Urteil des BGH vom 18.05.2011

Leitsatzentscheidung zu Arbeitsgericht, Bindungswirkung, Klageart, Überprüfung, Rechtsverletzung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X ARZ 95/11
vom
18. Mai 2011
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
GVG § 17a Abs. 2; InsO § 89 Abs. 2 und 3
Hat das Arbeitsgericht mit der Begründung, mit der Klage würden in die Zu-
ständigkeit des Insolvenzgerichts fallende Einwendungen nach § 89 Abs. 2
InsO geltend gemacht, die Vollstreckungsgegenklage fehlerhaft an das Amts-
gericht verwiesen, so ist die unanfechtbar gewordene Verweisung hinsichtlich
des Rechtswegs bindend. Eine Zuständigkeit des Insolvenzgerichts wird hier-
durch jedoch nicht begründet.
BGH, Beschluss vom 18. Mai 2011 - X ARZ 95/11 - AG Reinbek
ArbG Hamburg
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Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. Mai 2011 durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, den Richter Keukenschrijver,
die Richterin Mühlens, den Richter Dr. Grabinski und die Richterin Schuster
beschlossen:
Zuständiges Gericht ist das Amtsgericht Reinbek.
Gründe:
I. Die Beklagte hat gegen den Insolvenzschuldner Jacek G. eine durch
Vollstreckungsbescheid rechtskräftig titulierte Forderung. Auf der Grundlage
dieses Titels wurden mit Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsge-
richts Reinbek die gesamten gegenwärtigen und zukünftigen Ansprüche des
Schuldners gegen den Kläger, seinen Arbeitgeber, gepfändet. Der Kläger ver-
weigerte die Zahlung. Daraufhin erhob die Beklagte Klage beim Arbeitsgericht
Hamburg, das den Kläger zur Zahlung verurteilte. Die dagegen gerichtete Beru-
fung wurde zurückgewiesen.
Der Kläger hat daraufhin vor dem Arbeitsgericht Hamburg Vollstre-
ckungsgegenklage erhoben, mit der er inhaltlich Einwände gemäß § 89 InsO
geltend macht. Das Arbeitsgericht hat den Rechtsweg zu den Gerichten für Ar-
beitssachen für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit durch unangefochten
gebliebenen Beschluss an das Amtsgericht Hamburg verwiesen. Dieses hat
sich für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das Amtsgericht Rein-
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bek verwiesen, bei dem das Insolvenzverfahren anhängig ist. Das Amtsgericht
Reinbek - Insolvenzgericht - hält sich für sachlich unzuständig und hat das Ver-
fahren in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO dem Bundes-
gerichtshof zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Es vertritt den
Standpunkt, der rechtskräftige Verweisungsbeschluss des Arbeitsgerichts
Hamburg entfalte ausnahmsweise keine Bindungswirkung. Er stelle eine krasse
Rechtsverletzung dar. Eine Entscheidung des Insolvenzgerichts als Zwangs-
vollstreckungsgericht über die Vollstreckungsgegenklage müsste gemäß § 18
RPflG zum einen durch den Rechtspfleger erfolgen. Zum anderen sei verfah-
rensrechtlich eine Entscheidung nur durch Beschluss möglich. Vollstreckungs-
gegenklagen seien hingegen von einem Richter in Urteilsform zu entscheiden.
II. Der Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts ist zulässig.
1. Der Bundesgerichtshof ist für die Entscheidung zuständig. Sofern zwei
Gerichte unterschiedlicher Rechtswege ihre Zuständigkeit verneint haben, ob-
liegt die Bestimmung des zuständigen Gerichts demjenigen obersten Gerichts-
hof des Bundes, der zuerst darum angegangen wird (BGH, Beschluss vom
26. Juli 2001 - X ARZ 69/01, NJW 2001, 3631, 3632; Beschluss vom 30. Juli
2009 - Xa ARZ 167/09, NJW-RR 2010, 209 Rn. 6).
2. Der Antrag ist statthaft.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist § 36 Abs. 1
Nr. 6 ZPO bei negativen Kompetenzkonflikten zwischen Gerichten verschiede-
ner Gerichtszweige entsprechend anwendbar (BGH, aaO).
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Ein nach § 17a Abs. 2 GVG ergangener Beschluss, mit dem ein Gericht
den beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an ein
anderes Gericht verweist, ist einer weiteren Überprüfung entzogen, sobald er
unanfechtbar geworden ist. Wenn sich das Gericht, an das die Sache verwie-
sen wurde, jedoch an den Verweisungsbeschluss nicht für gebunden hält,
kommt eine Zuständigkeitsbestimmung analog § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO grund-
sätzlich in Betracht.
III. Als zuständiges Gericht ist das Amtsgericht Reinbek zu bestimmen.
1. Die Zuständigkeit des Amtsgerichts Reinbek ergibt sich aus der Bin-
dungswirkung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Hamburg gemäß § 17a
Abs. 2 Satz 3 GVG. Die Voraussetzungen, unter denen ein Verweisungsbe-
schluss, der nicht mit dem zulässigen Rechtsmittel angefochten worden ist,
ausnahmsweise nicht bindend wirkt, liegen nicht vor. Nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Durchbrechung der gesetzli-
chen Bindungswirkung der Rechtswegverweisung allenfalls bei "extremen Ver-
stößen" denkbar (BGH, Beschluss vom 13. November 2001 - X ARZ 266/01,
NJW-RR 2002, 713; Beschluss vom 8. Juli 2003 - X ARZ 138/03, NJW 2003,
2990, 2991), etwa wenn sich die Verweisungsentscheidung bei der Auslegung
und Anwendung der Zuständigkeitsnormen so weit von dem diese beherr-
schenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters
(Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfernt hat, dass sie schlechthin nicht mehr zu
rechtfertigen ist, d.h. wenn sie unverständlich und offensichtlich unhaltbar ist
(BVerfGE 29, 45, 49; BGH, Beschluss vom 24. Februar 2000 - III ZB 33/99,
BGHZ 144, 21, 25; Beschluss vom 5. Oktober 1982 - X ZB 4/82, BGHZ 85,
116, 118 f.; Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 9. Februar 2006, 5 AS 1/06,
NJW 2006, 1371).
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Das Arbeitsgericht hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass mit der
Klage Einwendungen gemäß § 89 InsO geltend gemacht werden. Dies trifft zu.
Ob die Vollstreckungsgegenklage hierfür die richtige Klageart ist oder wie die
Einwendungen ansonsten geltend gemacht werden können, ist zwar, wie das
Amtsgericht Reinbek insoweit zutreffend gesehen hat, für die Zuständigkeit des
angerufenen Gerichts unmaßgeblich. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts
Hamburg ist indessen nicht schlechthin unhaltbar oder gar willkürlich. Denn die
Begründung der Vollstreckungsgegenklage ist auf insolvenzrechtliche Einwen-
dungen gestützt, über die die Zivilgerichte zu entscheiden haben. Ob die Be-
gründung, die das Arbeitsgericht seiner Entscheidung beigegeben hat, inhalt-
lich richtig ist, ist nicht zu entscheiden. Die Erwägungen des Arbeitsgerichts
können jedenfalls nicht als völlig sachfremd oder gar willkürlich angesehen
werden mit der Folge, dass die Rechtswegverweisung trotz der inzwischen ein-
getretenen Unanfechtbarkeit als unwirksam anzusehen wäre.
Die Unhaltbarkeit der Entscheidung des Arbeitsgerichts ergibt sich auch
nicht daraus, dass über die Vollstreckungsgegenklage der Richter durch Urteil
zu entscheiden hat, während die Entscheidung über Einwendungen nach § 89
InsO dem Rechtspfleger übertragen ist und durch Beschluss erfolgt. Denn da
die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts für die Vollstreckungsgegenklage nicht
begründet ist, hat das Amtsgericht über diese durch eine Zivilabteilung zu ent-
scheiden. Das Arbeitsgericht hat bindend nur über den Rechtsweg entschieden
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(§ 17a Abs. 2 Satz 3 GVG) und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Hamburg
verwiesen. Eine Zuständigkeit des Insolvenzgerichts wird hierdurch nicht be-
gründet.
Meier-Beck
Keukenschrijver
Mühlens
Grabinski
Schuster
Vorinstanz:
AG Reinbek, Entscheidung vom 25.03.2011 - 8 IN 142/10 -