Urteil des BGH vom 08.12.2015

Leitsatzentscheidung zu Anleihe, Wirkung Ex Nunc, Treu Und Glauben, Schuldverschreibung

ECLI:DE:BGH:2015:081215UXIZR488.14.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XI ZR 488/14
Verkündet am:
8. Dezember 2015
Mayer,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
SchVG § 5 Abs. 2 Satz 1
Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger nach § 5 SchVG sind auch für solche Gläu-
biger derselben Anleihe gleichermaßen verbindlich, die die Anleihe zuvor we-
gen Verschlechterung der Vermögensverhältnisse der Emittentin außerordent-
lich gekündigt haben.
BGH, Urteil vom 8. Dezember 2015 - XI ZR 488/14 - OLG Frankfurt am Main
LG Frankfurt am Main
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Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 8. Dezember 2015 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Ellenberger, die
Richter Dr. Grüneberg und Maihold sowie die Richterinnen Dr. Menges und
Dr. Derstadt
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 17. September
2014 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zu ihrem
Nachteil erkannt worden ist.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 18. Zivilkammer
des Landgerichts Frankfurt am Main vom 25. April 2014 wird ins-
gesamt zurückgewiesen.
Die Kosten der Rechtsmittelverfahren trägt die Klägerin.
Von Rechts wegen
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Tatbestand:
Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einer von dieser begebenen Unter-
nehmensanleihe in Anspruch.
Die Beklagte, eine börsennotierte Aktiengesellschaft, emittierte im Jahr
2011 unter anderem die in einer Dauerglobalurkunde ohne Zinsscheine ver-
briefte 6,375%-Schuldverschreibung 2011/2016 in einem Gesamtnennwert von
150 Mio.
€, eingeteilt in 150.000 auf den Inhaber lautende Teilschuldverschrei-
bungen im Nennbetrag von je 1.000
€. In § 9 der Anleihebedingungen ("Kündi-
gung") heißt es unter anderem:
"(1) Jeder Gläubiger ist berechtigt, seine Schuldverschrei-
bung zu kündigen und deren sofortige Rückzahlung zu ihrem Nennbetrag zu-
züglich (etwaiger) bis zum Tage der Rückzahlung aufgelaufener Zinsen zu ver-
langen, falls:
(a) die Emittentin Kapital oder Zinsen oder sonstige auf die
Schuldverschreibung zahlbaren Beträge nicht innerhalb von 30
Tagen nach
dem betreffenden Fälligkeitsdatum zahlt; oder
(b) ...
(c) ...
(d) die Emittentin ihre Zahlungseinstellung bekannt gibt
oder ihre Zahlungen allgemein einstellt; oder
(e) : ein Gericht ein Insolvenzverfahren gegen die Emittentin er-
öffnet oder die Emittentin ein solches Verfahren einleitet oder beantragt oder
eine allgemeine Schuldenregelung zu Gunsten ihrer Gläubiger anbietet oder
trifft oder ein Dritter ein Insolvenzverfahren gegen die Emittentin beantragt und
ein solches Verfahren nicht innerhalb einer Frist von 60
Tagen aufgehoben
oder ausgesetzt worden ist; oder (...)."
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§ 11 der Anleihebedingungen ("Beschlüsse der Gläubiger") enthält unter
anderem folgende Regelungen:
"(1) Vorbehaltlich §
11 Absatz (3) können die Gläubiger durch
Mehrheitsbeschluss über alle gesetzlich zugelassenen Beschlussgegenstände
Beschluss fassen. Eine Verpflichtung zur Leistung kann für die Gläubiger durch
Mehrheitsbeschluss nicht begründet werden.
(2) Die Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger sind für alle Gläubi-
ger gleichermaßen verbindlich. Ein Mehrheitsbeschluss der Gläubiger, der nicht
gleiche Bedingungen für alle Gläubiger vorsieht, ist unwirksam, es sei denn die
benachteiligten Gläubiger stimmen ihrer Benachteiligung ausdrücklich zu.
(3) Die Gläubiger entscheiden mit einer Mehrheit von 75%
(Qualifizierte Mehrhei
t) der an der Abstimmung teilnehmenden Stimmrechte. …
(4) Die Gläubiger beschließen in einer Gläubigerver-
sammlung. ..."
§ 12 der Anleihebedingungen ("Gemeinsamer Vertreter der Gläubiger")
sieht die Möglichkeit der Bestellung eines "Gemeinsamen Vertreters" für alle
Gläubiger durch Mehrheitsbeschluss der Gläubiger vor und regelt dessen Auf-
gaben und Befugnisse sowie dessen Haftung. Der gemeinsame Vertreter muss
in persönlicher Hinsicht den Anforderungen des § 8 Abs. 1 SchVG genügen.
Wegen des für Gläubigerversammlungen oder Abstimmungen der Gläubiger
ohne Versammlung zu wahrenden Verfahrens nimmt § 1 Abs. 7 der Anleihebe-
dingungen auf die Bestimmungen gemäß Annex 2 des Emissions- und Zah-
lungsvertrags vom 11. Juli 2011 zwischen der Emittentin und der Deutschen
Bank Aktiengesellschaft als Hauptzahlstelle unter Hinweis auf deren Veröffentli-
chung im Internet Bezug.
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Am 24. Januar 2013 gab die Beklagte in einer Ad-hoc-Mitteilung bekannt,
dass eine finanzwirtschaftliche Restrukturierung erforderlich sei. Es seien "gra-
vierende Einschnitte bei den Verbindlichkeiten der Gesellschaft, insbesondere
den Anleihen ... erforderlich", wobei auch die streitgegenständliche Anleihe in
Bezug genommen wurde. Am 17. April 2013 zeigte die Beklagte durch eine wei-
tere Ad-hoc-Mitteilung an, dass ein Verlust in Höhe der Hälfte des Grundkapi-
tals eingetreten sei. Mit einer Ad-hoc-Mitteilung vom 29. April 2013 wurde ein
erheblicher Wertberichtigungsbedarf bekanntgegeben. Mit einer Ad-hoc-Mittei-
lung vom 30. April 2013 teilte die Beklagte mit, dass sie mit wesentlichen
Schuldscheingläubigern eine vorläufige Einigung über die wirtschaftlichen Eck-
punkte zur Restrukturierung ihrer Finanzverbindlichkeiten erzielt habe. Zugleich
leitete sie die notwendigen gesellschaftsrechtlichen Schritte zur Umsetzung des
Restrukturierungskonzepts ein. Mit einer Ad-hoc-Mitteilung vom 18. Juni 2013
vermeldete die Beklagte eine Einigung mit den Schuldscheingläubigern und
dem Inhaber eines gesicherten Darlehens über die Umsetzung zur Restruktu-
rierung ihrer Finanzverbindlichkeiten.
Am 12. Juli 2013 lud die Beklagte zwecks Durchführung eines Verfah-
rens nach den §§ 5 ff. SchVG die Gläubiger der streitgegenständlichen Anleihe
für den 5. August 2013 zu einer (zweiten) Gläubigerversammlung ein, in der
mehr als 99% der teilnehmenden Stimmrechte der von der Beklagten vorge-
schlagenen Restrukturierung zustimmten. Die Zustimmung bezog sich auf den
Umtausch der Anleihe in Erwerbsrechte auf neue Anleihen mit einem reduzier-
ten Nennwert und in Erwerbsrechte auf neue Aktien an der Beklagten. Darüber
hinaus stimmten die Gläubiger auch einem zeitlich bis Ende 2014 befristeten
Kündigungsverzicht zu. Im wirtschaftlichen Ergebnis stellte dies für die Anleihe-
gläubiger einen Forderungsverzicht von ca. 55% dar. Das Sanierungskonzept
wurde auf einer außerordentlichen Hauptversammlung der Beklagten am
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7. August 2013 mit mehr als 99% der anwesenden Stimmrechte gebilligt und in
der Folgezeit umgesetzt. Dabei wurde - so auch in dem Depot der Klägerin - die
streitgegenständliche Anleihe gegen Einbuchung von Erwerbsrechten auf neue
Aktien sowie neue besicherte Anleihen ausgebucht.
Die Klägerin hatte nach Bekanntwerden der Notwendigkeit einer Restruk-
turierung im Januar 2013 von der streitgegenständlichen Anleihe Teilschuldver-
schreibungen im Nennwert von insgesamt 202.000
€ zu einem Marktpreis von
22% des Nennwerts erworben. Mit anwaltlichem Schreiben vom 31. Mai 2013
kündigte sie gegenüber der Beklagten die Anleihe unter Hinweis auf § 9 Abs. 1
Buchst. d und e der Anleihebedingungen wegen wesentlicher Verschlechterung
der wirtschaftlichen Verhältnisse und verlangte die Rückzahlung der Anleihe
zum Nennwert. Mit Schreiben vom 18. Juli 2013 wiederholte sie die Kündigung,
wobei sie diese zusätzlich mit einer ausgebliebenen Zinszahlung begründete.
Mit anwaltlichen Schreiben vom 8. und 13. August 2013 erfolgten weitere Kün-
digungserklärungen der Klägerin, die sie unter anderem mit dem beabsichtigten
Ausschluss des Kündigungsrechts und dem Angebot einer allgemeinen Schul-
denregelung rechtfertigte. Die Zinszahlungen auf die Anleihe für den Zeitraum
vom 14. Juli 2012 bis 13. Juli 2013 erfolgten seitens der Beklagten am
9. August 2013 an das nach § 1 Abs. 4 der Anleihebedingungen eingerichtete
Clearing System und wurden der Klägerin - nach ihrer Behauptung - am
14. August 2013 gutgeschrieben. Diese Zinszahlungen waren nach dem Be-
schluss der Gläubigerversammlung vom 5. August 2013 auf die Tilgung der
neuen Anleihen anzurechnen.
Die Klägerin begehrt im Wege der Teilklage die Rückzahlung der Anleihe
zum Nennwert in Höhe von 50.000
€ nebst Zinsen abzüglich am 5. März 2014
gezahlter 2.892
€ und am 12. März 2014 gezahlter 641,46 € sowie die Erstat-
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tung vorgerichtlicher Anwaltskosten. Sie ist der Auffassung, dass sie die Anlei-
he wirksam gekündigt habe und dass ihr die - erst nach Wirksamwerden ihrer
Kündigung gefassten - Beschlüsse der Gläubigerversammlung vom 5. August
2013 nicht entgegengehalten werden könnten. Das Landgericht hat die Klage
abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht der Klage
bis auf einen Teil der geltend gemachten Nebenforderungen stattgegeben, al-
lerdings nur gegen Aushändigung von 48 Bonds der neuen Anleihe und
365 Aktien an der Beklagten. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revi-
sion begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet. Sie führt zur vollständigen Zurückweisung der
Berufung der Klägerin gegen das landgerichtliche Urteil.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, die unter
anderem in ZIP 2014, 2176 veröffentlicht ist, ausgeführt:
Der Klägerin stehe der geltend gemachte Zahlungsanspruch aus § 9
Abs. 1 der Anleihebedingungen gegen Aushändigung der anstelle der streitge-
genständlichen Teilschuldverschreibungen in ihr Depot eingebuchten Wertpa-
piere zu. Die Klägerin habe die Anleihe jedenfalls mit ihrem Schreiben vom
18. Juli 2013 wirksam gekündigt. Ihr habe zwar kein Kündigungsrecht nach § 9
Abs. 1 Buchst. d der Anleihebedingungen wegen Zahlungseinstellung oder
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nach § 9 Abs. 1 Buchst. e der Anleihebedingungen wegen einer Vermögens-
verschlechterung der Beklagten oder der Gefährdung des Leistungsanspruchs
der Anleihegläubiger zugestanden. Die Klägerin habe die Teilschuldverschrei-
bungen aber nach § 9 Abs. 1 Buchst. e der Anleihebedingungen vorzeitig kün-
digen können, weil danach ein Kündigungsrecht auch dann bestehe, wenn die
Emittentin eine allgemeine Schuldenregelung zu Gunsten ihrer Gläubiger anbie-
te. Diese Voraussetzung sei auch dann gegeben, wenn die Emittentin den
Gläubigern - wie hier - einen Beschlussvorschlag im Sinne der §§ 5 ff. SchVG
unterbreite. Das Restrukturierungskonzept der Beklagten stelle eine "allgemei-
ne Schuldenregelung" dar. Die Kündigungserklärung sei nicht wegen eines
Verstoßes gegen § 9 Abs. 2 Satz 2 der Anleihebedingungen nach § 125 Satz 2
BGB formunwirksam, weil die Klägerin dem Kündigungsschreiben keine Be-
scheinigung ihrer Depotbank über ihre Anleiheinhaberschaft beigefügt habe.
Diese Bescheinigung habe die Klägerin bereits mit dem vorangegangenen
Kündigungsschreiben vom 31. Mai 2013 übersandt.
Das Kündigungsrecht der Klägerin sei nicht unter dem Gesichtspunkt von
Treu und Glauben ausgeschlossen. Aufgrund der Kündigung habe sie gegen-
über den anderen Anleihegläubigern keinen unzulässigen Sondervorteil erlangt,
sondern lediglich von den ihr nach den Anleihebedingungen zustehenden
Rechten Gebrauch gemacht. Eine wie auch immer geartete Treue- oder Sanie-
rungspflicht der Anleihegläubiger untereinander oder gegenüber der Emittentin
bestehe nicht. Es widerspreche auch nicht der Intention des Schuldverschrei-
bungsgesetzes, Gläubigern in bestimmten Phasen von Restrukturierungsmaß-
nahmen die Möglichkeit zu gewähren, der Emittentin ihr Kapital durch Kündi-
gung zu entziehen. Das in § 9 Abs. 1 Buchst. e der Anleihebedingungen für sol-
che Konstellationen vorgesehene Kündigungsrecht sei gerade das Korrelat da-
zu, dass Mehrheitsbeschlüsse der Gläubigerversammlung für alle Anleihegläu-
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biger verbindlich seien. Der Zeitpunkt des Erwerbs der Anleihen durch die Klä-
gerin erst nach Bekanntgabe finanzieller Schwierigkeiten der Beklagten sei für
die Ausübung des Kündigungsrechts unerheblich.
Schließlich werde durch den Vollzug des Beschlusses der Gläubigerver-
sammlung vom 5. August 2013 die Aktivlegitimation der Klägerin nicht berührt.
Insbesondere sei der Zahlungsanspruch der Klägerin als Hauptleistungspflicht
der Beklagten nicht durch den Umtausch der Anleihen unmöglich geworden.
Dieser Umtausch wirke sich nicht auf die Hauptleistungspflicht der Beklagten
zur Zahlung aus, sondern betreffe allein die Gegenleistungspflicht der Klägerin
auf Aushändigung der Anleihen. Aufgrund dessen stehe der Klägerin der Zah-
lungsanspruch nur gegen Aushändigung der substituierten Wertpapiere zu.
II.
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung in einem wesentli-
chen Punkt nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht
der Klägerin ein Anspruch gegen die Beklagte auf Rückzahlung der streitge-
genständlichen Teilschuldverschreibungen nicht zu, weil dieser Anspruch in
Vollziehung des Beschlusses der Gläubigerversammlung vom 5. August 2013
auf die als Abwicklungsstelle eingeschaltete Bank übergegangen und anschlie-
ßend der Beklagten erlassen worden ist.
1. Es kann dahinstehen, ob der Klägerin aufgrund der Verschlechterung
der Vermögenslage der Beklagten und der von ihr beabsichtigten Restrukturie-
rungsmaßnahmen hinsichtlich ihrer Finanzverbindlichkeiten ein außerordentli-
ches Kündigungsrecht nach § 9 Abs. 1 der Anleihebedingungen oder - was die
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Klägerin meint - nach §§ 314, 490 Abs. 1 BGB zugestanden und sie die von ihr
erworbenen Schuldverschreibungen wirksam gekündigt hat. Dies kann für das
Revisionsverfahren zugunsten der Klägerin unterstellt werden. Denn auch in
diesem Fall kann die Beklagte der Klägerin gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 der An-
leihebedingungen den Beschluss der Gläubigerversammlung vom 5. August
2013 mit der Folge entgegenhalten, dass die Teilschuldverschreibungen der
Klägerin auf die Abwicklungsstelle übertragen und der Beklagten das darin ver-
briefte Zahlungsversprechen erlassen worden ist, während die Klägerin im Ge-
genzug in entsprechender Anzahl Erwerbsrechte auf neue Aktien an der Be-
klagten und auf eine neu zu begebende Schuldverschreibung erhalten hat.
2. Der Beschluss der Gläubigerversammlung vom 5. August 2013 gilt für
alle Gläubiger, d.h. auch für diejenigen Gläubiger, die - wie hier zugunsten der
Klägerin unterstellt - die von ihnen gehaltenen Teilschuldverschreibungen zuvor
gekündigt haben.
a) Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 11 Abs. 2 Satz 1 der
Anleihebedingungen, die der Senat selbständig und ohne Bindung an die Aus-
legung des Berufungsgerichts auslegen kann (vgl. Senatsurteil vom 30. Juni
2009 - XI ZR 364/08, WM 2009, 1500 Rn. 20 mwN). Nach dieser Regelung, die
§ 5 Abs. 2 Satz 1 SchVG entspricht, sind Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger
für alle Gläubiger derselben Anleihe gleichermaßen verbindlich. Dies stimmt mit
der Regelung in § 4 Satz 2 SchVG überein, wonach der Schuldner die Gläubi-
ger gleich behandeln muss.
An der Gläubigerstellung der Klägerin ändert sich durch ihre Kündigung
nichts. Im Fall der außerordentlichen Kündigung der Schuldverschreibung bleibt
dessen Inhaber Gläubiger des Emittenten, bis dieser die Forderung vollständig
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erfüllt hat. Erst dann ist das Schuldverhältnis endgültig beendet. Die Kündigung
der Schuldverschreibung dient nur dazu, die Fälligkeit der darin verbrieften For-
derung herbeizuführen und dadurch den Leistungszeitpunkt festzulegen oder
vorzuverlegen. Inhalt und Umfang der in der Schuldverschreibung verbrieften
Forderung im Übrigen bleiben dagegen durch die Kündigung unberührt.
b) Weder aus den Anleihebedingungen noch aus den Vorschiften des
Schuldverschreibungsgesetzes ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass der
Fälligkeitszeitpunkt für deren Anwendbarkeit relevant wäre. Ganz im Gegenteil
spricht die Regelung in § 5 Abs. 5 SchVG für eine Anwendbarkeit des Gesetzes
auch nach einer Kündigung der Anleihe. Dies entspricht der ganz überwiegen-
den Auffassung in der Instanzrechtsprechung und in der Literatur (vgl. OLG
München, ZIP 2015, 2174, 2175, 2176; LG Bonn, Urteil vom 12. Januar 2015
- 9 O 153/14; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bank-
rechts-Kommentar, Kap. 17, § 4 SchVG Rn. 10; Friedl/Schmidtbleicher in
FraKommSchVG, § 5 Rn. 30; BK-InsO/Paul, Stand: Juli 2015, § 4 SchVG Rn. 9;
Röh/Dörfler in Preuße, SchVG, § 4 Rn. 60; Veranneman/Veranneman, SchVG,
§ 5 Rn. 15; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldver-
schreibungsgesetz, 2013, S. 129; Grell/Splittgerber/Schneider, DB 2015, 111,
112; Horn, BKR 2009, 446, 448; Ostermann, DZWiR 2015, 313, 316 f.; Paulus,
EWiR 2014, 481, 482; Seibt/Schwarz, ZIP 2015, 401, 411 ff.; aA OLG Köln, DB
2015, 2379, 2381; LG Bonn, ZIP 2014, 1073, 1075).
Dafür spricht auch, dass für den vergleichbaren Fall einer Beschlussfas-
sung der Gläubiger nach Ablauf der Laufzeit einer Anleihe auch der II. Zivilse-
nat des Bundesgerichtshofs ohne weiteres davon ausgegangen ist (vgl. BGH,
Urteil vom 1. Juli 2014 - II ZR 381/13, BGHZ 202, 7 Rn. 13).
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Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Merkmal "während der Laufzeit"
in § 4 Satz 1 SchVG. Diesem Kriterium, das im Übrigen vorliegend erfüllt wäre,
weil die Beschlussfassung der Gläubigerversammlung vor Ablauf der regulären
Fälligkeit der Anleihe im Jahr 2016 erfolgt ist, kommt bis zur vollständigen Erfül-
lung der Anleihe keine eigenständige Bedeutung zu (vgl. BGH, Urteil vom 1. Juli
2014 - II ZR 381/13, BGHZ 202, 7 Rn. 13; Bliesener/Schneider in
Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Kap. 17, § 4 SchVG
Rn. 10; Friedl/Schmidtbleicher in FraKommSchVG, § 4 Rn. 37; Veranneman/
Oulds, SchVG, § 4 Rn. 34; Horn, BKR 2009, 446, 448).
Soweit die Revisionserwiderung ihre gegenteilige Auffassung damit be-
gründet, dass Nummer 2.9 des Beschlusses der Gläubigerversammlung vom
5. August 2013 einen (zeitlichen) Kündigungsverzicht erst mit Wirkung ex nunc
beinhalte und deshalb die Kündigung der Klägerin unberührt lasse, bleibt dies
ohne Erfolg. Die Beschlussfassung zur Änderung des Kündigungsrechts ist von
der Beschlussfassung über den Umtausch der Anleihe in neue Aktien und neue
besicherte Schuldverschreibungen in Nummer 2.3 des Beschlusses der Gläubi-
gerversammlung zu unterscheiden. Letzterer schließt alle Anleihegläubiger ein.
c) Dieses Auslegungsergebnis wird durch die Gesetzesmaterialien unter-
strichen. Darin heißt es, dass die konkrete Reichweite der kollektiven Bindung
der Änderungen der Anleihebedingungen durch den Gesetzgeber nicht ab-
schließend bestimmt werden kann. Sie soll jedenfalls so weit reichen, wie es
der mit ihr verfolgte Zweck gebiete. Im Regelfall sei von der kollektiven Bindung
auszugehen (BT-Drucks. 16/12814, S. 17). Der Gesetzgeber ist damit im
Grundsatz von der Verbindlichkeit eines Beschlusses der Gläubiger für alle
Gläubiger, also auch für diejenigen, die die Anleihe gekündigt haben, ausge-
gangen.
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d) Dafür sprechen schließlich entscheidend der Sinn und Zweck des § 5
Abs. 2 Satz 1 SchVG, dem § 11 Abs. 2 Satz 1 der Anleihebedingungen nach-
gebildet ist. Das Schuldverschreibungsgesetz, insbesondere seine beiden
Kernvorschriften der §§ 4, 5 SchVG, dient dem Ziel, die Gläubiger einer Anleihe
in der Krise des Schuldners auf der Grundlage vollständiger und richtiger Infor-
mationen sowie in einem geordneten, fairen und transparenten Verfahren an
dessen vorinsolvenzrechtlicher Sanierung gleichmäßig zu beteiligen (vgl.
BT-Drucks. 16/12814, S. 13 f.). Den Gläubigern der Anleihe muss diese Mög-
lichkeit, mit der zugleich eine "Beschränkung ihrer individuellen Rechtsmacht"
(BT-Drucks. 16/12814, S. 17) verbunden ist, dadurch deutlich vor Augen geführt
werden, dass sich diese - wie vorliegend - aus den Anleihebedingungen ergibt
(§ 2 Satz 1, § 5 Abs. 1 Satz 1 SchVG).
Mit diesem Gesetzeszweck wäre es nicht zu vereinbaren, wenn Gläubi-
ger, die die Schuldverschreibung vor der Beschlussfassung durch die Gläubiger
oder sogar noch bis zum Vollzug eines solchen Beschlusses nach § 21 Abs. 1
Satz 1 SchVG (sog. Skripturakt) gekündigt haben, die Verbindlichkeit dieses
Beschlusses nach § 5 Abs. 2 Satz 1 SchVG bzw. hier § 11 Abs. 2 Satz 1 der
Anleihebedingungen nicht gegen sich gelten lassen müssten. Ohne eine Betei-
ligung aller Gläubiger und einen kollektiven Forderungsverzicht würden der Er-
folg der Sanierungsbemühungen nachhaltig gefährdet und - sollte eine solche
"Ausstiegsmöglichkeit" eröffnet sein - das Schuldverschreibungsgesetz seine
praktische Bedeutung verlieren. Aufgrund dessen räumen die Kündigungstat-
bestände des § 9 Abs. 1 der Anleihebedingungen dem einzelnen Gläubiger
nicht die Möglichkeit ein, seine Einzelforderung einer Mehrheitsentscheidung
aller Gläubiger zu entziehen.
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e) Gegen dieses Auslegungsergebnis spricht nicht die Vorschrift in § 5
Abs. 5 SchVG, der die Rücknahme einer "Gesamtkündigung" durch einen
Mehrheitsbeschluss regelt. Dieser Bestimmung lässt sich nicht entnehmen,
dass die Rechtswirkungen einer Individualkündigung von einem Mehrheitsbe-
schluss nach § 5 Abs. 2 Satz 1 SchVG unberührt bleiben sollen. Vielmehr soll
§ 5 Abs. 5 SchVG lediglich der Mehrheit der Gläubiger ermöglichen, einen von
einer Minderheit verursachten erheblichen Liquiditätsabfluss bei dem Emitten-
ten zu unterbinden (vgl. Friedl/Schmidtbleicher in FraKommSchVG, § 5 Rn. 99).
Es handelt sich dabei um eine spezielle Regelung einer Restrukturierungsmaß-
nahme, die von den übrigen in § 5 Abs. 3 SchVG genannten Maßnahmen, die
eine Änderung der Anleihebedingungen zum Gegenstand haben, unabhängig
ist und auch isoliert beschlossen werden kann, so dass sie einen eigenständi-
gen Regelungsbereich aufweist.
f) Eine unzulässige Rückwirkung, die bei der rückwirkenden Anwendung
von Gesetzen auf einen abgeschlossenen Sachverhalt die Frage nach ihrer
Zulässigkeit aufwirft (vgl. dazu BGH, Urteil vom 1. Juli 2014 - II ZR 381/13,
BGHZ 202, 7 Rn. 12), ist damit nicht verbunden. Die Möglichkeit einer Um-
wandlung der Teilschuldverschreibungen in Gesellschaftsanteile, andere Wert-
papiere oder andere Leistungsversprechen war in § 11 Abs. 1 Satz 1 der Anlei-
hebedingungen i.V.m. § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 SchVG von vornherein vorgese-
hen.
g) Da § 11 Abs. 2 Satz 1 der Anleihebedingungen auch gekündigte
Schuldverschreibungen erfasst, bedarf es - was teilweise im Schrifttum erörtert
wird (vgl. Ostermann, DZWiR 2015, 313, 315; Seibt/Schwarz, ZIP 2015, 401,
412) - keiner wie auch immer gestalteten Rücknahme der Kündigung. Vielmehr
ist vorliegend mit Wirksamwerden des Beschlusses der Gläubigerversammlung
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vom 5. August 2013 auch der Rückzahlungsanspruch der Klägerin nach den
Maßgaben dieses Beschlusses auf die Abwicklungsstelle übertragen worden.
Die von der Klägerin ausgesprochene(n) Kündigung(en) sind damit gegen-
standslos geworden. Dies gilt auch im Hinblick auf die Kündigung vom 18. Juli
2013, die sie mit einer verzögert erfolgten Zinszahlung begründete. Denn auch
diese Zinszahlung war Gegenstand von Nummer 2.9 des Beschlusses der
Gläubigerversammlung vom 5. August 2013.
3. Gegen die Wirksamkeit des § 11 Abs. 2 Satz 1 der Anleihebedingun-
gen und des Beschlusses der Gläubigerversammlung vom 5. August 2013 be-
stehen keine rechtlichen Bedenken. § 11 der Anleihebedingungen entspricht
§ 5 SchVG, so dass die Regelung - was zwischen den Parteien auch nicht in
Streit steht - einer Inhaltskontrolle nach §§ 307 bis 309 BGB (vgl. dazu Senats-
urteil vom 30. Juni 2009 - XI ZR 364/08, WM 2009, 1500 Rn. 23 mwN) jeden-
falls standhält (vgl. BT-Drucks. 16/12814, S. 13 f.). Anhaltspunkte für eine Nich-
tigkeit des Beschlusses der Gläubigerversammlung (vgl. dazu BGH, Urteil vom
1. Juli 2014 - II ZR 381/13, BGHZ 202, 7 Rn. 15 ff.) sind weder vorgetragen
noch sonst ersichtlich; insbesondere sieht der Beschluss keine "nicht gleichen
Bedingungen für alle Gläubiger" im Sinne der § 11 Abs. 2 Satz 2 der Anlei-
hebedingungen, § 5 Abs. 2 Satz 2 SchVG vor. Vielmehr werden alle Gläubiger
gleich behandelt.
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III.
Das angefochtene Urteil war demnach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO).
Da keine weiteren Feststellungen zu treffen sind, konnte der Senat in der Sache
selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO) und die Berufung der Klägerin gegen
das landgerichtliche Urteil insgesamt zurückweisen.
Ellenberger
Grüneberg
Maihold
Menges
Derstadt
Vorinstanzen:
LG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 25.04.2014 - 2-18 O 429/13 -
OLG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 17.09.2014 - 4 U 97/14 -
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