Urteil des BGH vom 19.05.2015

Leitsatzentscheidung zu Arbeitsgericht, Bindungswirkung, Überprüfung, Bedingung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X A R Z 6 1 / 1 5
vom
19. Mai 2015
in dem Gerichtsstandsbestimmungsverfahren
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO § 145; GVG § 17a
a) Eine Verfahrenstrennung gemäß § 145 Abs. 1 ZPO ist nicht zulässig, wenn
der Gegenstand des abgetrennten Verfahrens in einem zulässigen Eventual-
verhältnis zu dem im ursprünglichen Verfahren verbliebenen Gegenstand
steht.
b) Hat ein Gericht entgegen diesem Grundsatz eine Verfahrenstrennung aus-
gesprochen und das abgetrennte Verfahren an das Gericht eines anderen
Rechtswegs verwiesen, ist die Verweisung dennoch wirksam, sofern sie nicht
mit den in § 17a Abs. 4 GVG vorgesehenen Rechtsmitteln angegriffen wird.
BGH, Beschluss vom 19. Mai 2015 - X ARZ 61/15 - ArbG Berlin
LG Berlin
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Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Mai 2015 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck und die Richter Dr. Grabinski,
Dr. Bacher, Hoffmann und Dr. Deichfuß
beschlossen:
Zuständiges Gericht für den abgetrennten Teil des Klagebegehrens
ist das Arbeitsgericht Berlin.
Gründe:
I.
Der Kläger verlangt von der Beklagten die Zahlung von 5.001
€ nebst
Zinsen aufgrund eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vom
18. Februar 2013, mit dem zu seinen Gunsten Ansprüche des Immobilien-
beraters C. L. gegen die Beklagte gepfändet und zur Einziehung überwie-
sen wurden. L. und die Beklagte hatten am 13. September 2011 einen Vertrag
geschlossen, der für von L. zu erbringende Beratungsleistungen in der Zeit vom
1. August 2011 bis 31. Dezember 2013 unter anderem ein monatlich von der
Beklagten zu zahlendes Honorar in Höhe von 4.000
€ nebst Umsatzsteuer vor-
sah. Der Kläger stützt die Klage in erster Linie auf die Nettobeträge dieser Ho-
noraransprüche für die Monate November und Dezember 2012.
Hilfsweise stützt der Kläger die Klage auf Vergütungsansprüche aus ei-
nem von der Beklagten behaupteten Arbeitsvertrag, der zwischen ihr und L. am
1. Juni 2012 geschlossen worden sei und ab diesem Datum ein monatliches
Bruttogehalt von 4.240
€ für die Tätigkeit von L. als Vertriebsleiter vorgesehen
habe.
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Das Landgericht hat die Klage durch Teilurteil abgewiesen, soweit der
Kläger Ansprüche aus einem Beratervertrag geltend macht. Mit gleichzeitig ver-
kündeten Beschluss hat es den Rechtsstreit im Übrigen zur gesonderten Ver-
handlung und Entscheidung durch Beschluss abgetrennt und sogleich insoweit
den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und die
Sache an das Arbeitsgericht verwiesen. Das Arbeitsgericht hat sich durch Be-
schluss für unzuständig erklärt und die Sache dem Bundesgerichtshof zur Be-
stimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
II.
Das zuständige Gericht ist in entsprechender Anwendung des § 36
Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu bestimmen.
1.
Bei negativen Kompetenzkonflikten zwischen Gerichten verschiede-
ner Gerichtszweige ist § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO entsprechend anwendbar. Ob-
wohl ein nach § 17a GVG ergangener und unanfechtbar gewordener Be-
schluss, mit dem ein Gericht den beschrittenen Rechtsweg für unzulässig er-
klärt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verwiesen hat, nach dem Ge-
setz keiner weiteren Überprüfung unterliegt, ist eine - regelmäßig deklaratori-
sche - Zuständigkeitsbestimmung entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO im Inter-
esse einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit dann gebo-
ten, wenn es innerhalb eines Verfahrens zu Zweifeln über die Bindungswirkung
der Verweisung kommt und deshalb keines der in Frage kommenden Gerichte
bereit ist, die Sache zu bearbeiten, oder die Verfahrensweise eines Gerichts die
Annahme rechtfertigt, dass der Rechtsstreit von diesem nicht prozessord-
nungsgemäß gefördert werden wird, obwohl er gemäß § 17b Abs. 1 GVG vor
ihm anhängig ist (BGH, Beschluss vom 14. Mai 2013 - X ARZ 167/13, MDR
2013, 1242 Rn. 4 f. mwN).
So liegt der Fall hier. Sowohl das Landgericht als auch das Arbeitsgericht
haben eine inhaltliche Befassung mit der Sache abgelehnt.
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2.
Der Bundesgerichtshof ist für die Entscheidung zuständig. Sofern
zwei Gerichte unterschiedlicher Rechtswege ihre Zuständigkeit verneint haben,
obliegt die Bestimmung des zuständigen Gerichts demjenigen obersten Ge-
richtshof des Bundes, der zuerst darum angegangen wird (BGH, MDR 2013,
1242 Rn. 7 mwN).
3.
Zuständiges Gericht ist das Arbeitsgericht Berlin.
a)
Ein Beschluss zur Verweisung des Rechtsstreits an das Gericht ei-
nes anderen Rechtswegs unter Erklärung der Unzulässigkeit des beschrittenen
Rechtswegs ist einer weiteren Überprüfung entzogen, sobald er unanfechtbar
geworden ist. Sofern das zulässige Rechtsmittel nicht eingelegt oder zurückge-
nommen worden oder erfolglos geblieben ist, wird die Verweisung für das Ge-
richt, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtswegs
im Grundsatz gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG bindend (BGH, MDR 2013,
1242 Rn. 9). Diese Bindungswirkung entfällt - anders bei Verweisungsbe-
schlüssen gemäß § 281 ZPO - auch nicht ohne weiteres, wenn sich die Verwei-
sung als objektiv willkürlich erweist (BGH, Beschluss vom 29. April 2014
- X ARZ 172/14, NJW 2014, 2125 Rn. 12).
b)
Der Bundesgerichtshof hat bislang offenlassen können, ob Ausnah-
mefälle denkbar sind, in denen die bindende Wirkung einer rechtskräftigen
Verweisung zu verneinen ist. Diese Frage bedarf auch im vorliegenden Zu-
sammenhang keiner Klärung.
Nach der Rechtsprechung des Senats kommt eine Ausnahme von der
Bindungswirkung allenfalls bei extremen Verstößen gegen die den Rechtsweg
und seine Bestimmung regelnden materiell- und verfahrensrechtlichen Vor-
schriften in Betracht (BGH, NJW 2014, 2125 Rn. 13). Ein solcher Verstoß liegt
im Streitfall nicht vor.
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aa) Allerdings war die Abtrennung des Verfahrens hinsichtlich des auf
einen Arbeitsvertrag gestützten Teils des Klagebegehrens weder zweckmäßig
noch zulässig.
Eine Abtrennung gemäß § 145 ZPO setzt voraus, dass die einzelnen Ver-
fahrensteile Ansprüche betreffen, über die unabhängig voneinander entschie-
den werden kann. An dieser Voraussetzung fehlt es, wenn der Gegenstand des
abgetrennten Verfahrens in einem zulässigen Eventualverhältnis zum Gegen-
stand des ursprünglichen Verfahrens steht (vgl. BGH Beschluss vom
8. November 1978 - IV ARZ 73/78, NJW 1979, 426 unter II 3; für den Fall eines
unzulässigen Eventualverhältnisses vgl. BGH Beschluss vom 6. Dezember
2006 - XII ZR 97/04, BGHZ 170, 152 Rn. 29). Mit der Abtrennung entstünde
nämlich ein neues Verfahren, dessen Hauptantrag unter einer Bedingung steht.
Eine Klage dieses Inhalts müsste als unzulässig abgewiesen werden, und zwar
auch dann, wenn die Bedingung später eintritt (vgl. BGH, Urteil vom
6. Dezember 2006 - XII ZR 190/06, BGHZ 170, 176 Rn. 9). Eine Verfah-
renstrennung mit dieser Folge ist mit § 145 ZPO nicht vereinbar.
bb) Dieser Verfahrensfehler ist aber nicht so schwerwiegend, dass er der
Bindungswirkung des vom Kläger nicht angefochtenen Verweisungs-
beschlusses entgegensteht.
Eine fehlerhafte Verfahrenstrennung ist zwar nicht selbständig mit
Rechtsmitteln angreifbar. Als dem Endurteil vorausgegangene Entscheidung
unterliegt sie aber der Nachprüfung im Verfahren über ein Rechtsmittel gegen
die Endentscheidung (BGH Urteil vom 6. Juli 1995 - I ZR 20/93, NJW 1995,
3120). Im Streitfall hätte der Kläger mit einer sofortigen Beschwerde gegen den
Verweisungsbeschluss des Landgerichts mithin die Rüge erheben können,
dass eine Verweisung schon deshalb nicht in Betracht kommt, weil die Verfah-
renstrennung zu Unrecht erfolgt ist.
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Wenn der Kläger von dieser Gelegenheit keinen Gebrauch gemacht hat,
besteht kein Anlass, die rechtskräftig gewordene Verweisung als unwirksam
anzusehen. Dem Kläger entsteht dadurch auch dann kein unzumutbarer Nach-
teil, wenn er die möglichen Konsequenzen der vom Landgericht gewählten Ver-
fahrensweise - insbesondere den Umstand, dass seine Klage vor dem Arbeits-
gericht schon deshalb abzuweisen sein wird, weil sie unter einer Bedingung
steht - bei der Entscheidung über die Einlegung von Rechtsmitteln nicht über-
blickt hat. Er kann die genannte Konsequenz vermeiden, indem er sein Begeh-
ren auch vor dem Arbeitsgericht mit einem unbedingten Klageantrag geltend
macht. Eine hierin liegende Klageänderung ist schon im Hinblick auf die beson-
dere Verfahrenssituation als sachdienlich anzusehen.
Dem beim Arbeitsgericht anhängigen Begehren steht auch nicht der Ein-
wand der anderweitigen Rechtskraft entgegen. Selbst wenn der Streitgegen-
stand der beiden Verfahren identisch sein sollte, stünde die vom Kläger nicht
angefochtene Entscheidung des Landgerichts der Geltendmachung und inhalt-
lichen Überprüfung von Ansprüchen aus dem Arbeitsvertrag jedenfalls deshalb
nicht entgegen, weil das Landgericht diese vom Gegenstand seiner Entschei-
dung ausgenommen hat. Wird in den Entscheidungsgründen eines die Leis-
tungsklage abweisenden Urteils ein bestimmter materiell-rechtlicher Anspruch
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ausdrücklich als nicht beschieden bezeichnet, kann es dem Kläger nicht ver-
wehrt werden, diesen Anspruch in einem weiteren Verfahren geltend zu ma-
chen (BGH, Urteil vom 14. Mai 2002 - X ZR 144/00, GRUR 2002, 787, 788).
Meier-Beck
Grabinski
Bacher
Hoffmann
Deichfuß
Vorinstanz:
ArbG Berlin, Entscheidung vom 27.01.2015 - 57 Ca 1013/15 -
LG Berlin, Entscheidung vom 05.11.2014 - 33 O 165/13 -