Urteil des BGH vom 10.06.2015

Leitsatzentscheidung zu Vergleich, Unterbrechung des Kausalzusammenhangs, Wohnung, Einvernehmliche Regelung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 99/14
Verkündet am:
10. Juni 2015
Ring,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 280 Abs. 1, § 573 Abs. 1
a) Der Vermieter ist im Falle der Vortäuschung von (Eigen-)Bedarf - wie auch sonst
bei einer schuldhaften (materiell) unberechtigten Kündigung eines Dauerschuld-
verhältnisses - dem Mieter gemäß § 280 Abs. 1 BGB zum Schadensersatz ver-
pflichtet (Bestätigung und Fortführung von BGH, Urteile vom 8. April 2009 - VIII ZR
231/07, NJW 2009, 2059 Rn. 11 mwN; vom 13. Juni 2012 - VIII ZR 356/11, juris
Rn. 10; Beschluss vom 7. September 2011 - VIII ZR 343/10, WuM 2011, 634
Rn. 3).
b) Ob ein Räumungsvergleich den Zurechnungszusammenhang zwischen der Vor-
täuschung einer (Eigen-)Bedarfssituation und dem später vom Mieter geltend ge-
machten Schaden unterbricht, ist im Wege der Auslegung des Vergleichs und un-
ter Würdigung der Umstände des Einzelfalls danach zu beurteilen, ob die Parteien
durch gegenseitiges Nachgeben auch den Streit darüber beilegen wollten, ob die
(Eigen-)Bedarfslage des Vermieters bestand oder nur vorgetäuscht war. Nur dann,
wenn mit dem Vergleich auch etwaige Ansprüche des Mieters wegen eines nur
vorgetäuschten Bedarfs abgegolten werden sollten, fehlt es an dem erforderlichen
Zurechnungszusammenhang
(Fortführung
von
BGH,
Beschluss
vom
7. September 2011 - VIII ZR 343/10, aaO).
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c) An das Vorliegen des Willens des Mieters, auf etwaige Ansprüche gegen den
Vermieter wegen eines nur vorgetäuschten (Eigen-)Bedarfs zu verzichten, sind
strenge Anforderungen zu stellen; der Verzichtswille muss - auch unter Berück-
sichtigung sämtlicher Begleitumstände - unmissverständlich sein (Anschluss an
und Fortführung von BGH, Urteile vom 21. November 2006 - VI ZR 76/06, NJW
2007, 368 Rn. 9; vom 26. Oktober 2009 - II ZR 222/08, NJW 2010, 64 Rn. 18; vom
18. September 2012 - II ZR 178/10, WM 2012, 2231 Rn. 22; vom 22. April 2015
- IV ZR 504/14, juris Rn. 15).
d) Für einen stillschweigenden Verzicht des Mieters auf die vorgenannten Ansprüche
bedarf es regelmäßig bedeutsamer Umstände, die auf einen solchen Verzichtswil-
len schließen lassen (Fortführung von BGH, Urteile vom 11. Oktober 2000
- VIII ZR 276/99, juris Rn. 18; vom 20. September 2006 - VIII ZR 100/05, WM
2007, 177 Rn. 22; Beschluss vom 19. September 2006 - X ZR 49/05, juris Rn. 27).
Derartige Umstände können bei einem Räumungsvergleich etwa darin liegen,
dass sich der Vermieter zu einer substantiellen Gegenleistung - wie etwa einer
namhaften Abstandszahlung - verpflichtet.
BGH, Urteil vom 10. Juni 2015 - VIII ZR 99/14 - LG Koblenz
AG Koblenz
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Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 10. Juni 2015 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Milger, die Richter
Dr. Achilles und Dr. Schneider, die Richterin Dr. Fetzer sowie den Richter
Dr. Bünger
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss der 6. Zivilkam-
mer des Landgerichts Koblenz vom 26. Februar 2014 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Kammer
des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Schadensersatz wegen unberechtigter Kündigung
des Mietverhältnisses.
Der Kläger hatte mit Vertrag vom 28. April 2008 vom Rechtsvorgänger
des Beklagten eine Vier-Zimmer-Wohnung in K. gemietet; die monatliche
Miete belief sich zuletzt
auf 523,09 € brutto. Der Beklagte kündigte das Mietver-
hältnis mit der - vom Kläger bestrittenen - Begründung, die Wohnung werde für
den neuen Hausmeister, Herrn D. , benötigt.
Nachdem die Räumungsklage in erster Instanz erfolglos geblieben war,
schlossen die Parteien im Vorprozess in der zweiten Instanz am 14. Juni 2011
auf Vorschlag des Berufungsgerichts einen Räumungsvergleich, in dem sich
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der Kläger (als damaliger Beklagter) verpflichtete, die Wohnung bis spätestens
31. Dezember 2011 zu räumen sowie die Kosten des Rechtsstreits einschließ-
lich der Kosten des Vergleichs zu tragen. Ferner verzichtete der Kläger (abge-
sehen von der gewährten vorbezeichneten Räumungsfrist) auf sämtliche Räu-
mungsschutzvorschriften. Im Falle eines vorzeitigen Auszugs, den der Kläger
zwei Wochen zuvor anzukündigen hatte, sollte er nur bis zum Auszug und zur
Übergabe der Wohnung Miete zahlen.
Nach dem Auszug des Klägers zog nicht der angekündigte neue Haus-
meister, sondern eine Familie in die ehemals vom Kläger gemietete Wohnung
des Beklagten ein. Im vorliegenden Prozess begehrt der Kläger Ersatz der Um-
zugskosten, der Mehrkosten, die ihm durch die höhere Miete für die neue Woh-
nung (850 € monatlich) und dadurch entstehen, dass er den Weg zur Arbeit
nicht mehr wie bisher zu Fuß zurücklegen könne, sowie Ersatz der ihm ent-
standenen Prozesskosten des Räumungsrechtsstreits.
Die auf Zahlung von 25.833,43 € nebst Zinsen und Freistellung von vor-
gerichtlichen Anwaltskosten gerichtete Klage hat in den Vorinstanzen keinen
Erfolg gehabt. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger
sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im We-
sentlichen ausgeführt:
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Dem Kläger stehe der geltend gemachte Schadensersatzanspruch nicht
zu. Zwar könne der Mieter von seinem Vermieter grundsätzlich nach § 280
Abs. 1 BGB Schadensersatz erlangen, wenn dieser schuldhaft eine Kündigung
wegen eines in Wahrheit nicht bestehenden Eigenbedarfs ausspreche. Weitere
Voraussetzung eines solchen Schadensersatzanspruchs sei es jedoch, dass
ein Kausalzusammenhang zwischen der behaupteten Pflichtverletzung (vorge-
täuschter Eigenbedarf) und dem geltend gemachten Schaden bestehe. Hieran
fehle es.
Zwar führe der Abschluss eines Räumungsvergleichs nicht zwangsläufig
zu einer Unterbrechung des Kausalzusammenhangs. Vielmehr komme es auf
die Umstände des Einzelfalls an, insbesondere darauf, ob die Parteien durch
gegenseitiges Nachgeben nur den Streit über die Schlüssigkeit und Beweisbar-
keit des Eigenbedarfs oder auch den Streit darüber hätten beseitigen wollen, ob
die vom Vermieter behauptete Bedarfssituation bestehe oder ob sie nur vorge-
täuscht gewesen sei. Nur im letzteren Fall könne in dem Vergleich ein Verzicht
des Mieters auf Schadensersatzansprüche wegen vorgetäuschten Eigenbe-
darfs gesehen werden.
Aufgrund einer Würdigung nach den dargelegten Maßstäben habe der im
Vorprozess abgeschlossene Vergleich der Parteien einen endgültigen Schluss-
strich unter das Mietverhältnis ziehen sollen. Dafür spreche bereits die im Ver-
gleich getroffene Vereinbarung, wonach sich der Kläger verpflichtet habe, die
Wohnung bis zum 31. Dezember 2011 zu räumen. Denn eine Räumungsfrist
von fast sechs Monaten sei in der damaligen Prozesssituation, in der die Beru-
fung keine Aussicht auf Erfolg gehabt habe [gemeint dürfte sein: die Verteidi-
gung des jetzigen Klägers gegen die damalige Berufung des jetzigen Beklag-
ten], ein Nachgeben des (jetzigen) Beklagten gewesen. Zudem sei dem Kläger
zugestanden worden, die Wohnung vorzeitig zu räumen. Auch der Umstand,
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dass die Parteien im Vorprozess gegenseitig Vorwürfe - angebliche Schikanen
des Beklagten und angebliche Vertragsverletzungen des Klägers - erhoben hät-
ten, spreche dafür, dass die einvernehmliche Regelung in erster Linie auf die
Beendigung des Vertragsverhältnisses abgezielt habe. Überdies habe der Klä-
ger die Bedarfslage des Beklagten und das Vorliegen des "Betriebsbedarfs" in
seiner Berufungserwiderung im Räumungsrechtsstreit nicht mehr ausdrücklich
bestritten; auch daraus sei zu schließen, dass die Parteien einen endgültigen
Schlussstrich unter die mietvertraglichen Beziehungen hätten ziehen und auch
den Streit über das Bestehen einer Bedarfslage beseitigen wollen.
Aus diesem Grund sei auch die vom Kläger erklärte Anfechtung des Ver-
gleichs unbegründet. Zudem habe der Beklagte durch die Vorlage einer eides-
stattlichen Versicherung des Hausmeisters D. vom 22. April 2013
nachgewiesen, dass er noch im Zeitpunkt des Auszuges des Klägers keine
Kenntnis davon gehabt habe, dass Herr D. entgegen dessen bisheri-
ger eindeutig erklärter Absicht aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in die
bis dahin vom Kläger bewohnte Dachgeschosswohnung einziehen werde.
II.
Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit der vom
Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Schadensersatzanspruch
des Klägers wegen unberechtigter Kündigung des Mietverhältnisses gemäß
§ 280 Abs. 1 BGB nicht verneint werden. Das Berufungsgericht hat den Räu-
mungsvergleich rechtsfehlerhaft dahin ausgelegt, dass der Kläger damit auch
auf eventuelle Schadensersatzansprüche wegen vorgetäuschten Bedarfs ver-
zichten sollte.
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1. Allerdings kann die Auslegung einer Individualvereinbarung - wie hier
des Räumungsvergleichs vom 14. Juni 2011 - durch den Tatrichter vom Revisi-
onsgericht nur eingeschränkt daraufhin überprüft werden, ob gesetzliche oder
allgemein anerkannte Auslegungsregeln, die Denkgesetze oder allgemeine Er-
fahrungssätze verletzt sind oder wesentlicher Auslegungsstoff außer Acht ge-
lassen worden ist oder die Auslegung auf mit der Revision gerügten Verfah-
rensfehlern beruht (st. Rspr.; Senatsurteil vom 3. Dezember 2014 - VIII ZR
224/13, NZM 2015, 79 Rn. 37 mwN). Dies gilt auch für Prozesserklärungen,
soweit es deren materiell-rechtlichen Inhalt betrifft (BGH, Beschluss vom
7. September 2011 - XII ZR 114/10, juris Rn. 15 mwN). Ein derartiger Rechts-
fehler fällt dem Berufungsgericht hier indes zur Last.
a) Das Berufungsgericht ist allerdings zutreffend davon ausgegangen,
dass der Vermieter im Falle der Vortäuschung von Eigenbedarf - wie auch
sonst bei einer schuldhaften (materiell) unberechtigten Kündigung eines Dauer-
schuldverhältnisses (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 11. Januar 1984 - VIII ZR
255/82, BGHZ 89, 296, 301 ff. [zur Wohn- und Gewerberaummiete]; vom
14. Januar 1988 - IX ZR 265/86, NJW 1988, 1268 unter III 2 b [zum Pachtver-
trag]; vom 28. November 2001 - XII ZR 197/99, NZM 2002, 291 unter 2 b [zur
Gewerberaummiete]; vom 22. April 2010 - I ZR 31/08, VersR 2010, 1668 Rn. 17
mwN [zum Frachtvertrag]; vgl. auch BGH, Urteil vom 16. Januar 2009 - V ZR
133/08, BGHZ 179, 238 Rn. 16 [zum Grundstückskaufvertrag]), wie hier des
Wohnraummietverhältnisses - dem Mieter gemäß § 280 Abs. 1 BGB zum
Schadensersatz verpflichtet ist (vgl. Senatsurteile vom 8. April 2009 - VIII ZR
231/07, NJW 2009, 2059 Rn. 11 mwN; vom 13. Juni 2012 - VIII ZR 356/11, juris
Rn. 10; Senatsbeschluss vom 7. September 2011 - VIII ZR 343/10, WuM 2011,
634 Rn. 3).
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Auch hat das Berufungsgericht - im Ansatzpunkt zutreffend - angenom-
men, dass die Frage, ob ein Räumungsvergleich den Zurechnungszusammen-
hang zwischen der Vortäuschung einer (Eigen-)Bedarfssituation und dem spä-
ter vom Mieter geltend gemachten Schaden unterbricht, im Wege der Ausle-
gung des Vergleichs und unter Würdigung der Umstände des Einzelfalls da-
nach zu beurteilen ist, ob die Parteien durch gegenseitiges Nachgeben auch
den Streit darüber beilegen wollten, ob die (Eigen-)Bedarfslage des Vermieters
bestand oder nur vorgetäuscht war. Nur dann, wenn mit dem Vergleich auch
etwaige Ansprüche des Mieters wegen eines nur vorgetäuschten Bedarfs ab-
gegolten werden sollten, fehlt es an dem erforderlichen Zurechnungszusam-
menhang (vgl. OLG Frankfurt am Main [Rechtsentscheid], NJW-RR 1995, 145,
146; vgl. auch Senatsbeschluss vom 7. September 2011 - VIII ZR 343/10, aaO;
Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, 11. Aufl., § 573 BGB Rn. 81).
b) Bei der konkreten Würdigung des Räumungsvergleichs hat das Beru-
fungsgericht indes unter Verstoß gegen § 286 ZPO wesentliche Umstände
außer Betracht gelassen und sich nicht an den eingangs genannten Maßstab
gehalten.
aa) Streitgegenstand des Vorprozesses war das Räumungsbegehren
des Beklagten im Anschluss an eine Kündigung, die darauf gestützt war, dass
die Wohnung als Hausmeisterwohnung für einen Angestellten des Vermieters
benötigt werde (sogenannter "Betriebsbedarf"; vgl. hierzu Senatsurteile vom
23. Mai 2007 - VIII ZR 122/06, NZM 2007, 639 Rn. 12 f. mwN; vom 15. Dezem-
ber 2012 - VIII ZR 210/10, NJW 2011, 993 Rn. 13).
Der Wortlaut des Vergleichs bietet zunächst keine Anhaltspunkte dafür,
dass die Parteien über den Streitgegenstand und die ausdrücklich geregelten
Punkte hinaus sämtliche in Betracht kommenden Ansprüche aus dem Mietver-
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hältnis, also etwa auch einen Schadensersatzanspruch wegen vorgetäuschten
Bedarfs, abschließend regeln wollten. Weder ist im Vergleich ein solcher An-
spruch erwähnt noch findet sich dort eine allgemeine Abgeltungsklausel, wobei
dahingestellt bleiben kann, ob von einer solchen Klausel der vorbezeichnete
Schadensersatzanspruch erfasst würde (dies verneinend: LG Hamburg, WuM
1995, 168; Schmidt-Futterer/Blank, aaO; vgl. auch Staudinger/Rolfs, BGB,
Neubearb. 2014, § 573 Rn. 228).
bb) Das Berufungsgericht hat dem Vergleich somit einen stillschweigen-
den Verzicht auf Schadensersatzansprüche wegen vorgetäuschten Bedarfs
entnommen. Dabei hat es rechtsfehlerhaft nicht berücksichtigt, dass an das
Vorliegen des Willens einer Partei, auf Ansprüche zu verzichten, strenge Anfor-
derungen zu stellen sind und der Verzichtswille - auch unter Berücksichtigung
sämtlicher Begleitumstände - unmissverständlich sein muss (st. Rspr.; vgl. nur
BGH, Urteile vom 21. November 2006 - VI ZR 76/06, NJW 2007, 368 Rn. 9;
vom 26. Oktober 2009 - II ZR 222/08, NJW 2010, 64 Rn. 18; vom 18. Septem-
ber 2012 - II ZR 178/10, WM 2012, 2231 Rn. 22; vom 22. April 2015 - IV ZR
504/14, juris Rn. 15; jeweils mwN). Sofern - wie hier - ein stillschweigender Ver-
zicht zu prüfen ist, bedarf es regelmäßig bedeutsamer Umstände, die auf einen
solchen Verzichtswillen schließen lassen (vgl. Senatsurteile vom 11. Oktober
2000 - VIII ZR 276/99, juris Rn. 18; vom 20. September 2006 - VIII ZR 100/05,
WM 2007, 177 Rn. 22; BGH, Beschluss vom 19. September 2006 - X ZR 49/05,
juris Rn. 27; jeweils mwN). Derartige Umstände können bei einem Räumungs-
vergleich etwa darin liegen, dass sich der Vermieter zu einer substantiellen Ge-
genleistung verpflichtet. So kann im Einzelfall in der Zahlung einer namhaften
Abstandszahlung oder einem Verzicht auf Schönheitsreparaturen der Wille der
Parteien entnommen werden, dass damit auch etwaige Ansprüche des Mieters
wegen vorgetäuschten Eigenbedarfs abgegolten sein sollen (vgl. OLG Frankfurt
am Main, aaO; OLG Celle, OLGR 1995, 4 f.; Erman/Lützenkirchen, BGB,
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14. Aufl., § 573 Rn. 57; Gramlich, Mietrecht, 12. Aufl., § 573 BGB unter 8; aA
wohl Staudinger/Rolfs, aaO mwN). Dies mag insbesondere dann in Betracht
kommen, wenn eine solche Einigung in einer Situation erheblicher Unsicherheit
für beide Parteien erfolgt, also etwa in der ersten Instanz vor Durchführung ei-
ner sonst erforderlichen umfangreichen Beweisaufnahme.
cc) Derartige Umstände, die den Schluss darauf zuließen, dass auch et-
waige Ansprüche des (jetzigen) Klägers wegen vorgetäuschten Bedarfs mit
dem Räumungsvergleich abgegolten sein sollten, hat das Berufungsgericht
nicht festgestellt. Im Gegenteil enthält der auf dem Vorschlag des Berufungsge-
richt basierende Räumungsvergleich ein allenfalls formales Nachgeben des
Beklagten (damaligen Klägers).
Dass die Zubilligung einer rund sechsmonatigen Räumungsfrist in dem
Vergleich ein ins Gewicht fallendes Entgegenkommen des damaligen Klägers
darstellte, kann schon deshalb nicht angenommen werden, weil dieser anderen-
falls auf eine streitige Entscheidung des Berufungsgerichts angewiesen gewe-
sen wäre, die nicht notwendig sogleich am Verhandlungstag als Stuhlurteil hätte
ergehen müssen, und weil mit einer Entscheidung ohne Zubilligung einer ge-
wissen Räumungsfrist nach den Umständen nicht zu rechnen war. Denn der
Mieter, der aufgrund einer Eigenbedarfskündigung oder - wie hier - einer Kündi-
gung wegen "Betriebsbedarfs" erstmals in der Berufungsinstanz zur Räumung
verurteilt wird, kann regelmäßig - sogar von Amts wegen - mit der Zubilligung
einer gewissen Räumungsfrist rechnen und hat zudem die Möglichkeit, nach
§ 721 Abs. 3 ZPO eine Verlängerung der Räumungsfrist oder aus Härtegründen
Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO zu beantragen. Nach dem Wortlaut des
Vergleichs sind diese Schutzvorschriften indes - ebenso wie eine Räumungs-
fristbewilligung nach § 794a ZPO - gleichfalls ausgeschlossen worden. Dass
der jetzige Kläger nach dem Vergleich nur bis zu seinem Auszug Miete zu zah-
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len hatte, stellt kein oder jedenfalls kein nennenswertes Entgegenkommen des
Beklagten dar, denn gemäß § 546a BGB hat der Mieter nach der Beendigung
des Mietvertrags nur bis zur Rückgabe der Mietsache Miete zu zahlen und setzt
ein weitergehender Schadensersatzspruch wegen unterbliebener Rückgabe
voraus, dass sie vom Mieter zu vertreten ist und die Billigkeit eine Schadloshal-
tung des Vermieters erfordert (§ 571 Abs. 1 Satz 1, 2 BGB).
Die übrigen Bestimmungen des Räumungsvergleichs waren für den jet-
zigen Kläger nur nachteilig, weil er die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hatte
und überdies durch den Vergleich zusätzliche Anwaltsgebühren entstanden, die
er nach dem Vergleich ebenfalls zu tragen hatte.
dd) Schließlich hat das Berufungsgericht dem Umstand, dass es die
Rechtsposition des jetzigen Klägers in der Berufungsinstanz im Vorprozess
selbst als aussichtslos angesehen und dies den Parteien auch mitgeteilt hat,
keine ausreichende Beachtung geschenkt. Denn in einer Prozesssituation, in
der das Gericht den Mieter auf die Aussichtslosigkeit seiner Rechtsverteidigung
hinweist, nachdem vernommene Zeugen den vom Vermieter behaupteten Be-
darf bestätigt haben, liegt es eher fern, dass die Parteien mit einem sodann ab-
geschlossenen Räumungsvergleich nicht nur die zu erwartende Entscheidung
des Gerichts über den streitgegenständlichen Räumungsanspruch vorwegneh-
men, sondern darüber hinaus etwaige Ansprüche der Mieters wegen vorge-
täuschten Bedarfs abgelten wollen.
ee) Auch die weitere Erwägung des Berufungsgerichts, beide Parteien
hätten sich im Laufe des Prozesses wechselseitig diverse Vertragsverletzungen
vorgeworfen, lässt keinen Rückschluss darauf zu, dass mit dem Vergleich auch
Ansprüche wegen vorgetäuschten Bedarfs abgegolten werden sollten. Denn
das Berufungsgericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob die behaupte-
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ten wechselseitigen Vorwürfe zutrafen; es ist auch nicht ersichtlich, dass beide
Vertragsparteien das Mietverhältnis inzwischen als zerrüttet ansahen und es
deshalb - unabhängig von der vom damaligen Kläger geltend gemachten Be-
darfssituation - beenden wollten.
2. Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich auch nicht aus an-
deren Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Die Ausführungen des Berufungs-
gerichts zur Würdigung der vom Beklagten vorgelegten eidesstattlichen Versi-
cherung des Hausmeisters D. vom 22. April 2013 stellen keine die
Entscheidung selbständig tragende Hilfsbegründung dar. Dies ergibt sich schon
daraus, dass es sich bei einer eidesstattlichen Versicherung nicht um ein im
Erkenntnisverfahren zulässiges Beweismittel handelt, so dass das Berufungs-
gericht, wenn es auf die Würdigung der Angaben des Hausmeisters entschei-
dend angekommen wäre, sich nicht mit einer Würdigung der eidesstattlichen
Versicherung hätte begnügen dürfen, sondern den (von beiden Parteien be-
nannten) Zeugen hätte vernehmen müssen.
III.
Nach alledem kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben; es
ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die nicht entscheidungsreife Sache
ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück-
zuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dabei macht der Senat von der Mög-
lichkeit der Verweisung an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts
Gebrauch (§ 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO).
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:
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1. Das Berufungsgericht wird zunächst im Rahmen der Beweisaufnahme
zu klären haben, ob der vom Beklagten mit der Kündigung geltend gemachte
Bedarf nur vorgetäuscht war. Bejahendenfalls stünde dem Kläger dem Grunde
nach der von ihm geltend gemachte, durch den Räumungsvergleich der Partei-
en vom 14. Juni 2011 nicht ausgeschlossene Schadensersatzanspruch gemäß
§ 280 Abs. 1 BGB wegen vorgetäuschten Bedarfs zu.
2. Sollte das Berufungsgericht hingegen nicht zu der Feststellung eines
vom Beklagten nur vorgetäuschten Bedarfs gelangen, wird es zu bedenken ha-
ben, dass vieles dafür spricht, dass die Frage, ob der vom Beklagten als Grund
für die Kündigung angegebene "Betriebsbedarf" den Anforderungen des Senats
an eine Kündigung nach § 573 Abs. 1 BGB genügt (vgl. hierzu Senatsurteil vom
23. Mai 2007 - VIII ZR 122/06, aaO), durch den Räumungsvergleich der
Parteien dem Streit entzogen sein dürfte.
Dr. Milger
Dr. Achilles
Dr. Schneider
Dr. Fetzer
Dr. Bünger
Vorinstanzen:
AG Koblenz, Entscheidung vom 06.11.2013 - 161 C 1145/13 -
LG Koblenz, Entscheidung vom 26.02.2014 - 6 S 282/13 -
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