Urteil des BGH vom 08.05.2012

Leitsatzentscheidung zu Rückvergütung, Allgemeine Lebenserfahrung, Fonds, Beweislastumkehr, Positives Interesse

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XI ZR 262/10
Verkündet am:
8. Mai 2012
Herrwerth,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
BGB § 252 Satz 2, § 280 Abs. 1;
ZPO § 286 Abs. 1 Satz 1 B, G, § 287 Abs. 1, § 445
a) Derjenige, der vertragliche oder vorvertragliche Aufklärungspflichten verletzt hat,
ist beweispflichtig dafür, dass der Schaden auch eingetreten wäre, wenn er sich
pflichtgemäß verhalten hätte, der Geschädigte den Rat oder Hinweis also unbe-
achtet gelassen hätte (Bestätigung von Senatsurteil vom 16. November 1993
- XI ZR 214/92, BGHZ 124, 151, 159 f.).
b) Diese Beweislastumkehr greift bereits bei feststehender Aufklärungspflichtverlet-
zung ein. Es kommt bei Kapitalanlagefällen nicht darauf an, ob ein Kapitalanleger
bei gehöriger Aufklärung vernünftigerweise nur eine Handlungsalternative gehabt
hätte, er sich also nicht in einem Entscheidungskonflikt befunden hätte. Das Ab-
stellen auf das Fehlen eines Entscheidungskonflikts ist mit dem Schutzzweck der
- 2 -
Beweislastumkehr nicht zu vereinbaren (Aufgabe von Senatsurteil vom
16. November 1993 - XI ZR 214/92, BGHZ 124, 151, 161).
c) Zur Pflicht des Tatgerichts, den von der Beklagten benannten Kläger als Par-
tei zu der Behauptung zu vernehmen, der Kläger hätte die Anlage auch bei
Kenntnis von Rückvergütungen erworben.
d) Zur Würdigung von Hilfstatsachen, die den Schluss darauf zulassen, der An-
leger hätte die empfohlene Kapitalanlage auch bei Kenntnis von Rückvergü-
tungen erworben.
e) Zur Schätzung des entgangenen Gewinns, der nach dem gewöhnlichen Lauf
der Dinge mit einem anderen Anlagegeschäft erzielt worden wäre.
BGH, Urteil vom 8. Mai 2012 - XI ZR 262/10 - OLG Frankfurt am Main
LG Frankfurt am Main
- 3 -
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 8. Mai 2012 durch den Vorsitzenden Richter Wiechers und die Richter
Dr. Ellenberger, Maihold, Dr. Matthias und Pamp
für Recht erkannt:
Unter Zurückweisung der Anschlussrevision des Klägers wird auf
die Revision der Beklagten das Urteil des 19. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 30. Juni 2010 insoweit
aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens,
an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger nimmt die beklagte Bank auf Rückabwicklung der Beteiligung
an der F. Medienfonds 3 GmbH & Co. KG (im Folgen-
den: V 3) in Anspruch.
Der Kläger zeichnete nach vorheriger Beratung durch den Mitarbeiter
S. der Beklagten am 4. September 2003 eine Beteiligung an V 3 im
Nennwert von 35.000
€ zuzüglich Agio in Höhe von 1.750 €. Der Kläger erhielt
den Fondsprospekt ausgehändigt und unterzeichnete des Weiteren einen so-
1
2
- 4 -
genannten Vermögensanlage-Bogen, durch den er sich damit einverstanden
erklärte, dass der Beklagten "im Zusammenhang mit der Abwicklung von Wert-
papiergeschäften Geldzahlun
gen oder geldwerte Vorteile … durch Dritte ge-
währt werden".
Nach dem Inhalt des Verkaufsprospekts sollten 8,9% der Zeichnungs-
summe und außerdem das Agio in Höhe von 5% zur Eigenkapitalvermittlung
durch die V. AG (im Folgenden: V. AG) verwendet wer-
den. Die V. AG durfte laut Prospekt ihre Rechte und Pflichten aus der Ver-
triebsvereinbarung auf Dritte übertragen. Die Beklagte erhielt für den Vertrieb
der Anteile Provisionen in Höhe von 8,25% der Zeichnungssumme, ohne dass
dies dem Kläger im Beratungsgespräch offengelegt wurde.
Bereits zuvor, im Jahr 2002, hatte sich der Kläger durch Vermittlung der
Beklagten an dem Filmfonds " A. GmbH & Co. KG"
(nachfolgend: A. II) beteiligt. Auf Seite 28 des Prospektes zu diesem
Fonds war mitgeteilt worden, dass die Beklagte für die Eigenkapitalvermittlung
eine Vergütung von 8,5% des Zeichnungskapitals erhielt. Die Beklagte hat den
Kläger im Rahmen dieser früheren Beteiligung auf die damalige Vergütung von
8,5% hingewiesen.
Der Kläger verlangt mit seiner Klage unter Berufung auf mehrere Aufklä-
rungs- und Beratungsfehler Rückzahlung des eingesetzten Kapitals in Höhe
von 36.750
€ sowie Erstattung von 1.996 € an das Finanzamt zu zahlender Zin-
sen wegen Aberkennung der zunächst gewährten Steuervorteile Zug um Zug
gegen Übertragung der Beteiligung nebst Verzugszinsen ab Rechtshängigkeit.
Ferner begehrt er entgangenen Gewinn in Höhe von 4% p.a. aus 36.750
€ ab
Zahlung des Zeichnungsbetrages bis zur Rechtshängigkeit der Klage sowie die
Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.633,87
€ nebst
3
4
5
- 5 -
Zinsen. Darüber hinaus begehrt der Kläger Feststellung einer Ersatzpflicht der
Beklagten für wirtschaftliche und steuerliche Nachteile, weil er nicht sogleich
ohne Berücksichtigung seiner Beteiligung an V 3 einkommensteuerlich veran-
lagt wurde, sowie die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten. Das
Landgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben, allerdings bezüglich
der an das Finanzamt zu entrichtenden Zinsen lediglich in Höhe von 998
€. Auf
die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht unter Zurückweisung im
Übrigen entgangenen Gewinn lediglich in Höhe von 2% p.a. zugesprochen so-
wie die Klage hinsichtlich der geltend gemachten Rechtsanwaltskosten sowie
der begehrten Feststellung der weiteren Schadensersatzpflicht abgewiesen.
Mit ihrer - vom Berufungsgericht zugelassenen - Revision begehrt die
Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage. Der Kläger verfolgt mit seiner An-
schlussrevision sein Begehren hinsichtlich des entgangenen Gewinns in Höhe
von weiteren 2% p.a., der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten und des Fest-
stellungsantrags weiter.
Entscheidungsgründe:
A. Revision der Beklagten
Die Revision der Beklagten ist begründet und führt zur Aufhebung des
angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsge-
richt, soweit zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist.
6
7
- 6 -
I.
Das Berufungsgericht (BeckRS 2010, 19011) hat zur Begründung seiner
Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse, im We-
sentlichen ausgeführt:
Zwischen dem Kläger und der Beklagten sei zumindest konkludent ein
Beratungsvertrag zustande gekommen. Aufgrund dessen sei die Beklagte ver-
pflichtet gewesen, den Kläger darauf hinzuweisen, dass sie eine Provision in
Höhe von 8,25% des Zeichnungskapitals erhalte. Es habe sich dabei um eine
aufklärungspflichtige Rückvergütung gehandelt. Zwar werde im Verkaufspros-
pekt ausgeführt, dass neben dem Agio weitere Kosten für die Eigenkapitalver-
mittlung anfallen würden, die V. AG für den Anteilsvertrieb Provisionen erhalte
und den entgeltlichen Vertrieb auf Dritte übertragen könne. Dadurch würde der
Anleger aber nicht ausreichend über die anfallende Rückvergütung aufgeklärt.
Der Anleger könne aufgrund dieser Angaben allenfalls spekulieren, dass die
Beklagte eine jener Dritten sei, der die V. AG die Vertriebstätigkeit übertragen
habe. Der Anleger müsse aber nicht damit rechnen, dass die beklagte Bank bei
einer Anlageempfehlung eigene Interessen verfolge. Mithin sei der Rückfluss
"hinter dem Rücken des Kunden" erfolgt.
Durch den Vermögensanlage-Bogen habe die Beklagte ihrer Aufklä-
rungspflicht ebenfalls nicht Genüge getan. Dort werde nur offen gelegt, dass die
Beklagte bei der Abwicklung von Wertpapiergeschäften Provisionen erhalten
könne. Der Kläger sei damit nicht darüber aufgeklärt worden, dass gerade bei
dem betreffenden Geschäft Provisionen anfielen.
Den vermuteten Schuldvorwurf habe die Beklagte nicht entkräften kön-
nen. Insbesondere habe sich die Beklagte nicht in einem unvermeidbaren
Rechtsirrtum befunden. Bereits seit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs
8
9
10
11
- 7 -
vom 19. Dezember 2000 (XI ZR 349/99) habe die Beklagte damit rechnen müs-
sen, dass sie empfangene Rückvergütungen offen zu legen habe.
Für den Kläger streite die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens.
Die Beklagte habe die Ursächlichkeit nicht dadurch widerlegt, dass sie ausfüh-
re, dass im Streitfall weitere Verhaltensalternativen ernsthaft in Betracht ge-
kommen wären. Die Beklagte äußere auch nur eigene Plausibilitätsgedanken in
Bezug auf die Interessen eines Anlegers und seinen Erfahrungshorizont, die zu
der Person des Klägers keinen konkreten Bezug hätten. Die Kausalitätsvermu-
tung sei auch nicht dadurch widerlegt, dass der Kläger bereits zu einem frühe-
ren Zeitpunkt den Filmfonds A. II gezeichnet habe. Zwar habe die Be-
klagte den Kläger im Rahmen dieser Beteiligung auf die damalige Vergütung
von 8,5% hingewiesen, jedoch werde jede Anlageentscheidung individuell unter
Berücksichtigung der jeweiligen Umstände getroffen. Die frühere Beteiligung an
einem Filmfonds trotz Kenntnis einer konkreten Rückvergütung stelle deshalb
keine tragfähige Grundlage für die Schlussfolgerung dar, Rückvergütungen hät-
ten bei allen weiteren Anlageentscheidungen ebenfalls keine Bedeutung ge-
habt.
Der Schadensersatzanspruch des Klägers richte sich darauf, so gestellt
zu werden, wie er stünde, wenn er der Gesellschaft nicht beigetreten wäre. Da-
nach habe das Landgericht die Beklagte zu Recht zur Rückzahlung der Einlage
nebst Agio und der an das Finanzamt entrichteten "Säumniszuschläge" (richtig:
Zinsen nach § 233a AO) nebst gesetzlicher Verzugszinsen Zug-um-Zug gegen
Übertragung der Rechte aus der Beteiligung verurteilt. Soweit das Landgericht
den "Säumniszuschlag" nur in Höhe von 998
€ zugesprochen habe, habe es bei
diesem Betrag zu verbleiben, da das Urteil insoweit nicht angegriffen werde.
12
13
- 8 -
II.
Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Nach den rechtsfehlerfreien und von der Revision nicht angegriffenen
Feststellungen des Berufungsgerichts ist zwischen dem Kläger und der Beklag-
ten in Bezug auf V 3 stillschweigend ein Anlageberatungsvertrag zustande ge-
kommen.
2. Das Berufungsgericht ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass die
Beklagte aufgrund des Beratungsvertrags verpflichtet war, den Kläger über die
von ihr vereinnahmte Provision in Höhe von 8,25% des Zeichnungskapitals auf-
zuklären.
a) Nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats ist eine Bank aus
dem Anlageberatungsvertrag verpflichtet, über die von ihr vereinnahmte Rück-
vergütung aus offen ausgewiesenen Vertriebsprovisionen ungefragt aufzuklären
(Senatsbeschlüsse vom 9. März 2011 - XI ZR 191/10, WM 2011, 925 Rn. 20
und vom 20. Januar 2009 - XI ZR 510/07, WM 2009, 405 Rn. 12 f.; Senatsurteil
vom 19. Dezember 2006 - XI ZR 56/05, BGHZ 170, 226 Rn. 22 f.). Aufklä-
rungspflichtige Rückvergütungen sind - regelmäßig umsatzabhängige - Provisi-
onen, die im Gegensatz zu versteckten Innenprovisionen nicht aus dem Anla-
gevermögen, sondern aus offen ausgewiesenen Provisionen wie zum Beispiel
Ausgabeaufschlägen und Verwaltungsvergütungen gezahlt werden, deren
Rückfluss an die beratende Bank aber nicht offenbart wird, sondern hinter dem
Rücken des Anlegers erfolgt. Hierdurch kann beim Anleger zwar keine Fehlvor-
stellung über die Werthaltigkeit der Anlage entstehen, er kann jedoch das be-
sondere Interesse der beratenden Bank an der Empfehlung gerade dieser An-
lage nicht erkennen (Senatsbeschluss vom 9. März 2011 - XI ZR 191/10, WM
2011, 925 Rn. 25; die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hat das
14
15
16
17
- 9 -
BVerfG, ZIP 2012, 164 nicht zur Entscheidung angenommen; ferner Senatsbe-
schluss vom 20. Januar 2009 - XI ZR 510/07, WM 2009, 405 Rn. 12 f.; Senats-
urteil vom 19. Dezember 2006 - XI ZR 56/05, BGHZ 170, 226 Rn. 22).
b) Danach handelt es sich hier - entgegen der Auffassung der Revision -
um aufklärungspflichtige Rückvergütungen (für denselben Fonds bereits Se-
natsbeschluss vom 9. März 2011 - XI ZR 191/10, WM 2011, 925 Rn. 21 ff.; die
dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG, ZIP 2012, 164
nicht zur Entscheidung angenommen; ferner Senatsbeschluss vom 20. Januar
2009 - XI ZR 510/07, WM 2009, 405 Rn. 12 f.; Senatsurteil vom 19. Dezember
2006 - XI ZR 56/05, BGHZ 170, 226 Rn. 22). Die von der Beklagten verein-
nahmten Provisionen in Höhe von 8,25% des Zeichnungskapitals waren nicht in
den Anschaffungs- und Herstellungskosten des Fondsobjekts versteckt, son-
dern flossen aus den offen ausgewiesenen Kosten der "Eigenkapitalvermitt-
lung" an die Beklagte. Auf einen Abfluss aus dem Agio kommt es nicht ent-
scheidend an (Senatsbeschluss vom 9. März 2011 - XI ZR 191/10, WM 2011,
925 Rn. 24; die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG,
ZIP 2012, 164 Rn. 25 nicht zur Entscheidung angenommen; ferner Senatsbe-
schluss vom 20. Januar 2009 - XI ZR 510/07, WM 2009, 405 Rn. 12 f.; Senats-
urteil vom 19. Dezember 2006 - XI ZR 56/05, BGHZ 170, 226 Rn. 22). Entge-
gen der Auffassung der Revision kommt es auch nicht darauf an, ob die Zah-
lung des Anlegers "über die Bank" oder direkt an die Fondsgesellschaft erfolgt
(OLG Stuttgart, WM 2011, 360, 362).
3. Zutreffend hat das Berufungsgericht weiterhin angenommen, dass ei-
ne ordnungsgemäße Aufklärung des Klägers über diese Rückvergütung durch
die Beklagte weder mündlich noch durch Übergabe von Informationsmaterial
erfolgt ist.
18
19
- 10 -
a) Die Aufklärung ist nicht durch die Übergabe des Fondsprospektes er-
folgt. Grundsätzlich kann eine Aufklärung über Rückvergütungen auch mittels
der Übergabe eines Prospektes erfolgen, in dem die beratende Bank als Emp-
fängerin der der Höhe nach korrekt angegebenen Vertriebsprovisionen aus-
drücklich genannt ist (Senatsbeschluss vom 24. August 2011 - XI ZR 191/10,
WM 2011, 1804 Rn. 6 ff. mwN zur entsprechenden Sachverhaltskonstellation
im Senatsurteil vom 27. Oktober 2009 - XI ZR 338/08, WM 2009, 2306 Rn. 31,
dazu auch Ellenberger in Ellenberger/Schäfer/Clouth/Lang, Praktikerhandbuch
Wertpapier- und Derivategeschäft, 4. Aufl. Rn. 1061 und Fn. 1189 mwN).
Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der Prospekt dem Anleger so
rechtzeitig vor der Anlageentscheidung übergeben wird, dass er sich mit sei-
nem Inhalt vertraut machen konnte (Senatsurteile vom 27. Oktober 2009
- XI ZR 338/08, WM 2009, 2306 Rn. 31 und vom 25. September 2007 - XI ZR
320/06, BKR 2008, 199 Rn. 17; vgl. auch BGH, Urteil vom 12. Juli 2007 - III ZR
145/06, WM 2007, 1608 Rn. 9 mwN). Nach den tatbestandlichen Feststellungen
des Berufungsgerichts hat der Kläger den Prospekt erst im Beratungsgespräch,
in dem er auch die Anlage zeichnete, übergeben bekommen. Die Übergabe in
unmittelbarem Zusammenhang mit der Zeichnung wäre - wie das Berufungsge-
richt rechtsfehlerfrei angenommen hat - nicht so rechtzeitig vor der Anlageent-
scheidung, dass der Kläger sich mit dem Inhalt des 101 Seiten umfassenden
Prospektes hätte vertraut machen können. Ein Anleger, dem ein Prospekt nicht
rechtzeitig übergeben wird, darf diesen unbeachtet lassen; er muss ihn insbe-
sondere nach der getroffenen Anlageentscheidung nicht mehr durchlesen (vgl.
auch BGH, Urteil vom 8. Juli 2010 - III ZR 249/09, BGHZ 186, 152 Rn. 33).
Soweit die Revision in Bezug auf die Feststellung des Berufungsgerichts
zum Zeitpunkt der Prospektübergabe Verfahrensmängel rügt, bedarf dies keiner
abschließenden Klärung, weil auch bei rechtzeitiger Übergabe des Prospektes
20
21
22
- 11 -
die erforderliche Aufklärung über Rückvergütungen durch den Prospekt nicht
erfolgt ist. Wie der Senat bereits entschieden hat (Senatsbeschluss vom
9. März 2011 - XI ZR 191/10, WM 2011, 925 Rn. 27), geht aus dem Prospekt zu
V 3 bei der gebotenen objektiven und daher vom Senat selbst vorzunehmenden
Auslegung (BGH, Urteile vom 22. März 2007 - III ZR 218/06, WM 2007, 873
Rn. 6 und vom 19. Juli 2011 - II ZR 300/08, WM 2011, 1658 Rn. 46; BGH, Be-
schluss vom 1. August 2007 - III ZR 300/05, juris Rn. 2) nicht hervor, dass die
Beklagte Empfängerin der dort genannten Vertriebsprovisionen oder des Agios
sein sollte. Empfängerin sollte vielmehr ausdrücklich die V. AG sein. Dem Pros-
pekt lässt sich an keiner Stelle entnehmen, dass die Beklagte von dieser einen
Teil der Vertriebsprovisionen erhalten sollte. Das ergibt sich auch nicht aus der
Tatsache, dass die V. AG berechtigt sein sollte, Dritte einzuschalten. Selbst
wenn daraus jedoch hervorgehen sollte, dass damit auch die Beklagte gemeint
war, so ist dem Prospekt jedenfalls nicht zu entnehmen, in welcher Höhe Rück-
vergütungen an die Beklagte geflossen sind. Insbesondere auch die Höhe der
Rückvergütung muss aber nach der Senatsrechtsprechung von der Bank unge-
fragt offen gelegt werden (Senatsbeschluss vom 9. März 2011 - XI ZR 191/10,
WM 2011, 925 Rn. 27 und Senatsurteil vom 19. Dezember 2006 - XI ZR 56/05,
BGHZ 170, 226 Rn. 24).
b) Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht auch eine ordnungsgemäße
Aufklärung durch den Vermögensanlage-Bogen verneint. Entgegen der Ansicht
der Revision kann aus dem Einverständnis des Klägers mit Provisionszahlun-
gen bei Wertpapiergeschäften nicht auf sein Einverständnis mit Rückvergütun-
gen im vorliegenden Fall geschlossen werden (vgl. Senatsbeschluss vom
19. Juli 2011 - XI ZR 191/10, WM 2011, 1506 Rn. 9).
4. Schließlich hat das Berufungsgericht rechts- und verfahrensfehlerfrei
das Verschulden der Beklagten bejaht.
23
24
- 12 -
Wie der Senat bereits mit Beschluss vom 29. Juni 2010 (XI ZR 308/09,
WM 2010, 1694 Rn. 5 ff. mwN) entschieden und eingehend begründet hat,
kann sich eine anlageberatende Bank jedenfalls für die Zeit nach 1990 hinsicht-
lich ihrer Aufklärungspflicht über Rückvergütungen nicht auf einen unvermeid-
baren Rechtsirrtum berufen. Soweit die Revision aus der Unterscheidung der
Rechtsprechung zu Innenprovisionen und Rückvergütungen etwas anderes her-
leiten will, kann sie damit nicht durchdringen. Dass verheimlichte Rückflüsse
aus offen ausgewiesenen Vertriebsprovisionen aufklärungspflichtig sind, konnte
der veröffentlichten Rechtsprechung zum Zeitpunkt der streitigen Anlagebera-
tung entnommen werden, wie der Senat bereits zum selben Fonds entschieden
hat (Senatsbeschluss vom 19. Juli 2011 - XI ZR 191/10, WM 2011, 1506
Rn. 10 ff., mwN; die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hat das
BVerfG, ZIP 2012, 164 Rn. 15 nicht zur Entscheidung angenommen).
5. Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung jedoch nicht
stand, soweit das Berufungsgericht die Kausalität der Aufklärungspflichtverlet-
zung für den Erwerb der Fondsbeteiligung durch den Kläger bejaht hat.
a) Zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass die
Beklagte die Darlegungs- und Beweislast für ihre Behauptung trägt, der Kläger
hätte die Beteiligung auch bei gehöriger Aufklärung über die Rückvergütung
erworben.
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist derjeni-
ge, der vertragliche oder vorvertragliche Aufklärungspflichten verletzt hat, be-
weispflichtig dafür, dass der Schaden auch eingetreten wäre, wenn er sich
pflichtgemäß verhalten hätte, der Geschädigte den Rat oder Hinweis also un-
beachtet gelassen hätte (Senatsurteile vom 22. März 2011 - XI ZR 33/10,
BGHZ 189, 13 Rn. 40; vom 12. Mai 2009 - XI ZR 586/07, WM 2009, 1274
25
26
27
28
- 13 -
Rn. 22 und vom 16. November 1993 - XI ZR 214/92, BGHZ 124, 151, 159; Se-
natsbeschlüsse vom 9. März 2011 - XI ZR 191/10, WM 2011, 925 Rn. 33 und
vom 9. Februar 2010 - XI ZR 70/09, juris Rn. 18; BGH, Urteile vom 22. Mai
1985 - IV ZR 190/83, BGHZ 94, 356, 363; vom 28. November 1983 - II ZR
72/83, WM 1984, 221, 222; vom 8. Juni 1978 - III ZR 136/76, BGHZ 72, 92,
106; vom 19. Februar 1975 - VIII ZR 144/73, BGHZ 64, 46, 51 und vom 5. Juli
1973 - VII ZR 12/73, BGHZ 61, 118, 121 f.; auch BVerfG, ZIP 2012, 164
Rn. 20). Diese sogenannte "Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens" gilt für
alle Aufklärungs- und Beratungsfehler eines Anlageberaters (Senatsurteil vom
22. März 2011 - XI ZR 33/10, BGHZ 189, 13 Rn. 40), insbesondere auch dann,
wenn Rückvergütungen pflichtwidrig nicht offengelegt wurden (Senatsurteil vom
12. Mai 2009 - XI ZR 586/07, WM 2009, 1274 Rn. 22).
Hierbei handelt es sich nicht lediglich um eine Beweiserleichterung im
Sinne eines Anscheinsbeweises, sondern um eine zur Beweislastumkehr füh-
rende widerlegliche Vermutung (BVerfG, ZIP 2012, 164 Rn. 20; Senatsbe-
schluss vom 9. März 2011 - XI ZR 191/10, WM 2011, 925 Rn. 33; Senatsurteil
vom 16. November 1993 - XI ZR 214/92, BGHZ 124, 151, 160; BGH, Urteile
vom 22. März 2010 - II ZR 66/08, WM 2010, 972 Rn. 23; vom 19. Februar 1975
- VIII ZR 144/73, BGHZ 64, 46, 51 und vom 5. Juli 1973 - VII ZR 12/73,
BGHZ 61, 118, 120 ff.; offen gelassen in BGH, Urteil vom 9. Februar 2006
- III ZR 20/05, WM 2006, 668, 671; aA zuletzt Piekenbrock, WM 2012, 429,
439).
bb) Der Senat hat die Beweislastumkehr bislang allerdings davon ab-
hängig gemacht, dass es für den Vertragspartner nicht mehrere, sondern ver-
nünftigerweise nur eine Möglichkeit aufklärungsrichtigen Verhaltens gab, die
gehörige Aufklärung beim Vertragspartner also keinen Entscheidungskonflikt
ausgelöst hätte (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 9. März 2011 - XI ZR 191/10,
29
30
- 14 -
WM 2011, 925 Rn. 34; Senatsurteile vom 19. September 2006 - XI ZR 204/04,
BGHZ 169, 109 Rn. 43, vom 13. Juli 2004 - XI ZR 178/03, BGHZ 160, 58, 66,
vom 7. Mai 2002 - XI ZR 197/01, BGHZ 151, 5, 12 und vom 16. November 1993
- XI ZR 214/92, BGHZ 124, 151, 161).
Der Senat hat den Terminus eines "Entscheidungskonflikts" ursprünglich
der Rechtsprechung zur Arzthaftung entnommen (Senatsurteil vom 19. De-
zember 1989 - XI ZR 29/89, WM 1990, 681, 683 mwN). In jenem Rechtsgebiet
hat er aber eine andere Bedeutung, die - wie die Arzthaftungsrechtsprechung
insgesamt - mit Fällen der vorliegenden Art nicht vergleichbar ist (vgl. u.a. BGH,
Urteile vom 22. November 1983 - VI ZR 85/82, BGHZ 89, 95, 103 und vom
28. März 1989 - VI ZR 157/88, NJW 1989, 2320, 2321 mwN). Bei der Arzthaf-
tung beruft sich der unzureichend aufgeklärte Patient gegenüber dem Einwand
des Arztes, der Patient hätte sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung nicht an-
ders entschieden, darauf, er hätte sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung durch
den Arzt in einem Entscheidungskonflikt befunden. Dementsprechend muss der
Patient den von ihm geltend gemachten Entscheidungskonflikt darlegen und
plausibel machen. Damit ist die Situation bei der Aufklärungspflichtverletzung
einer Bank nicht vergleichbar. Im Gegenteil ist es dort so, dass sich nicht der
unzureichend aufgeklärte Anleger, sondern die Bank, die ihre Aufklärungspflicht
verletzt hat, darauf beruft, der Anleger hätte sich bei ordnungsgemäßer Aufklä-
rung in einem Entscheidungskonflikt befunden und sich deswegen nicht not-
wendigerweise "aufklärungsrichtig" verhalten. Dementsprechend muss die Bank
darlegen und beweisen, dass sich der Anleger in einem Entscheidungskonflikt
befunden hätte (Senatsbeschluss vom 9. März 2011 - XI ZR 191/10, WM 2011,
925 Rn. 34 f., die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG,
ZIP 2012, 164 Rn. 23 nicht zur Entscheidung angenommen).
31
- 15 -
Nicht zuletzt wegen dieser Beweislastverteilung hat der Senat in der
Vergangenheit einen solchen Entscheidungskonflikt tatsächlich nur in zwei
Ausnahmefällen angenommen, nämlich aufgrund der festgestellten Umstände
bei spekulativen Geschäften am sogenannten "Neuen Markt" (Senatsurteil vom
13. Juli 2004 - XI ZR 178/03, BGHZ 160, 58, 66 f.) und bei einer Scheckabfrage
(Senatsurteil vom 10. Mai 1994 - XI ZR 115/93, WM 1994, 1466, 1467); ganz
überwiegend hat er ihn jedoch verneint (vgl. z.B. Senatsurteile vom 22. März
2010 - XI ZR 33/10, BGHZ 189, 13 Rn. 40, vom 19. September 2006 - XI ZR
204/04, BGHZ 169, 109 Rn. 43, vom 9. Juni 1998 - XI ZR 220/97, WM 1998,
1527, 1529, vom 11. März 1997 - XI ZR 92/96, WM 1997, 811, 813, vom
14. Mai 1996 - XI ZR 188/95, WM 1996, 1214, 1216, vom 16. November 1993
- XI ZR 214/92, BGHZ 124, 151, 161), insbesondere auch im Fall von ver-
schwiegenen Rückvergütungen (Senatsbeschluss vom 9. März 2011 - XI ZR
191/10, WM 2011, 925 Rn. 34 f.).
cc) Der Senat hält nach nochmaliger Überprüfung nicht daran fest, dass
die Kausalitätsvermutung nur dann eingreift, wenn der Anleger bei gehöriger
Aufklärung vernünftigerweise nur eine Handlungsalternative gehabt hätte, er
sich also nicht in einem Entscheidungskonflikt befunden hätte. Das Abstellen
auf das Fehlen eines Entscheidungskonflikts ist mit dem Schutzzweck der Be-
weislastumkehr nicht zu vereinbaren. Die Beweislastumkehr greift daher bereits
bei feststehender Aufklärungspflichtverletzung ein.
Auch die anderen Senate des Bundesgerichtshofs, die die Kausalitäts-
vermutung bei der Verletzung vertraglicher Aufklärungspflichten bejaht haben,
machen diese wegen des Schutzzwecks der Beweislastumkehr nicht davon
abhängig, dass es nur eine vernünftige Möglichkeit aufklärungsrichtigen Verhal-
tens gab, ein Entscheidungskonflikt also nicht vorlag. So ist etwa bei Ansprü-
chen wegen fehlerhafter Prospektangaben nach der Rechtsprechung des
32
33
34
- 16 -
II. Zivilsenats und des III. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs das Bestehen von
Handlungsalternativen von vornherein nicht geeignet, die Kausalitätsvermutung
zu entkräften (BGH, Urteile vom 31. Mai 2010 - II ZR 30/09, WM 2010, 1310
Rn. 18, vom 22. März 2010 - II ZR 66/08, WM 2010, 972 Rn. 19, vom 2. März
2009 - II ZR 266/07, WM 2009, 789 Rn. 6 und vom 14. Juni 2007 - III ZR
300/05, WM 2007, 1507 Rn. 21; BGH Beschluss vom 9. April 2009 - III ZR
89/08, juris Rn. 8; vgl. auch BGH, Urteile vom 5. Juli 1973 - VII ZR 12/73, BGHZ
61, 118, 123 f. zur Werbeberatung, vom 19. Februar 1975 - VIII ZR 144/73,
BGHZ 64, 46, 51 f. zur Hinweispflicht eines Verkäufers und vom 22. Mai 1985
- IVa ZR 190/83, BGHZ 94, 356, 363 f. zur Aufklärungs- und Beratungspflicht
des Versicherungsmaklers).
Der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - auch des Senats - zur
Kausalitätsvermutung bei Verletzung einer Aufklärungspflicht liegt die Erwä-
gung zugrunde, dass der Zweck der Aufklärungs- und Beratungspflichten, näm-
lich dem Anleger eine sachgerechte Entscheidung über den Abschluss be-
stimmter Geschäfte zu ermöglichen, nur erreicht wird, wenn Unklarheiten, die
durch eine Aufklärungspflichtverletzung bedingt sind, zu Lasten des Aufklä-
rungspflichtigen gehen, dieser die Nichtursächlichkeit seiner Pflichtverletzung
also zu beweisen hat (Senatsurteil vom 16. November 1993 - XI ZR 214/92,
BGHZ 124, 151, 160 mwN). Dem Ersatzberechtigten wäre wenig damit gedient,
wenn er seinen Vertragsgegner zwar an sich aus schuldhafter Verletzung einer
solchen Aufklärungspflicht in Anspruch nehmen könnte, aber regelmäßig daran
scheitern würde, den Beweis zu erbringen, wie er auf den Hinweis, wenn er
denn gegeben worden wäre, reagiert hätte. Der Aufklärungspflichtige dagegen
hätte wenig zu befürchten, wenn er sich bei Verletzung seiner Hinweispflicht
darauf zurückziehen könnte, dass kaum zu beweisen sei, was der andere Teil
auf den Hinweis hin getan hätte. Dadurch würde der mit der Aufklärungspflicht
verfolgte Schutzzweck verfehlt (BGH, Urteil vom 5. Juli 1973 - VII ZR 12/73,
35
- 17 -
BGHZ 61, 118, 121 f.). Die Beweislastumkehr beruht somit nicht auf der Vermu-
tung, der Anleger hätte sich in einer bestimmten Art und Weise verhalten, son-
dern ist durch den besonderen Schutzzweck der Aufklärungspflicht gerechtfer-
tigt.
Gerade wenn sich für den Kapitalanleger mehrere Handlungsalternativen
stellen, ist dessen Aufklärung und Beratung von besonderer Wichtigkeit, um
seine Entscheidungsfreiheit zu wahren (Canaris in Festschrift Hadding, 2004,
S. 3, 23; Roth, ZHR 154 (1990), 513, 532). Der Zweck der Aufklärungspflichten,
dem Anleger eine sachgerechte Entscheidung über den Abschluss bestimmter
Geschäfte zu ermöglichen, wird deshalb auch - oder erst recht - in solchen Fäl-
len, in denen die Aufklärung der Information zur freien Entscheidung des Anle-
gers dient, nur erreicht, wenn Unklarheiten, die durch eine Aufklärungspflicht-
verletzung bedingt sind, zu Lasten des Aufklärungspflichtigen gehen. Gerade
die zurückgehaltene Information wäre geeignet gewesen, den Anleger vom
empfohlenen Geschäft abzubringen. Stattdessen hat sich der Anleger jedoch
ohne diese (negative) Information für das Anlagegeschäft entschlossen. Das
Risiko der Unaufklärbarkeit muss demzufolge auch in den Fällen des Entschei-
dungskonflikts die beratende Bank tragen (Canaris in Festschrift Hadding,
2004, S. 3, 21 ff.; Roth, ZHR 154 (1990), 513, 530 ff.; aA Medicus in Festschrift
Picker, 2010, S. 619, 627; Stoll, AcP 176 (1976), S. 145, 160; Baumgärtel, Be-
weislastpraxis im Privatrecht, Rn. 541).
b) Das Berufungsgericht ist danach zutreffend von der Darlegungs- und
Beweislast der Beklagten für die mangelnde Kausalität der unterlassenen Auf-
klärung über die geflossenen Rückvergütungen für die Beteiligung des Klägers
an V 3 ausgegangen. Die Revision rügt allerdings zu Recht, dass das Beru-
fungsgericht den Vortrag der Beklagten, ihr Provisionsinteresse habe keinen
36
37
- 18 -
Einfluss auf die Anlageentscheidung des Klägers gehabt, insgesamt als unbe-
achtlich angesehen und angebotene Beweise nicht erhoben hat.
aa) Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht den Antrag der Beklagten
auf Vernehmung des Klägers als Partei (§ 445 Abs. 1 ZPO) für ihre Behaup-
tung, dass der Anteil, den sie aus den im Prospekt ausgewiesenen Vertriebs-
provisionen erhalten hat, für die Anlageentscheidung ohne Bedeutung gewesen
sei, unberücksichtigt gelassen.
(1) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts lässt sich dem Vortrag
der Beklagten noch ein hinreichender Bezug zur Person des Klägers entneh-
men. Dem Beklagtenvortrag ist die Behauptung zu entnehmen, der Kläger hätte
die Anlage auch bei Kenntnis von Rückvergütungen erworben. Damit wird die
entscheidungserhebliche Tatsache - Fehlen der haftungsbegründenden Kausa-
lität zwischen Pflichtverletzung und Schaden - unmittelbar selbst zum Gegen-
stand des Beweisantrags gemacht. Stellte sich der Sachvortrag in der Beweis-
aufnahme als richtig heraus, stünde die fehlende Kausalität der Pflichtverlet-
zung fest. Weitere Einzelheiten oder Erläuterungen sind zur Substantiierung
des Beweisantrags grundsätzlich nicht erforderlich. Das gilt nicht nur für den
Zeugenbeweis, sondern auch - wie vorliegend - für die Parteivernehmung nach
§ 445 ZPO (BGH, Urteile vom 4. März 1991 - II ZR 90/90, WM 1991, 942, 946
und vom 6. Juli 1960 - IV ZR 322/59, BGHZ 33, 63, 65 f.; vgl. auch BGH, Urteil
vom 22. März 2010 - II ZR 203/08, juris Rn. 28). Für diese unmittelbare Beweis-
führung steht der Beklagten auch kein weiteres Beweismittel zur Verfügung, so
dass der Grundsatz der Subsidiarität der Parteivernehmung nicht entgegen-
steht. Die Parteivernehmung nach § 445 Abs. 1 ZPO setzt keinen vorherigen
sonstigen Beweis und auch nicht die Wahrscheinlichkeit der unter Beweis ge-
stellten Behauptung voraus (BGH, Urteil vom 6. Juli 1960 - IV ZR 322/59,
BGHZ 33, 63, 66).
38
39
- 19 -
(2) Da bei der Parteivernehmung ein Missbrauch zur Ausforschung be-
sonders naheliegt, ist zu prüfen, ob ein unbeachtlicher Beweisermittlungsantrag
vorliegt (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl., § 445 Rn. 3a). Dabei ist zu beden-
ken, dass der Beweisführer grundsätzlich nicht gehindert ist, Tatsachen zu be-
haupten, über die er keine genauen Kenntnisse hat, die er aber nach Lage der
Dinge für wahrscheinlich hält; ein unzulässiger Ausforschungsbeweis liegt erst
dann vor, wenn der Beweisführer ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorlie-
gen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen "aufs Gerate-
wohl" oder "ins Blaue hinein" aufstellt (BGH, Urteile vom 4. März 1991 - II ZR
90/90, WM 1991, 942, 946 f.; auch Senatsurteil vom 3. Mai 2011 - XI ZR
373/08, WM 2011, 1465 Rn. 66; BGH, Urteil vom 25. April 1995 - VI ZR 178/94,
WM 1995, 1561, 1562; Beschluss vom 1. Juni 2005 - XII ZR 275/02, NJW 2005,
2710, 2711). Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist jedoch Zurück-
haltung geboten. In der Regel wird sie nur bei Fehlen jeglicher tatsächlicher
Anhaltspunkte vorliegen (BGH, Urteile vom 25. April 1995 - VI ZR 178/94,
WM 1995, 1561, 1562 und vom 25. Februar 1992 - X ZR 88/90, NJW 1992,
1967, 1968).
Eine Ausforschung in diesem Sinne ist vorliegend zu verneinen. Die Be-
klagte hat Anhaltspunkte vorgetragen, die nach ihrer Auffassung zumindest in
ihrer Gesamtschau dafür sprechen, dass der Kläger auch in Kenntnis der Rück-
vergütungen V 3 gezeichnet hätte. Hierzu gehört das behauptete Anlageziel
des Klägers, dass es ihm allein auf die Steuerersparnis und allenfalls noch
Renditechancen und das Sicherungskonzept der Schuldübernahme ankam. Als
weiteren Anhaltspunkt hat die Beklagte vorgetragen, der Kläger habe bereits
zuvor eine Beteiligung an dem Filmfonds A. II in Kenntnis von Provisi-
onszahlungen an die beratende Bank geschlossen. Angesichts dessen kann
eine Behauptung ins Blaue hinein nicht angenommen werden.
40
41
- 20 -
bb) Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht auch den von der Beklag-
ten vorgetragenen Hilfstatsachen (Indizien) keine Bedeutung beigemessen.
(1) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt eine
Partei ihrer Darlegungslast, wenn sie diejenigen Umstände vorträgt, aus denen
sich die gesetzlichen Voraussetzungen der begehrten Rechtsfolge ergeben.
Hierbei ist es grundsätzlich unerheblich, wie wahrscheinlich das Vorbringen ist.
Erfüllt das Parteivorbringen diese Anforderungen, können grundsätzlich weitere
Einzelheiten oder Erläuterungen nicht gefordert werden. Es ist vielmehr Sache
des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls
Zeugen nach weiteren Einzelheiten zu befragen (st. Rspr., vgl. u.a. BGH, Be-
schlüsse vom 25. Oktober 2011 - VIII ZR 125/11, juris Rn. 14 und vom 21. Juli
2011 - IV ZR 216/09, VersR 2011, 1384 Rn. 6, jeweils mwN).
Ein substantiierter Beweisantrag zur Vernehmung eines Zeugen setzt
somit nicht voraus, dass sich der Beweisführer darüber äußert, welche Anhalts-
punkte er für die Richtigkeit der in das Wissen des Zeugen gestellten Behaup-
tungen hat. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz macht die Rechtsprechung
lediglich dann, wenn ein Zeuge über innere Vorgänge bei einer anderen Person
vernommen werden soll, die der direkten Wahrnehmung durch den Zeugen na-
turgemäß entzogen sind. In einem solchen Fall kann der Zeuge allenfalls Anga-
ben zu äußeren Umständen machen, die einen Rückschluss auf den zu bewei-
senden inneren Vorgang zulassen. Es handelt sich insoweit um einen Indizien-
beweis (BGH, Urteile vom 5. März 2009 - III ZR 17/08, WM 2009, 739 Rn. 20
und vom 13. Juli 1988 - IVa ZR 67/87, NJW-RR 1988, 1529; Beschluss vom
1. August 2007 - III ZR 35/07, juris Rn. 7). Für einen solchen Beweisantrag sind
die äußeren Umstände, die unmittelbarer Gegenstand der Beweisaufnahme
sein sollen, darzulegen (BGH, Urteile vom 13. Juli 1988 - IVa ZR 67/87,
42
43
44
- 21 -
NJW-RR 1988, 1529 f. und vom 4. Mai 1983 - VIII ZR 94/82, NJW 1983, 2034,
2035).
Der Tatrichter muss und darf bei einem Indizienbeweis vor der Beweis-
erhebung prüfen, ob die vorgetragenen Indizien - ihre Richtigkeit unterstellt - ihn
von der Wahrheit der Haupttatsache überzeugen würden, ob der Indizienbeweis
also schlüssig ist (BGH, Urteil vom 25. November 1992 - XII ZR 179/91,
NJW-RR 1993, 443, 444). Deshalb stellt es keinen Verfahrensfehler dar, wenn
der Tatrichter von der beantragten Beweiserhebung absieht, weil die unter Be-
weis gestellten Hilfstatsachen für den Nachweis der Haupttatsache nach seiner
Überzeugung nicht ausreichen (BGH, Urteil vom 17. Februar 1970 - III ZR
139/67, BGHZ 53, 245, 261). Werden mehrere Hilfstatsachen vorgetragen, die
jeweils für sich allein betrachtet keine sicheren Rückschlüsse auf die Haupttat-
sache zulassen, ist vom Tatrichter aber auch zu prüfen, ob die Hilfstatsachen in
einer Gesamtschau, gegebenenfalls im Zusammenhang mit dem übrigen Pro-
zessstoff, geeignet sind, ihn von der beweisbedürftigen Behauptung zu über-
zeugen (BGH, Urteil vom 17. Februar 1970 - III ZR 139/67, BGHZ 53, 245, 261;
BAG, NJW 2008, 3658 Rn. 41).
Eine solche tatrichterliche Schlüssigkeitsprüfung unterliegt nur einge-
schränkter Nachprüfung durch das Revisionsgericht (Senatsbeschluss vom
19. Juli 2011 - XI ZR 191/10, WM 2011, 1506 Rn. 9; BGH, Urteile vom 5. März
2009 - III ZR 17/08, WM 2009, 739 Rn. 21 und vom 13. Juli 2004 - VI ZR
136/03, WM 2004, 1768, 1770). Dieses kann lediglich prüfen, ob der Streitstoff
umfassend, widerspruchsfrei und ohne Verstoß gegen Denk- oder Erfahrungs-
sätze gewürdigt worden ist (Senatsbeschluss vom 19. Juli 2011 - XI ZR 191/10,
WM 2011, 1506 Rn. 9; Senatsurteile vom 27. Mai 2008 - XI ZR 132/07,
WM 2008, 1260 Rn. 21 und vom 26. Oktober 2004 - XI ZR 211/03, WM 2005,
27, jeweils mwN).
45
46
- 22 -
(2) Dieser Prüfung hält das Berufungsurteil nicht stand.
(a) Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht allerdings der Tatsache,
dass sich der Kläger vor Zeichnung der streitgegenständlichen Beteiligung in
einem sogenannten Vermögensanlage-Bogen mit Provisionszahlungen bei
Wertpapiergeschäften an die Beklagte einverstanden erklärt hat, keine Bedeu-
tung beigemessen. Wie der Senat bereits zum selben Fonds entschieden hat,
kann allein aus dem Einverständnis des Klägers mit Provisionszahlungen bei
Wertpapiergeschäften nicht auf sein Einverständnis mit Rückvergütungen im
vorliegenden Fall geschlossen werden (Senatsbeschluss vom 19. Juli 2011
- XI ZR 191/10, WM 2011, 1506 Rn. 9).
(b) Rechtlich nicht haltbar ist aber die Ansicht des Berufungsgerichts,
wenn sich ein Anleger in der Vergangenheit trotz Kenntnis von einer konkreten
Rückvergütung nicht von dem Erwerb einer Beteiligung habe abhalten lassen,
stelle dies keine tragfähige Grundlage für die Schlussfolgerung dar, dieser Um-
stand habe für ihn auch bei allen weiteren Anlageentscheidungen, bei denen
eine Aufklärung unterblieben sei, keine Bedeutung gehabt.
(aa) Das Gegenteil ist richtig. Relevante Indizien für die fehlende Kausali-
tät können sich sowohl aus dem vorangegangenen als auch aus dem nachfol-
genden Anlageverhalten des Anlegers ergeben (vgl. Ellenberger in Ellenber-
ger/Schäfer/Clouth/Lang, Praktikerhandbuch Wertpapier- und Derivategeschäft,
4. Aufl., Rn. 1073 f.; U. Schäfer in Schäfer/Sethe/Lang, Handbuch der Vermö-
gensverwaltung, § 21 Rn. 86). Insbesondere die Kenntnis des Anlegers von
Provisionen oder Rückvergütungen, die die beratende Bank bei vergleichbaren
früheren Anlagegeschäften erhalten hat, kann ein Indiz dafür sein, dass der An-
leger die empfohlene Kapitalanlage auch in Kenntnis der Rückvergütung erwor-
ben hätte (Senatsbeschluss vom 19. Juli 2011 - XI ZR 191/10, WM 2011, 1506
47
48
49
50
- 23 -
Rn. 9 aE; OLG Frankfurt, Urteil vom 1. Dezember 2010 - 17 U 3/10, juris
Rn. 48; Ellenberger in Anlegerschutz im Wertpapiergeschäft, AGB in der Kre-
ditwirtschaft, Bankrechtstag 2010, S. 37, 49 f.). Sollte ein Anleger in Bezug auf
eine vergleichbare Kapitalanlage, die er vor oder nach der streitgegenständli-
chen erworben hat, erst nach dem Erwerb der jeweiligen Beteiligung Kenntnis
von Rückvergütungen erhalten, so kann sich ein Indiz für die fehlende Kausali-
tät der unterlassenen Mitteilung über Rückvergütungen auch daraus ergeben,
dass der Anleger an den vergleichbaren - möglicherweise gewinnbringenden -
Kapitalanlagen festhält und nicht unverzüglich Rückabwicklung wegen eines
Beratungsfehlers begehrt.
(bb) Hier hat sich der Kläger bereits vor der streitgegenständlichen Betei-
ligung an V 3 auf Empfehlung der Beklagten an dem Filmfonds A. II be-
teiligt. Auf Seite 28 des Prospektes zu diesem Fonds ist angegeben, dass und
in welcher Höhe die Beklagte Vertriebsprovisionen erhält. Nach den tatbestand-
lichen Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Beklagte den Kläger im
Rahmen der Beteiligung an dem Fonds A. II auf die damalige Vergütung
von 8,5% hingewiesen. Hatte der Kläger demnach Kenntnis davon, dass die
Beklagte bei A. II eine Provision in Höhe von 8,5% erhielt und zeichnete
er die Anlage trotzdem, so ist das ein gewichtiges Indiz dafür, dass er sich auch
bei Kenntnis der Rückvergütungen bei V 3 nicht von einer Beteiligung hätte ab-
halten lassen.
(c) Ebenfalls rechtsfehlerhaft ist das Berufungsgericht dem unter Zeu-
genbeweis gestellten Vortrag der Beklagten zum Motiv des Klägers, sich an V 3
zu beteiligen (Steuerersparnis bzw. allenfalls noch Renditechancen und das
Sicherungskonzept) nicht nachgegangen.
51
52
- 24 -
(aa) Zwar steht der Umstand, dass ein Anleger eine steueroptimierte An-
lage wünscht, für sich gesehen der Kausalitätsvermutung nicht entgegen (vgl.
BGH, Beschluss vom 9. April 2009 - III ZR 89/08, juris Rn. 8). Ist die vom Anle-
ger gewünschte Steuerersparnis aber nur mit dem empfohlenen Produkt oder
anderen Kapitalanlagen mit vergleichbaren Rückvergütungen zu erzielen, kann
das den Schluss darauf zulassen, dass an die Bank geflossene Rückvergütun-
gen für die Anlageentscheidung unmaßgeblich waren (Ellenberger in Ellenber-
ger/Schäfer/Clouth/Lang, Praktikerhandbuch Wertpapier- und Derivategeschäft,
4. Aufl., Rn. 1074).
(bb) Dem Vortrag der Beklagten kann entnommen werden, dass sie be-
hauptet, dem Kläger sei es vordringlich um die bei V 3 zu erzielende Steuerer-
sparnis gegangen, die alternativ nur mit Produkten zu erzielen gewesen sei, bei
denen vergleichbare Rückvergütungen gezahlt worden seien. Das Berufungs-
gericht hat diesen Vortrag zu Unrecht nicht gewürdigt und den insoweit angetre-
tenen Beweis durch Vernehmung des Beraters S. als Zeugen unbeachtet
gelassen.
III.
Das Berufungsurteil ist deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die
Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie zur neuen Verhandlung und
Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1
ZPO). Das Berufungsgericht wird den Kläger als Partei (§ 445 Abs. 1 ZPO) zu
der Behauptung der Beklagten, dass der Anteil, den sie aus den im Prospekt
ausgewiesenen Vertriebsprovisionen erhalten hat, für die Anlageentscheidung
ohne Bedeutung war, zu vernehmen haben. Gegebenenfalls wird es auch das
Verhalten des Klägers bei dem Fonds A. II und die Behauptung der Be-
53
54
55
- 25 -
klagten zu würdigen haben, dem Kläger sei es allein um die bei V 3 zu erzie-
lende Steuerersparnis gegangen, die alternativ nur mit Produkten zu erzielen
gewesen sei, bei denen vergleichbare Rückvergütungen gezahlt worden seien.
Gegebenenfalls wird es dazu den Zeugen S. und - soweit § 445 Abs. 2
ZPO nicht entgegensteht - gegebenenfalls den Kläger als Partei zu vernehmen
haben.
Sollte das Berufungsgericht nach erneuter Verhandlung die Kausalitäts-
vermutung in Bezug auf verschwiegene Rückvergütungen als widerlegt anse-
hen, wird es einer Haftung der Beklagten wegen falscher Darstellung der Kapi-
talgarantie nachzugehen haben (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Juli 2011
- XI ZR 191/10, WM 2011, 1506 Rn. 13 ff.; die dagegen gerichtete Verfas-
sungsbeschwerde hat das BVerfG, ZIP 2012, 164 ff. nicht zur Entscheidung
angenommen). Sollte das Berufungsgericht insoweit - wie der Senat zum sel-
ben Fonds bereits entschieden hat (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Juli 2011
- XI ZR 191/10, WM 2011, 1506 Rn. 14; vgl. auch Henning, WM 2012, 153 ff.
mwN zu dem Parallelfonds V 4) - eine Aufklärungspflichtverletzung bejahen,
dürfte die Widerlegung der dann eingreifenden Kausalitätsvermutung bereits
nach dem Vortrag der Beklagten, dem Kläger sei es auch auf das Sicherungs-
konzept der Schuldübernahme angekommen, ausscheiden.
B. Anschlussrevision des Klägers
Die Anschlussrevision des Klägers hat keinen Erfolg. Sie ist als unbe-
gründet zurückzuweisen.
56
57
- 26 -
I.
Das Berufungsgericht hat - soweit für die Anschlussrevision von Interes-
se - ausgeführt:
Die Berufung sei wegen der geltend gemachten Zinsforderung teilweise
begründet. Abgesehen davon, dass das Landgericht mit seiner Verurteilung
über den Antrag des Klägers hinausgegangen sei, könne der Kläger Ausgleich
des Zinsschadens nur in Höhe von 2% p.a. beanspruchen. Ein solcher Zins-
schaden sei hinreichend dargelegt. Das eingesetzte Eigenkapital bleibe erfah-
rungsgemäß nicht ungenutzt, sondern werde zu einem allgemein üblichen Zins-
satz angelegt. Mit Rücksicht darauf, dass es dem Kläger bei der Kapitalanlage
auf Steuerersparnis und Sicherheit angekommen sei, könne ein über 2% hin-
ausgehender Anlagezins aber nicht festgestellt werden.
Die Berufung der Beklagten sei des Weiteren begründet, soweit sie sich
gegen die Feststellung richte, die Beklagte müsse den Kläger von allen weite-
ren steuerlichen und wirtschaftlichen Nachteilen freistellen, die der Kläger dar-
aus erleide, dass er nicht sogleich ohne Berücksichtigung der Beteiligung ein-
kommensteuerlich veranlagt worden sei. Insoweit mangele es am Feststel-
lungsinteresse. Eine auch nur entfernte Möglichkeit künftiger Schäden sei nicht
ersichtlich. Der Kläger habe selbst vorgetragen, dass ihm alle bisherigen Steu-
ervorteile inzwischen aberkannt worden seien. Aus der behaupteten Tatsache,
dass die Steuerbescheide noch nicht bestandskräftig seien, könne sich für den
Kläger allenfalls ein Vorteil, jedoch kein Nachteil ergeben. Der Vortrag, das Fi-
nanzamt versuche, eine Kapitalertragssteuer auf die Beteiligung zu erheben,
sei unsubstantiiert.
Der Kläger könne schließlich keinen Ersatz für die vorgerichtlich aufge-
wandten Rechtsanwaltskosten verlangen. Diese für die Einleitung eines Güte-
58
59
60
61
- 27 -
verfahrens entstandenen Kosten seien nicht zweckmäßig gewesen. Den Klä-
gervertretern sei aus den von ihnen betreuten Parallelverfahren bekannt, dass
sich die Beklagte nicht auf Güteverfahren eingelassen habe.
II.
Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung stand.
1. Ohne Erfolg begehrt die Anschlussrevision entgangenen Gewinn in
Höhe von 4% p.a. aus dem eingesetzten Kapital ab dem Zeitpunkt der Zahlung
bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit der Klage. Das Berufungsgericht hat den
entgangenen Zinsgewinn rechtsfehlerfrei nach § 287 ZPO auf 2% p.a. ge-
schätzt.
a) Art und Höhe des Schadensersatzes aufgrund der Verletzung
(vor-)vertraglicher Aufklärungspflichten richten sich nach den allgemeinen Re-
geln der §§ 249 ff. BGB. Der geschädigte Anleger kann somit auch Ersatz des
entgangenen Gewinns gemäß § 252 BGB verlangen (vgl. Senatsurteil vom
9. Mai 2000 - XI ZR 159/99, WM 2000, 1441, 1443). Ihm kommt hierbei die Be-
weiserleichterung des § 252 Satz 2 BGB zugute. Der geschädigte Anleger kann
sich auf die allgemeine Lebenserfahrung berufen, dass Eigenkapital ab einer
gewissen Höhe erfahrungsgemäß nicht ungenutzt liegen bleibt, sondern zu ei-
nem allgemein üblichen Zinssatz angelegt wird (BGH, Urteile vom 2. Dezember
1991 - II ZR 141/90, WM 1992, 143, 144, vom 30. November 1979 - V ZR
23/78, WM 1980, 85 und vom 8. November 1973 - III ZR 161/71, WM 1974,
128, 129). Zur Feststellung der Höhe des allgemein üblichen Zinssatzes kann
der Tatrichter von der Möglichkeit einer Schätzung nach § 287 Abs. 1 ZPO Ge-
brauch machen (vgl. BGH, Urteile vom 18. Februar 2002 - II ZR 355/00, WM
62
63
64
- 28 -
2002, 909, 911 und vom 30. November 1979 - V ZR 23/78, WM 1980, 85). Das
rechtfertigt zwar nicht die Annahme eines (zu schätzenden) Mindestschadens
unabhängig vom konkreten Parteivortrag (vgl. Senatsurteil vom 11. Oktober
1994 - XI ZR 238/93, WM 1994, 2073, 2075). Der Anleger muss jedoch nur dar-
legen, welcher Gewinn nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mit einem an-
deren Anlagegeschäft erzielt worden wäre. An diese Darlegung sind keine
strengen Anforderungen zu stellen, vielmehr genügt eine gewisse Wahrschein-
lichkeit (BGH, Urteile vom 18. Februar 2002 - II ZR 355/00, WM 2002, 909, 911
und vom 30. Mai 2001 - VIII ZR 70/00, WM 2001, 2010, 2011).
Die Schadensschätzung, die der Tatrichter nach freiem Ermessen vorzu-
nehmen hat, unterliegt nur einer beschränkten Nachprüfung durch das Revisi-
onsgericht dahingehend, ob der Tatrichter erhebliches Vorbringen der Parteien
unberücksichtigt gelassen, Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung ver-
kannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Acht gelassen oder seiner
Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat (BGH, Urteile vom 17. Mai
2011 - VI ZR 142/10, NJW-RR 2011, 1109 Rn. 7 und vom 18. Februar 1993
- III ZR 23/92, NJW-RR 1993, 795, 796, jeweils mwN). Solche Rechtsfehler hat
die Anschlussrevision nicht aufgezeigt und sind auch nicht ersichtlich. Insbe-
sondere ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht die
Anlageziele des Klägers bei der Schätzung der erzielbaren Rendite berücksich-
tigt hat (vgl. BGH, Urteil vom 17. November 2005 - III ZR 350/04, WM 2006,
174, 175 f.; vgl. auch OLG Stuttgart, WM 2011, 360, 364; OLG Karlsruhe,
WM 2010, 1264, 1270 f.).
b) Der Geschädigte kann den Schaden zwar auch konkret berechnen.
Die Anschlussrevision kann hierzu allerdings nicht auf ausreichend substantiier-
ten Sachvortrag verweisen.
65
66
- 29 -
aa) Um den konkreten Schaden geltend zu machen, muss der Geschä-
digte darlegen und gegebenenfalls beweisen, welche Anlage er erworben und
welchen Gewinn er daraus erzielt hätte (BGH, Urteil vom 8. November 1973
- III ZR 161/71, WM 1974, 128, 129; vgl. auch Senatsurteil vom 9. Mai 2000
- XI ZR 159/99, WM 2000, 1441, 1443). Insoweit gelten keine Darlegungs- und
Beweiserleichterungen.
bb) Der Kläger hat ersichtlich nur eine abstrakte Schadenschätzung des
Gerichts nach den oben genannten Grundsätzen begehrt. Lediglich "zum Ver-
gleich" wurde vorgetragen, dass von der H.bank im Jahr 2004 ein
Pfandbrief zu einem Zinssatz von 4,5% p.a. emittiert worden sei. Dass er gera-
de jenes Produkt alternativ erworben hätte, hat der Kläger nicht behauptet.
2. Ohne Erfolg wendet sich die Anschlussrevision des Weiteren gegen
die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Kläger habe keinen Anspruch auf
Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
a) Zu den ersatzpflichtigen Aufwendungen des Geschädigten zählen
zwar grundsätzlich auch die durch das Schadensereignis erforderlich geworde-
nen Rechtsverfolgungskosten. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bun-
desgerichtshofs hat der Schädiger allerdings nicht schlechthin alle durch das
Schadensereignis adäquat verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen,
sondern nur solche, die aus der Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung
seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren (BGH, Urteile vom 10. Janu-
ar 2006 - VI ZR 43/05, NJW 2006, 1065 Rn. 5 und vom 23. Oktober 2003
- IX ZR 249/02, NJW 2004, 444, 446, jeweils mwN). Die tatrichterliche Würdi-
gung des Berufungsgerichts, die Einleitung eines Güteverfahrens sei nicht
zweckmäßig gewesen, greift die Anschlussrevision nicht an.
67
68
69
70
- 30 -
b) Soweit die Anschlussrevision stattdessen geltend macht, es sei jeden-
falls eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2003 (gemeint offenbar 2300) VV RVG
angefallen, stellt das, worauf die Anschlussrevisionserwiderung zutreffend hin-
weist, unbeachtlichen neuen Sachvortrag dar (§ 559 Abs. 1 ZPO). Abgesehen
davon rechtfertigte auch der neue Vortrag, worauf die Anschlussrevisionserwi-
derung ebenfalls zu Recht hinweist, den geltend gemachten Anspruch nicht.
3. Schließlich hat die Anschlussrevision auch keinen Erfolg, soweit sie
sich gegen die Abweisung des Feststellungsantrags wendet. Zu Recht hat das
Berufungsgericht ein Feststellungsinteresse - das auch in der Revisionsinstanz
von Amts wegen zu prüfen ist (BGH, Urteil vom 11. Oktober 1989 - IVa ZR
208/87, WM 1990, 243 mwN) - mangels eines absehbaren Schadeneintritts
verneint.
a) Das notwendige Feststellungsinteresse liegt nicht, wie die Anschluss-
revision offenbar annimmt, schon immer dann vor, wenn eine Leistungsklage
noch nicht möglich ist. Vielmehr setzt die Feststellung der Schadensersatz-
pflicht des Weiteren die Möglichkeit des Schadeneintritts voraus. Bei reinen
Vermögensschäden hängt die Zulässigkeit der Feststellungsklage darüber hin-
aus sogar von der hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines auf die Verletzungs-
handlung zurückgehenden Schadeneintritts ab (Senatsurteil vom 24. Januar
2006 - XI ZR 384/03, BGHZ 166, 84 Rn. 27 mwN).
b) Gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, wonach es an der Mög-
lichkeit eines zukünftigen Schadens fehlt, ist nichts zu erinnern. Jedenfalls ist
ein weiterer Schaden nicht hinreichend wahrscheinlich.
Der Kläger begehrt den Ersatz von Schäden, die er zukünftig dadurch er-
leiden wird, "dass er nicht sogleich ohne Berücksichtigung der Beteiligung an
V.
3 … einkommensteuerlich veranlagt wurde". Wenn er zugleich vorträgt, die
71
72
73
74
75
- 31 -
Steuervorteile seien ihm bereits durch geänderte Steuerfestsetzung aberkannt,
ist ein weiterer Schadeneintritt unmöglich. Zu Recht hat das Berufungsgericht
auch substantiierten Vortrag des Klägers zu angeblichen Versuchen des Fi-
nanzamts vermisst, "Kapitalertragssteuer auf die vorliegende Festgeldanlage
bei der D. Bank zu erheben". Selbst die Anschlussrevision vermag die-
sen Vortrag nicht zu erhellen. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit hiervon das ne-
gative Interesse des Klägers im Zusammenhang mit der Einkommensteuerver-
anlagung berührt sein könnte. Auch der neue Schriftsatz vom 16. April 2012
enthält - unabhängig von der Frage der Zulassung neuen Tatsachenvortrages -
insoweit keine nachvollziehbare Darlegung bzw. Erläuterung der beigefügten
Anlage.
Die Anschlussrevision hat auch keinen Erfolg mit ihrem Vortrag, der Klä-
ger habe die geänderten Steuerbescheide angefochten, weshalb zumindest ein
Schaden in Höhe der vergebens aufgewandten Rechtsverfolgungskosten dro-
he. Der insoweit gehaltene Vortrag kann einen Schadensersatzanspruch des
76
- 32 -
Klägers nicht begründen. Die Rechtsverfolgungskosten dienen der Durchset-
zung - nicht anrechenbarer (vgl. Senatsurteil vom 1. März 2011 - XI ZR 96/09,
WM 2011, 740 Rn. 8 mwN) - Steuervorteile. Der Kläger verfolgt damit aus-
schließlich sein positives Interesse an der Beteiligung.
Wiechers
Ellenberger
Maihold
Matthias
Pamp
Vorinstanzen:
LG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 19.11.2009 - 2-26 O 100/09 -
OLG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 30.06.2010 - 19 U 2/10 -