Urteil des BGH vom 23.02.2011

Leitsatzentscheidung zu Trennung der Verfahren, Gerichtsstand, Bezirk, Übertragung, Erlass

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X ARZ 388/10
vom
23. Februar 2011
in dem Gerichtsstandsbestimmungsverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 3
Die Bestimmung eines zuständigen Gerichts für eine Klage gegen mehrere
Personen, die bei verschiedenen Gerichten ihren allgemeinen Gerichtsstand
haben und als Streitgenossen im allgemeinen Gerichtsstand verklagt werden
sollen, ist nicht mehr möglich, wenn der Antragsteller gegen die Beklagten be-
reits vor verschiedenen Gerichten Klage erhoben hat.
BGH, Beschluss vom 23. Februar 2011 - X ARZ 388/10 - OLG Hamm
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Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Februar 2011 durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Gröning, Dr. Bacher,
Hoffmann und die Richterin Schuster
beschlossen:
Der Antrag auf Gerichtsstandsbestimmung wird zurückgewiesen.
Gründe:
I. Die Klägerin nimmt die Beklagten als Gesamtschuldner unter ande-
rem aus einer Garantievereinbarung in Anspruch und begehrt die Übertragung
von Aktien sowie die Feststellung, dass die Beklagten verpflichtet seien, die
Klägerin von Rückforderungsansprüchen freizustellen. Die Klägerin macht die
Ansprüche gegen den Antragsgegner zu 1. vor dem Landgericht Detmold und
gegen den Antragsgegner zu 2. vor dem Landgericht Meiningen geltend. Die
Antragsgegner haben ihren Wohnsitz im Bezirk des jeweils angerufenen Land-
gerichts. Die Klageschriften sind im Dezember 2009 eingereicht worden, wobei
die Klageschrift bei dem Landgericht Detmold früher eingegangen ist. Die Kla-
geschriften sind zugestellt worden, die Antragsgegner haben jeweils erwidert.
Vor dem Landgericht Detmold ist bereits mündlich verhandelt worden. Am
29. September 2010 hat die Klägerin beantragt, das Landgericht Detmold, hilfs-
weise das Landgericht Meiningen als für beide Klagen gemeinsam zuständiges
Gericht zu bestimmen. Die Beklagten sind diesem Antrag entgegengetreten.
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Das Oberlandesgericht Hamm hat die Sache gemäß § 36 Abs. 3 ZPO dem
Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.
II. Die Vorlage ist zulässig.
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1. Das vorlegende Oberlandesgericht Hamm ist zur Bestimmung des
zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 2 ZPO und damit zur Vorlage nach § 36
Abs. 3 ZPO berufen. Das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht für die
Landgerichte Detmold und Meiningen ist der Bundesgerichtshof, das zuerst mit
der Sache befasste Landgericht Detmold gehört zum Bezirk des Oberlandesge-
richts Hamm.
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2. Gemäß § 36 Abs. 3 ZPO hat ein Oberlandesgericht, das mit der Zu-
ständigkeitsbestimmung befasst ist, die Sache dem Bundesgerichtshof vorzule-
gen, wenn es in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Ober-
landesgerichts oder des Bundesgerichtshofs abweichen will. Diese Vor-
aussetzungen liegen vor. Das vorlegende Oberlandesgericht hält die Bestim-
mung eines gemeinschaftlich zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO
für ausgeschlossen, wenn mehrere Beklagte nicht von vornherein als Streitge-
nossen, sondern zunächst getrennt bei den jeweils zuständigen Gerichten ver-
klagt werden. Die Rechtshängigkeit der Einzelklagen bewirke, dass die Zustän-
digkeit der angerufenen Gerichte gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO bestehen blei-
be und auch in einem Bestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nicht
mehr geändert werden dürfe. Demgegenüber hat das Oberlandesgericht Frank-
furt am Main durch Beschluss vom 9. März 2006 einem Antrag auf Bestimmung
eines gemeinsam zuständigen Gerichts entsprochen, obwohl die Antragsgeg-
ner mit rechtshängigen Klagen bei verschiedenen und jeweils zuständigen Ge-
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richten in Anspruch genommen worden waren (OLG Frankfurt am Main, Be-
schluss vom 9. März 2006 - 21 AR 11/06, juris).
III. Der Antrag auf Bestimmung eines für beide Klagen zuständigen Ge-
richts ist unbegründet. Die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO liegen
nicht vor, weil die Klägerin bereits gegen beide Beklagten an deren allgemei-
nem Gerichtsstand Klage erhoben hat.
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1. Die Bestimmung eines gemeinsamen Gerichtsstands nach § 36
Abs. 1 Nr. 3 ZPO kommt über den Wortlaut der Vorschrift ("verklagt werden sol-
len") allerdings auch dann in Betracht, wenn gegen alle Beklagten bereits eine
Klage anhängig ist.
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Entscheidend dafür ist, dass die Bestimmung des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO
auf Zweckmäßigkeitserwägungen beruht und dass es im Interesse der Parteien
liegen kann, bei einer von vornherein gegen mehrere Beklagte (mit verschiede-
nen allgemeinen Gerichtsständen) gerichteten Klage auch noch nach Klageer-
hebung ein für alle Beklagten zuständiges Gericht zu bestimmen, um die Ent-
scheidung des Rechtsstreits durch ein einziges Gericht herbeizuführen (BGH,
Beschluss vom 7. Oktober 1977 - I ARZ 513/77, NJW 1798, 321). Der Bundes-
gerichtshof hat die Bestimmung eines gemeinsamen Gerichtsstandes im Inter-
esse der Prozessökonomie deshalb für zulässig erachtet, wenn der Antragstel-
ler bereits mehrere Beklagte vor einem Gericht verklagt hat und einzelne davon
die Unzuständigkeit dieses Gerichts geltend gemacht haben (BGH, Beschluss
vom 17. Oktober 1979 - IV ARZ 42/79, NJW 1980, 188, 189; Beschluss vom
27. Oktober 1983 - I ARZ 334/83, BGHZ 88, 331, 332 f.; Beschluss vom 16. Mai
2006 - X ARZ 41/06, NJW-RR 2006, 1289 Rn. 3).
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2. Im Streitfall besteht keine vergleichbare Ausgangslage. Die Klägerin
hat die Klage nicht von vornherein gegen beide Beklagte gerichtet, sondern die-
se in getrennten Prozessen vor unterschiedlichen Gerichten verklagt. Sie hat
damit gerade nicht zum Ausdruck gebracht, dass die Beklagten als Streitgenos-
sen im allgemeinen Gerichtsstand verklagt werden sollen. An dieser Entschei-
dung muss sie sich festhalten lassen. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO bildet keine aus-
reichende Grundlage, über den Anwendungsbereich § 147 ZPO hinaus zwei
anhängige Verfahren auch dann miteinander zu verbinden, wenn diese bei un-
terschiedlichen Gerichten anhängig sind. Ein Kläger, der mehrere Personen
wegen eines gleichgelagerten Sachverhalts in Anspruch nimmt, hat es vor Kla-
geerhebung in der Hand, ob er diese gemeinsam oder in getrennten Prozessen
verklagt. Entscheidet er sich für eine dieser Möglichkeiten, ist es auch unter
dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie nicht geboten, den Rechtsstreit nach-
träglich an ein anderes Gericht zu verlagern.
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3. Der Bundesgerichtshof hat eine Bestimmung der Zuständigkeit ge-
mäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO auch in einem Fall vorgenommen, in dem ein gegen
mehrere Antragsgegner eingeleitetes Mahnverfahren nach Widerspruch zu-
nächst an verschiedene Gerichte abgegeben worden war (BGH, Beschluss vom
2. Juni 1978 - I ARZ 202/78, NJW 1978, 1982). Auch daraus ergibt sich für den
Streitfall keine andere Beurteilung.
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In dem jener Entscheidung zu Grunde liegenden Fall hatte der An-
tragsteller beide Beklagten gemeinsam im Wege des Mahnverfahrens in An-
spruch genommen. Nach der damals geltenden Fassung von § 690 Abs. 1 Nr. 5
ZPO musste im Antrag auf Erlass eines Mahnbescheides als für das Streitver-
fahren zuständig zwingend das Gericht angegeben werden, bei dem der An-
tragsgegner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Der Antragsteller konnte
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damit nicht verhindern, dass es zu einer vorübergehenden Trennung der Ver-
fahren kommt, wenn er sich zur Geltendmachung seiner Rechte im Mahnver-
fahren entschloss und mehr als ein Antragsgegner Widerspruch einlegte. Der
Bundesgerichtshof hat dies als vom Gesetz nicht gewollte Benachteiligung an-
gesehen und deshalb die nachträgliche Bestimmung eines gemeinsamen Ge-
richtsstands zugelassen.
Im Streitfall hat die Klägerin ihre Ansprüche nicht im Wege des Mahnver-
fahrens geltend gemacht, sondern von vornherein den Klageweg beschritten.
Auf diesem Weg stand es ihr frei, beide Beklagten von vornherein gemeinsam
in Anspruch zu nehmen. Wenn sie sich stattdessen für eine getrennte Inan-
spruchnahme entschieden hat, kann dies nicht über § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO re-
vidiert werden.
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Meier-Beck
Richter am Bundesgerichtshof
Bacher
Gröning kann wegen Urlaubs
nicht
unterschreiben.
Meier-Beck
Hoffmann
Schuster
Vorinstanz:
OLG Hamm, Entscheidung vom 28.10.2010 - 32 Sbd 107/10 -