Urteil des BGH vom 15.07.2015

Leitsatzentscheidung zu Genehmigung, Unterbringung, Freiheitsentziehung, Urlaub

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X I I Z B 1 4 4 / 1 5
vom
15. Juli 2015
in der Unterbringungssache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
FamFG § 70 Abs. 3
In einer Unterbringungssache im Sinn des § 312 FamFG ist die Rechtsbe-
schwerde des Betroffenen gegen einen Beschluss, mit dem das Beschwerde-
gericht die Sache an das erstinstanzliche Gericht zurückverweist, nur statthaft,
wenn das Beschwerdegericht sie zugelassen hat (Fortführung des Senatsbe-
schlusses vom 7. Mai 2014 - XII ZB 540/13 - FamRZ 2014, 1285).
BGH, Beschluss vom 15. Juli 2015 - XII ZB 144/15 - LG Bonn
AG Waldbröl
1.
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. Juli 2015 durch den
Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Dr. Klinkhammer, Dr. Günter,
Dr. Botur und Guhling
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss der
4. Zivilkammer des Landgerichts Bonn vom 18. März 2015 wird ver-
worfen.
Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei.
Gründe:
I.
Die 1977 geborene Betroffene leidet seit ihrer Jugend an einer zwi-
schenzeitlich chronifizierten Psychose und steht unter einer umfassenden Be-
treuung. Seit November 2005 ist ihre zivilrechtliche Unterbringung durchgehend
genehmigt, wobei sie sich im Wesentlichen in einer psychiatrischen Klinik be-
fand. Immer wieder verweigerte sie phasenweise die Behandlung mit Depot-
Neuroleptika, deren zwangsweise Verabreichung mehrfach betreuungsgericht-
lich genehmigt wurde.
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Ende 2014 ließ die Betreuerin die Betroffene in eine geschlossene
Wohneinrichtung verlegen. Die Betreuerin will, dass die Betroffene auch dort
die Depotmedikation zwangsweise verabreicht bekommt. Sie hat daher einen
Antrag auf (neuerliche) Genehmigung der ärztlichen Zwangsmaßnahme ge-
stellt.
Diesen hat das Amtsgericht zurückgewiesen. Auf die von der Betreuerin
eingelegte Beschwerde hat das Landgericht den Beschluss aufgehoben und
das Amtsgericht angewiesen, den Genehmigungsantrag nicht mit der Begrün-
dung abzulehnen, die Behandlung sei im Rahmen eines Heimaufenthalts aus
rechtlichen Gründen generell unzulässig.
Hiergegen richtet sich die von der Betroffenen eingelegte Rechtsbe-
schwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil es ihr an der Statthaftigkeit
nach § 70 FamFG fehlt.
1. Das Landgericht hat die Rechtsbeschwerde im angefochtenen Be-
schluss nicht zugelassen (§ 70 Abs. 1 FamFG). Die vom Beschwerdegericht
erteilte - unzutreffende - Rechtsmittelbelehrung stellt keine Entscheidung über
die Zulassung der Rechtsbeschwerde dar (Senatsbeschlüsse vom 7. Mai 2014
- XII ZB 540/13 - FamRZ 2014, 1285 Rn. 6 und vom
20. Juli 2011
- XII ZB 445/10 - FamRZ 2011, 1728 Rn. 16).
2. Ein Fall der Statthaftigkeit ohne Zulassung gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1
Nr. 2 FamFG liegt nicht vor.
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Durch § 70 Abs. 3 Satz 2 FamFG ist ausdrücklich geregelt, dass Rechts-
beschwerden in Unterbringungs- und Freiheitsentziehungssachen nur dann oh-
ne Zulassung statthaft sind, wenn sich die Rechtsbeschwerde gegen den Be-
schluss richtet, der die Unterbringung oder die freiheitsentziehende Maßnahme
anordnet. Der Gesetzgeber wollte die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde nur
gegen Beschlüsse eröffnen, die unmittelbar freiheitsentziehende Wirkung ha-
ben (Senatsbeschluss vom 7. Mai 2014 - XII ZB 540/13 - FamRZ 2014, 1285
Rn. 8; BT-Drucks. 16/12717 S. 60).
In dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht lediglich den die
Genehmigung nach § 1906 Abs. 3a BGB verweigernden Beschluss des Amts-
gerichts aufgehoben und das Verfahren an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Auch wenn es dabei über für die Genehmigungsentscheidung gegebenenfalls
maßgebliche Vorfragen entschieden hat, ist damit keine unmittelbare Freiheits-
entziehung, hier in Form der Genehmigung ärztlicher Zwangsmaßnahmen
(§ 312 Satz 1 Nr. 1 FamFG), verbunden. Vielmehr bedarf es aus Sicht des Be-
schwerdegerichts einer Reihe weiterer Ermittlungen und Feststellungen, bevor
abschließend über den Genehmigungsantrag befunden werden kann.
Auf eine solche Fallgestaltung findet § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, Satz 2
FamFG schon mangels planwidriger Regelungslücke keine entsprechende An-
wendung (vgl. Senatsbeschluss vom 7. Mai 2014 - XII ZB 540/13 - FamRZ
2014, 1285 Rn. 9). Der Gesetzgeber wollte eine zulassungsfreie Statthaftigkeit
der Rechtsbeschwerde im Bereich der Unterbringungs- und Freiheitsentzie-
hungssachen nur für unmittelbar in die Freiheitsgrundrechte der Betroffenen
eingreifende Gerichtsentscheidungen. Alle anderen Beschlüsse und damit auch
solche, die sich auf eine Zurückverweisung beschränken, sind mithin nur nach
einer Zulassung gemäß § 70 Abs. 1 FamFG mit der Rechtsbeschwerde an-
fechtbar. Im Übrigen ist die Interessenlage des Betroffenen eines Unterbrin-
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gungsverfahrens, in dem das Beschwerdegericht die Sache unter Aufhebung
des erstinstanzlichen Beschlusses zurückverweist, nicht mit der in § 70 Abs. 3
Satz 2 FamFG geregelten vergleichbar. Denn entgegen der von der Rechtsbe-
schwerde vertretenen Auffassung ist mit der Zurückverweisung gerade keine
freiheitsentziehende Wirkung verbunden. Vielmehr kommt es durch sie zu einer
neuerlichen Prüfung durch das Amtsgericht, ob es der Anordnung einer Unter-
bringung oder freiheitsentziehenden Maßnahme bedarf.
3. Mangels zulässiger Rechtsbeschwerde hat es daher bei der vom Be-
schwerdegericht - unter Verstoß gegen § 69 Abs. 1 Satz 2 und 3 FamFG und
trotz des Umstands, dass das Beschwerdegericht die nicht beschwerdeberech-
tigte Betreuerin als Beschwerdeführerin angesehen hat und nicht von einem
Rechtsmittel namens der Betroffenen im Sinn des § 335 Abs. 3 FamFG ausge-
gangen ist - angeordneten Zurückverweisung an das Amtsgericht zu verbleiben.
Dieses wird sich auch mit der von der Rechtsbeschwerdebegründung aufge-
worfenen Rechtsfrage auseinanderzusetzen haben, ob die beantragte zwangs-
weise Verabreichung einer Depotmedikation eine Heilbehandlung im Sinn von
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§ 1906 Abs. 3 Satz 1, Abs. 1 Nr. 2 BGB darstellen kann (vgl. dazu Senatsbe-
schluss vom 1. Juli 2015 - XII ZB 89/15 - juris Rn. 17 ff. mwN).
Dose
RiBGH Dr. Klinkhammer
Günter
hat Urlaub und kann des-
wegen nicht unterschreiben.
Dose
Botur
Guhling
Vorinstanzen:
AG Waldbröl, Entscheidung vom 11.03.2015 - 10 XVII 103/15 -
LG Bonn, Entscheidung vom 18.03.2015 - 4 T 79/15 -