Urteil des BGH vom 07.10.2015

Leitsatzentscheidung zu Unterbringung, Pflegeheim, Lebensstellung, Leistungsfähigkeit

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
BESCHLUSS
X I I Z B 2 6 / 1 5
Verkündet am:
7. Oktober 2015
Breskic,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Familiensache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB §§ 1603, 1610
a) Der Unterhaltsbedarf des Elternteils bestimmt sich grundsätzlich durch seine Unterbrin-
gung in einem Heim und deckt sich regelmäßig mit den dort anfallenden Kosten (im An-
schluss an Senatsurteil vom 21. November 2012 - XII ZR 150/10 - FamRZ 2013, 203
Rn. 15 mwN).
b) Hat der sozialhilfebedürftige Unterhaltsberechtigte zu den Kriterien der Heimauswahl
noch keinen Vortrag gehalten, genügt der Unterhaltspflichtige seiner Obliegenheit zum
substantiierten Bestreiten dadurch, dass er konkrete, kostengünstigere Heime und die
dafür anfallenden Kosten benennt (Fortführung von Senatsurteil vom 21. November
2012 - XII ZR 150/10 - FamRZ 2013, 203).
c) Grundsätzlich ist der sozialhilfebedürftige Unterhaltsberechtigte nicht darauf beschränkt,
die Kosten der Heimunterbringung zum einzigen Auswahlkriterium zu erheben. Hat er
die Wahl zwischen mehreren Heimen im unteren Preissegment, steht ihm insoweit ein
Entscheidungsspielraum zu. Außerhalb dieses Preissegments hat der Unterhaltsberech-
tigte demgegenüber besondere Gründe vorzutragen, aus denen sich ergibt, dass die
Wahl des Heims aus dem unteren Preissegment nicht zumutbar war (Fortführung von
Senatsurteil vom 21. November 2012 - XII ZR 150/10 - FamRZ 2013, 203).
BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2015 - XII ZB 26/15 - OLG Koblenz
AG Altenkirchen
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 7. Oktober 2015 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter
Schilling, Dr. Günter, Dr. Nedden-Boeger und Dr. Botur
für Recht erkannt:
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss
des 7. Zivilsenats - 4. Senat für Familiensachen - des Oberlan-
desgerichts Koblenz vom 15. Januar 2015 im Kostenpunkt und in-
soweit aufgehoben, als es über den Unterhalt für die Zeit bis ein-
schließlich Januar 2013, von März 2013 bis einschließlich Dezem-
ber 2013 und für die Zeit von September 2014 bis zum 29. No-
vember 2014 zum Nachteil des Antragstellers entschieden hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbe-
schwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
I.
Der antragstellende Kreis begehrt von der Antragsgegnerin Elternunter-
halt aus übergegangenem Recht für die Zeit von September 2011 bis zum
29. November 2014.
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Der Vater der Antragsgegnerin, der unter anderem eine Altersrente,
(zeitweise) Leistungen der Grundsicherung, Pflegegeld und ein Pflegewohngeld
bezog, wurde im Zeitraum von Juli 2011 bis zu seinem Tode am 29. November
2014 im Seniorenzentrum A. in stationärer Heimpflege betreut. Der Antragstel-
ler, der die Antragsgegnerin im September 2011 über die Hilfegewährung unter-
richtete und sie zur Auskunft über ihre Einkünfte aufforderte, übernahm die
nicht gedeckten Kosten der Unterbringung im Rahmen der Pflegeeinrichtung
gemäß § 61 SGB XII in monatlich wechselnder Höhe. Die Antragsgegnerin er-
zielt aus nicht selbständiger Tätigkeit Erwerbseinkünfte. Ihr Ehemann war als
Berufssoldat tätig und ist aufgrund der besonderen Altersgrenze nach § 45 SG
seit Vollendung seines 54. Lebensjahres im Jahre 2004 pensioniert. Er betrieb
im hier maßgeblichen Zeitraum eine zusätzliche Altersvorsorge.
Das Amtsgericht hat dem Antrag des Antragstellers auf Zahlung eines
rückständigen Unterhalts in Höhe von 2.601,75
€ nebst Zinsen und eines ab
1. Dezember 2012 laufenden monatlichen Unterhalts von jeweils 173
€ stattge-
geben. Mit ihrer Beschwerde hat die Antragsgegnerin die Abweisung des Zah-
lungsantrags begehrt. Der Antragsteller hat seinen Antrag in der Beschwerde-
instanz nur noch teilweise weiterverfolgt; für die Zeit bis 31. Dezember 2012 hat
er nur noch Zahlung von insgesamt 2.426,09
€ nebst Zinsen, für Februar 2013
keinen Unterhalt und für April 2013 lediglich Zahlung von 141,28
€ begehrt.
Ferner hat er im Rahmen der Anschlussbeschwerde seinen Antrag dahin erwei-
tert, dass er Zahlung für Januar und März 2013 von jeweils 232,63
€ und für die
Zeit ab Mai 2013 bis zum 29. November 2014 von monatlich jeweils 250
€ ver-
langt hat. Das Oberlandesgericht hat die Antragsgegnerin verpflichtet, an den
Antragsteller für die Zeit vom 1. Dezember 2013 bis zum 29. November 2014
Unterhalt in Höhe von insgesamt 2.594,25
€ zu zahlen. Die weitergehende Be-
schwerde und Anschlussbeschwerde hat es unter Zurückweisung des Antrags
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im Übrigen zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit der
zugelassenen Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg und führt zur Zurückverweisung der
Sache an das Oberlandesgericht.
Der Rechtsbeschwerdeantrag ist dahin auszulegen, dass der Antragstel-
ler Aufhebung der angefochtenen Entscheidung nur für die Monate begehrt, in
denen das Oberlandesgericht seinem Zahlungsantrag nicht voll entsprochen
hat, also für die im Tenor genannten Zeiträume. Hinsichtlich der Monate Febru-
ar 2013 (kein Unterhalt wegen Antragsrücknahme) und Januar 2014 bis ein-
schließlich August 2014 (monatlich 250
€ Unterhalt zugesprochen) ist das
Oberlandesgericht den Anträgen des Antragstellers gefolgt. Insoweit ist der An-
tragsteller als Rechtsbeschwerdeführer nicht beschwert.
1. Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
Nachdem der Antragsteller nicht substantiiert dargetan habe, dass eine
Unterbringung des Vaters der Antragsgegnerin nicht in einem kostengünstige-
ren Heim möglich gewesen sei, sei die Antragsgegnerin nur zur Zahlung des
offenen Bedarfs bei einer Unterbringung in einem solchen Heim zu verpflichten.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs obliege es in der Regel dem
Unterhaltspflichtigen, die Notwendigkeit der Heimkosten substantiiert zu bestrei-
ten. Komme er dem nach, treffe die Beweislast den Unterhaltsberechtigten und
im Falle des sozialrechtlichen Anspruchsübergangs den Sozialhilfeträger. Das
Bestreiten der Notwendigkeit der Kosten durch die Antragsgegnerin sei ausrei-
chend. Sie habe dargelegt, dass im Zeitpunkt der Heimunterbringung ihres Va-
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ters zumindest drei wesentlich kostengünstigere Heime vorhanden gewesen
seien, davon eines zudem in W. Der Sozialhilfeträger sei in einem solchen Fall
zumindest dann, wenn der Unterhaltspflichtige - wie hier - an der Unterbringung
nicht beteiligt gewesen sei, verpflichtet, die Umstände der Unterbringung im
Einzelnen substantiiert darzulegen und gegebenenfalls auch unter Beweis zu
stellen. Nachdem das Vorbringen des Antragstellers diesen Anforderungen
nicht gerecht werde, könnten nur die bei Unterbringung in dem kostengünstige-
ren Alten- und Pflegeheim C. in W. anfallenden notwendigen Heimkosten zu-
züglich des Barbetrags als Unterhaltsbedarf des Vaters der Antragsgegnerin
anerkannt und den weiteren Berechnungen zugrunde gelegt werden. Den
- nicht bestrittenen - Heimkosten für die vollstationäre Pflege im Alten- und
Pflegeheim C. sei das Einkommen des unterhaltsberechtigten Vaters, das sich
unter anderem auch aus dem tatsächlich bezogenen Pflegewohngeld zusam-
mensetze, gegenüberzustellen.
Daraus ergebe sich, dass der Unterhaltsberechtigte aufgrund seines
- den Bedarf übersteigenden - Einkommens bis einschließlich November 2013
keinen Unterhaltsanspruch gehabt habe. Es bestehe ein Unterhaltsanspruch für
Dezember 2013 von 232,73
€, für die Zeit von Januar 2014 bis einschließlich
August 2014 in Höhe der monatlich geltend gemachten 250
€, in den Monaten
September und Oktober 2014 von jeweils 175,20
€ und für November 2014
schließlich 11,12
€. Das ergebe einen Gesamtbetrag von 2.594,25 €.
Die Antragsgegnerin sei auch leistungsfähig. Ihr verbleibe ein unterhalts-
rechtlich relevantes, monatliches Einkommen in Höhe von 1.460
€ für das Jahr
2013 und von 1.478
€ für das Jahr 2014. Das bereinigte Nettoeinkommen ihres
Ehemanns betrage für das Jahr 2013 2.878
€; dieser Betrag sei auch für 2014
zugrunde zu legen. Weitere Abzüge vom Einkommen des Ehemanns seien
nicht vorzunehmen, insbesondere keine für die von ihm geleisteten Altersvor-
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sorgeaufwendungen. Er beziehe bereits Pensionsleistungen, da er als Soldat
mit 54 Jahren entsprechend der besonderen Altersgrenze für Berufssoldaten
gemäß § 45 SG in den Ruhestand versetzt worden sei. Insoweit könne sich die
Antragsgegnerin nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Regelaltersgrenze
von 65 Jahren noch nicht erreicht sei.
Unter Beachtung der Berechnungsweise des Bundesgerichtshofs für den
Elternunterhalt verbleibe ein einzusetzendes, monatliches Einkommen der An-
tragsgegnerin von 270
€ für das Jahr 2013 und von 274 € für das Jahr 2014.
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht in je-
der Hinsicht stand.
a) Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Oberlandesgericht die Anforde-
rungen an die Darlegungs- und Beweislast für den Bedarf im Rahmen des El-
ternunterhalts bei der Heimunterbringung erkannt. Es hat indes verkannt, dass
allein die Existenz eines kostengünstigeren Heims in räumlicher Nähe einer
Lebensstellung des Unterhaltsberechtigten im Sinne von § 1610 Abs. 1 BGB
auf der Grundlage der Kosten des konkret bewohnten Heims nicht entgegen-
steht.
aa) Gemäß § 1610 Abs. 1 BGB bestimmt sich das Maß des zu gewäh-
renden Unterhalts nach der Lebensstellung des Bedürftigen (angemessener
Unterhalt).
(1) Nach der Rechtsprechung des Senats bestimmt sich der Unterhalts-
bedarf des Elternteils grundsätzlich durch seine Unterbringung in einem Heim
und deckt sich regelmäßig mit den dort anfallenden Kosten (vgl. Senatsurteil
vom 21. November 2012 - XII ZR 150/10 - FamRZ 2013, 203 Rn. 15 mwN).
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Ein an der früheren besseren Lebensstellung des Elternteils orientierter
höherer Standard ist grundsätzlich nicht mehr angemessen im Sinne von
§ 1610 Abs. 1 BGB. Denn der angemessene Lebensbedarf der Eltern richtet
sich nach deren konkreter (aktueller) Lebenssituation. Ist der Elternteil im Alter
sozialhilfebedürftig geworden, so beschränkt sich sein angemessener Lebens-
bedarf auf das Existenzminimum und damit verbunden auf eine ihm zumutbare
einfache und kostengünstige Heimunterbringung. Dass das unterhaltspflichtige
Kind selbst in besseren Verhältnissen lebt, hat auf den Unterhaltsbedarf des
Elternteils schließlich keinen Einfluss (Senatsurteil vom 21. November 2012
- XII ZR 150/10 - FamRZ 2013, 203 Rn. 17 mwN).
Grundsätzlich ist der sozialhilfebedürftige Unterhaltsberechtigte aber
nicht darauf beschränkt, die Kosten der Heimunterbringung zum einzigen Aus-
wahlkriterium zu erheben und folglich seinen künftigen Lebensmittelpunkt allein
danach auszurichten. Hat er die Wahl zwischen mehreren Heimen im unteren
Preissegment, steht ihm insoweit ein Entscheidungsspielraum zu.
Stand dem Elternteil ein preisgünstigeres Heim zur Verfügung, sind
auch höhere Kosten der Heimunterbringung außerhalb desselben Preisseg-
ments vom Unterhaltspflichtigen dann zu tragen, wenn dem Elternteil die Wahl
des preisgünstigeren Heims nicht zumutbar war. Das kann der Fall sein, wenn
Eltern ihre Heimunterbringung zunächst noch selbst finanzieren konnten und
- etwa aufgrund der Einordnung in eine höhere Pflegestufe - erst später dazu
nicht mehr in der Lage sind. Darüber hinaus kann das unterhaltspflichtige Kind
auch dann nicht einwenden, es habe eine kostengünstigere Unterbringung
offen gestanden, wenn es selbst die Auswahl des Heims beeinflusst hat und
sein Einwand infolgedessen im Einzelfall gegen das Verbot widersprüch-
lichen Verhaltens verstoßen würde (Senatsurteil vom 21. November 2012
- XII ZR 150/10 - FamRZ 2013, 203 Rn. 18).
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(2) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats obliegt es dem Un-
terhaltsberechtigten, seinen Unterhaltsbedarf darzulegen und zu beweisen. Im
Falle eines Heimaufenthalts genügt dafür die Darlegung der für den Aufenthalt
anfallenden Kosten, wenn nicht Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese nicht
der angemessenen Lebensstellung des Unterhaltsberechtigten entsprechen.
Stellt der Unterhaltspflichtige in Abrede, dass das von dem Unterhaltsberechtig-
te bewohnte Heim seiner angemessenen Lebensstellung entspricht, ist von ihm
regelmäßig ein substantiiertes Bestreiten zu verlangen (vgl. Senatsurteil vom
21. November 2012 - XII ZR 150/10 - FamRZ 2013, 203 Rn. 15; BGHZ 152,
217 = FamRZ 2002, 1698, 1700).
Hat der sozialhilfebedürftige Unterhaltsberechtigte zu den Kriterien der
Heimauswahl noch keinen Vortrag gehalten, genügt der Unterhaltspflichtige
seiner Obliegenheit zum substantiierten Bestreiten zwar nicht durch einen
pauschalen Hinweis auf kostengünstigere Heime (vgl. Senatsurteil BGHZ 152,
217 = FamRZ 2002, 1698, 1700), wohl aber dadurch, dass er konkrete Heime
und die dafür anfallenden Kosten benennt. Kommt der Unterhaltspflichtige
dem nach, verbleibt die Darlegungs- und Beweislast für den Lebensbedarf bei
dem Unterhaltsberechtigten und im Fall des sozialhilferechtlichen Anspruchs-
übergangs bei dem Sozialhilfeträger (Senatsurteil vom 21. November 2012
- XII ZR 150/10 - FamRZ 2013, 203 Rn. 20 f. mwN).
Der Unterhaltsberechtigte kann darlegen, dass sich das von ihm gewähl-
te Heim gemeinsam mit dem vom Unterhaltspflichtigen benannten kostengüns-
tigeren Heim noch im unteren Preissegment befindet und seine Auswahl des-
wegen dem Unterhaltspflichtigen zumutbar ist. Außerhalb dieses Preisseg-
ments hat der Unterhaltsberechtigte demgegenüber besondere Gründe vorzu-
tragen, aus denen sich ergibt, dass die Wahl des Heims aus dem unteren Preis-
segment nicht zumutbar war (vgl. Senatsurteil vom 21. November 2012
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- XII ZR 150/10 - FamRZ 2013, 203 Rn. 18). Er kann dann etwa den Nachweis
führen, dass in den vom Unterhaltspflichtigen genannten Heimen im zeitlichen
Zusammenhang mit dem Entstehen des Unterbringungsbedarfs keine freien
Plätze verfügbar waren. Auch wenn der Unterhaltsberechtigte diesen Nachweis
nicht führen kann, kann er sonstige Umstände vortragen, aus denen sich ergibt,
dass der Unterhaltspflichtige die konkrete Heimauswahl unterhaltsrechtlich hin-
zunehmen hat (vgl. Senatsurteil vom 21. November 2012 - XII ZR 150/10 -
FamRZ 2013, 203 Rn. 18).
bb) Diesen Anforderungen wird die angegriffene Entscheidung nicht ge-
recht.
(1) Zwar hat das Oberlandesgericht zutreffend gesehen, dass sich der
Unterhaltsbedarf eines im Pflegeheim untergebrachten Elternteils regelmäßig
nach den Heimkosten zuzüglich eines Barbetrags für Bedürfnisse des täglichen
Lebens gemäß § 27 b Abs. 2 SGB XII (in der seit 1. Januar 2011 gültigen
Fassung vom 24. März 2011, BGBl. I S. 453) richtet (vgl. zum Barbetrag zu-
letzt Senatsbeschluss vom 17. Juni 2015 - XII ZB 458/14 - FamRZ 2015, 1594
Rn. 26 mwN).
Auch die Anforderungen an ein substantiiertes Bestreiten seitens der un-
terhaltspflichtigen Antragsgegnerin hat es zutreffend bewertet. Der Antragsteller
hatte den Bedarf des Unterhaltsberechtigten zwar zunächst nachvollziehbar
dargelegt. Er hatte vorgetragen, dass nach der Krankenhausentlassung des
Vaters der Antragsgegnerin eine Heimunterbringung erforderlich gewesen sei.
Ein Mitarbeiter des Sozialamts, das von der Schwester der Antragsgegnerin um
Hilfe gebeten worden sei, habe sich in W. um einen freien Platz in einem Pfle-
geheim bemüht und einen solchen im Seniorenzentrum A. gefunden. Im
Hinblick auf diesen Vortrag hat die Antragsgegnerin ihrer Obliegenheit zum
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substantiierten Bestreiten genügt, indem sie unter Hinweis auf eine Übersicht
aus einer Internetrecherche mehrere kostengünstigere Heime im Umkreis von
10 km benannt hat.
(2) Daraus folgt aber noch nicht, dass die Heimauswahl im Ergebnis zu
beanstanden wäre. Anhand der bislang vom Oberlandesgericht getroffenen
Feststellungen kann nicht beurteilt werden, ob es sich bei dem Seniorenzen-
trum A. nicht möglicherweise auch um eines handelt, dass dem unteren Preis-
segment entspringt und dessen Wahl sonach noch vom Entscheidungsspiel-
raum des Unterhaltsberechtigten bzw. des Sozialhilfeträgers umfasst ist. Das
Oberlandesgericht hat sich letztlich darauf beschränkt, das vom Unterhaltsbe-
rechtigten bewohnte Heim konkret mit nur einem weiteren Heim, nämlich dem
Alten- und Pflegeheim C., zu vergleichen, und dabei überdies seiner Entschei-
dung einen fehlerhaften Vergleichsmaßstab zugrunde gelegt. Es hat die jeweili-
gen Heimkosten unter Einschluss der Investitionskosten verglichen, ohne zu
berücksichtigen, dass letztere bei der Frage, welche Kosten auf den Heimbe-
wohner zukommen, gesondert zu bewerten sind.
(a) Investitionskosten, die von Pflegeheimen gegenüber den Heimbe-
wohnern geltend gemacht werden, werden in einigen Bundesländern, unter an-
derem wie hier in Nordrhein-Westfalen, vom Sozialamt (zumindest anteilig) in
Form eines Pflegewohngeldes übernommen. Beim Pflegewohngeld handelt es
sich um einen "bewohnerorientierten Aufwendungszuschuss für Investitionskos-
ten vollstationärer Dauerpflegeeinrichtungen" (vgl. OLG Düsseldorf Urteil vom
13. August 2015 - 6 U 182/14 - juris Rn. 51 zu der bis 15. Oktober 2014 gelten-
den Vorgängerregelung des § 12 PfG NW - jetzt: § 14 des Gesetzes zur Wei-
terentwicklung des Landespflegerechtes und Sicherung einer unterstützenden
Infrastruktur für ältere Menschen, pflegebedürftige Menschen und deren Ange-
hörige, Alten- und Pflegegesetz Nordrhein-Westfalen - APG NRW vom 2. Okto-
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ber 2014, GV NRW 2014, 625). Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 3 APG NRW besteht
der Anspruch auf Zahlung von Pflegewohngeld nur für bestimmte, nicht vom
Gesetz ausgeschlossene Einrichtungen. Nach § 14 Abs. 4 APG NRW bleiben
u. a. Ansprüche auf Elternunterhalt der pflegebedürftigen Person unberücksich-
tigt; § 94 SGB XII findet keine Anwendung. Daraus folgt zwar, dass das Pflege-
wohngeld gegenüber der Unterhaltspflicht der Kinder nicht subsidiär ist, ihm
also bedarfsdeckende Wirkung zukommt. Es wird aber nur bezogen auf die
konkrete Einrichtung, in der sich der Pflegebedürftige befindet, gewährt.
(b) Im vorliegenden Fall hat der Vater der Antragsgegnerin in dem
hier gegenständlichen Zeitraum ein Pflegewohngeld von monatlich zwischen
567,94
€ und 591,97 € bezogen; dies entsprach jeweils den konkreten Investiti-
onskosten, die im Seniorenzentrum A. angefallen waren. Demgegenüber ergibt
sich aus der von der Antragsgegnerin zur Akte gereichten und vom Oberlan-
desgericht in Bezug genommenen Internetrecherche, dass sich die Investitions-
kosten für das Alten- und Pflegeheim C. auf lediglich rund 311
€ beliefen. Un-
beschadet der vom Oberlandesgericht nicht beantworteten Frage, ob der Vater
der Antragsgegnerin für die vom Alten- und Pflegeheim C. beanspruchten In-
vestitionskosten überhaupt ein Pflegewohngeld hätte beanspruchen können,
könnte dies die - insoweit konsequenterweise fiktiv zugrunde zu legenden - In-
vestitionskosten des Alten- und Pflegeheim C. von rund 311
€ jedenfalls nicht
übersteigen.
b) Auch die Ausführungen des Oberlandesgerichts zur Leistungsfähig-
keit der Antragsgegnerin (hier für die Zeit ab 2013) sind teilweise rechtsfehler-
haft. Das Oberlandesgericht hätte nicht zu Lasten der Antragsgegnerin vom Ab-
zug der zusätzlichen Altersvorsorge auf Seiten ihres Ehemannes absehen dür-
fen.
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aa) Nach der Rechtsprechung des Senats ist regelmäßig mit dem Eintritt
in das allgemeine Rentenalter der Lebensabschnitt erreicht, für den mit Rück-
sicht auf die sinkenden Einkünfte Vorsorge getroffen worden ist. Ab Erreichen
der gesetzlichen Altersgrenze darf ein nicht selbständig Erwerbstätiger grund-
sätzlich keine weiteren Versorgungsrücklagen zu Lasten der unterhaltsrechtli-
chen Leistungsfähigkeit mehr bilden (Senatsurteil BGHZ 186, 350 = FamRZ
2010, 1535 Rn. 26).
Ferner ist beim Elternunterhalt danach zu differenzieren, ob der Unter-
haltspflichtige selbst eine zusätzliche Altersvorsorge betreibt oder sein Ehegat-
te. Im letzteren Fall ist zu beachten, dass der Ehegatte nicht elternunterhalts-
pflichtig ist. Er ist allein gegenüber seinem Ehegatten zum Familienunterhalt
verpflichtet. Die in diesem Unterhaltsrechtsverhältnis maßgebenden ehelichen
Lebensverhältnisse richten sich nach den für die allgemeine Lebensführung
verfügbaren Einkünften der Ehegatten. Soweit Einkommensteile der Vermö-
gensbildung vorbehalten bleiben, dienen sie nicht mehr der Befriedigung der
laufenden Lebensbedürfnisse und sind damit grundsätzlich der Unterhaltsbe-
messung entzogen. Allerdings ist dabei ein objektiver Maßstab anzulegen. Ent-
scheidend ist derjenige Lebensstandard, der nach dem vorhandenen Einkom-
men vom Standpunkt eines vernünftigen Betrachters aus angemessen er-
scheint. Dabei haben - gemessen an dem verfügbaren Einkommen - sowohl
eine zu dürftige Lebensführung als auch ein übermäßiger Aufwand außer Be-
tracht zu bleiben (Senatsurteil BGHZ 196, 21 = FamRZ 2013, 363 Rn. 36
mwN).
bb) Gemessen hieran ist es rechtlich zu beanstanden, dass das Ober-
landesgericht die vom Ehemann der Antragsgegnerin betriebene Altersvorsorge
nicht berücksichtigt hat. Jedenfalls wenn die zusätzliche Altersvorsorge - wie
hier - von dem Ehegatten des Unterhaltspflichtigen betrieben wird, ist diese
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nach den vorgenannten Grundsätzen anzuerkennen. Bei einem unterhaltsrecht-
lich bereinigten Einkommen, das das Oberlandesgericht beim Ehemann der
Antragsgegnerin mit 2.878
€ netto in seine Entscheidung eingestellt hat, er-
scheint eine monatliche zusätzliche Altersvorsorge - auch bei einer "vorzeitigen"
Pensionierung - in der vom Amtsgericht festgestellten Höhe von rund 178
monatlich, unter Berücksichtigung des gesamten Lebensstandards der Eheleu-
te als angemessen.
Soweit das Oberlandesgericht im Übrigen zu Gunsten des Antragstellers
davon Abstand genommen hat, weitere Abzüge vom Einkommen der Antrags-
gegnerin bzw. des Ehemanns der Antragsgegnerin vorzunehmen, bewegt sich
die angegriffene Entscheidung allerdings im Rahmen der Senatsrechtspre-
chung.
3. Gemäß § 74 Abs. 5 FamFG ist der angefochtene Beschluss aufzuhe-
ben. Da noch weitere Feststellungen zu treffen sind, kann der Senat in der Sa-
che nicht abschließend entscheiden. Deshalb ist sie gemäß § 74 Abs. 6 Satz 2
FamFG an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen.
Damit wird das Oberlandesgericht gegebenenfalls auch Gelegenheit ha-
ben, Feststellungen zur Leistungsfähigkeit der Antragsgegnerin für den vor
2013 liegenden - hier ebenfalls relevanten - Zeitraum zu treffen. Es wird außer-
dem zu beachten haben, dass der amtsgerichtlichen Entscheidung zufolge die
Antragsgegnerin und ihr Ehemann zunächst steuerlich zusammen veranlagt
waren. Ausweislich der vom Oberlandesgericht in Bezug genommenen Ein-
kommensunterlagen der Eheleute haben diese allerdings für den ab 2012 be-
ginnenden Zeitraum Einzelveranlagung gewählt. Dies könnte bei den deutlich
unterschiedlich hohen Einkommen der Antragsgegnerin und ihres Ehemanns
zu einer Verringerung der Leistungsfähigkeit wegen des ausbleibenden
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Splittingvorteils und damit zu einer Verletzung der im Unterhaltsrecht bestehen-
den Obliegenheit führen, erreichbare Steuervorteile in Anspruch zu nehmen
(vgl. Senatsurteil BGHZ 171, 206 = FamRZ 2007, 793 Rn. 40). Sollte das Ober-
landesgericht bei der Ermittlung der Leistungsfähigkeit der Antragsgegnerin
- gegebenenfalls fiktiv - eine Zusammenveranlagung zugrunde legen, wird es
auch zu prüfen haben, in welcher Höhe der Splittingvorteil beim Unterhalts-
pflichtigen zu berücksichtigen ist (s. dazu Senatsbeschluss vom 17. Juni 2015
- XII ZB 458/14 - FamRZ 2015, 1594 Rn. 50 f. mwN).
Dose
Schilling
Günter
Nedden-Boeger
Botur
Vorinstanzen:
AG Altenkirchen, Entscheidung vom 15.01.2014 - 4 F 45/12 -
OLG Koblenz, Entscheidung vom 15.01.2015 - 7 UF 113/14 -