Urteil des BGH vom 10.05.2016

Industriebrache Leitsatzentscheidung

ECLI:DE:BGH:2016:100516BXZR66.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X ZR 66/15
vom
10. Mai 2016
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
Industriebrache
VOB/A (2012) § 16 Abs. 6 Nr. 3
Ist der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen, bedarf es im Un-
terschwellenbereich auch bei der Zulassung von Nebenangeboten nicht in je-
dem Fall der Festlegung von Kriterien zur Angebotswertung. Dies ist vielmehr
nur dann der Fall, wenn ohne ausdrücklich formulierte Wertungskriterien das
wirtschaftlichste Angebot nicht nach transparenten und willkürfreien Gesichts-
punkten bestimmt werden kann (Abgrenzung zu BGH, Urteil vom 8. September
1998 - X ZR 109/96, BGHZ 139, 273, 278).
BGH, Beschluss vom 10. Mai 2016 - X ZR 66/15 - OLG Nürnberg
LG Weiden i.d. OPf.
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Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Mai 2016 durch den Vor-
sitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Gröning und Dr. Grabinski
sowie die Richterinnen Schuster und Dr. Kober-Dehm
beschlossen:
Die Nichtzulassungsbeschwerde gegen den Beschluss des
1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 26. Mai 2015
wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Der Wert des Gegenstands des Beschwerdeverfahrens wird auf
124.297,30
€ festgesetzt.
Gründe:
I.
Die beklagte Gemeinde machte im April 2013 eine öffentliche
Ausschreibung nach den Basisparagrafen der Vergabe- und Vertragsordnung
für Bauleistungen, Teil A (VOB/A) bekannt, die den Abbruch einer Industriebra-
che mit Ausführung von Abbruchleistungen, Recycling des Abbruchguts und
Geländeauffüllung zum Gegenstand hatte. Nach dem Bekanntmachungstext
waren Nebenangebote zugelassen. Als Teil der Vergabeunterlagen verwendete
die Beklagte das Formblatt 211 des Vergabehandbuchs Bayern mit folgenden
Vorgaben für Nebenangebote (Anlage K1):
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Auf die Angaben zu Nebenangeboten folgen im Formblatt 211 unter dem
Gliederungspunkt 6 Rubriken, in denen Wertungskriterien durch Ankreuzen
festgelegt werden können, und zwar alternativ für Straßen- und Hochbau. In
diesen Rubriken war nichts angekreuzt.
Die zu den Vergabeunterlagen gehörenden Bewerbungsbedingungen
(Anlage B3) enthielten folgende Klauseln:
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"…
5.1 Soweit an Nebenangebote Mindestanforderungen gestellt werden,
müssen diese erfüllt werden; im Übrigen müssen sie im Vergleich
zur Leistungsbeschreibung qualitativ und quantitativ gleichwertig
sein. Die Erfüllung der Mindestanforderungen bzw. die Gleichwer-
tigkeit ist mit Angebotsabgabe nachzuweisen.
5.2 Der Bieter hat die in Nebenangeboten enthaltenen Leistungen ein-
deutig und erschöpfend zu beschreiben; die Gliederung des Leis-
tungsverzeichnisses ist, soweit möglich, beizubehalten.
5.3 Nebenangebote müssen alle Leistungen umfassen, die zu einer
einwandfreien Ausführung der Bauleistung erforderlich sind.
…"
Im Submissionstermin erwies sich das Angebot der Klägerin als das
preiswerteste Hauptangebot. Die Beklagte erteilte den Zuschlag indes auf ein
günstigeres Nebenangebot.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin entgangenen Gewinn verlangt. Sie hat
geltend gemacht, ihr hätte der Zuschlag erteilt werden müssen, weil Nebenan-
gebote nach Nummer 5.2 des Formblatts 211 nur für Straßenbauarbeiten zuge-
lassen gewesen seien, denen der ausgeschriebene Auftrag aber nicht zuzu-
rechnen sei; Nebenangebote hätten zudem nicht gewertet werden dürfen, weil
dafür keine Mindestanforderungen bestimmt gewesen seien; schließlich habe
der Wertung von Nebenangeboten nicht anders als im Geltungsbereich des
Vierten Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen entgegenge-
standen, dass der Preis als einziges Wertungskriterium vorgesehen gewesen
sei.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die
dagegen eingelegte Berufung durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurück-
gewiesen (OLG Nürnberg, VergabeR 2015, 723). Hiergegen richtet sich die
Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin.
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II.
Das Berufungsgericht hat die Vergabeunterlagen dahin ausgelegt,
dass Nebenangebote in Verbindung mit einem Hauptangebot abgegeben wer-
den konnten. Es ist des Weiteren davon ausgegangen, dass, anders als im Gel-
tungsbereich von § 16 EG Abs. 7 VOB/A, die Wertungskriterien nicht vorab be-
kanntgegeben werden mussten und dass der Preis in Anbetracht des anzu-
wendenden § 16 Abs. 6 Nr. 3 Satz 2 VOB/A 2012 nicht alleiniges Wertungskri-
terium gewesen sei. Angesichts dessen sei die Wertung des Nebenangebots
unbedenklich.
III.
Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfor-
dert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Recht-
sprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).
1.
Die von der Beschwerde aufgeworfene Rechtsfrage, ob Nebenan-
gebote außerhalb des Anwendungsbereichs des Vierten Teils des Gesetzes
gegen Wettbewerbsbeschränkungen nicht gewertet werden dürfen, wenn dafür
weder Mindestanforderungen bestimmt noch transparente Wertungskriterien
bekanntgegeben wurden und ein Bieter aus der Ausschreibung des Hauptan-
gebots den Eindruck erlangen musste, dass nur auf den niedrigsten Angebots-
preis abgestellt werden solle, stellt sich nicht. Denn das Berufungsgericht hat
angenommen, dass letzteres gerade nicht der Fall war, die Bieter vielmehr er-
kennen konnten, dass der Zuschlag gemäß § 16 Abs. 6 Nr. 3 VOB/A 2012 auf
das wirtschaftlichste Angebot erteilt werden sollte, für dessen Ermittlung ver-
schiedene Wertungskriterien in Betracht kommen. Das wirtschaftlichste Ange-
bot ist dabei nicht das Angebot mit dem niedrigsten Angebotspreis, sondern das
Angebot mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis; § 16 Abs. 6 Nr. 3 Satz 3
VOB/A 2012 besagt demgemäß ausdrücklich, dass der niedrigste Angebots-
preis allein nicht entscheidend ist.
Dies entspricht insoweit der Rechtslage nach § 127 Abs. 1 GWB in der
Fassung des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes (BGBl. 2016 I, S. 203).
Das wirtschaftlichste Angebot bestimmt sich danach nach dem besten Preis-
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Leistungs-Verhältnis. Zu dessen Ermittlung können neben dem Preis oder den
Kosten auch qualitative, umweltbezogene oder soziale Aspekte berücksichtigt
werden (§ 127 Abs. 1 Sätze 2 und 3 GWB nF). Auch wenn nach § 8 EU Abs. 2
Nr. 3 Buchst. b Satz 2 VOB/A 2016 Nebenangebote auch zugelassen werden
dürfen, wenn der Preis das einzige Zuschlagskriterium ist (und Entsprechendes
nach § 35 Abs. 2 Satz 3 VgV nF [BGBl. 2016 I, S. 624], § 8 EU Abs. 2 Nr. 3
Buchst. b Satz 3 VOB/A 2016 einheitlich für die Vergabe von Bau-, Liefer- und
Dienstleistungen im Anwendungsbereich des Vierten Teils des Gesetzes gegen
Wettbewerbsbeschränkungen gilt), entbinden diese Bestimmungen doch nicht
von der Beachtung des gesetzlichen Grundsatzes, dass der Zuschlag auf das
wirtschaftlichste Angebot erteilt wird und sich das wirtschaftlichste Angebot
nach dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis bestimmt (§ 127 Abs. 1 Sätze 1
und 3 GWB). Nur wenn dies nach dem Gegenstand des Auftrags und der Ge-
samtheit der Vergabeunterlagen erreicht werden kann, darf der Preis einziges
Zuschlagskriterium sein (vgl. auch BT-Drucks. 18/6281 S. 111 f. zu RegE § 127
Abs. 1 GWB). Andernfalls würde das Ziel der Ausschreibung verfehlt, durch die
Vergabe öffentlicher Aufträge im Wettbewerb (§ 97 Abs. 1 Satz 1 GWB) das
effizienteste und damit für den Auftraggeber kostengünstigste Angebot hervor-
zubringen (BGH, Beschluss vom 7. Januar 2014 - X ZB 15/13, BGHZ 199, 327
Rn. 17 - Stadtbahnprogramm Gera).
2.
Die Zulassung der Revision ist ebenso wenig zur Klärung der Fra-
ge geboten, ob auch im Unterschwellenbereich die Zulassung von Nebenange-
boten die Formulierung von Mindestanforderungen und die Festsetzung trans-
parenter Wertungskriterien erfordert.
a)
Die Formulierung von Mindestanforderungen ist, wie auch die Be-
schwerde nicht verkennt, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
(BGH, Urteil vom 30. August 2011 - X ZR 55/10, VergabeR 2012, 26 - Regen-
entlastung) nicht erforderlich.
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b)
Die Frage, inwieweit Wertungskriterien zur Ermittlung des wirt-
schaftlichsten Angebots formuliert werden müssen, ist in der von der Be-
schwerde formulierten Allgemeinheit im Streitfall nicht entscheidungserheblich.
(1)
Das Berufungsgericht hat angenommen, dass die Wertungskrite-
rien in einer öffentlichen Ausschreibung nicht bekanntgegeben werden müssten
und in der Regel nicht im Einzelfall von der Vergabestelle bestimmt, sondern
durch das "Prüfprogramm des § 16 Abs. 6 Nr. 3 Satz 2 VOB/A" (jetzt: § 16d
Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 VOB/A 2016) vorgegeben würden. Ob dem in dieser Allge-
meinheit beigetreten werden kann, ist fraglich. Die in § 16 Abs. 6 Nr. 3 Satz 2
VOB/A 2012 aufgeführten Gesichtspunkte für die Angebotswertung sind nicht
abschließend und auch nicht sämtlich dafür gedacht, in jedem in Betracht
kommenden Fall angewendet zu werden; dies gilt insbesondere für Kriterien
wie Ästhetik und Umwelteigenschaften, die sich im Allgemeinen einer unmittel-
baren Berücksichtigung bei der Bewertung der Wirtschaftlichkeit eines Ange-
bots entziehen. Wäre es dem Auftraggeber gestattet, bei der Angebotswertung
die relevanten Gesichtspunkte frei zu bestimmen, bestünde die Gefahr einer
willkürlichen Auswahl (BGH, Urteil vom 8. September 1998 - X ZR 109/96,
BGHZ 139, 273, 278).
(2)
Daraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass es außerhalb
des Geltungsbereichs des Vierten Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbe-
schränkungen in jedem Fall der Festlegung bzw. Bekanntgabe von Kriterien zur
Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots bedürfte. Vielfach wird sich objektiv
bestimmen lassen und folglich für die anbietenden und deshalb sachkundigen
Unternehmen auf der Hand liegen, welche der in § 16d Abs. 1 Nr. 3 Satz 2
VOB/A 2016 aufgeführten Wertungskriterien nach den gesamten Umständen
insbesondere nach Art des zu beschaffenden Gegenstands in Betracht kom-
men, und deshalb keine Gefahr einer intransparenten Vergabeentscheidung
besteht. Etwas anderes kann gelten, wenn nach Lage der Dinge ohne aus-
drücklich formulierte Wertungskriterien das wirtschaftlichste Angebot nicht nach
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transparenten und willkürfreien Gesichtspunkten bestimmt werden kann. Es
hängt von den Umständen des Einzelfalles, insbesondere vom Gegenstand des
ausgeschriebenen Auftrags und der Detailliertheit des Leistungsverzeichnisses
ab, ob und inwieweit es hiernach der vorherigen Festsetzung von Wertungskri-
terien bedarf, die dann aus Transparenzgründen aber auch bekanntzumachen
sind, auch wenn dies im ersten Abschnitt der Vergabe- und Vertragsordnung für
Bauleistungen an sich nicht vorgesehen ist (vgl. BGHZ 139, 273, 278).
(3)
Die Beschwerde zeigt nicht auf, inwiefern die unterbliebene Fest-
legung von Wertungskriterien im Streitfall einer transparenten und willkürfreien
Angebotswertung entgegengestanden haben könnte.
Die Beschwerde geht davon aus, dass der Preis das alleinige Wertungs-
kriterium gewesen ist und das Nebenangebot, auf das der Zuschlag erteilt wur-
de, deshalb günstiger gewesen ist, weil es einen niedrigeren Preis auswies.
Dass damit das wirtschaftlichste Angebot verfehlt wurde, macht sie nicht gel-
tend. Hiergegen war in den Vergabeunterlagen auch dadurch Vorkehr getroffen,
dass der Auftraggeber nach Nr. 5.1 der Bewerbungsbedingungen prüfen muss-
te, ob Nebenangebote im Vergleich zur Leistungsbeschreibung qualitativ und
quantitativ gleichwertig sind. War diese Voraussetzung erfüllt, war die Wertung
der Angebote nach dem Preis jedenfalls solange zur Ermittlung des wirtschaftli-
chen Angebots geeignet, wie nicht greifbare Anhaltspunkte dafür hervortraten,
dass hierdurch das jeweilige Preis-Leistungs-Verhältnis nicht sachgerecht er-
fasst werden konnte. Hierzu bringt die Beschwerde nichts vor, und dies liegt
nach dem Gegenstand des Auftrags auch fern.
3.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 544 Abs. 4 Satz 2
ZPO abgesehen.
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IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Meier-Beck
Gröning
Grabinski
Schuster
Kober-Dehm
Vorinstanzen:
LG Weiden i.d. OPf., Entscheidung vom 03.06.2014 - 12 O 438/13 -
OLG Nürnberg, Entscheidung vom 26.05.2015 - 1 U 1430/14 -
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