AO eine Vielzahl
von - insoweit abschließenden (BFHE 114, 522) - Sondertatbeständen wie etwa
Betriebsprüfung und Rechtsbehelfsverfahren. Allgemeine Vorbereitungshand-
lungen für den Erlass eines Steuerbescheids, wie etwa die Anhörung des Ab-
gabepflichtigen (§ 91 Abs. 1 AO), lösen demgegenüber keine Verjährungs-
hemmung aus.
(5) Die Verfahrens- und Verjährungsregelung des öffentlichen Rechts in
Angelegenheiten, in denen Leistungs- oder Erstattungsansprüche eines Trä-
gers der öffentlichen Gewalt von Amts wegen festgesetzt werden, sind somit
von dem Grundsatz geprägt, dass verjährungshemmende Wirkungen erst mit
der bescheidmäßigen Festsetzung des Anspruchs und nicht schon mit vorberei-
tenden Maßnahmen wie der Einleitung des Verwaltungsverfahrens oder der
Durchführung von Anhörungen eintreten.
Das entspricht auch der inhaltlichen Bedeutung einer Anhörung. Sie
dient - ebenso wie im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (§§ 26, 168
Abs. 4 FamFG) - der Amtsermittlung des Sachverhalts. Ein hinreichend konkre-
ter Rechtsverfolgungswille wird sich hingegen erst nach abgeschlossener
Sachverhaltsermittlung und anschließender Abwägung aller Umstände manifes-
tieren.
Für die nach § 168 FamFG festzusetzende Erstattung gezahlter Betreu-
ervergütung kann nichts anderes gelten. Auch in diesem Verfahren kann nicht
bereits die Anhörung des in Anspruch zu nehmenden Betreuten oder Erben die
Hemmung der Verjährung durch Rechtsverfolgung bewirken.
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cc) Da auch keine Vereinbarung zwischen Gläubiger und Schuldner ge-
troffen war, wonach dieser vorübergehend zur Verweigerung der Leistung be-
rechtigt sei, war die Verjährung auch nicht nach § 205 BGB gehemmt.
Andere rechtliche Hindernisse, die der Geltendmachung des Anspruchs
vorübergehend entgegenstehen, begründen - anders als nach früherem Recht -
grundsätzlich keine Hemmung (Senatsbeschluss vom 25. Januar 2012 - XII ZB
605/10 - MDR 2012, 431 Rn. 24 mwN).
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d) Die Erbin des Betroffenen, die sich auf Verjährung berufen hat, hat
demnach - wie vom Landgericht zu Recht entschieden - aufgrund der im Jahr
2013 erfolgten gerichtlichen Festsetzung nur die ab 2010 entstandenen Vergü-
tungsansprüche an die Staatskasse zurückzuzahlen. Denn die zeitlich davor
liegenden Ansprüche waren Ende 2012 verjährt.
Dose Schilling Günter
Nedden-Boeger Botur
Vorinstanzen:
AG Eschwege, Entscheidung vom 18.11.2013 - 10 XVII 79/96 -
LG Kassel, Entscheidung vom 30.05.2014 - 3 T 1/14 -
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