Urteil des BGH vom 25.03.2015

Leitsatzentscheidung zu Unterbringung, Psychische Krankheit, Genehmigung, Behinderung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X I I Z A 1 2 / 1 5
vom
25. März 2015
in der Unterbringungssache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 1906 Abs. 1 Nr. 1
Zu den Voraussetzungen der zivilrechtlichen Unterbringung zum Schutz vor
Selbstgefährdung bei einem alkoholkranken Betroffenen (im Anschluss an Se-
natsbeschluss vom 17. August 2011 - XII ZB 241/11 - FamRZ 2011, 1725).
BGH, Beschluss vom 25. März 2015 - XII ZA 12/15 - LG Dessau-Roßlau
AG Dessau
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. März 2015 durch den
Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Dr. Klinkhammer, Dr. Günter,
Dr. Botur und Guhling
beschlossen:
Der Antrag des Betroffenen auf Gewährung von Verfahrenskos-
tenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe:
I.
Der im Jahre 1952 geborene Betroffene steht unter umfassender Betreu-
ung. Er leidet infolge jahrzehntelangen Alkoholkonsums unter einem anamnes-
tischen Syndrom bei Alkoholmissbrauch ("Korsakow-Syndrom"), unter psychoti-
schen Störungen und unter alkoholabhängigkeitsbedingten Persönlichkeits- und
Verhaltensstörungen. Er hatte bereits mehrere Alkoholentzugsdelirien, zuletzt
im Juli 2013.
Am 18. Februar 2014 wurde er durch den Rettungsdienst in ein psychiat-
risches Krankenhaus eingewiesen, nachdem er Suizidabsichten geäußert und
in einer Apotheke Rattengift zu erwerben versucht hatte. Auf Antrag der Be-
treuerin (Beteiligte zu 1) wurde für die Zeit ab 19. Februar 2014 bis einschließ-
lich 18. Februar 2015 die Unterbringung des Betroffenen in der geschlossenen
Abteilung des Krankenhauses und daran anschließend in der geschlossenen
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Abteilung eines Therapiezentrums für Suchtkranke betreuungsgerichtlich ge-
nehmigt.
Am 29. Dezember 2014 hat die Beteiligte zu 1 die Verlängerung der Un-
terbringungsgenehmigung beantragt. Das Amtsgericht hat die Genehmigung
abgelehnt, weil eine weitere Unterbringung unverhältnismäßig sei. Auf die Be-
schwerde der Beteiligten zu 1 hat das Landgericht diese Entscheidung abgeän-
dert und die weitere Unterbringung in der geschlossenen Abteilung eines The-
rapiezentrums für Suchtkranke bis längstens zum 18. Februar 2016 genehmigt.
Hiergegen möchte der Betroffene die Rechtsbeschwerde führen, wofür er
die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe beantragt hat.
II.
Dem Betroffenen ist die von ihm nachgesuchte Verfahrenskostenhilfe für
das Rechtsbeschwerdeverfahren zu versagen, weil es seiner beabsichtigten
Rechtsverfolgung an der gemäß § 76 Abs. 1 FamFG, § 114 ZPO erforderlichen
hinreichenden Erfolgsaussicht fehlt. Die maßgeblichen Rechtsfragen sind durch
die
höchstrichterliche
Rechtsprechung
geklärt
(Senatsbeschluss
vom
17. August 2011 - XII ZB 241/11 - FamRZ 2011, 1725; vgl. auch BVerfG
FamRZ 2015, 565 m. Anm. Schwab), und die Entscheidung des Beschwerde-
gerichts lässt Rechtsfehler nicht erkennen.
1. Gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist eine Unterbringung des Betreuten
durch den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, nur zulässig, so
lange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil aufgrund einer psychi-
schen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die
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Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen
Schaden zufügt.
Alkoholismus für sich gesehen ist keine psychische Krankheit bzw. geis-
tige oder seelische Behinderung im Sinne von § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB, so
dass allein darauf die Genehmigung der Unterbringung nicht gestützt werden
kann. Ebenso wenig vermag die bloße Rückfallgefahr eine Anordnung der zivil-
rechtlichen Unterbringung zu rechtfertigen. Etwas anderes gilt, wenn der Alko-
holismus entweder im ursächlichen Zusammenhang mit einem geistigen Ge-
brechen steht, insbesondere einer psychischen Erkrankung, oder ein auf den
Alkoholmissbrauch zurückzuführender Zustand eingetreten ist, der das Ausmaß
eines geistigen Gebrechens erreicht hat (Senatsbeschluss vom 17. August
2011 - XII ZB 241/11 - FamRZ 2011, 1725 Rn. 11).
Die Grundrechte eines psychisch Kranken schließen einen staatlichen
Eingriff nicht aus, der ausschließlich den Zweck verfolgt, ihn vor sich selbst in
Schutz zu nehmen und ihn zu seinem eigenen Wohl in einer geschlossenen
Anstalt
unterzubringen
(Senatsbeschluss
vom
17. August
2011
- XII ZB 241/11 - FamRZ 2011, 1725 Rn. 12). Die zivilrechtliche Unterbringung
ist - wie das Betreuungsrecht insgesamt - ein Institut des Erwachsenenschutzes
als Ausdruck der staatlichen Wohlfahrtspflege, deren Anlass und Grundlage
das öffentliche Interesse an der Fürsorge für den schutzbedürftigen Einzelnen
ist (vgl. Senatsbeschluss vom 28. Januar 2015 - XII ZB 520/14 - juris Rn. 13).
Deshalb kann die geschlossene Unterbringung zur Vermeidung einer le-
bensbedrohenden Selbstgefährdung auch dann genehmigt werden, wenn eine
gezielte Therapiemöglichkeit nicht besteht. Zwar steht es nach der Verfassung
in der Regel jedermann frei, Hilfe zurückzuweisen, sofern dadurch nicht
Rechtsgüter anderer oder der Allgemeinheit in Mitleidenschaft gezogen werden.
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Das Gewicht, das dem Freiheitsanspruch gegenüber dem Gemeinwohl zu-
kommt, darf aber nicht losgelöst von den tatsächlichen Möglichkeiten des Be-
troffenen bestimmt werden, sich frei zu entschließen. Mithin setzt eine Unter-
bringung zur Verhinderung einer Selbstschädigung infolge einer psychischen
Erkrankung voraus, dass der Betroffene aufgrund der Krankheit seinen Willen
nicht frei bestimmen kann (Senatsbeschluss vom 17. August 2011
- XII ZB 241/11 - FamRZ 2011, 1725 Rn. 12).
2. Das Beschwerdegericht hat in Anwendung dieser Grundsätze rechts-
fehlerfrei das Vorliegen der Voraussetzungen einer Unterbringung gemäß
§ 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB bejaht.
a) Die unter anderem für den Aufgabenkreis Aufenthaltsbestimmung und
Entscheidung über die Unterbringung als Betreuerin bestellte Beteiligte zu 1 hat
die Genehmigung der Unterbringung des Betroffenen beantragt. Das Be-
schwerdegericht hat auf der Grundlage des vom Amtsgericht eingeholten und
im Beschwerdeverfahren ergänzten - im Übrigen das bereits im März 2014 ein-
geholte Sachverständigengutachten bestätigende - Sachverständigengutach-
tens sowie der persönlichen Anhörung des Betroffenen festgestellt, dass der
Betroffene an einer psychischen Krankheit bzw. geistigen Behinderung leidet.
Diese besteht in einer schweren Persönlichkeits- und Verhaltensstörung mit
Fehlen der Realitätswahrnehmung, anhaltenden Fehlhandlungen und Störun-
gen der Affektivität, in einer verzögerten psychotischen Störung mit erheblichem
Beeinträchtigungswahn sowie in einem anamnestischen Syndrom. Ferner hat
das Beschwerdegericht festgestellt, dass der Betroffene krankheitsbedingt nicht
in der Lage ist, seinen Alkoholkonsum selbstverantwortlich zu steuern und ei-
nen alsbaldigen Rückfall in lebensbedrohliche Zustände zu vermeiden.
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b) Das Beschwerdegericht hat zudem berücksichtigt, dass eine Unter-
bringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB zur Verhinderung einer Selbstschädi-
gung voraussetzt, dass der Betroffene aufgrund der Krankheit seinen Willen
nicht frei bestimmen kann. Es ist unter Auswertung der vorliegenden Sachver-
ständigengutachten zu der - rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstanden-
den - Überzeugung gelangt, dass der Betroffene aufgrund seiner psychischen
Erkrankung nicht in der Lage ist, einen freien Willen zu bilden und danach zu
handeln.
c) Die Unterbringung ist auch verhältnismäßig.
aa) Die Unterbringung ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass sich nach
den getroffenen Feststellungen bei dem Betroffenen eine Einsichtsfähigkeit in
die Krankheit und damit Behandlungsbedürftigkeit nicht erreichen, sondern al-
lenfalls ein sog. Gewöhnungseffekt (Gewöhnung daran, keinen Alkohol mehr zu
trinken) erzielen lassen wird. Denn die Frage der Therapiefähigkeit ist für die
hier nicht zur Heilbehandlung, sondern gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB zum
Selbstschutz erfolgte Unterbringung nicht maßgeblich (Senatsbeschluss vom
17. August 2011 - XII ZB 241/11 - FamRZ 2011, 1725 Rn. 17).
bb) Mildere Maßnahmen als eine geschlossene Unterbringung kommen
auf Grundlage der getroffenen Feststellungen hier nicht in Betracht. Wie das
Beschwerdegericht rechtsfehlerfrei den Ausführungen der Sachverständigen
entnommen hat, würde der Betroffene außerhalb einer Unterbringung umge-
hend (binnen weniger als einer Woche) alkoholrückfällig werden und innerhalb
kurzer Zeit (binnen weiterer vier bis acht Wochen) in ein lebensbedrohliches
Delirium tremens fallen, das bei nicht sofort gegebener intensivmedizinischer
Behandlung zum Tode führt und in 25 % der vergleichbaren Fälle tatsächlich
tödlich verläuft. Darüber hinaus würde er seine Medikamente nicht mehr ein-
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nehmen, so dass das Wahnhafte der Erkrankung wieder in den Vordergrund
träte. Es drohten dann selbstschädigende Handlungen, wie der zur letzten sta-
tionären Aufnahme führende Vorfall (Versuch des Erwerbs von Rattengift nach
suizidalen Äußerungen) zeige, sowie eine Chronifizierung der wahnhaften
Symptomatik.
cc) Das Beschwerdegericht hat zudem nachvollziehbar und in rechtlich
nicht zu beanstandender Weise dargelegt, dass bei dieser Sachlage ein Unter-
bringungszeitraum von einem Jahr gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 FamFG erfor-
derlich ist.
Auch der vom Betroffenen in seinem Verfahrenskostenhilfegesuch ange-
sprochene Punkt, dass unklar sei, was nach dem Ende des vorliegend geneh-
migten Unterbringungszeitraums komme, und ihm eine dauerhafte geschlosse-
ne Unterbringung drohe, führt zu keiner anderen Beurteilung der Verhältnismä-
ßigkeit. Unabhängig davon, dass die Frage, ob der Betroffene perspektivisch
eine lebenslange Unterbringung gewärtigen muss, nicht Gegenstand des
Rechtsbeschwerdeverfahrens ist, das die Unterbringungsgenehmigung für die
Dauer von einem Jahr betrifft (vgl. Senatsbeschluss vom 17. August 2011
- XII ZB 241/11 - FamRZ 2011, 1725 Rn. 21), hat das Beschwerdegericht mit
dem Gewöhnungseffekt, der während der aktuellen Unterbringung eintreten
kann, eine zeitliche Perspektive aufgezeigt.
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dd) Schließlich ist auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht nichts zu bean-
standen, insbesondere war dem Betroffenen ein Verfahrenspfleger bestellt
(§ 317 FamFG), genügt das Sachverständigengutachten den Anforderungen
des § 321 Abs. 1 FamFG und hat das die amtsgerichtliche Entscheidung abän-
dernde Beschwerdegericht den Betroffenen persönlich angehört.
Dose Klinkhammer Günter
Botur Guhling
Vorinstanzen:
AG Dessau, Entscheidung vom 05.02.2015 - 10 XVII 206/12 -
LG Dessau-Roßlau, Entscheidung vom 13.02.2015 - 8 T 47/15 -
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