Urteil des BGH vom 15.03.2016

Grundsatz der Unmittelbarkeit, Stadt, Mieter, Wohnung

ECLI:DE:BGH:2016:150316BVIIIZR82.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VIII ZR 82/15
vom
15. März 2016
in dem Rechtsstreit
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Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. März 2016 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Milger, die Richterinnen Dr. Hessel und Dr. Fetzer
sowie die Richter Dr. Bünger und Kosziol
beschlossen:
Der Senat beabsichtigt, die Revision der Klägerin durch einstim-
migen Beschluss gemäß § 552a ZPO zurückzuweisen.
Gründe:
I.
Die Parteien streiten, soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse,
um Erstattung überzahlter Miete.
Die Klägerin ist Eigentümerin von drei Hochhäusern (30 Etagen), die in
der Bauperiode zwischen 1972 und 1981 an der N. in Mann-
heim als öffentlich geförderter Wohnraum erbaut wurden. Gemäß § 32 Abs. 1
Nr. 1, Abs. 3 Satz 3 des Landesgesetzes zur Förderung von Wohnraum und
Stabilisierung von Quartierstrukturen vom 11. Dezember 2007 (Landeswohn-
raumförderungsgesetz; im Folgenden: LWoFG) in Verbindung mit der Satzung
der Stadt Mannheim vom 25. November 2008 zur höchstzulässigen Miete für
geförderte Wohnungen darf die Miete nicht höher sein als die um einen Ab-
schlag von zehn Prozent verminderte ortsübliche Vergleichsmiete.
Vor diesem Hintergrund besteht zwischen der Klägerin und ihren Mie-
tern, zu denen auch die Beklagten gehören, Streit darüber, wie die jeweiligen
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Wohnungen in den Mietspiegel der Stadt Mannheim einzuordnen sind. Insbe-
sondere streiten die Parteien darüber, ob die Wohnlage nach den Kriterien des
Mietspiegels nicht als "normal", sondern als "gut" einzuordnen ist, so dass nach
dem Mietspiegel ein entsprechender Zuschlag zum arithmetischen Mittelwert
des einschlägigen Mietspiegelfeldes vorzunehmen wäre. Während die Mieter
meinen, dass sie für die Zeit ab 1. Januar 2009 einen Teil der Miete zurückfor-
dern können, weil die Mietobergrenzen nach den einschlägigen Bestimmungen
des öffentlich geförderten Wohnungsbaus nicht eingehalten seien, vertritt die
Klägerin die Auffassung, dass sie diese Grenzen unterschreite und deshalb Zu-
stimmung zu einer Erhöhung der Miete verlangen könne. Zwischen der Klägerin
und ihren Mietern sind deshalb zahlreiche Rechtsstreitigkeiten eingeleitet wor-
den, in denen (in unterschiedlichen Parteirollen) die Mieter Erstattung überzahl-
ter Miete und die Vermieterin Zustimmung zu einer Mieterhöhung nach § 558
BGB begehrt haben; sechs dieser Verfahren sind nach Zulassung der Revision
durch das Berufungsgericht beim Senat anhängig.
Die Klägerin des vorliegenden Rechtsstreits hat in den erstinstanzlichen
Verfahren jeweils selbst zahlreiche Fotos über die Wohnanlage und Umgebung
sowie Ablichtungen aus Straßenkarten zur Verdeutlichung der Lage als Anla-
gen zu einem Schriftsatz zu den Akten gereicht.
Das Berufungsgericht hat sich in einer Reihe von Verfahren zu der
Wohnanlage der Klägerin begeben und dort Wohnungen der betreffenden Mie-
ter in Augenschein genommen. Außerdem hat es in einem der Verfahren eine
amtliche Auskunft der Stadt Mannheim zur Einbeziehung preisgebundener
Wohnungen in den Mietspiegel der Stadt Mannheim eingeholt. Anlass dafür war
der Vortrag der Vermieterin in der dortigen Berufungsbegründung, dass es -
entgegen der Auffassung des Amtsgerichts in dem angefochtenen Urteil - ent-
scheidend darauf ankomme, wie die Stadt Mannheim die streitigen Wohnungen
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in den Mietspiegel eingestuft habe. Denn die Stadt Mannheim sei nicht nur für
die Erstellung des Mietspiegels zuständig, sondern auch für die Genehmigung
der Miete des geförderten Wohnraums. Der von der Stadt erteilten Genehmi-
gung für die streitigen Mieten müsse daher Bindungswirkung auch für das vor-
liegende Verfahren zukommen. Bei einer telefonischen Anfrage habe die Kläge-
rin von der im Fachbereich Städtebau tätigen Mitarbeiterin der Stadt Mannheim
erfahren, dass bei der Datenerhebung auch Wohnungen der streitigen Wohnan-
lage erfasst worden seien, und zwar unter Einstufung als "gute Wohnlage". Die-
se Einschätzung als "gute Wohnlage" sei von der Stadt Mannheim deshalb
auch vorliegend zugrunde zu legen.
In der auf Anfrage des Berufungsgerichts im Verfahren 4 S 158/12 von
der Stadt Mannheim erteilten amtlichen Auskunft heißt es, bei der Erstellung
des Mietspiegels seien Vorkehrungen dazu getroffen worden, dass preisgebun-
dene Wohnungen "herausgefiltert" und nicht bei der Ermittlung der ortsüblichen
Vergleichsmiete einbezogen werden.
Im vorliegenden Verfahren hat das Berufungsgericht den Parteien mit ge-
richtlicher Verfügung vom 21. November 2014 eine Ablichtung der genannten
amtlichen Auskunft der Stadt Mannheim sowie eine Abschrift des Protokolls
über die in dem Verfahren 4 S 174/12 erfolgte Einnahme des Augenscheins in
dem Anwesen N. 25 übersandt. Außerdem wurde die Klägerin
um Mitteilung gebeten, welcher Wohnungstyp betroffen und nach welcher
Himmelsrichtung die streitige Wohnung belegen sei. In der mündlichen Beru-
fungsverhandlung vom 3. Dezember 2014 hat die Prozessbevollmächtigte der
Klägerin die vom Gericht erbetenen Unterlagen überreicht und haben beide
Parteien ihre Zustimmung zum schriftlichen Verfahren erteilt. Daraufhin hat das
Berufungsgericht das schriftliche Verfahren mit einer Schriftsatzfrist bis 19. De-
zember 2014 angeordnet und Verkündungstermin auf den 2. März 2015 anbe-
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raumt. Die Klägerin hat innerhalb der eingeräumten Schriftsatzfrist ergänzende
Lagepläne zum Aufbau der Hochhäuser, der verschiedenen Wohnungstypen
und deren Ausrichtung eingereicht.
Das Berufungsgericht hat die Klage auf Zustimmung zur Mieterhöhung
ab 1. Februar 2012 abgewiesen und die Widerklage der Beklagten auf Rück-
zahlung überzahlter Miete (nur) in Höhe von 57,06 € nebst vorgerichtlicher
Rechtsanwaltskosten für begründet erachtet. Es hat die Revision mit der Be-
gründung zugelassen, die Sache habe im Hinblick auf die Widerklage "wegen
§ 134 BGB und der Anwendung des LWoFG" grundsätzliche Bedeutung. Die
Klägerin begehrt mit ihrer Revision die vollständige Abweisung der Widerklage,
soweit diese auf Rückzahlung von Miete gerichtet ist.
II.
1. Es besteht kein Grund für die Zulassung der Revision. Die Sache hat
weder grundsätzliche Bedeutung noch liegt einer der sonstigen in § 543 Abs. 2
Satz 1 ZPO genannten Gründe für die Zulassung der Revision vor.
Der pauschal gehaltenen Begründung des Berufungsgerichts kann eine
grundsätzliche Bedeutung der Sache nicht entnommen werden; sie ist auch im
Übrigen nicht ersichtlich. Ein grundsätzlicher Klärungsbedarf im Zusammen-
hang mit der Frage, welche Rechtsfolgen die Überschreitung der nach dem
LWoFG höchstzulässigen Miete hat, besteht nicht. Vielmehr ergibt sich bereits
aus den gesetzlichen Vorschriften (§ 19 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1, 2 in Verbindung
mit § 32 Abs. 3, § 29 LWoFG), dass die Vereinbarung einer höheren als der
höchstzulässigen Miete unwirksam ist. Von dieser Rechtsfolge ist auch das Be-
rufungsgericht ausgegangen. Dies greift die Revision auch nicht an.
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2. Die Revision der Klägerin hat auch keine Aussicht auf Erfolg. Zutref-
fend hat das Berufungsgericht angenommen, dass ein Verstoß gegen die sich
nach den Bestimmungen des LWoFG ergebende höchstzulässige Miete zu ei-
ner Teilnichtigkeit der Vereinbarung mit der Folge führt, dass der Mieter über-
zahlte Beträge ohne Rechtsgrund geleistet hat und sie nach § 812 Abs. 1
Satz 1 Alt. 1 BGB zurückfordern kann. Diese Rechtslage wird auch von der Re-
vision nicht in Frage gestellt.
Die Revision rügt vielmehr allein, dass das Berufungsgericht keine "gute
Wohnlage", sondern nur eine "durchschnittliche" Wohnlage im Sinne des
Mannheimer Mietspiegels angenommen und deshalb die ortsübliche Ver-
gleichsmiete und die daraus errechnete höchstzulässige Miete für die streitige
Wohnung zu gering angesetzt habe. Die in diesem Zusammenhang vorge-
nommene tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts lässt indes einen
Rechtsfehler nicht erkennen. Die von der Revision insoweit erhobenen Verfah-
rensrügen sind unbegründet.
a) Die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe unter Verstoß ge-
gen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme die Ergebnisse
von Beweisaufnahmen (Einnahme des Augenscheins) in anderen Verfahren
verwendet, ist angesichts der unter I. wiedergegebenen Verfahrensweise des
Berufungsgerichts und der daraufhin erteilten Zustimmung der Klägerin zur Ent-
scheidung im schriftlichen Verfahren unbegründet. Denn bei objektiver Betrach-
tung kam darin zum Ausdruck, dass die Kammer das Protokoll über die in dem
Parallelverfahren erfolgte Einnahme des Augenscheins urkundenbeweislich
verwerten wollte und sich die Parteien damit zumindest stillschweigend einver-
standen erklärt haben.
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b) Auch die weitere Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe we-
gen der unterbliebenen Vernehmung der Zeugin P. den Mannheimer Miet-
spiegel verfahrensfehlerhaft als qualifizierten Mietspiegel behandelt, ist unbe-
gründet. Denn in den Tatsacheninstanzen hatte die Klägerin, wie das Beru-
fungsgericht richtig gesehen hat, nicht bestritten, dass es sich bei dem Mann-
heimer Mietspiegel um einen qualifizierten Mietspiegel handelte; vielmehr ist sie
bei der Klage auf Zustimmung zu einer Mieterhöhung selbst von diesem Miet-
spiegel ausgegangen und hat sich wegen der Berechtigung ihres Begehrens
auf den Mietspiegel und die ihrer Auffassung nach gebotene Einordnung der
Lage der streitigen Wohnung als "gute Wohnlage" berufen, die auch die Stadt
Mannheim vorgenommen habe und deshalb verbindlich sei. Letzteres hat das
Berufungsgericht indes zu Recht verneint und ist dabei zutreffend davon aus-
gegangen, dass es sich bei der Einordnung der Wohnlage um eine vom Gericht
vorzunehmende Wertungsfrage handele, so dass es auf die etwaige Einschät-
zung der Zeugin nicht ankomme. Von einer weiteren Begründung sieht der Se-
nat gemäß § 564 Satz 1 ZPO ab.
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3. Die Anschlussrevision würde bei einer Entscheidung nach § 552a ZPO
gemäß § 554 Abs. 4 ZPO ihre Wirkung verlieren.
4. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen ab
Zustellung dieses Beschlusses.
Dr. Milger
Dr. Hessel
Dr. Fetzer
Dr. Bünger
Kosziol
Hinweis:
Das Revisionsverfahren ist durch Revisionsrücknahme erledigt worden.
Vorinstanzen:
AG Mannheim, Entscheidung vom 26.02.2013 - 2 C 128/12 -
LG Mannheim, Entscheidung vom 02.03.2015 - 4 S 42/13 -
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