Urteil des BGH vom 06.07.2016

Leitsatzentscheidung zu Wohnung, Versorgung, Schlaganfall, Kontrolle

ECLI:DE:BGH:2016:060716BXIIZB131.16.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 131/16
vom
6. Juli 2016
in der Betreuungssache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 1896 Abs. 2 Satz 1; FamFG §§ 280 Abs. 1, 295 Abs. 1 Satz 2; ZPO § 541
Abs. 2
a) Im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist § 541 Abs. 2 ZPO entsprechend
anwendbar, wonach der Originalbeschluss mit den Unterschriften der Richter zu
den Sammelakten des Gerichts genommen und dafür eine beglaubigte Abschrift
in die Gerichtsakte eingeheftet wird.
b) Zur Notwendigkeit einer förmlichen Beweisaufnahme durch Einholung eines ärzt-
lichen Gutachtens bei Verlängerung der Betreuung mit Erweiterung des Aufga-
benkreises.
c) Zu den Voraussetzungen der Zuweisung des Aufgabenkreises des Widerrufs der
Vorsorgevollmacht an den Betreuer (im Anschluss an Senatsbeschluss BGHZ
206, 321 = FamRZ 2015, 1702).
BGH, Beschluss vom 6. Juli 2016 - XII ZB 131/16 - LG Hamburg
AG Hamburg-Harburg
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. Juli 2016 durch den Vor-
sitzenden Richter Dose, die Richter Dr. Klinkhammer, Dr. Nedden-Boeger und
Guhling und die Richterin Dr. Krüger
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 3 wird
der Beschluss der Zivilkammer 9 des Landgerichts Hamburg vom
26. Februar 2016 unter Zurückweisung des weitergehenden
Rechtsmittels insoweit aufgehoben, als der Aufgabenkreis "Wider-
ruf der bislang erteilten Vorsorgevollmachten" und der Zusatz "ein-
schließlich der Kündigung der Wohnung N. Str.
in " entfallen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei.
Die der Beteiligten zu 3 und der Betroffenen in den Rechtsmittel-
verfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten
werden zur Hälfte der Staatskasse auferlegt. Im Übrigen findet ei-
ne Erstattung außergerichtlicher Kosten nicht statt.
Beschwerdewert: 5.000
Gründe:
I.
Die 85jährige Betroffene leidet an einer leichtgradigen Demenz mit de-
pressivem Syndrom bei halbseitiger Lähmung nach Schlaganfall, weshalb sie
ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst erledigen kann. Zwischen den Töchtern
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der Betroffenen aus erster und zweiter Ehe besteht Streit über das angemes-
sene Pflegekonzept. Das Amtsgericht hatte durch Beschlüsse vom 17. Dezem-
ber 2007, vom 30. Oktober 2008 und vom 11. Dezember 2008 einen Berufsbe-
treuer für zuletzt die Aufgabenkreise der Gesundheitssorge, Organisation und
Kontrolle der häuslichen Versorgung, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssor-
ge, Regelung von Nachlass- und Erbschaftsangelegenheiten nach dem 2008
verstorbenen Ehemann, Wohnungsangelegenheiten, Ausübung des Hausrechts
über die Wohnung der Betroffenen insbesondere gegenüber der Beteiligten
zu 3 einschließlich ihrer Hinausweisung aus dieser Wohnung sowie Vertretung
aller Interessen gegenüber Behörden, Sozialleistungs- und Sozialversiche-
rungsträgern, Einrichtungen, Versicherungen und anderen Dritten bestellt.
Durch Beschluss vom 7. Oktober 2011 wurde die Betreuung mit diesen Aufga-
benkreisen bis zum 31. Oktober 2014 verlängert.
Am 14. September 2014 erlitt die Betroffene einen Schlaganfall und lebt
seither im Anschluss an die Krankenhausbehandlung in einem Pflegeheim. Am
30. Oktober 2014 legte die Beteiligte zu 3 - eine Tochter der Betroffenen aus
zweiter Ehe - eine auf sie lautende Vorsorgevollmacht vom 20. Juli 1997 vor.
Mit Beschluss vom 2. Juli 2015 hat das Amtsgericht die Betreuung ver-
längert und den Beteiligten zu 2 als neuen Berufsbetreuer bestellt. Außerdem
hat es die Betreuung um die Aufgabenkreise Abschluss, Änderung und Kontrol-
le eines Heimpflegevertrags, Regelung der Wohnungsangelegenheiten nun-
mehr "einschließlich der Kündigung der Wohnung" und Widerruf der bislang er-
teilten Vorsorgevollmachten erweitert und den Aufgabenkreis der Regelung von
Nachlass- und Erbschaftsangelegenheiten mangels insoweit verbliebenen Be-
darfs entfallen lassen.
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Dagegen haben die Betroffene und die Beteiligte zu 3 Beschwerde ein-
gelegt. Die Beschwerde hatte nur insoweit Erfolg, als auch der Aufgabenkreis
der "Ausübung des Hausrechts über die Wohnung der Betroffenen insbesonde-
re gegenüber der Beteiligten zu 3 einschließlich ihrer Hinausweisung aus der
Wohnung" weggefallen ist. Gegen die Zurückweisung der Beschwerde im Übri-
gen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 3.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist teilweise begründet.
1. Das Landgericht hat die von der Beteiligten zu 3 eingelegte
Beschwerde zu Recht als zulässig angesehen und dabei insbesondere zutref-
fend die Beschwerdeberechtigung gemäß § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG bejaht.
Denn die Beteiligte zu 3 war im ersten Rechtszug als Tochter der Betroffenen
hinzugezogen worden. Die Nichterwähnung im Rubrum des amtsgerichtlichen
Beschlusses steht einer tatsächlichen Hinzuziehung zum Verfahren im Sinne
des § 7 FamFG nicht entgegen (Senatsbeschluss vom 3. Februar 2016
- XII ZB 493/15 - FamRZ 2016, 626 Rn. 6 mwN). Es ist auch nicht ersichtlich,
dass die Beschwerde nicht zumindest auch im Interesse der Betroffenen einge-
legt worden ist.
2. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:
Die Betroffene sei aufgrund ihrer Demenz und halbseitigen Lähmung auf um-
fassende Hilfe und eine 24-stündige vollumfängliche Pflege angewiesen. Die
Vorsorgevollmacht, deren Wirksamkeit dahinstehen könne, hindere die Betreu-
erbestellung jedenfalls deshalb nicht, weil die Beteiligte zu 3 ungeeignet sei, die
Angelegenheiten der Betroffenen zu besorgen. Ihr sei es in der Vergangenheit
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nicht gelungen, mit den für die Betreuung und Pflege der Betroffenen bedeutsa-
men Personen zu kooperieren. Vielmehr verweigere sie die Zusammenarbeit
mit nahezu sämtlichen beteiligten Personen und Einrichtungen, insbesondere
mit dem früheren Betreuer, dem Pflegedienst, dem Sachverständigen, dem
Pflegeheim und dem Betreuungsgericht. Nach Berichten des früheren Betreu-
ers habe die Beteiligte zu 3 die Betroffene unter Druck gesetzt, mit ihm, dem
Betreuer, nicht zusammenzuarbeiten. Auch der Pflegedienst sei durch die Be-
teiligte zu 3 bei der Wahrnehmung der Pflege behindert worden. Zwar habe die
Beteiligte zu 3 zuletzt Anstrengungen unternommen, um ihre Bereitschaft zur
Übernahme der Betreuung zu untermauern, insbesondere habe sie mehrere
Kurse beim Betreuungsverein besucht. Auch habe sie ihre Bereitschaft zur Zu-
sammenarbeit mit einem Pflegedienst bekundet. Diese Anstrengungen seien
aber noch nicht tragfägig genug; die Beteiligte zu 3 müsse ihre Geeignetheit
erst durch tatsächliche Kooperation unter Beweis stellen.
Die Betreuung sei in den bezeichneten Aufgabenkreisen erforderlich.
Das gelte auch hinsichtlich des Widerrufs erteilter Vorsorgevollmachten, weil
die Beteiligte zu 3 nicht geeignet sei, die rechtliche Betreuung der Betroffenen
zu übernehmen. Es wäre eine Gefährdung des Wohls der Betroffenen zu be-
fürchten. Mildere Mittel wie etwa eine Kontrollbetreuung kämen nicht in Be-
tracht, da sie nicht hinreichend geeignet erschienen, die erforderliche umfas-
sende pflegerische Versorgung der Betroffenen sicherzustellen.
3. Die angefochtene Entscheidung hält einer rechtlichen Nachprüfung
nicht in allen Punkten stand.
a) Zu Unrecht rügt die Rechtsbeschwerde allerdings, dass der Beschluss
nicht rechtswirksam geworden sei, da in der Akte kein richterlich unterschriebe-
ner Originalbeschluss, sondern nur eine beglaubigte Abschrift vorzufinden sei.
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Es entspricht dem im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend
anwendbaren § 541 Abs. 2 ZPO, dass der Originalbeschluss mit den Unter-
schriften der Richter und dem vom Urkundsbeamten unterschriebenen Ein-
gangsvermerk zu den Sammelakten des Gerichts genommen und dafür eine
beglaubigte Abschrift in die Gerichtsakte eingeheftet wird (vgl. auch § 4 Nr. 7
AktO sowie BGH Beschluss vom 12. Februar 2004 - IX ZR 350/00 - BGHR ZPO
§ 311 Abs. 2 Urteilsverkündung 1). Das ist hier geschehen.
b) Ebenso nicht durchgreifend ist die Rüge, es mangele an einer nach
§ 280 Abs. 1 FamFG erforderlichen förmlichen Beweisaufnahme durch Einho-
lung eines Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme. Gemäß § 295
Abs. 1 Satz 2 FamFG kann nämlich für die Verlängerung der Bestellung eines
Betreuers von der erneuten Einholung eines Gutachtens abgesehen werden,
wenn sich aus der persönlichen Anhörung des Betroffenen und einem ärztli-
chen Zeugnis ergibt, dass sich der Umfang der Betreuungsbedürftigkeit offen-
sichtlich nicht verringert hat.
Die Verfahrenserleichterung nach § 295 Abs. 1 Satz 2 FamFG greift zwar
dann nicht, wenn die Verlängerung der Betreuung zugleich mit einer Erweite-
rung der Aufgabenkreise verbunden ist, denn insoweit handelt es sich um die
erstmalige Anordnung der Betreuung für den erweiterten Aufgabenkreis, welche
sich auf ein förmliches Gutachten nach § 280 FamFG stützen muss. Das gilt
nach § 293 Abs. 2 FamFG aber nur dann, wenn es sich um eine substanzielle
Erweiterung des Aufgabenkreises handelt und sich dem früheren Gutachten
nicht bereits entnehmen lässt, dass der Betroffene aufgrund seiner Erkrankung
auch zur eigenständigen Erledigung dieser Angelegenheit nicht mehr in der La-
ge ist. Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.
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Bereits im ursprünglichen Aufgabenkreis waren Wohnungsangelegenhei-
ten, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge und Organisation und Kontrolle
der häuslichen Versorgung enthalten. Das umfasste sämtliche Regelungsberei-
che, mit denen das Wohnen und die Versorgung der Betroffenen in ihrem häus-
lichen Umfeld gesichert werden konnten. Durch den Schlaganfall hat sich der
Bedarf zwar insoweit verlagert, als nunmehr das Wohnen und die Versorgung
der Betroffenen im Pflegeheim gesichert werden muss. Damit werden im Kern
aber dieselben Bedürfnisse abgedeckt, die zuvor im häuslichen Umfeld bestan-
den und Gegenstand der ursprünglichen Betreuung waren.
Heimangelegenheiten konnten ursprünglich allein deshalb nicht in den
Aufgabenkreis aufgenommen werden, weil sie seinerzeit nicht im Raume stan-
den. Ein Betreuer darf nämlich nach § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB nur für Aufga-
benkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist. Für welche
Aufgabenbereiche ein Betreuungsbedarf besteht, ist aufgrund der konkreten,
gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen zu beurteilen (Senatsbeschluss
vom 6. Juli 2011 - XII ZB 80/11 - FamRZ 2011, 1391 Rn. 9 mwN). Dabei genügt
es, wenn ein Handlungsbedarf in dem betreffenden Aufgabenkreis jederzeit
auftreten kann (vgl. Senatsbeschluss vom 21. Januar 2015 - XII ZB 324/14 -
FamRZ 2015, 649 Rn. 9 mwN). Der veränderte Betreuungsbedarf ist erst im
Nachhinein durch die Pflegebedürftigkeit nach Schlaganfall eingetreten. Die
daraus folgende Verlagerung des Aufgabenkreises auf Abschluss, Änderung
und Kontrolle eines Heimpflegevertrags zielt unter veränderten Rahmenbedin-
gungen auf dieselbe Bedarfskategorie. Sie verlangt keine gesonderte förmliche
ärztliche Begutachtung über das psychiatrische Krankheitsbild, wenn - wie hier -
bereits aus den Feststellungen des früheren Gutachtens geschlossen werden
kann, dass der Betroffene auch zur eigenständigen Besorgung seiner Heiman-
gelegenheiten nicht in der Lage ist.
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Danach bedurfte es für die Verlängerungsentscheidung im Rahmen des
§ 295 Abs. 1 Satz 2 FamFG lediglich eines ärztlichen Zeugnisses. Dieses liegt
hier vor.
c) Ebenfalls erfolglos wird von der Rechtsbeschwerde gerügt, dass der
Betroffenen und der Beteiligten zu 3 das ärztliche Attest vom 19. März 2015
nicht bekannt gegeben worden sei. Zwar kann der Verfahrensakte nicht ent-
nommen werden, dass die Bekanntgabe insoweit bereits im ersten Rechtszug
erfolgt ist. Die Verfahrensbevollmächtigten der Betroffenen und der Beteiligten
zu 3 haben vollständige Akteneinsicht jedoch im Beschwerdeverfahren erlangt,
was zur Wahrung des rechtlichen Gehörs für die Entscheidung des Beschwer-
degerichts genügt.
d) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde liegt ein zur Aufhe-
bung des angefochtenen Beschlusses führender schwerwiegender Verfahrens-
fehler auch nicht darin, dass über den Ablehnungsantrag gegen den Sachver-
ständigen vom 17. Juni 2015 nicht vorab entschieden worden ist. Dabei kann
offenbleiben, unter welchen Voraussetzungen in einem Fall unterbliebener Vor-
abentscheidung ein zur Aufhebung (§ 69 Abs. 3 Satz 1 FamFG) führender Ver-
fahrensverstoß angenommen werden könnte (vgl. Keidel/Sternal FamFG
18. Aufl. § 30 Rn. 106 mwN). Denn ein schwerwiegender Verfahrensfehler liegt
jedenfalls dann nicht vor, wenn der Ablehnungsantrag als unzulässig hätte ver-
worfen werden müssen.
So liegt der Fall hier, denn gemäß §§ 280 Abs. 1, 30 Abs. 1 FamFG iVm
§ 406 Abs. 2 ZPO ist der Ablehnungsantrag bei dem Gericht, von dem der
Sachverständige ernannt ist, vor seiner Vernehmung zu stellen, spätestens je-
doch binnen zwei Wochen nach Verkündung oder Zustellung des Beschlusses
über die Ernennung. Zu einem späteren Zeitpunkt ist die Ablehnung nur zuläs-
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sig, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne sein Verschulden
verhindert war, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen.
Die Frist war hier verstrichen, denn der Sachverständige war bereits
durch einen am 27. Januar 2015 ergangenen und der Beteiligten zu 3 über-
sandten Beschluss ernannt worden. Gründe, dass sie ohne ihr Verschulden
verhindert gewesen sei, den Ablehnungsgrund innerhalb der Frist geltend zu
machen, hat die Beteiligte zu 3 nicht glaubhaft gemacht. Soweit die vorgebrach-
ten Ablehnungsgründe aus dem Inhalt des Gutachtens hergeleitet worden sind,
hätte der Antrag unverzüglich nach Kenntnis von dem Ablehnungsgrund gestellt
werden müssen (vgl. BGH Beschluss vom 15. März 2005 - VI ZB 74/04 - NJW
2005, 1869). Das ist hier nicht geschehen, denn nachdem der Beteiligten zu 3
eine Abschrift des Gutachtens bereits am 14. April 2016 übersandt worden war,
ist das Ablehnungsgesuch erst am 23. Juni 2016 bei Gericht eingegangen.
e) An den Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der Regelbetreu-
ung fehlt es auch nicht etwa deswegen, weil die Angelegenheiten der Betroffe-
nen durch die Beteiligte zu 3 als Vorsorgebevollmächtigte ebenso gut wie durch
einen Betreuer besorgt werden könnten (§ 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB).
Zum einen bestand die Betreuung bereits seit annähernd sieben Jahren
von 2007 bis 2014, bevor die Beteiligte zu 3 die Vorsorgevollmacht erstmals in
das Verfahren eingeführt oder sonst erkennbar von ihr Gebrauch gemacht hat.
Somit fehlte es bisher offenbar an der Bereitschaft der Beteiligten zu 3, die
Vollmacht auszuüben. Zum anderen rechtfertigen die getroffenen Feststellun-
gen die Annahme, dass die Bevollmächtigte die Angelegenheiten der Betroffe-
nen nicht ohne Unterstützung durch einen Betreuer zum Wohle der Betroffenen
wahrzunehmen imstande ist. Danach ist es der Beteiligten zu 3 in der Vergan-
genheit nicht gelungen, mit den für die Betreuung und Pflege der Betroffenen
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bedeutsamen Personen zu kooperieren. Vielmehr hat sie die Zusammenarbeit
unter anderem auch mit dem Pflegedienst und dem Pflegeheim verweigert. Un-
ter diesen Voraussetzungen bedarf es der Betreuung, um eine Wahrung der
Bedürfnisse der Betroffenen zu deren Wohl verlässlich sicherzustellen (vgl.
Senatsbeschluss vom 17. Februar 2016 - XII ZB 498/15 - FamRZ 2016, 704
Rn. 12 mwN).
f) Mit Erfolg wendet sich die Rechtsbeschwerde allerdings gegen die Er-
weiterung der Betreuung insoweit, als für die Wohnungsangelegenheiten der
Zusatz "einschließlich der Kündigung der Wohnung" aufgenommen und als wei-
terer Aufgabenkreis der Widerruf der bislang erteilten Vorsorgevollmachten be-
stimmt worden ist.
aa) Der Zusatz "einschließlich der Kündigung der Wohnung" besitzt kei-
ne eigenständige rechtliche Bedeutung und hat deshalb schon aus Klarstel-
lungsgründen zu entfallen. Bereits der Aufgabenkreis "Wohnungsangelegenhei-
ten" umfasst grundsätzlich auch die Kündigung des Mietvertrags über die Woh-
nung des Betroffenen, welche allerdings einer gesonderten vorherigen Geneh-
migung durch das Betreuungsgericht bedarf (§ 1907 Abs. 1 BGB). Der vom Be-
treuer gestellte Antrag auf Genehmigung der Wohnungskündigung ist hier in-
dessen rechtskräftig zurückgewiesen worden, weil nach den getroffenen Fest-
stellungen eine Rückkehr der Betroffenen in ihre Wohnung nicht ausgeschlos-
sen ist.
bb) Für die Einbeziehung des Aufgabenkreises des Widerrufs der bislang
erteilten Vorsorgevollmachten liegen die rechtlichen Voraussetzungen nicht vor.
Nach der Senatsrechtsprechung stellt bereits die Ermächtigung des Be-
treuers zum Vollmachtwiderruf einen gewichtigen staatlichen Eingriff in das von
Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Selbstbestimmungsrecht des Be-
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troffenen dar, weshalb sich der Eingriff am Grundrechtsschutz messen lassen
muss und es einer gesonderten gerichtlichen Feststellung der Notwendigkeit
der Maßnahme bedarf (Senatsbeschluss BGHZ 206, 321 = FamRZ 2015, 1702
Rn. 11, 18).
Diese zusätzliche Prüfung orientiert sich an der Frage, ob das Festhalten
an der erteilten Vorsorgevollmacht eine künftige Verletzung des Wohls des
Betroffenen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit und in erheblicher Schwere
befürchten lässt (Senatsbeschluss BGHZ 206, 321 = FamRZ 2015, 1702
Rn. 33 ff.). Das ist nach den getroffenen Feststellungen nicht der Fall.
Zwar ist es der Beteiligten zu 3 in der Vergangenheit nicht gelungen, mit
den für die Betreuung und Pflege der Betroffenen bedeutsamen Personen zu
kooperieren. Allerdings ist weder festgestellt noch erkennbar, dass die Beteilig-
te zu 3 dabei in einer dem Wohl der Betroffenen entgegenstehenden Weise von
ihrer Vorsorgevollmacht Gebrauch gemacht hätte. Vielmehr hat sie sich mit
dem Gebrauch der Vollmacht zurückgehalten. Zugleich ist ihr im angefochtenen
Beschluss bescheinigt, zuletzt gewisse Anstrengungen unternommen zu haben,
um sich in der Wahrnehmung der Angelegenheiten der Betroffenen besser zu
befähigen, insbesondere durch den Besuch mehrerer Kurse beim Betreuungs-
verein. Wenn das Landgericht diese Anstrengungen als "noch nicht tragfähig
genug" bezeichnet und einfordert, die Beteiligte zu 3 müsse ihre Geeignetheit
"erst durch tatsächliche Kooperation unter Beweis stellen", liegt darin eine
grundsätzlich positive Erwartungshaltung an die künftige Befähigung der Betei-
ligten zu 3, zum Wohle der Betroffenen von der Vorsorgevollmacht Gebrauch
zu machen. An den rechtlichen Voraussetzungen für einen Widerruf der Vorsor-
gevollmacht, deren wirksame Erteilung für das Rechtsbeschwerdeverfahren zu
unterstellen ist, fehlt es dann.
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4. Der angefochtene Beschluss kann daher hinsichtlich des Umfangs der
Betreuung keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache abschließend
entscheiden, da keine weiteren Feststellungen erforderlich sind.
Dose
Klinkhammer
Nedden-Boeger
Guhling
Krüger
Vorinstanzen:
AG Hamburg-Harburg, Entscheidung vom 02.07.2015 - 607 XVII K 4426 -
LG Hamburg, Entscheidung vom 26.02.2016 - 309 T 192/15 + 309 T 34/16 -
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