Urteil des BGH vom 27.01.2016

Leitsatzentscheidung zu Handelskammer, Industrie, Öffentlich, Höchstbetrag

ECLI:DE:BGH:2016:270116BXIIZB213.14.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 213/14
vom
27. Januar 2016
in der Familiensache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
VersAusglG § 51 Abs. 1; BGB § 1587 b Abs. 5
Dass ein Teil eines Versorgungsanrechts im Ausgangsverfahren wegen Überschrei-
tens des Höchstbetrags nach § 1587 b Abs. 5 BGB nicht öffentlich-rechtlich ausge-
glichen werden konnte, kann keine die Abänderung des öffentlich-rechtlichen Ver-
sorgungsausgleichs bei der Scheidung begründende Wertänderung im Sinne von
§ 51 Abs. 1 VersAusglG darstellen.
BGH, Beschluss vom 27. Januar 2016 - XII ZB 213/14 - OLG Koblenz
AG Koblenz
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. Januar 2016 durch den
Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Dr. Klinkhammer, Schilling,
Dr. Botur und Guhling
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners wird der Be-
schluss des 13. Zivilsenats - 1. Senat für Familiensachen - des
Oberlandesgerichts Koblenz vom 24. März 2014 aufgehoben.
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des
Amtsgerichts Koblenz vom 8. April 2013 wird zurückgewiesen.
Die Kosten beider Rechtsmittelverfahren werden der Antragstelle-
rin auferlegt.
Wert: 8.874 €
Gründe:
I.
Die beteiligten früheren Ehegatten (im Folgenden: Ehefrau und Ehe-
mann) streiten über die Abänderung einer Entscheidung zum Versorgungsaus-
gleich.
Die am 9. Juni 1972 geschlossene Ehe wurde auf den am 9. Dezember
2004 zugestellten Scheidungsantrag durch Urteil vom 30. September 2005 ge-
schieden. In dem Urteil ist für die Ehezeit vom 1. Juni 1972 bis zum
30. November 2004 der Versorgungsausgleich durchgeführt worden. Zum Aus-
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gleich der nach beamtenrechtlichen Grundsätzen bestehenden Anwartschaft
des Ehemanns bei der beteiligten Industrie- und Handelskammer sind auf dem
Rentenkonto der Ehefrau gesetzliche Rentenanwartschaften von bezogen auf
das Ehezeitende
1.698,45 € begründet worden. Das entsprach dem damaligen
Höchstbetrag nach § 1587 b Abs. 5 BGB. Ein sich nach damaliger Berechnung
ergebender Differenzb
etrag von 467,96 € wurde nicht ausgeglichen. Im Rah-
men eines Vergleichs verzichtete die Ehefrau auf jeglichen schuldrechtlichen
Versorgungsausgleich.
Im Jahr 2011 teilte die beteiligte Industrie- und Handelskammer mit, dass
das ehezeitlich erworbene Versorgungsanrecht des Ehemanns im Scheidungs-
verfahren deutlich zu niedrig mitgeteilt worden sei, namentlich nur mit monatlich
4.673,97 € statt mit richtig 6.640,43 €. Die Ehefrau hat sodann im vorliegenden
Verfahren die Abänderung der Entscheidung zum Versorgungsausgleich nach
§ 51 VersAusglG beantragt. Außerdem hat sie den Vergleich angefochten und
die Fortsetzung des Ausgangsverfahrens beantragt, worüber ein gesondertes
Verfahren geführt wird.
Das Amtsgericht hat den Abänderungsantrag zurückgewiesen. Auf die
Beschwerde der Ehefrau hat das Oberlandesgericht die Entscheidung zum
Versorgungsausgleich abgeändert und im Wege der Totalrevision die ehezeit-
lich erworbenen Anrechte des Ehemanns auf gesetzliche Rente und Versor-
gung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen, letztere unter Berücksichtigung
des teilweisen Verzichts, jeweils intern sowie die Beamtenversorgung der Ehe-
frau extern geteilt. Dagegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde
des Ehemanns, der die Wiederherstellung der amtsgerichtlichen Entscheidung
erstrebt.
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II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Wiederherstellung der
amtsgerichtlichen Entscheidung.
1. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts liegen die Abänderungsvo-
raussetzungen nach § 51 VersAusglG hinsichtlich des Anrechts des Ehemanns
bei der Industrie- und Handelskammer vor. Es bestehe allerdings Einigkeit,
dass über § 51 Abs. 1 VersAusglG Anrechte, die nach altem Recht schuldrecht-
lich auszugleichen waren, nicht jetzt der "Realteilung" nach neuem Recht zuge-
führt werden könnten. Das gelte auch, soweit das sogenannte Supersplitting
nach § 3 b Abs. 1 Nr. 1 VAHRG durchgeführt worden sei. Zudem könnten über
§ 51 VersAusglG anders als beim früheren § 10 a VAHRG Rechenfehler oder
Rechtsanwendungsfehler der Ausgangsentscheidung nicht korrigiert werden.
Die Abänderungsvoraussetzungen lägen also nicht bereits deswegen vor, weil
seinerzeit aufgrund der fehlerhaften Auskunft der Industrie- und Handelskam-
mer ein zu gering bewertetes Anrecht in den Versorgungsausgleich eingestellt
worden sei. Die Abänderungsmöglichkeit ergebe sich aber daraus, dass bei der
Ausgangsentscheidung die Höchstbetragsregelung zu beachten gewesen sei
und deshalb die Anrechte des Ehemanns ohnehin nur bis zum Höchstbetrag
ausgeglichen worden seien. Die genannten Einschränkungen kämen dann nicht
zum Tragen, wenn wie hier nur aufgrund der Höchstbetragsregelung in den
schuldrechtlichen Versorgungsausgleich verwiesen worden sei. Nach der Ge-
setzesbegründung sei es unbillig, die Beteiligten für diese Anwartschaften in
den Regelsystemen auf den Ausgleich nach der Scheidung zu verweisen.
Eine Änderung im Sinne des § 51 Abs. 1 VersAusglG liege daher vor,
sobald der nach § 1587 b Abs. 5 BGB nicht ausgeglichene Teil den Grenzwert
nach § 51 Abs. 2 VersAusglG überschreite. Die Änderung sei darin zu sehen,
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dass nunmehr das Anrecht insgesamt dem Ausgleich bei der Scheidung unter-
falle. Wollte man zusätzlich eine wesentliche Änderung der Gesamtanwart-
schaft fordern, so liefe die gesetzgeberische Intention, die Fälle des § 1587 b
Abs. 5 BGB von dem Ausschluss der Abänderungsmöglichkeit auszunehmen,
weitgehend leer, weil sich in den wenigsten Fällen der gesamte Ehezeitanteil
des Anrechts über die Wesentlichkeitsgrenze hinaus verändert haben dürfte.
Allerdings stehe der Vergleich nach seinem Sinn und Zweck der Abände-
rung entgegen. Die Anfechtung des Vergleichs sei nicht fristgerecht erfolgt. In-
soweit habe sich indessen die Geschäftsgrundlage so wesentlich geändert,
dass eine Anpassung an die tatsächlichen Verhältnisse geboten sei. Die Ehe-
frau habe bei zutreffender Berechnung auf mehr als das Dreifache dessen ver-
zichtet, was seinerzeit zugrunde gelegt worden sei.
Bei seiner Berechnung des nach neuem Recht durchzuführenden Ver-
sorgungsausgleichs hat das Oberlandesgericht wegen des Betrags von monat-
lich 467,96 €, auf den die Ehefrau verzichtet habe, den Ausgleich des Anrechts
des Ehemanns bei der Industrie- und Handelskammer vermindert und hierbei
eine zwischenzeitliche Wertsteigerung berücksichtigt.
2. Das hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Gemäß § 51 Abs. 1 VersAusglG ändert das Gericht eine Entscheidung
über einen öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich, die nach dem bis zum
31. August 2009 geltenden Recht erlassen worden ist, bei einer wesentlichen
Wertänderung auf Antrag ab, indem es die in den Ausgleich einbezogenen An-
rechte nach den §§ 9 bis 19 VersAusglG teilt.
Selbst bei Fehlerhaftigkeit der Ausgangsentscheidung wäre hingegen ei-
ne Abänderung nach § 51 VersAusglG noch nicht eröffnet. Denn mit der Rege-
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lung des § 51 VersAusglG hat sich der Gesetzgeber dafür entschieden, die bis-
her in weitem Umfang bestehenden Abänderungsmöglichkeiten nach § 10 a
VAHRG einzuschränken. Nach § 10 a Abs. 1 Nr. 1 VAHRG war eine Abände-
rung formell und materiell rechtskräftiger Entscheidungen zur Verwirklichung
des materiell richtigen Ausgleichsergebnisses nicht nur bei nachträglichen und
unvorhersehbaren Veränderungen der Anrechte möglich. Vielmehr genügte
auch das Vorliegen bloßer Fehler der Ausgangsentscheidung wie Rechen- und
Methodenfehler, ungenügende Berechnungsgrundlagen, eine fehlerhafte Be-
stimmung der Ehezeit oder unrichtige Auskünfte der Versorgungsträger für eine
Durchbrechung der Rechtskraft (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 198, 91 = FamRZ
2013, 1548 Rn. 18 mwN).
Bei der Anwendung des § 51 VersAusglG ist demnach zu beachten,
dass nur nachträglich eingetretene Wertänderungen, nicht aber Fehler der Aus-
gangsentscheidung eine Abänderung der Ursprungsentscheidung eröffnen
können. Die nachträglich eingetretene Wertänderung muss für sich genommen
die Wesentlichkeitsgrenze nach § 51 Abs. 2 VersAusglG i.V.m. § 225 Abs. 2
und 3 FamFG überschreiten (Senatsbeschluss vom 22. Oktober 2014 - XII ZB
323/13 - FamRZ 2015, 125 Rn. 15).
Liegt hingegen eine wesentliche Wertänderung vor und ist eine Abände-
rung nach § 51 VersAusglG somit eröffnet, ist eine erneute Entscheidung über
den Versorgungsausgleich nach §§ 9 bis 19 VersAusglG unter Berücksichti-
gung sämtlicher in den Versorgungsausgleich einbezogener Anrechte zu erlas-
sen (§ 51 Abs. 1 VersAusglG). Nur unter diesen Voraussetzungen und in die-
sem Umfang findet eine "Totalrevision" statt, die hinsichtlich der einbezogenen
Anrechte - als begrenzte Rechtskraftdurchbrechung - dann auch eine Fehler-
korrektur einschließt (Senatsbeschlüsse BGHZ 198, 91 = FamRZ 2013, 1548
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Rn. 16; vom 22. Oktober 2014 - XII ZB 323/13 - FamRZ 2015, 125 Rn. 15 f. und
vom 24. Juni 2015 - XII ZB 495/12 - FamRZ 2015, 1688 Rn. 25 ff.).
b) Die angefochtene Entscheidung entspricht diesen Maßstäben nicht in
vollem Umfang. Nach den vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen
ist eine Abänderung nach § 51 Abs. 1 VersAusglG nicht eröffnet.
aa) Noch zutreffend hat das Oberlandesgericht in dem der Ausgangsent-
scheidung zugrunde gelegten fehlerhaften, weil zu niedrigen Betrag der An-
wartschaft des Ehemanns bei der Industrie- und Handelskammer keinen die
Abänderung begründenden Umstand gesehen. Hierbei handelt es sich um ei-
nen auf einer unrichtigen Auskunft des Versorgungsträgers beruhenden Fehler
der Ausgangsentscheidung, der für sich genommen eine Abänderung nicht er-
öffnen kann.
bb) Ein Abänderungsgrund kann sich entgegen der Auffassung des
Oberlandesgerichts auch nicht daraus ergeben, dass die Begründung gesetzli-
cher Rentenanwartschaften bei der Ausgangsentscheidung auf den Höchstbe-
trag nach § 1587 b Abs. 5 BGB begrenzt war und dieser überschritten wurde.
Dass es sich hierbei nicht um eine Wertänderung im Sinne von § 51
Abs. 1 VersAusglG handeln kann, hat der Senat der Sache nach bereits seiner
- nach Erlass des angefochtenen Beschlusses ergangenen - Entscheidung vom
22. Oktober 2014 (XII ZB 323/13 - FamRZ 2015, 125) zugrunde gelegt. Denn
der zu beurteilende Wert der Anwartschaft war (und ist) nicht davon abhängig,
in welchem Umfang ein öffentlich-rechtlicher Versorgungsausgleich vorgesehen
war und in welchem Umfang der Ausgleich dem schuldrechtlichen Versor-
gungsausgleich vorbehalten blieb. Diese Fragen betreffen die Ausgleichsform,
nicht aber den Wert des jeweiligen Anrechts. Dementsprechend konnte sich der
Wert auch nicht dadurch ändern, dass nach dem seit 1. September 2009 gel-
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tenden Recht ein Höchstbetrag für den Ausgleich von Anrechten auf Beamten-
versorgung oder vergleichbarer Anrechte nicht mehr vorgesehen ist.
Die von ihm angeführten Gesetzesmaterialien tragen die gegenläufige
Auffassung des Oberlandesgerichts nicht. Im betreffenden Bericht des Rechts-
ausschusses ist ausgeführt, dass es unbillig wäre, die Eheleute in Fällen des
überschrittenen Höchstbetrags nach § 1587 b Abs. 5 BGB auf den Ausgleich
nach der Scheidung zu verweisen (BT-Drucks. 16/11903 S. 58). Damit sollte
indessen lediglich begründet werden, dass solche Anrechte - anders als An-
rechte auf betriebliche Altersversorgung nach einem Teilausgleich gemäß § 3 b
Abs. 1 Nr. 1 VAHRG - in jedem Fall vollständig im öffentlich-rechtlichen Versor-
gungsausgleich ausgeglichen werden sollten und dass insoweit § 51 Abs. 4
VersAusglG keine Anwendung finden sollte. Die angeführten Erwägungen be-
fassen sich somit nur mit der Frage, in welcher Form ein nach § 1587 b Abs. 5
BGB nur teilweise ausgeglichenes Anrecht nunmehr im Rahmen von § 51
VersAusglG auszugleichen ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 22. Oktober 2014
- XII ZB 323/13 - FamRZ 2015, 125 und vom 24. Juni 2015 - XII ZB 495/12 -
FamRZ 2015, 1688). Die Voraussetzung der Wertänderung nach § 51 Abs. 1
VersAusglG ist mithin davon nicht berührt. Entgegen der Auffassung des Ober-
landesgerichts liefe die gesetzgeberische Intention damit auch nicht leer.
3. Die angefochtene Entscheidung ist demnach aufzuheben. Der Senat
entscheidet in der Sache abschließend, weil weitere Feststellungen nicht mehr
zu treffen sind. Nach den getroffenen Feststellungen liegt eine wesentliche
Wertänderung nach § 51 Abs. 1 VersAusglG nicht vor. Der Abänderungsantrag
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ist mithin unbegründet. Auf die Frage, ob und inwiefern trotz des von der Ehe-
frau erklärten Verzichts noch ein schuldrechtlicher Versorgungsausgleich
durchzuführen ist, kommt es im vorliegenden Verfahren nicht an (vgl. Senats-
beschluss vom 15. April 2015 - XII ZB 30/13 - FamRZ 2015, 1100 Rn. 14).
Dose Klinkhammer Schilling
Botur Guhling
Vorinstanzen:
AG Koblenz, Entscheidung vom 08.04.2013 - 181 F 438/11 -
OLG Koblenz, Entscheidung vom 24.03.2014 - 13 UF 281/13 -