Urteil des BGH vom 29.04.2015

Leitsatzentscheidung zu Alter, Private Vorsorge, Leistungsfähigkeit, Einkünfte

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X I I Z B 2 3 6 / 1 4
vom
29. April 2015
in der Familiensache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
BGB § 1603 Abs. 1
a) Für den zur Zahlung von Elternunterhalt Verpflichteten, der verheiratet ist
und kein eigenes Erwerbseinkommen erzielt, besteht grundsätzlich kein
Bedürfnis für die Bildung eines eigenen Altersvorsorgevermögens (Abgren-
zung zu Senatsurteil BGHZ 169, 59 = FamRZ 2006, 1511 und Senatsbe-
schluss vom 7. August 2013 - XII ZB 269/12 - FamRZ 2013, 1554).
b) Dies gilt allerdings nicht, soweit der Unterhaltspflichtige über seinen Ehe-
gatten nicht hinreichend für das Alter abgesichert ist, was er darzulegen
und gegebenenfalls zu beweisen hat.
c) Eine unzureichende Altersversorgung ist gegeben, wenn der Ehegatte
selbst nicht über eine - den Maßstäben zum Elternunterhalt entsprechen-
de - Altersversorgung verfügt.
BGH, Beschluss vom 29. April 2015 - XII ZB 236/14 - OLG Köln
AG Bergheim
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. April 2015 durch den
Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Schilling, Dr. Günter, Dr. Nedden-
Boeger und Dr. Botur
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss
des 21. Zivilsenats - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Köln
vom 17. April 2014 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das
Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Gründe:
A.
Der Antragsteller begehrt als Sozialhilfeträger von der Antragsgegnerin
aus übergegangenem Recht Elternunterhalt.
Die im Mai 1950 geborene Antragsgegnerin ist die Tochter der im März
2013 verstorbenen W. Nach Abschluss ihrer Hebammenausbildung 1970 arbei-
tete die Antragsgegnerin vier Jahre in ihrem erlernten Beruf, bevor sie ihre Er-
werbstätigkeit mit der Geburt ihres ersten Kindes aufgab. Ihr Ehemann erzielte
im Jahr 2008 ein Bruttoeinkommen in Höhe von 71.401,03
€. Seit Mai 2009 be-
zieht er eine Rente aufgrund seiner Schwerbehinderung. Von Juli 1992 bis zu
ihrem Tod hielt sich die Mutter der Antragsgegnerin zur stationären Pflege in
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einem Seniorenzentrum auf. Seit 1997 leistete der Antragsteller Sozialhilfe zur
Deckung der monatlichen Heimkosten.
Mit seinem vorliegenden Antrag verlangt der Antragsteller Elternunterhalt
für den Zeitraum von Januar 2010 bis Februar 2013 in Höhe von insgesamt
7.296,88
€. Das Amtsgericht hat die Antragsgegnerin antragsgemäß verpflich-
tet. Auf ihre Beschwerde hat das Oberlandesgericht den Antrag des Antragstel-
lers zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit der zugelas-
senen Rechtsbeschwerde.
B.
Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
I.
Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
Zwar sei die Unterhaltsverpflichtung der Antragsgegnerin gegenüber
ihrer Mutter dem Grunde nach ebenso unstreitig wie die Höhe des auf den
Antragsteller gemäß § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB XII übergegangenen Anspruchs
von 7.296,88
€. Auch sei unstreitig, dass die Antragsgegnerin aus eigenen
Einkünften nicht in der Lage sei, für den ungedeckten Bedarf ihrer Mutter auf-
zukommen. Die in der Beschwerde allein streitige Frage, ob sich die Leistungs-
fähigkeit der Antragsgegnerin aufgrund eines von ihr einzusetzenden Vermö-
gens ergebe, müsse verneint werden. Der ihr noch zurechenbare Betrag von
98.095
€ liege unter dem ihr zu belassenden, unterhaltsrechtlich geschützten
Schonvermögen.
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Zwar müsse ein Unterhaltspflichtiger grundsätzlich auch den Stamm sei-
nes Vermögens zur Bestreitung des Unterhalts einsetzen. Einschränkungen
dieser Obliegenheit ergäben sich aber daraus, dass nach dem Gesetz auch die
sonstigen Verpflichtungen des Unterhaltsschuldners zu berücksichtigen seien
und er seinen eigenen angemessenen Unterhalt nicht zu gefährden brauche.
Eine Verwertung des Vermögensstamms könne deshalb nicht verlangt werden,
wenn sie den Unterhaltsschuldner von fortlaufenden Einkünften abschneiden
würde, die er unter anderem zur Bestreitung seines eigenen Unterhalts benöti-
ge.
Ausgehend hiervon habe das Amtsgericht zutreffend festgestellt, dass
die selbstgenutzte Immobilie der Antragsgegnerin eine Leistungsfähigkeit zur
Zahlung von Elternunterhalt nicht begründen könne, da sie unterhaltsrechtliches
Schonvermögen darstelle. Zu Recht sei das Amtsgericht zunächst von einem
Vermögen der Antragsgegnerin in Höhe von 108.583
€ ausgegangen, das aus
den von der Antragsgegnerin selbst - in einem vorangegangene Unterhaltszeit-
räume betreffenden Verfahren - eingereichten Belegen ermittelt worden sei.
Hiervon seien die unstreitigen Ausgaben für die Kosten des Vorverfahrens in
Höhe von 5.227
€ und für die Bestattungskosten für die Mutter der Antragsgeg-
nerin in Höhe von 5.261
€ abzuziehen, so dass ihr im Jahr 2010 noch ein Be-
trag von 98.095
€ verblieben sei. Weitere Beträge, insbesondere für die Neuan-
schaffung eines Pkws durch den Ehemann der Antragsgegnerin oder Unter-
haltszahlungen an den Sohn, seien hiervon nicht abzuziehen. Die beiden Le-
bensversicherungen der Antragsgegnerin mit einem Wert von 15.514
€ und
6.368
€ seien grundsätzlich als Altersvorsorgeschonvermögen einzuordnen.
Zudem sei zu beachten, dass einem Unterhaltspflichtigen nicht nur die zum
Zwecke der zusätzlichen angemessenen Alterssicherung geschaffenen Vermö-
genswerte zu belassen seien, sondern darüber hinaus auch ein Notgroschen,
hier in Höhe von mindestens 5.000
€.
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Sichere der Unterhaltspflichtige den Fortbestand seiner gegenwärtigen
Lebensverhältnisse durch Sparvermögen oder ähnliche Kapitalanlagen, müsse
ihm davon beim Elternunterhalt jedenfalls der Betrag verbleiben, der sich aus
der Anlage der ihm unterhaltsrechtlich zuzubilligenden zusätzlichen Altersvor-
sorge ergebe. Für den Fall, dass der verheiratete Unterhaltspflichtige selbst
nicht erwerbstätig sei, müsse zwar davon ausgegangen werden, dass seine
primäre Altersversorgung über seinen Ehegatten sichergestellt sei. Gleichwohl
müsse auch in einer Alleinverdienerehe dem nicht erwerbstätigen Ehegatten
zugestanden werden, selbst eine eigene sekundäre Altersversorgung durch
Vermögensansparung zu betreiben. Gerade der Umstand, dass er bei der pri-
mären Altersvorsorge auf seinen Ehegatten angewiesen sei,
bringe für den
nicht erwerbstätigen Ehegatten die Notwendigkeit mit sich, eine eigene zusätz-
liche private Vorsorge zu treffen. Wenn eine derartige zusätzliche private Al-
tersversorgung tatsächlich angespart worden sei, verdiene diese unterhalts-
rechtlich den gleichen Schutz wie eine sekundäre Altersvorsorge eines er-
werbstätigen Unterhaltspflichtigen, da auch dem nicht erwerbstätigen Unter-
haltspflichtigen die Möglichkeit zu eröffnen sei, geeignete Vorkehrungen dafür
zu treffen, dass er nicht seinerseits im Alter seine Kinder auf Unterhalt in An-
spruch zu nehmen brauche.
Für eine etwaige Umrechnung des Vermögens in laufende Einkünfte, um
zu prüfen, inwieweit es für Unterhaltszwecke eingesetzt werden könne, sei nicht
auf den Renteneintritt des Ehemanns, sondern auf den der Antragsgegnerin
abzustellen. Sie erreiche die Regelaltersgrenze aber erst am 1. Oktober 2015
und damit lange nach Beendigung des hier gegenständlichen Unterhaltszeit-
raums.
Ausgehend von der Gleichwertigkeit von Haushaltsführung und Erwerbs-
tätigkeit sei das so geschützte Altersvorsorgevermögen des nicht erwerbstäti-
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gen Unterhaltspflichtigen auf der Grundlage des hälftigen Familieneinkommens,
das heißt des hälftigen Bruttoeinkommens des erwerbstätigen Ehegatten, zu
bestimmen. Soweit der nicht erwerbstätige Ehegatte tatsächlich entsprechen-
des Vermögen angespart habe, seien 5 % des hälftigen Bruttoeinkommens sei-
nes Ehegattens unter Berücksichtigung einer jährlichen Kapitalverzinsung von
4 % und bezogen auf den Zeitraum vom Einstieg in das Erwerbsleben bis zum
Beginn der Unterhaltsverpflichtung geschützt. Die Antragsgegnerin hätte am
30. August 2009 bereits 41 Berufsjahre hinter sich gehabt. Dass sie bei ihrem
Eintritt ins Erwerbsleben noch nicht verheiratet gewesen sei, spiele hierbei kei-
ne Rolle. Insgesamt ergebe sich danach für die Antragsgegnerin ein Altersvor-
sorgevermögen von 178.192,94
€.
Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass durch die von ih-
rem Ehemann betriebene sekundäre Altersversorgung eine angemessene Al-
tersvorsorge in Höhe von 75 % des bisherigen Einkommens gesichert sei. Die
Behauptung des Antragstellers zur sekundären Altersvorsorge des Ehemanns
sei verfahrensrechtlich unbeachtlich.
II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Unstreitig hatte die Mutter in dem hier im Streit stehenden Zeitraum dem
Grunde nach einen Anspruch auf Elternunterhalt gegen die Antragsgegnerin.
Ebenso steht außer Streit, dass der Antragsteller der Mutter in diesem Zeitraum
Sozialhilfeleistungen in Höhe des Zahlungsantrags erbracht hat und dass die
Voraussetzungen für einen Übergang des Unterhaltsanspruchs auf den Antrag-
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steller erfüllt sind. Zur Überprüfung durch den Senat steht allein die Leistungs-
fähigkeit der Antragsgegnerin.
Dabei ist das Oberlandesgericht zu Unrecht davon ausgegangen, dass
die Antragsgegnerin über keine Einkünfte verfügt, die für den Elternunterhalt zur
Verfügung stehen. Zudem vermag die von ihm herangezogene Begründung die
Ablehnung des Einsatzes ihres Vermögens für den Elternunterhalt nicht zu
rechtfertigen.
1. Nach dem bisherigen Sachstand ist nicht auszuschließen, dass die
Antragsgegnerin über laufende Einkünfte in Form von Zinseinkünften und eines
Wohnvorteils verfügt, die jedenfalls teilweise zu einer Leistungsfähigkeit führen.
a) Die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen wird nicht nur durch
seine Erwerbseinkünfte, sondern in gleicher Weise durch Vermögenserträge
und sonstige wirtschaftliche Nutzungen bestimmt, die er aus seinem Vermögen
zieht.
Für den Elternunterhalt sind auch Zinseinkünfte des Unterhaltspflichtigen
einzusetzen. Denn auch diese Vermögenseinkünfte erhöhen als Erträge des
Vermögens das unterhaltsrechtlich relevante Einkommen des jeweiligen Ver-
mögensinhabers (Wendl/Dose Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen
Praxis 9. Aufl. § 1 Rn. 601, 605; siehe auch Senatsurteil BGHZ 196, 21
= FamRZ 2013, 363 Rn. 20).
Zu den wirtschaftlichen Nutzungen können auch die Gebrauchsvorteile
eines Eigenheims zählen, denn durch das Bewohnen eines eigenen Hauses
oder einer Eigentumswohnung entfällt die Notwendigkeit der Mietzahlung, die in
der Regel einen Teil des allgemeinen Lebensbedarfs ausmacht. Soweit bei ei-
ner Gegenüberstellung der ersparten Wohnkosten und der zu berücksichtigen-
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den Belastung der Nutzungswert eines Eigenheims den Aufwand übersteigt, ist
die Differenz dem Einkommen des Unterhaltspflichtigen hinzuzurechnen. Dabei
ist der Wohnwert bei der Inanspruchnahme auf Elternunterhalt nicht mit der bei
einer Fremdvermietung erzielbaren objektiven Marktmiete, sondern auf der
Grundlage der unter den gegebenen Verhältnissen ersparten Miete zu bemes-
sen (Senatsbeschlüsse BGHZ 200, 157 = FamRZ 2014, 538 Rn. 34 und vom
7. August 2013 - XII ZB 269/12 - FamRZ 2013, 1554 Rn. 19 f.; s. aber auch Se-
natsurteil BGHZ 196, 21 = FamRZ 2013, 363 Rn. 22 dazu, dass dem Unter-
haltspflichtigen aus dem Wohnwert der im Miteigentum der Eheleute stehenden
Immobilie keine Mittel zur Verfügung stehen, die er für den Unterhalt einsetzen
könnte).
b) Gemessen hieran erscheint es auch aufgrund des unstreitigen Sach-
verhalts möglich, dass die Antragsgegnerin teilweise aus ihren Einkünften zur
Zahlung von Elternunterhalt leistungsfähig ist, weil sie aufgrund ihres nicht un-
erheblichen Vermögens im hier relevanten Zeitraum über Zinseinnahmen ver-
fügt hat bzw. hätte verfügen können. Dabei kann ihr eigener Bedarf ganz oder
teilweise durch den Familienunterhalt und den Wohnvorteil gesichert sein. Denn
die Antragsgegnerin lebt den Feststellungen zufolge gemeinsam mit ihrem Ehe-
mann in dem in ihrem Alleineigentum befindlichen Einfamilienhaus. Die Einkünf-
te in Form eines - noch im Einzelnen festzustellenden - Wohnvorteils sind der
Antragsgegnerin ebenfalls zuzurechnen.
Danach lässt sich auch unter Beachtung ihres Anteils am individuellen
Familienbedarf (vgl. BGHZ 200, 157 = FamRZ 2014, 538) nicht ausschließen,
dass die Antragsgegnerin aus ihren Einkünften jedenfalls teilweise leistungsfä-
hig ist.
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2. Ebenso wenig halten die Ausführungen des Oberlandesgerichts zum
Einsatz des Vermögens für den Elternunterhalt einer rechtlichen Überprüfung
stand.
a) Die Frage, welches Vermögen für den Elternunterhalt einzusetzen ist,
richtet sich nach § 1603 Abs. 1 BGB. Danach ist nicht unterhaltspflichtig, wer
bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne
Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren.
Hierzu außerstande ist jedoch nicht, wer über verwertbares Vermögen verfügt
(Senatsurteil BGHZ 169, 59 = FamRZ 2006, 1511 Rn. 26).
aa) Einschränkungen der Obliegenheit zum Einsatz des Vermögens er-
geben sich aber daraus, dass nach dem Gesetz auch die sonstigen Verpflich-
tungen des Unterhaltsschuldners zu berücksichtigen sind und er seinen eige-
nen angemessenen Unterhalt nicht zu gefährden braucht. Daraus folgt, dass
eine Verwertung des Vermögensstamms nicht verlangt werden kann, wenn sie
den Unterhaltsschuldner von fortlaufenden Einkünften abschneiden würde, die
er zur Bestreitung seines eigenen Unterhalts benötigt. Auch die Verwertung ei-
nes angemessenen selbstgenutzten Immobilienbesitzes kann regelmäßig nicht
gefordert werden (Senatsurteil BGHZ 169, 59 = FamRZ 2006, 1511 Rn. 27
mwN).
Dass der Elternunterhalt vergleichsweise schwach ausgestaltet ist, wirkt
sich nicht nur auf den dem Unterhaltspflichtigen monatlich zu belassenen
Selbstbehalt, sondern auch auf sein Schonvermögen und damit auf seine Ob-
liegenheit zum Einsatz des Vermögensstammes aus. Auch insoweit ist zu be-
rücksichtigen, dass ein unterhaltspflichtiges Kind seine Vermögensdisposition
regelmäßig in Zeiten getroffen hat, in denen Elternunterhalt nicht geschuldet
wurde. Deswegen hat es regelmäßig auch seine Lebensverhältnisse auf die
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vorhandenen Einkünfte und Vermögenswerte eingerichtet. Das gilt jedenfalls
insoweit, als der Unterhaltsschuldner seine Vermögenswerte als Alterssiche-
rung vorgesehen und deswegen seinen gesamten Lebensplan auf diese Beträ-
ge eingestellt hat (Senatsurteil BGHZ 169, 59 = FamRZ 2006, 1511 Rn. 28).
Dem Unterhaltspflichtigen ist die Möglichkeit eröffnet, geeignete Vorkeh-
rungen dafür zu treffen, dass er nicht seinerseits im Alter auf Unterhaltsansprü-
che oder sonstige staatliche Förderungen angewiesen ist. Vor diesem Hinter-
grund hat der Senat auch die der zusätzlichen Altersversorgung dienenden
Aufwendungen bis zu 5 % des Bruttoeinkommens als abzugsfähig anerkannt.
Auf diese Weise kann in dem rechtlich schwächer ausgestalteten Unterhalts-
rechtsverhältnis zwischen erwachsenen Kindern und ihren unterhaltsbedürfti-
gen Eltern der notwendige Handlungsspielraum gewahrt werden, der es dem
Unterhaltspflichtigen erlaubt, sich selbst für das Alter angemessen abzusichern
(Senatsurteil BGHZ 169, 59 = FamRZ 2006, 1511 Rn. 30). Ist es dem Schuld-
ner des Anspruchs auf Elternunterhalt aber gestattet, die zur eigenen Alterssi-
cherung notwendigen Beträge zusätzlich zurückzulegen, dann müssen auch die
so geschaffenen Vermögenswerte als Alterssicherung dem Zugriff des Unter-
haltsgläubigers entzogen bleiben, um den Zweck der Alterssicherung erreichen
zu können. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats steht es dem Unter-
haltspflichtigen grundsätzlich frei, in welcher Weise er - jenseits der gesetzli-
chen Rentenversicherung - Vorsorge für sein Alter trifft. Da insoweit der Erwerb
etwa von Wertpapieren oder Fondsbeteiligungen wegen der damit teilweise
verbundenen Risiken unter Umständen nicht seinem Sicherheitsbedürfnis ent-
spricht, kann im Einzelfall auch die Anlage eines bloßen Sparvermögens als
anzuerkennende Art der Altersvorsorge bewertet werden (Senatsurteil BGHZ
169, 59 = FamRZ 2006, 1511 Rn. 31 mwN).
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Für die Berechnung des konkreten Altersvorsorgevermögens ist auf den
Beginn der Erwerbstätigkeit abzustellen, weil dem Unterhaltsschuldner für
die gesamte Zeit des Erwerbslebens die Möglichkeit zuzubilligen ist, eine zu-
sätzliche Altersversorgung aufzubauen (Senatsbeschluss vom 7. August 2013
- XII ZB 269/12 - FamRZ 2013, 1554 Rn. 29). Der Berechnung des konkreten
Altersvorsorgevermögens ist zudem eine Rendite zugrunde zu legen, die der
Senat für ein lang andauerndes Berufsleben auf 4 % bemessen hat, da sich der
Renditerückgang erst in den letzten Jahren vollzogen hat (Senatsbeschluss
vom 7. August 2013 - XII ZB 269/12 - FamRZ 2013, 1554 Rn. 30).
Erst wenn der Unterhaltspflichtige bereits die Regelaltersgrenze erreicht
hat, kann das von ihm gebildete Vermögen für den Elternunterhalt in der Weise
eingesetzt werden, dass dieses in eine an der statistischen Lebenserwartung
des Unterhaltspflichtigen orientierte Monatsrente umgerechnet und dessen
Leistungsfähigkeit aufgrund des so ermittelten (Gesamt-)Einkommens nach den
für den Einkommenseinsatz geltenden Grundsätzen bemessen wird (Senatsur-
teil vom 21. November 2012 - XII ZR 150/10 - FamRZ 2013, 203 Rn. 38 ff.).
bb) Ferner ist dem Unterhaltspflichtigen ein so genannter Notgroschen
für Fälle plötzlich auftretenden (Sonder-)Bedarfs zuzuerkennen. Die Höhe die-
ses Betrages lässt sich allerdings nicht pauschal festlegen; vielmehr hängt es
von den Umständen des Einzelfalls ab, in welchem Umfang hierfür Mittel zu
belassen sind. Im Falle eines alleinstehenden, kinderlosen Unterhaltsschuld-
ners, der über ein Erwerbseinkommen unterhalb des Selbstbehalts verfügt, hat
der Senat einen Betrag von 10.000
€ als ausreichend erachtet (Senatsbe-
schluss vom 7. August 2013 - XII ZB 269/12 - FamRZ 2013, 1554 Rn. 36 f.).
b) Diesen Maßstäben wird die Entscheidung des Oberlandesgerichts
nicht in allen Teilen gerecht.
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aa) Allerdings ist es von Rechts wegen nicht zu beanstanden, dass das
Oberlandesgericht - wie auch das Amtsgericht - von einem bereinigten Vermö-
gen der Antragsgegnerin von 98.095
€ ausgegangen ist. Die Rechtsbeschwer-
de greift diese Feststellungen als ihr günstig nicht an. Die Rechtsbeschwerde-
erwiderung lässt es offen, ob die entsprechenden Feststellungen zutreffen, er-
hebt aber keine Gegenrüge. Ebenso wenig ist etwas dagegen zu erinnern, dass
das Oberlandesgericht die Antragsgegnerin nicht als verpflichtet angesehen
hat, ihren selbstgenutzten Immobilienbesitz zu verwerten, und ihr einen Notgro-
schen belassen hat.
bb) Zutreffend hat das Oberlandesgericht auch erkannt, dass zugunsten
des Elternunterhaltspflichtigen die einer zusätzlichen Altersversorgung dienen-
den Aufwendungen bis zu 5 % seines Bruttoeinkommens als abzugsfähig an-
zuerkennen sind und dass die so geschaffenen Vermögenswerte als Alterssi-
cherung dem Zugriff des Unterhaltsgläubigers entzogen bleiben müssen, um
den Zweck der Alterssicherung erreichen zu können.
Nicht gefolgt werden kann dem Oberlandesgericht allerdings insoweit,
als es diese Grundsätze ohne weiteres auf eine verheiratete Unterhaltspflichti-
ge, die als Hausfrau über kein eigenes Erwerbseinkommen verfügt, übertragen
hat.
(1) Die vom Senat dem Unterhaltspflichtigen eingeräumte Möglichkeit,
von seinem Bruttoeinkommen 5 % für eine zusätzliche Altersvorsorge abzuzie-
hen, soll es dem Erwerbstätigen ermöglichen, von seinem Erwerbseinkommen
Rücklagen für eine zusätzliche Altersversorgung zu bilden, anstatt dieses Geld
für den Elternunterhalt einsetzen zu müssen.
Demgegenüber besteht für den zur Zahlung von Elternunterhalt Ver-
pflichteten, der verheiratet ist und kein eigenes Erwerbseinkommen erzielt,
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grundsätzlich kein Bedürfnis für die Bildung eines eigenen Altersvorsorgever-
mögens. Für dessen Alter vorzusorgen, obliegt vielmehr dem erwerbstätigen
Ehegatten im Rahmen des Familienunterhalts (vgl. Senatsurteil BGHZ 196, 21
= FamRZ 2013, 363 Rn. 26). Dabei partizipiert der Unterhaltspflichtige nicht nur
an der primären Altersversorgung, sondern auch - entgegen der Auffassung
des Oberlandesgerichts - an der sekundären. So wie die Ehegatten in einer
Hausfrauenehe während der aktiven Zeit des erwerbstätigen Ehegatten von
dessen Einkommen leben, leben sie nach Renteneintritt von dessen Rente
nebst Zusatzversorgung. Wollte man dem Ansatz des Oberlandesgerichts fol-
gen, müsste man dem Unterhaltspflichtigen im Übrigen konsequenterweise eine
Rücklage von 25 % gestatten, da er während seiner Tätigkeit im Haushalt auch
keine eigene primäre Altersversorgung erlangt.
(2) Ein Bedürfnis zur Bildung eigenen Altersvorsorgevermögens besteht
für den nicht erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen allerdings dann, wenn er über
seinen Ehegatten für das Alter nach diesen Maßstäben nicht hinreichend abge-
sichert ist.
Von einer hinreichenden Absicherung ist dann auszugehen, wenn der
Ehegatte selbst über eine - den Maßstäben zum Elternunterhalt entsprechen-
de - Altersversorgung verfügt. Der Unterhaltspflichtige kann hingegen nicht auf
die Versorgung durch seinen Ehegatten verwiesen werden, wenn diese den
Maßstäben nicht gerecht wird, die der Senat für die des erwerbstätigen Unter-
haltspflichtigen aufgestellt hat. Deshalb ist für die Prüfung, ob auf das Vermö-
gen des nichterwerbstätigen Unterhaltspflichtigen zurückgegriffen werden kann,
zugleich die Kontrollüberlegung anzustellen, ob sein Ehegatte hinreichend für
das Alter abgesichert ist, was im Zweifel dann zu verneinen wäre, wenn er über
keine zusätzliche Altersversorgung verfügt, die einem Kapital von 5 % seines
Bruttoeinkommens unter Berücksichtigung einer jährlichen Kapitalverzinsung
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von 4 % bezogen auf den Zeitraum vom Einstieg in das Erwerbsleben bis zum
Beginn der Unterhaltsverpflichtung entspricht. Wenn die von dem erwerbstäti-
gen Ehegatten begründete Altersversorgung hiernach unzureichend erscheint,
ist mit dem Vermögen des Unterhaltspflichtigen die entsprechende Versor-
gungslücke aufzufüllen und es insoweit vor dem Zugriff des Gläubigers des El-
ternunterhalts zu schützen.
Zu Recht rügt die Rechtsbeschwerde, dass das Oberlandesgericht hierzu
keine Feststellungen getroffen und auch die Darlegungs- und Beweislast ver-
kannt hat. Da sich die Antragsgegnerin als Unterhaltspflichtige auf Leistungsun-
fähigkeit beruft, trägt sie auch hierfür die Darlegungs- und Beweislast (Senats-
urteil vom 23. Juni 2010 - XII ZR 170/08 - FamRZ 2010, 1418 Rn. 14 mwN).
III.
Gemäß § 74 Abs. 5 FamFG ist die Entscheidung des Oberlandesgerichts
aufzuheben. Eine abschließende Entscheidung in der Sache ist dem Senat
nicht möglich, weil es an den erforderlichen Feststellungen fehlt. Deshalb ist die
Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht
zurückzuverweisen.
IV.
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:
1. Sollte das Oberlandesgericht aufgrund der noch zu treffenden Fest-
stellungen zu dem Ergebnis gelangen, dass die Antragsgegnerin ihr Vermögen
benötigt, um die auf einem unzureichenden Altersvorsorgevermögen beruhende
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Versorgungslücke aufzufüllen, käme der Einsatz ihres Vermögens insoweit
nicht in Betracht.
Soweit danach der Elternunterhalt nicht bzw. nicht in vollem Umfang aus
dem Vermögen der Antragsgegnerin aufgebracht werden kann, wird das Ober-
landesgericht zu prüfen haben, ob die Antragsgegnerin (teilweise) aus ihren
Einkünften leistungsfähig ist. Bei der insoweit gebotenen Berechnung des Fami-
lieneinkommens wird zu beachten sein, dass der Ehemann der Antragsgegne-
rin mit Erreichen der Regelaltersgrenze das von ihm zusätzlich gebildete Alters-
vorsorgevermögen nach den in der Senatsentscheidung vom 21. November
2012 aufgestellten Grundsätzen (vgl. Senatsurteil vom 21. November 2012
- XII ZR 150/10 - FamRZ 2013, 203 Rn. 38) als zusätzliches Einkommen einzu-
setzen hat.
2. Sollte das Oberlandesgericht hingegen zu der Auffassung gelangen,
dass der Antragsgegnerin kein gesondertes Altersvorsorgevermögen zuzubilli-
gen ist, weil sie über ihren Ehemann im Alter hinreichend abgesichert ist, dürfte
ihre Leistungsfähigkeit aufgrund der getroffenen Feststellungen für den gefor-
derten Elternunterhalt nicht zweifelhaft sein. Dies gilt auch dann, wenn man ihr
neben dem - mit 5.000
€ freilich recht knapp bemessenen - Notgroschen in An-
lehnung an die amtsgerichtliche Entscheidung einen Teil ihres Kapitals als zu-
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sätzliches Schonvermögen beließe. Bei der nach den Umständen des Einzel-
falls zu treffenden Beurteilung, ob und in welchem Umfang dies erforderlich ist,
ist auch zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin als Alleineigentümerin
des Familienheims im Alter keine Mietkosten aufwenden muss und ihren Le-
bensstandard deswegen mit geringeren Einkünften aus Einkommen und Ver-
mögen sichern kann (vgl. Senatsurteil BGHZ 169, 59 = FamRZ 2006, 1511
Rn. 42).
Dose
Schilling
Günter
Nedden-Boeger
Botur
Vorinstanzen:
AG Bergheim, Entscheidung vom 15.11.2013 - 60 F 289/12 -
OLG Köln, Entscheidung vom 17.04.2014 - 21 UF 210/13 -