Urteil des BGH vom 19.07.2016

Leitsatzentscheidung zu Verordnung, Eugh, Fluggast, Ausgleichszahlung

ECLI:DE:BGH:2016:190716BXZR138.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X ZR 138/15
Verkündet am
19. Juli 2016
Hartmann
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
VO (EG) Nr. 261/2004 (FluggastrechteVO) Art. 7
Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 67 AEUV folgende
Frage zur Auslegung der Fluggastrechteverordnung vorgelegt:
Kann ein Ausgleichsanspruch nach Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004
auch dann bestehen, wenn ein Fluggast wegen einer relativ geringfügigen An-
kunftsverspätung einen direkten Anschlussflug nicht erreicht und dies eine Ver-
spätung von drei Stunden und mehr am Endziel zur Folge hat, die beiden Flüge
aber von unterschiedlichen Luftfahrtunternehmen ausgeführt wurden und die
Buchungsbestätigung durch ein Reiseunternehmen erfolgte, das die Flüge für
seinen Kunden zusammengestellt hat?
BGH, Beschluss vom 19. Juli 2016 - X ZR 138/15 - LG Hamburg
AG Hamburg
- 2 -
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 19. Juli 2016 durch die Richter Dr. Bacher, Gröning und Dr. Grabinski, die
Richterin Schuster und den Richter Dr. Deichfuß
beschlossen:
Das Verfahren wird ausgesetzt.
Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267
AEUV folgende Frage zur Auslegung der Verordnung (EG)
261/2004 des Parlaments und des Rates über eine gemeinsame
Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Flug-
gäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder gro-
ßer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung
(EWG) Nr. 295/91 vom 11. Februar 2004 (ABl. EU L 46 vom
17. Februar 2004 S. 1 ff.) vorgelegt:
Kann ein Ausgleichsanspruch nach Art. 7 der Verordnung auch
dann bestehen, wenn ein Fluggast wegen einer relativ geringfügi-
gen Ankunftsverspätung einen direkten Anschlussflug nicht er-
reicht und dies eine Verspätung von drei Stunden und mehr am
Endziel zur Folge hat, die beiden Flüge aber von unterschiedli-
chen Luftfahrtunternehmen ausgeführt wurden und die Buchungs-
bestätigung durch ein Reiseunternehmen erfolgte, das die Flüge
für seinen Kunden zusammengestellt hat?
- 3 -
Gründe:
A. Die Kläger nehmen die Beklagte auf Ausgleichszahlungen in Höhe
von jeweils 400 Euro nach der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäi-
schen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame
Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall
der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen
und zur Aufhebung der Verordnung EWG Nr. 295/91 (ABl. EU L 46 vom
7. Februar 2004 S. 1 ff.; im Folgenden: Verordnung, Fluggastrechteverordnung
oder FluggastrechteVO) in Anspruch.
Die Kläger buchten bei der T. GmbH eine Pauschalreise
mit Flügen von Hamburg über Las Palmas nach Fuerteventura für den Zeitraum
vom 22. Juni bis zum 12. Juli 2012. Der Flug von Hamburg nach Las Palmas,
der von der Beklagten durchgeführt wurde, sollte um 12:40 Uhr starten und um
16:30 Uhr landen. Im Anschluss sollten die Kläger um 17:30 Uhr mit der Flug-
gesellschaft B. nach Fuerteventura fliegen. Nach dem Vortrag der
Kläger hatte der erste Flug in Las Palmas eine Verspätung von etwa
20 Minuten; die Kläger verpassten deshalb den Anschlussflug und erreichten
Fuerteventura mit einer Verspätung von etwa 14 Stunden.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger ist
erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision ver-
folgen die Kläger das Klagebegehren weiter. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel
entgegen.
B. Die Entscheidung über die Revision erfordert die Beantwortung einer
Vorfrage durch den Gerichtshof der Europäischen Union.
1
2
3
4
- 4 -
I.
Das Berufungsgericht hat angenommen, eine Ausgleichspflicht der
Beklagten ergebe sich weder aus dem Wortlaut der Fluggastrechteverordnung,
noch aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und
des Bundesgerichtshofs, wonach bei Durchführung der Flüge durch dasselbe
Luftfahrtunternehmen eine am Endziel eingetretene Verspätung von mehr als
drei Stunden Grundlage einer Ausgleichszahlung sein könne.
Eine Ausgleichszahlung sei nicht nach Sinn und Zweck der Fluggast-
rechteverordnung geboten. Deren Ziel sei, ein hohes Schutzniveau für die
Fluggäste, die auf die Flugplanung keinen Einfluss nehmen könnten, sicherzu-
stellen und ihnen einen Ausgleich für die Unannehmlichkeiten zu gewähren, die
insbesondere bei Nichtbeförderung, großer Verspätung oder Annullierung von
Flügen aufträten. Eine pauschale Zuweisung der Verantwortlichkeit an das Luft-
fahrtunternehmen eines Zubringerfluges sei nicht sachgerecht, auch wenn im
Streitfall dessen Verspätung letztlich kausal für das Verpassen des Anschluss-
fluges gewesen sei. Das Luftfahrtunternehmen hafte, wie Art. 5 Abs. 3 Flug-
gastrechteVO zeige, nur für Ereignisse, die in seiner Risikosphäre lägen. Die
Haftung müsse daher ausgeschlossen sein, wenn ein Reiseunternehmen die
Gesamtflugreise auf zwei Flüge aufgeteilt habe und der Anschlussflug von
einem anderen Luftfahrtunternehmen ausgeführt werde als der Zubringerflug.
Auf die Planung der Gesamtflugstrecke wie auch auf die Umstände der Durch-
führung des Anschlussfluges habe das den Zubringerflug ausführende Luft-
fahrtunternehmen keinen Einfluss gehabt.
Die daraus folgende Überbürdung des Verspätungsrisikos auf den Flug-
gast sei nicht unbillig. Dieser könne Probleme in der Planung der Flugverbin-
dungen erkennen und das Reiseunternehmen auf diese Probleme hinweisen.
Dem Luftfahrtunternehmen wiederum müsse, um Einfluss nehmen zu können,
im Einzelnen bekannt sein, für welche Reisenden sein Flug ein Zubringerflug
sei, und weiter, wann die jeweiligen Anschlussflüge planmäßig abflögen oder
5
6
7
- 5 -
die betreffenden Abfertigungsschalter schlössen. Selbst bei Kenntnis dieser
Umstände und der Erkennbarkeit ungünstiger Flugplanungen sei das Reiseun-
ternehmen jedoch auch dem Luftfahrtunternehmen gegenüber nicht zu einer
Änderung verpflichtet, ebenso wenig könne das Luftfahrtunternehmen des Zu-
bringerfluges auf dasjenige des Anschlussfluges einwirken.
Durch diese Sichtweise sei der Fluggast nicht schutzlos gestellt, da ihm
Gewährleistungsansprüche gegen das Reiseunternehmen zustehen könnten.
II. Ob diese Beurteilung der revisionsrechtlichen Überprüfung standhält,
hängt von der Auslegung von Art. 7 FluggastrechteVO ab.
1. Die Fluggastrechteverordnung ist gemäß Art. 3 Abs. 1 Fluggast-
rechteVO jedenfalls deshalb anwendbar, weil die Kläger beide Flüge im Gebiet
eines Mitgliedstaats angetreten haben.
2. Das Berufungsgericht hat zugunsten der Kläger unterstellt, dass der
Flug von Hamburg nach Las Palmas eine Verspätung von 20 Minuten hatte und
dass die Kläger aus diesem Grund den Anschlussflug nach Fuerteventura nicht
wie geplant absolvieren konnten. Von diesem Sachverhalt ist zugunsten der
Kläger auch in der Revisionsinstanz auszugehen.
3. Vor diesem Hintergrund kann über die Revision der Kläger nicht oh-
ne Beantwortung der Vorlagefrage entschieden werden.
a) Ein Ausgleichsanspruch der Kläger ist nicht deshalb ausgeschlos-
sen, weil beide Flüge zum geplanten Zeitpunkt gestartet wurden.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union
(EuGH, Urteil vom 19. November 2009 - C-407/07 und C-432/07, Slg. 2009
I-10923, NJW 2010, 43 = RRa 2009, 282 Rn. 40 ff. - Sturgeon u.a.; Urteil vom
8
9
10
11
12
13
14
- 6 -
23. Oktober 2012 - C-581/10 und C-629/10, NJW 2013, 671 = RRa 2012, 272
Rn. 28 ff. - Nelson u.a.) und des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 7. Mai 2013
- X ZR 127/11, NJW-RR 2013, 1065 = RRa 2013, 237 Rn. 9) können auch die
Fluggäste verspäteter Flüge den Ausgleichsanspruch nach Art. 7 Fluggast-
rechteVO geltend machen, wenn sie infolge der Verspätung ihr Endziel nicht
früher als drei Stunden nach der ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen
und dadurch einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden. Dieser An-
spruch setzt die Einhaltung einer Abflugverspätung im Sinne von Art. 6 Abs. 1
Buchst. a bis c FluggastrechteVO nicht voraus (EuGH, Urteil vom 26. Februar
2013 - C-11/11, NJW 2013, 1291 = RRa 2013, 78 Rn. 37 - Folkerts).
b) Ein Ausgleichsanspruch ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil
nur der erste Flug verspätet war und diese Verspätung weniger als drei Stun-
den betragen hat.
aa) Zu Recht ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die
Beförderungsvorgänge auf den beiden Teilstrecken als zwei getrennte Flüge im
Sinne der Fluggastrechteverordnung anzusehen sind.
Flug im Sinne der Verordnung ist nach der gefestigten Rechtsprechung
des Gerichtshofs der Europäischen Union ein Luftbeförderungsvorgang, der in
gewisser Weise eine "Einheit" dieser Beförderung darstellt, die von einem Luft-
fahrtunternehmen durchgeführt wird, das die entsprechende Flugroute festlegt
(EuGH, Urteil vom 10. Juli 2008 - C-173/07, Slg. 2008, I-5237, NJW 2008, 2697
= RRa 2008, 237 Rn. 40 - Emirates Airlines; Urteil vom 22. Juni 2016
- C-255/15, NJW 2016, juris Rn. 20 - Mennens). Es geht mithin um einen Luft-
beförderungsvorgang, mit dem ein Luftfahrtunternehmen die Gesamtheit der
Fluggäste dieses Vorgangs auf einer von ihm angebotenen und zur Buchung
zur Verfügung gestellten Flugroute von dem Startflughafen zum Landeflughafen
befördert (BGH NJW-RR 2013, 1065 = RRa 2013, 237 Rn. 10; Urteil vom
15
16
17
- 7 -
13. November 2012 - X ZR 12/12, NJW 2013, 682 = RRa 2013, 19 Rn. 13; Ur-
teil vom 28. Mai 2009 - Xa ZR 113/08, NJW 2009, 2743 = RRa 2009, 242
Rn. 8). Ob mehrere Flüge in einer einheitlichen Buchung aufgeführt sind, ist in
diesem Zusammenhang unerheblich (EuGH NJW 2008, 2697 = RRa 2008, 237
Rn. 51 - Emirates Airlines; NJW 2013, 682 = RRa 2013, 19 Rn. 13; BGH NJW
2009, 2743 = RRa 2009, 242 Rn. 9).
Im Streitfall handelt es sich bei dem Flug von Hamburg nach Las Palmas
und dem Flug von Las Palmas nach Fuerteventura deshalb um zwei getrennte
Flüge.
bb) Bei direkten Anschlussflügen kann ein Anspruch auf Ausgleichsleis-
tung aber auch dann bestehen, wenn die Verspätung eines Flugs dazu geführt
hat, dass der Fluggast einen Anschlussflug nicht erreicht hat.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist
für die Entstehung eines Ausgleichsanspruchs maßgeblich, ob ein Zeitverlust
von drei Stunden oder mehr am Endziel eingetreten ist (EuGH NJW 2010, 43 =
RRa 2009, 282 Rn. 57 - Sturgeon u.a.; NJW 2013, 671 = RRa 2012, 272 Rn. 40
- Nelson u.a.). Endziel ist gemäß der auch in diesem Zusammenhang maßgeb-
lichen Definition in Art. 2 Buchst. h FluggastrechteVO der Zielort auf dem am
Abfertigungsschalter vorgelegten Flugschein, bei direkten Anschlussflügen der
Zielort des letzten Fluges (EuGH NJW 2013, 1291 = RRa 2013, 78 Rn. 37
- Folkerts; BGH NJW-RR 2013, 1065 = RRa 2013, 237 Rn. 11).
c) Der von den Klägern gebuchte Flug von Las Palmas nach Fuerte-
ventura ist nach dem Wortlaut von Art. 2 Buchst. h FluggastrechteVO als direk-
ter Anschlussflug anzusehen.
18
19
20
21
- 8 -
aa) Der Begriff des direkten Anschlussflugs ist in der Verordnung nicht
ausdrücklich definiert. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat sich bislang
ebenfalls nicht ausdrücklich mit diesem Begriff befasst.
bb) Dem Wortlaut nach ist ein Anschlussflug ein Flug, der einem anderen
Flug nachfolgt und dazu dient, den Fluggast vom Ziel des ersten Flugs zu
einem anderen Zielort weiterzubefördern.
Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt.
cc) Direkt ist ein Anschlussflug, wenn zwischen den beiden Flügen kein
allzu großer Zeitraum liegt.
Was sich im Einzelnen aus diesem Erfordernis ergibt, bedarf im Streitfall
keiner abschließenden Entscheidung. Der Zeitraum zwischen den beiden Flü-
gen war nach dem Vortrag der Kläger so knapp bemessen, dass sie den Flug
nach Fuerteventura nur unter optimalen Bedingungen erreichen konnten. Ein
noch engerer zeitlicher Zusammenhang ist kaum vorstellbar und jedenfalls nicht
erforderlich.
d) Aus dem Sinn und Zweck von Art. 7 FluggastrechteVO könnte sich
ergeben, dass ein Anspruch auf Ausgleichsleistung nur dann besteht, wenn das
Flugunternehmen, das die Verspätung am Endziel verursacht hat, die Zusam-
menstellung der aufeinanderfolgenden Flüge durch Ausgabe oder Genehmi-
gung einer Buchungsbestätigung gebilligt hat. Diese Frage ist durch die Recht-
sprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht abschließend ge-
klärt.
aa) Der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist zu entnehmen, dass ein
Ausgleichsanspruch jedenfalls dann bestehen kann, wenn mehrere aufeinan-
22
23
24
25
26
27
28
- 9 -
derfolgende Flüge bei dem Luftfahrtunternehmen gebucht werden, das auf
Ausgleichszahlung in Anspruch genommen wird.
In den Entscheidungen, in denen sich der Ausgleichsanspruch aus einer
verspäteten Ankunft am Zielort eines direkten Anschlussflugs ergab, waren die
aufeinanderfolgenden Flüge bei dem im Ausgangsverfahren in Anspruch ge-
nommenen Luftfahrtunternehmen gebucht worden (EuGH, NJW 2013, 1291 =
RRa 2013, 78 Rn. 18 - Folkerts [dazu ergänzend BGH, Beschluss vom
9. Dezember 2010 - Xa ZR 80/10, RRa 2011, 84 Rn. 1]; Beschluss vom
4. Oktober 2012 - C-321/11, NJW 2013, 363 = RRa 2012, 279 Rn. 10, 34 - Ro-
dríguez Cachafeiro u.a.). Andere Entscheidungen des Gerichtshofs, in denen
der Begriff des Flugs im Sinne der Verordnung von Bedeutung war, betreffen
ebenfalls Fälle, in denen der Fluggast alle relevanten Flüge bei demjenigen
Luftfahrtunternehmen gebucht hatte, das er später auf Ausgleichszahlung in
Anspruch nahm (vgl. EuGH NJW 2008, 2697 = RRa 2008, 237 Rn. 13 - Emira-
tes Airlines; NJW 2010, 43 = RRa 2009, 282 Rn. 11 - Sturgeon u.a.; EuGH
NJW 2013, 671 = RRa 2012, 272 Rn. 15 - Nelson u.a.).
bb) Diese Konstellation liegt im Streitfall nicht vor.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts sind die beiden Flüge
von unterschiedlichen Luftfahrtunternehmen ausgeführt worden. Die Buchung
erfolgte nicht bei einem dieser Unternehmen, sondern bei einem Reiseunter-
nehmen. Dieses hat auch die als Anlage K1 vorgelegte Buchungsbestätigung
ausgestellt. Mangels entsprechender Feststellungen kann nicht davon ausge-
gangen werden, dass die Beklagte selbst einen Flugschein für beide Flüge
ausgegeben oder genehmigt hat.
29
30
31
- 10 -
cc) Für diese Konstellation ergeben sich aus der Verordnung und der
aufgezeigten Rechtsprechung des Gerichtshofs keine hinreichend sicheren
Schlussfolgerungen.
Gemäß Art. 3 Abs. 2 Buchst. a FluggastrechteVO ist die Verordnung nur
dann anwendbar, wenn der Fluggast über eine bestätigte Buchung für den be-
treffenden Flug verfügt. Dies setzt gemäß Art. 2 Buchst. g FluggastrechteVO
voraus, dass die Buchung von dem Luftfahrtunternehmen oder dem Reise-
unternehmen akzeptiert und registriert wurde. Letzteres kann in einem Flug-
schein im Sinne von Art. 2 Buchst. f FluggastrechteVO erfolgen, den das Luft-
fahrtunternehmen oder dessen zugelassener Vermittler ausgegeben oder ge-
nehmigt hat, oder in einem andern Beleg.
Aus dieser Regelung ergibt sich zweifelsfrei, dass einem Fluggast auch
dann ein Ausgleichsanspruch gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen
zustehen kann, wenn dieses zwar nicht an der einzelnen Buchung und deren
Bestätigung beteiligt war, aber einem Vermittler oder einem Reiseunternehmen
die Möglichkeit eingeräumt hat, solche Buchungen entgegenzunehmen und zu
bestätigen. Das Luftfahrtunternehmen muss sich in diesen Fällen die Bu-
chungsbestätigung des Vermittlers oder Reiseunternehmens wie eine eigene
Erklärung zurechnen lassen.
Hieraus kann aber nicht zweifelsfrei abgeleitet werden, dass sich ein
Luftfahrtunternehmen die Buchungsbestätigung eines Vermittlers oder Reiseun-
ternehmens auch insoweit zurechnen lassen muss, als diese einen anderen
Flug betrifft, der von einem anderen Luftfahrtunternehmen ausgeführt wird. Hin-
sichtlich eines solchen Flugs tritt der Vermittler oder das Reiseunternehmen
primär an die Stelle des Luftfahrtunternehmens, das diesen Flug ausführt. Aus
Sicht der beteiligten Luftfahrtunternehmen stellt sich die Lage damit ähnlich dar,
wie wenn der Fluggast selbst mehrere separate Buchungen bei unterschiedli-
32
33
34
35
- 11 -
chen Luftfahrtunternehmen für aufeinander folgende Flüge vornimmt. Für den
zuletzt genannten Fall geht jedenfalls die Kommission in ihren Leitlinien zur
Auslegung der Verordnung davon aus, dass kein Ausgleichsanspruch besteht
(Leitlinien der Kommission vom 10. Juni 2016, C(2016) 3502 final, S. 18 unter
4 d A ii).
dd) Nach Auffassung des Senats spricht dennoch einiges dafür, einen
Ausgleichsanspruch auch dann zu bejahen, wenn die Buchungsbestätigung für
aufeinanderfolgende Flüge von einem Reiseunternehmen ausgegeben wurde.
(1) Die Verordnung sieht für die unterschiedlichen Formen der Bu-
chungsbestätigung grundsätzlich dieselben Rechtsfolgen vor. In Erwägungs-
grund 5 wird zudem hervorgehoben, dass sich der Schutz auch auf Fluggäste
im Rahmen von Pauschalreisen erstrecken soll. Eine Einstandspflicht für Flüge,
die ein Reiseunternehmen zusammengestellt hat, stünde ferner in Einklang mit
dem in den Erwägungsgründen 1 bis 4 definierten Ziel, ein hohes Schutzniveau
für Fluggäste sicherzustellen und den Erfordernissen des Verbraucherschutzes
Rechnung zu tragen, und dem daraus vom Gerichtshof abgeleiteten Grundsatz,
dass die Vorschriften der Verordnung, mit denen den Fluggästen Ansprüche
eingeräumt werden, weit auszulegen sind (dazu EuGH NJW 2010, 43 = RRa
2009, 282 Rn. 45 - Sturgeon u.a.), während Begriffe in einer Bestimmung, die
eine Ausnahme von einem Grundsatz oder spezifischer, von gemeinschafts-
rechtlichen Verbraucherschutzvorschriften darstellt, grundsätzlich eng auszule-
gen sind (dazu EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2008 - C-549/09, Slg. 2008,
I-11061, NJW 2009, 347 = RRa 2009, 35 Rn. 17 - Wallentin-Hermann).
(2) Die Bejahung eines Ausgleichsanspruchs steht nach Auffassung des
Senats auch in Einklang mit dem vom Gerichtshof hervorgehobenem Gesichts-
punkt der Verantwortlichkeit für die mit der Buchungsbestätigung übernomme-
nen Leistungspflichten.
36
37
38
- 12 -
Für den Fall, dass ein Luftfahrtunternehmen, bei dem zwei aufeinander-
folgende Flüge gebucht wurden, die Beförderung auf dem zweiten Flug in der
Annahme verweigert, der Fluggast könne diesen Flug wegen Verspätung des
ersten Flugs nicht mehr erreichen, hat der Gerichtshof einen Ausgleichsan-
spruch bejaht. Als ausschlaggebend hierfür hat er angesehen, dass der An-
spruch die Unannehmlichkeiten ausgleichen soll, die durch einen irreversiblen
Zeitverlust von drei Stunden und mehr entstehen, und dass ein ausführendes
Luftfahrtunternehmen für diese Unannehmlichkeiten jedenfalls dann einstehen
muss, wenn feststeht, dass es sie zu vertreten hat - sei es, weil es die Ver-
spätung des ersten von ihm selbst durchgeführten Flugs zu verantworten hat,
sei es, weil es irrig davon ausgegangen ist, die betroffenen Fluggäste könnten
sich nicht rechtzeitig am Flugsteig des Anschlussflugs einfinden, oder weil es
Flugscheine für aufeinanderfolgende Flüge verkauft hat, bei denen die für das
Erreichen des Anschlussflugs zur Verfügung stehende Zeit nicht ausreichte
(EuGH NJW 2013, 363 = RRa 2012, 279 Rn. 34 - Rodríguez Cachafeiro u.a.).
Jedenfalls aus Sicht des Fluggasts, dessen Schutz der Ausgleichsan-
spruch dient, liegt eine vergleichbare Situation vor, wenn das Luftfahrtunter-
nehmen die Flugscheine für aufeinanderfolgende Flüge zwar nicht selbst aus-
gegeben oder genehmigt, einem Reiseunternehmen aber die Möglichkeit einge-
räumt hat, solche Flugscheine auszustellen und hierbei auch Flüge zusammen-
zustellen, die von unterschiedlichen Luftfahrtunternehmen ausgeführt werden.
ee) Dennoch sieht sich der Senat an einer eigenen Entscheidung gehin-
dert.
39
40
41
- 13 -
Eine entsprechende Anwendung der vom Gerichtshof entwickelten
Grundsätze auf die hier zu beurteilende Konstellation erscheint aus den darge-
legten Gründen zwar naheliegend. Sie ergibt sich aus den bisherigen Entschei-
dungen des Gerichtshofs aber nicht zweifelsfrei.
Bacher
Gröning
Grabinski
Schuster
Deichfuß
Vorinstanzen:
AG Hamburg, Entscheidung vom 12.02.2015 - 22a C 285/14 -
LG Hamburg, Entscheidung vom 06.11.2015 - 320 S 41/15 -
42