Urteil des BGH vom 04.09.2013

Leitsatzentscheidung zu Scheidung, Sachleistung, Beschränkung, Zusage, Kapitalleistung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 296/13
vom
4. September 2013
in der Familiensache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
VersAusglG § 2 Abs. 2 Nr. 3
Sachleistungen der betrieblichen Altersversorgung (hier: Stromdeputat) unter-
fallen nicht dem Versorgungsausgleich.
BGH, Beschluss vom 4. September 2013 - XII ZB 296/13 - OLG Hamm
AG Brilon
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. September 2013 durch
den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Dr. Klinkhammer, Dr. Nedden-
Boeger, Dr. Botur und Guhling
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss
des 7. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm
vom 8. Januar 2013 wird verworfen, soweit sie auf Ausgleich eines
bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder bestehen-
den Anrechts zielt.
Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens werden der An-
tragsgegnerin auferlegt.
Beschwerdewert:
4.260 €
Gründe:
I.
Auf den am 3. Februar 2011 zugestellten Antrag hat das Familiengericht
die am 18. April 1986 geschlossene Ehe des Antragstellers (Ehemann) und der
Antragsgegnerin (Ehefrau) geschieden und den Versorgungsausgleich geregelt.
Während der Ehezeit (1. April 1986 bis 31. Januar 2011; § 3 Abs. 1
VersAusglG) haben beide Ehegatten Anrechte in der gesetzlichen Rentenversi-
cherung erworben, darüber hinaus der Ehemann Anrechte aus einer betriebli-
chen Altersversorgung bei der RWE Deutschland AG und die Ehefrau Anrechte
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aus einer privaten Lebensversicherung. Das Familiengericht hat die in der ge-
setzlichen Rentenversicherung sowie die vom Ehemann in der betrieblichen
Altersversorgung erworbenen Anrechte jeweils intern geteilt und hinsichtlich des
in der privaten Lebensversicherung erworbenen Anrechts angeordnet, dass ein
Ausgleich wegen Geringfügigkeit unterbleibe.
Gegen diese Entscheidung hat die Ehefrau Beschwerde eingelegt, mit
der sie zusätzlich den Ausgleich eines vom Ehemann bei der Versorgungsan-
stalt des Bundes und der Länder (VBL) erworbenen Anrechts und eines weite-
ren Anrechts aus einer betrieblichen Zusage der RWE Deutschland AG auf
Deputatleistung/Energiepreisvergünstigung verfolgt hat. Das Oberlandesgericht
hat die Beschwerde zurückgewiesen; hiergegen richtet sich die zugelassene
Rechtsbeschwerde der Ehefrau.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist hinsichtlich des bei der
VBL angeblich noch bestehenden Anrechts unzulässig und hinsichtlich der be-
trieblich zugesagten Deputatleistungen unbegründet.
1. Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie
folgt begründet: Das bei der VBL erworbene Anrecht gehe in der betrieblichen
Altersversorgung der RWE Deutschland AG auf und sei bei deren Versor-
gungsauskunft in vollem Umfang berücksichtigt.
Bei der zugesagten Deputatleistung/Energiepreisvergünstigung handle
es sich nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAGE 133, 289)
zwar um ein Anrecht auf betriebliche Altersversorgung. Dieses sei jedoch auf
eine Sachleistung gerichtet, nämlich den Bezug unentgeltlicher Energiekontin-
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gente, und deshalb nicht in den Versorgungsausgleich einzubeziehen. Nach der
Konzeption des Gesetzes über den Versorgungsausgleich sei dort nämlich nur
der Ausgleich von Geldleistungen geregelt.
2. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 74 Abs. 1 Satz 2 FamFG teilweise
als unzulässig zu verwerfen, weil sie unstatthaft ist. Sie ist hinsichtlich des an-
geblich bei der VBL noch bestehenden Anrechts vom Oberlandesgericht nicht
zugelassen (§ 70 Abs. 1 FamFG).
a) Das Oberlandesgericht hat - wie sich aus den Entscheidungsgründen
ergibt - die Rechtsbeschwerde im Hinblick darauf zugelassen, dass eine Ent-
scheidung des Rechtsbeschwerdegerichts über die Einbeziehung von Sachleis-
tungen in den Versorgungsausgleich aufgrund widerstreitender Literaturauffas-
sungen zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung angezeigt sei. Darin liegt eine wirksame Beschränkung der
Rechtsbeschwerdezulassung auf dasjenige Versorgungsanrecht, für welches
das Oberlandesgericht das Vorliegen eines Zulassungsgrundes angenommen
hat.
b) Zwar hat das Oberlandesgericht im Tenor die Rechtsbeschwerdezu-
lassung nicht eingeschränkt. Es entspricht jedoch ständiger Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs, dass sich auch bei uneingeschränkter Zulassung des
Rechtsmittels im Tenor eine wirksame Beschränkung aus den Entscheidungs-
gründen ergeben kann (BGH Beschluss vom 4. April 2012 - VII ZR 56/11 - Juris
Rn. 3). Das bedeutet allerdings nicht, dass stets allein aus der Begründung der
Rechtsmittelzulassung eine Beschränkung auf den Bereich der mitgeteilten
Gründe entnommen werden kann. Eine Zulassungsbeschränkung kann viel-
mehr nur angenommen werden, wenn aus den Gründen hinreichend klar her-
vorgeht, dass das Oberlandesgericht die Möglichkeit einer Nachprüfung im
Rechtsmittelverfahren nur wegen eines abtrennbaren Teils seiner Entscheidung
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eröffnen wollte (Senatsbeschluss vom 14. Mai 2008 - XII ZB 78/07 - FamRZ
2008, 1339 Rn. 15 f.).
Dies ist hier der Fall. Das Oberlandesgericht hat in der Begründung sei-
ner Entscheidung darauf hingewiesen, dass es eine Klärung der durch wider-
streitende Literaturauffassungen offenen Rechtsfrage für notwendig erachte,
über die bisher weder obergerichtlich noch höchstrichterlich entschieden wor-
den sei. Damit hat es deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es keine vollum-
fängliche Überprüfung seiner Entscheidung in der Rechtsbeschwerdeinstanz
ermöglichen wollte. Das gilt insbesondere für die nicht gesondert ausgegliche-
nen Anrechte bei der VBL, die das Oberlandesgericht durch die Einbeziehung
in die betriebliche Altersversorgung der RWE Deutschland AG als erledigt an-
gesehen und wegen derer die Ehefrau bereits eine Rücknahme ihrer Erstbe-
schwerde angekündigt hatte.
c) Eine Beschränkung mit diesem Inhalt ist zulässig. Zwar ist eine
Rechtsbeschwerdezulassung hinsichtlich einer bestimmten Rechtsfrage unzu-
lässig. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann die Zu-
lassung der Rechtsbeschwerde jedoch auf einen tatsächlich und rechtlich selb-
ständigen Teil des Gesamtstreitstoffs beschränkt werden, der Gegenstand ei-
nes Teilbeschlusses sein könnte oder auf den der Rechtsbeschwerdeführer
selbst seine Rechtsbeschwerde beschränken könnte (Senatsurteil vom
19. September 2012 - XII ZR 136/10 - FamRZ 2012, 1789 Rn. 8 mwN). Letzte-
res ist hier der Fall, weil mit der Neuregelung des Versorgungsausgleichs zum
1. September 2009 die notwendige Verrechnung verschiedener Versorgungs-
anrechte aufgehoben wurde und einzelne Versorgungsanrechte nunmehr iso-
liert ausgeglichen werden (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 191, 36 = FamRZ 2011,
1785 Rn. 6).
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3. Soweit die Rechtsbeschwerde zulässig ist, halten die Ausführungen
des Oberlandesgerichts einer rechtlichen Nachprüfung stand.
a) Allerdings ist in der Literatur umstritten, ob betriebliche Sachleistungen
in Form von Deputaten, die dem Arbeitnehmer für die Zeit nach seinem Eintritt
in den Ruhestand zugesagt wurden, im Versorgungsausgleich auszugleichen
sind.
Die Befürworter eines Ausgleichs berufen sich auf den Wortlaut des § 2
Abs. 2 Nr. 3 VersAusglG, wonach ein Anrecht im Sinne des Betriebsrentenge-
setzes oder des Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetzes unabhängig
von der Leistungsform auszugleichen ist (Hauß FamRB 2010, 361, 362; ders.
in:
Schulz/Hauß
Familienrecht
2. Aufl.
§ 2
VersAusglG
Rn. 15;
Palandt/Brudermüller BGB 72. Aufl. § 2 VersAusglG Rn. 11; jurisPK-
BGB/Breuers [Bearbeitungsstand 3. Juni 2013] § 2 VersAusglG Rn. 47).
Demgegenüber bringt die Gegenauffassung vor, dass Sachdeputate ver-
sicherungsmathematisch nicht berechenbar seien und der Gesetzgeber mit der
erwähnten Formulierung lediglich auf Kapitalleistung gerichtete Anrechte in den
Versorgungsausgleich einbeziehen wollte, die früher in den Zugewinnausgleich
fielen (FAFamR/Wick 5. Aufl. § 2 VersAusglG Rn. 18; Erman/Norpoth BGB
13. Aufl. § 2 VersAusglG Rn. 9; vgl. auch Götsche in: Götsche/Rehbein/Breuers
Versorgungsausgleich § 2 VersAusglG Rn. 60; Borth Versorgungsausgleich
6. Aufl. Rn. 79).
b) Der Senat teilt die zuletzt genannte Auffassung.
aa) Zwar handelt es sich bei den hier in Rede stehenden Sachleistungen
um solche aus der betrieblichen Altersversorgung, die gemäß § 2 Abs. 1 Vers-
AusglG grundsätzlich dem Versorgungsausgleich unterliegen.
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Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG handelt es sich um betriebliche Alters-
versorgung, wenn dem Arbeitnehmer aus Anlass seines Arbeitsverhältnisses
vom Arbeitgeber Leistungen der Alters-, der Invaliditäts- oder der Hinterbliebe-
nenversorgung zugesagt sind. Die Zusage muss einem Versorgungszweck die-
nen und die Leistungspflicht nach dem Inhalt der Zusage durch ein im Gesetz
genanntes biologisches Ereignis, nämlich Alter, Invalidität oder Tod ausgelöst
werden. Erforderlich und ausreichend ist weiter, dass durch die vorgesehene
Leistung ein im Betriebsrentengesetz angesprochenes biometrisches Risiko
teilweise übernommen wird. Die Altersversorgung deckt einen Teil der „Langle-
bigkeitsrisiken“ ab. Versorgung sind alle Leistungen, die den Lebensstandard
des Arbeitnehmers oder seiner Hinterbliebenen im Versorgungsfall verbessern
sollen. Der Leistungsbegriff des Betriebsrentengesetzes umfasst dabei nicht nur
Geldleistungen, sondern auch Sach- und Nutzungsleistungen, insbesondere
Deputate, selbst wenn derartige Leistungen auch den aktiven Arbeitnehmern
gewährt werden (BAGE 133, 289 Rn. 23 f. mwN).
bb) Auch ließe der offene Wortlaut des § 2 Abs. 2 Nr. 3 Halbs. 2 Vers-
AusglG, wonach ein Anrecht im Sinne des Betriebsrentengesetzes unabhängig
von der Leistungsform auszugleichen ist, eine Einbeziehung betrieblicher Sach-
leistungen in den Versorgungsausgleich für sich genommen zu.
cc) Die vorgenannte Bestimmung hat der Gesetzgeber allerdings gezielt
eingeführt, um einen Versorgungsausgleich auch dann zu ermöglichen, wenn
das betriebliche Anrecht auf eine Kapitalleistung gerichtet ist. Damit sollten ei-
nerseits Liquiditätsprobleme aufgefangen werden, die entstehen könnten, wenn
das weder fällige noch anderweitig verwertbare Anrecht anstelle im Versor-
gungsausgleich güterrechtlich ausgeglichen würde; andererseits sollten Umge-
hungsmöglichkeiten durch Ausübung eines Kapitalwahlrechts nach Rechtshän-
gigkeit der Scheidung verhindert werden (BT-Drucks. 16/10144 S. 46). Eine
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Öffnung des Versorgungsausgleichs für betrieblich zugesagte Sachleistungen
war mit der erweiterten Gesetzesfassung nicht beabsichtigt.
dd) Die Einbeziehung betrieblich zugesagter Sachleistungen würde sich
zudem nicht in das System des Versorgungsausgleichs einfügen. Denn die ge-
setzlichen Ausgleichsmechanismen setzen Anrechte voraus, die auf eine Geld-
leistung entweder in Form einer Rente oder als Kapitalbetrag zielen.
Würde eine Sachleistung in den Versorgungsausgleich einbezogen, wäre
sie bei der Scheidung regelmäßig noch nicht ausgleichsreif im Sinne des § 19
Abs. 2 VersAusglG. Denn die Gewährung der zugesagten Sachleistung steht
nach Eintritt des Versorgungsfalls regelmäßig unter besonderen Bedingungen,
deren Vorliegen im Zeitpunkt der Scheidung noch nicht feststehen. Insbesonde-
re hängt der Bezug der Sachleistung von der Möglichkeit des Berechtigten ab,
diese tatsächlich in Anspruch zu nehmen. Hinsichtlich des hier zugesagten
Stromdeputats entfällt die Möglichkeit der Inanspruchnahme nach der vom Ver-
sorgungsträger erteilten Auskunft, wenn der Berechtigte im Inland keinen eige-
nen Haushalt führt, etwa weil er in einer Wohngemeinschaft, in einem Heim
oder im Ausland lebt. Wegen dieser weiteren Anspruchsvoraussetzungen ist
das Versorgungsanrecht noch nicht hinreichend verfestigt (§ 19 Abs. 2 Nr. 1
VersAusglG). Es könnte daher allenfalls nach der Scheidung ausgeglichen
werden (§§ 20 ff. VersAusglG). Die Mechanismen des schuldrechtlichen Ver-
sorgungsausgleichs nach der Scheidung setzen jedoch auszugleichende Geld-
leistungen voraus.
Für den Fall des laufenden Bezugs einer Versorgung ist durch § 20
Abs. 1 Satz 1 VersAusglG bestimmt, dass die ausgleichsberechtigte von der
ausgleichspflichtigen Person den Ausgleichswert als Rente (schuldrechtliche
Ausgleichsrente) verlangen kann. Das zielt nicht auf Naturalleistung, sondern
auf eine Geldrente, zumal der ausgleichspflichtige Ehegatte im vorliegenden
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Fall auch nicht imstande wäre, Stromlieferungen an den Ausgleichsberechtigten
zu erbringen. Im Hinblick auf die geschuldete Geldrente müsste die ausgleichs-
berechtigte Person von der ausgleichspflichtigen Person auch verlangen kön-
nen, ihr den Anspruch gegen den Versorgungsträger in Höhe der Ausgleichs-
rente abzutreten (§ 21 Abs. 1 VersAusglG). Dies wäre jedoch von vornherein
nicht möglich, da der Versorgungsträger keine Geldrente schuldet, sondern in-
soweit (nur) eine Sachleistung.
Auch eine Geldabfindung der noch zu erwartenden Sachleistungen (§ 23
VersAusglG) kommt nicht in Betracht. Denn der Abfindungsanspruch nach § 23
VersAusglG hat ebenfalls zur Voraussetzung, dass es sich bei dem noch nicht
ausgeglichenen Anrecht um ein dem Grund und der Höhe nach gesichertes
Anrecht handelt (vgl. Senatsbeschluss vom 17. April 2013 - XII ZB 371/12 -
FamRZ 2013, 1021 Rn. 13 ff.). Dies ist wegen des möglichen Wegfalls der wei-
teren Anspruchsvoraussetzungen - etwa durch Aufgabe eines eigenen Haus-
halts im Inland - nicht gegeben.
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Wie schon das bis zum 31. August 2009 geltende Versorgungsaus-
gleichsrecht (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 20. Januar 1993 - XII ZB 59/90 -
FamRZ 1993, 682, 683) stellt also auch das seit 1. September 2009 geltende
Versorgungsausgleichsrecht kein Instrumentarium zur Verfügung, betrieblich
zugesagte Sachleistungsdeputate unter den Ehegatten auszugleichen.
Dose Klinkhammer Nedden-Boeger
Botur Guhling
Vorinstanzen:
AG Brilon, Entscheidung vom 18.10.2011 - 20 F 390/10 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 08.01.2013 - II-7 UF 290/11 -
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