Urteil des BGH vom 18.11.2015

Leitsatzentscheidung zu Wohnfläche, Mietvertrag, Vermieter, Anpassung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 266/14
Verkündet am:
18. November 2015
Ring,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
BGB § 558
a) Die bei Abschluss eines Wohnraummietvertrages getroffene Beschaffenheitsvereinbarung
zur Wohnungsgröße ist - und zwar auch bei Abweichungen von bis zu 10 % - nicht geeig-
net, die bei einer späteren Mieterhöhung zu berücksichtigende Größe der Wohnung durch
einen von den tatsächlichen Verhältnissen abweichenden fiktiven Wert verbindlich festzu-
legen (Aufgabe der Senatsrechtsprechung, zuletzt Senatsurteil vom 8. Juli 2009 - VIII ZR
205/08, NJW 2009, 2739 Rn. 10, 13 mwN). Vielmehr ist jede im Wohnraummietvertrag
enthaltene, von der tatsächlichen Wohnungsgröße abweichende Wohnflächenangabe für
die Anwendbarkeit des § 558 BGB und die nach dessen Maßstäben zu beurteilende Miet-
erhöhung ohne rechtliche Bedeutung. Maßgeblich für den nach dieser Bestimmung vor-
zunehmenden Abgleich der begehrten Mieterhöhung mit der ortsüblichen Vergleichsmiete
ist allein die tatsächliche Größe der vermieteten Wohnung.
b) Auch in Fällen, in denen sich nachträglich herausstellt, dass die tatsächliche Wohnfläche
über der bis dahin von den Mietvertragsparteien angenommenen oder vereinbarten
Wohnfläche liegt, kommt bei einseitigen Mieterhöhungen die Kappungsgrenze des § 558
Abs. 3 BGB zur Anwendung, zu deren Bemessung die zu Beginn des Vergleichszeit-
raums geltende Ausgangsmiete der ortsüblichen Vergleichsmiete gegenüber zu stellen
ist.
BGH, Urteil vom 18. November 2015 - VIII ZR 266/14 - LG Berlin
AG Berlin-Charlottenburg
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Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 18. November 2015 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Milger sowie die
Richter Dr. Achilles, Dr. Schneider, Dr. Bünger und Kosziol
für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil der Zivilkammer 18 des
Landgerichts Berlin vom 11. September 2014 wird zurückgewie-
sen.
Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Beklagte ist Mieter einer 5-Zimmer-Wohnung der Klägerin in Berlin.
In dem noch mit der Rechtsvorgängerin der Klägerin im Jahre 1985 abge-
schlossenen Mietvertrag sind die Wohnfläche mit 156,95 qm und die monatliche
Miete mit 811,81 DM angegeben. Ein von der Klägerin im Jahr 2013 veranlass-
tes Aufmaß der Wohnung ergab eine tatsächliche Wohnfläche von 210,43 qm.
Am 24. Mai 2013 verlangte die Klägerin von dem Beklagten die Zustim-
mung zu einer Erhöhung der Bruttokaltmiete von bisher
629,75 € auf 937,52 €.
Dies stützte sie zum einen darauf, dass sie wegen der Überschreitung der ver-
traglich vereinbarten Wohnfläche um 33,95 % berechtigt sei, die Miete ent-
sprechend, nämlich auf 843,06 €, anzupassen. Zum anderen machte sie gel-
tend, auch zur Anhebung der Miete gemäß § 558 BGB berechtigt zu sein; inso-
weit begehrte sie - ausgehend von der seit 2008 gezahlten Miete in Höhe von
monatlich
629,75 € und der hieran ansetzenden Kappungsgrenze von 15 % -
eine zu
m Anpassungsbetrag von 843,06 € hinzukommende Mieterhöhung um
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94,46
€, insgesamt also künftig 937,52 €. Der Beklagte stimmte nur einer Miet-
erhöhung um 94,46 € monatlich zu.
Die auf Zustimmung zu einer darüber hinausgehenden Mieterhöhung um
monatlich weit
ere 213,31 € gerichtete Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos
geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die
Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht (LG Berlin, GE 2014, 1455) hat zur Begründung
seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
Das Mieterhöhungsbegehren der Klägerin scheitere in dem noch im
Streit befindlichen Umfang schon daran, dass die gesetzliche Kappungsgrenze
nicht eingehalten sei. Aus der von der Klägerin für ihre gegenteilige Auffassung
herangezogenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 23. Mai 2007
(VIII ZR 138/06) ergebe sich nur, dass der Vermieter, wenn die tatsächliche
Wohnfläche - wie hier - um mehr als 10 % größer als die vereinbarte Wohnflä-
che sei, sich nicht an der Wohnflächenvereinbarung festhalten lassen müsse,
sondern einem Mieterhöhungsverlangen nach § 558 BGB die tatsächliche
Wohnfläche zugrunde legen könne. Es sei allerdings kein Grund ersichtlich,
warum in diesem Fall nicht zugleich die gesetzliche Kappungsgrenze einzuhal-
ten sei. Insbesondere stelle die vorliegende Fallgestaltung auch keine Ausnah-
mesituation dar, die es rechtfertigen könnte, die Miete entgegen den bestehen-
den gesetzlichen Begrenzungen anzupassen.
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II.
Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung stand, so dass die Revi-
sion zurückzuweisen ist. Das Berufungsgericht hat richtig entschieden, dass die
Klägerin eine Anpassung der Miete nur im Rahmen des § 558 BGB unter Be-
achtung der Kappungsgrenze verlangen kann; insoweit hat der Beklagte aber
bereits vorprozessual seine Zustimmung erteilt. Daneben ist für eine weitere
Erhöhung der Miete - etwa unter Heranziehung von Gesichtspunkten eines
Wegfalls der Geschäftsgrundlage - kein Raum.
1. Gemäß § 558 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Vermieter die Zustimmung
zu einer Erhöhung der Miete bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete verlangen,
wenn die Miete - wie hier - in dem Zeitpunkt, zu dem die Erhöhung eintreten
soll, seit 15 Monaten unverändert ist.
a) Nach der Rechtsprechung des Senats beinhaltet die in einem Wohn-
raummietvertrag enthaltene Wohnflächenangabe im Allgemeinen zugleich eine
dahin gehende vertragliche Festlegung der Sollbeschaffenheit der Mietsache im
Sinne einer Beschaffenheitsvereinbarung (Senatsurteile vom 24. März 2004
- VIII ZR 295/03, NJW 2004, 1947 unter II 2 a; vom 10. März 2010
- VIII ZR 144/09, NJW 2010, 1745 Rn. 8 mwN; ebenso für die Gewerberaum-
miete BGH, Urteil vom 18. Juli 2012 - XII ZR 97/09, WM 2013, 1087 Rn. 15).
Dementsprechend geht der Senat - woran festzuhalten ist - in ständiger Recht-
sprechung davon aus, dass ein zur Minderung der Miete führender Mangel der
Wohnung im Sinne des § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB infolge Überschreitung der
Erheblichkeitsschwelle (§ 536 Abs. 1 Satz 3 BGB) gegeben ist, wenn die tat-
sächliche Wohnfläche um mehr als 10 % unter der im Mietvertrag angegebenen
Wohnfläche liegt (Senatsurteile vom 24. März 2004 - VIII ZR 295/03, aaO unter
II 2 c; vom 10. November 2010 - VIII ZR 306/09, NJW 2011, 220 Rn. 14 mwN).
b) Das bedeutet jedoch nicht, dass mit einer solchen bei Vertragsschluss
getroffenen Beschaffenheitsvereinbarung auch die bei einer späteren Mieterhö-
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hung gemäß § 558 Abs. 2 BGB in die Bildung der ortsüblichen Vergleichsmiete
einzustellende Größe der Wohnung in gleicher Weise durch einen von den tat-
sächlichen Verhältnissen abweichenden fiktiven Wert verbindlich festgelegt ist.
Soweit der Senat dies in seiner bisherigen Rechtsprechung anders gesehen
hat, indem er Abweichungen von bis zu 10 % für unbeachtlich gehalten hat (zu-
letzt Senatsurteil vom 8. Juli 2009 - VIII ZR 205/08, NJW 2009, 2739
Rn. 10, 13 mwN), hält er daran nicht mehr fest. Vielmehr ist jede im Wohn-
raummietvertrag enthaltene, von der tatsächlichen Wohnungsgröße abwei-
chende Wohnflächenangabe für die in § 557 Abs. 3 Halbs. 1 BGB vorgeschrie-
bene Anwendbarkeit des § 558 BGB und die nach dessen Maßstäben zu beur-
teilende Mieterhöhung ohne rechtliche Bedeutung. Maßgeblich für den nach
dieser Bestimmung vorzunehmenden Abgleich der begehrten Mieterhöhung mit
der ortsüblichen Vergleichsmiete ist allein die tatsächliche Größe der vermiete-
ten Wohnung.
aa) Hinsichtlich der Anforderungen an eine Erhöhung der Miete bis zur
ortsüblichen Vergleichsmiete ist der Gesetzgeber von Anfang an davon ausge-
gangen, dass für den Vergleich allein der objektive Wohnwert der zur Mieterhö-
hung anstehenden Wohnung maßgebend ist. Dementsprechend hat er etwa die
Art der Wohnungsfinanzierung ebenso wie die Kosten der Herstellung, der Er-
haltung und der Modernisierung außer Betracht lassen und auch dem Alter der
Wohnung nur insoweit Bedeutung beimessen wollen, als dadurch der Wohn-
wert etwa über den Erhaltungszustand beeinflusst wird (BT-Drucks. 7/2011,
S. 10 [zu Art. 3 § 2 Abs. 1 Nr. 2 des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes über den
Kündigungsschutz für Mietverhältnisse über Wohnraum - Gesetz zur Regelung
der Mieterhöhung]). Damit hat er unübersehbar zum Ausdruck gebracht, dass
er nur den objektiven Wohnwert in den Vergleich eingestellt wissen, subjektiven
Elementen, zu denen auch Vereinbarungen zu bestimmten Wohnwertmerkma-
len - hier die Wohnungsgröße - zählen, dagegen keinen Raum geben wollte.
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bb) Die Maßgeblichkeit des in den Vergleich einzustellenden objektiven
Wohnwerts hat dementsprechend in den hierauf ergangenen Rechtsentschei-
den der Oberlandesgerichte mit Recht stets außer Frage gestanden (OLG
Karlsruhe, NJW 1982, 890, 891; OLG Hamm, NJW 1983, 1622, 1623; OLG
Hamburg, NJW-RR 2000, 1321, 1322 f.; jeweils mwN). Denn andernfalls wäre
der Vermieterseite wertungswidrig, insbesondere dem in § 10 Abs. 1 des Ge-
setzes zur Regelung der Miethöhe vom 18. Dezember 1974 (BGBl. I S. 3604;
im Folgenden MHG) geregelten Abweichungsverbot zuwider, ein Spielraum
zugestanden worden, über Vereinbarungen zum Wohnwert oder zu bestimmten
Wohnwertmerkmalen, zu denen auch die Wohnungsgröße gehört, den bei künf-
tigen Mieterhöhungen vorzunehmenden Vergleich schon vorab zu ihren Guns-
ten zu verändern oder gar zu verfälschen. Dass zu solchen (unzulässig) abwei-
chenden Vereinbarungen auch schon anfängliche Regelungen zählen können,
hat der Gesetzgeber - am Beispiel von Mietgleitklauseln, die die ortsübliche
Vergleichsmiete als Obergrenze unberücksichtigt lassen - seinerzeit ebenfalls
zum Ausdruck gebracht (BT-Drucks. 7/2011, S. 14 zu dem § 10 MHG entspre-
chenden Art. 3 § 8 Abs. 1 des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes über den Kün-
digungsschutz für Mietverhältnisse über Wohnraum - Gesetz zur Regelung der
Mieterhöhung) und dieses Verbot unverändert in § 558 Abs. 6 BGB überführt
(BT-Drucks. 14/4553, S. 54).
Genauso verhält es sich mit der den Vergleichsmaßstab bildenden orts-
üblichen Vergleichsmiete, an der zu messen ist, ob sich die neue Miete inner-
halb des hierdurch vorgegebenen Rahmens hält. Auch diese wird nach objekti-
ven Maßstäben, nämlich aus den üblichen Entgelten gebildet, die in der Ge-
meinde für Wohnraum vergleichbarer Art, Größe, Ausstattung, Beschaffenheit
und Lage in den letzten vier Jahren vereinbart oder geändert worden sind (Se-
natsurteile vom 21. November 2012 - VIII ZR 46/12, NJW 2013, 775 Rn. 13;
vom 3. Juli 2013 - VIII ZR 354/12, BGHZ 197, 366 Rn. 20; vgl. auch
BVerfGE 53, 352, 358).
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cc) Auf beiden Seiten des Vergleichs ist danach objektiv anzuknüpfen, es
sei denn, die Vertragsparteien hätten - wie hier jedoch nicht - gemäß § 557
Abs. 1, 3 Halbs. 2 BGB anlässlich der konkreten Mieterhöhung in zulässiger
Weise (vgl. § 557 Abs. 4, § 558 Abs. 6 BGB) Abweichendes vereinbart. Für ei-
ne Mieterhöhung nach § 558 BGB kommt es deshalb nicht auf fiktive Verhält-
nisse, sondern auf die für die tatsächliche Wohnungsgröße maßgebliche Miete
an, weil nach dem gesetzgeberischen Regelungskonzept dieser Bestimmung,
die es dem Vermieter ermöglichen soll, im Rahmen des Vergleichsmietensys-
tems eine angemessene, am örtlichen Markt orientierte Miete zu erzielen, allein
die (tatsächlichen) Gegebenheiten den Maßstab für die Berechtigung einer
Mieterhöhung bilden (Senatsurteil vom 9. Juli 2008 - VIII ZR 181/07, BGHZ 177,
186 Rn. 11 f, 17).
c) Entgegen der von dem Beklagten in den Instanzen vorgetragenen Auf-
fassung ist die im Mietvertrag angegebene Wohnfläche nicht schon deshalb
zugrunde zu legen, weil die Parteien mit der Angabe einer kleineren als der tat-
sächlichen Wohnfläche einen teilweisen Ausschluss künftiger Mieterhöhungen
des Vermieters hätten vereinbaren wollen.
aa) Es entspricht zwar einer in der Instanzrechtsprechung und im miet-
rechtlichen Schrifttum verbreitet und mit unterschiedlicher Begründung vertrete-
nen Auffassung, dass in Fällen, in denen im Mietvertrag die Wohnungsgröße
niedriger, als sie tatsächlich ist, festgesetzt wird, eine auf die tatsächliche Woh-
nungsgröße gestützte Mieterhöhung bereits deshalb nicht in Betracht kommen
könne, weil sich aus dieser Größenangabe zugleich der Ausschluss einer Miet-
erhöhung für die abweichend vom Mietvertrag vorliegende größere Fläche er-
gebe (zum Meinungsstand etwa Staudinger/Weitemeyer, BGB, Neubearb.
2014, § 557 Rn. 65). Teilweise wird demgegenüber aber auch darauf hingewie-
sen, man könne einer Beschaffenheitsvereinbarung ohne besondere zusätz-
liche Anhaltspunkte nicht die Bedeutung eines Feststellungsvertrages in dem
Sinne beimessen, dass die Vertragsparteien damit umfassend die Realität fin-
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gieren und etwa auch für künftige Mieterhöhungen das Wohnwertmerkmal der
Größe ein für alle Mal abschließend dahin festlegen wollten, dass sie mit der
Angabe einer zu geringen Wohnfläche im Mietvertrag hinsichtlich der über-
schießenden Fläche zugleich eine Ausschlussvereinbarung gemäß § 557
Abs. 3 BGB treffen wollten (Kraemer, NZM 1999, 156, 160, 162; ähnlich z.B.
auch Staudinger/Weitemeyer, aaO; OLG Hamburg, aaO). Die letztgenannte
Auffassung trifft zu.
bb) Vor dem Hintergrund, dass die gesetzlichen Bestimmungen zur Er-
höhung der Miete für Wohnraum in §§ 558 ff. BGB es dem Vermieter ermögli-
chen sollen, eine am örtlichen Markt orientierte, die Wirtschaftlichkeit der Woh-
nung regelmäßig sicherstellende Miete zu erzielen, kann sich nach der Recht-
sprechung des Senats auf Seiten des Mieters, dessen Interessen dabei durch
die Grenze der ortsüblichen Vergleichsmiete, die Jahressperrfrist, die
15-monatige Wartezeit, die Kappungsgrenze des § 558 Abs. 3 BGB und das
Sonderkündigungsrecht des § 561 BGB ausreichend Rechnung getragen wird,
ein schutzwürdiges Vertrauen dahin, dass ihm der Vorteil einer unterhalb der
ortsüblichen Vergleichsmiete liegenden Miete unbeschränkt verbleibt, grund-
sätzlich nicht bilden. Der Mieter muss im Gegenteil von vornherein damit rech-
nen, dass in dem (eingeschränkten) Rahmen des § 558 BGB eine stufenweise
Anpassung bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete erfolgt, soweit die Parteien
nicht gemäß § 557 Abs. 3 Halbs. 2 BGB eine Erhöhung der Miete durch Ver-
einbarung ausgeschlossen haben oder sich der Ausschluss aus den Umstän-
den ergibt (Senatsurteil vom 20. Juni 2007 - VIII ZR 303/06, NJW 2007, 2546
Rn. 11 f., 15).
Solche Umstände können allerdings - wie der Senat (aaO Rn. 15) gleich-
zeitig hervorgehoben hat - insbesondere nicht schon darin gesehen werden,
dass die ortsübliche Vergleichsmiete die vereinbarte Miete bereits bei Vertrags-
schluss überschritten hat. Denn ein rechtsgeschäftlicher Wille der Parteien, die
vereinbarte Miete als solche oder einen (prozentualen oder betragsmäßigen)
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Abstand der Miete von der jeweiligen ortsüblichen Vergleichsmiete auf Dauer
festzulegen, ergibt sich daraus regelmäßig nicht, es sei denn, es bestünden
Anhaltspunkte dafür, dass der Vermieter dem Mieter derart weit entgegenkom-
men und auf die ihm durch die gesetzliche Bestimmung des § 558 BGB einge-
räumte Möglichkeit der Mieterhöhung (teilweise) verzichten wollte.
cc) Anhaltspunkte für einen die überschießende Wohnfläche von vornhe-
rein aus jeder künftigen Mieterhöhung herausnehmenden Verzicht der damali-
gen Vermieterin hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Sie ergeben sich
insbesondere nicht schon aus dem Umstand, dass die getroffene Beschaffen-
heitsvereinbarung von einer kleineren als der tatsächlichen Wohnfläche aus-
geht. Das gilt umso mehr, als ein Verzicht auf Rechte im Allgemeinen auch
nicht zu vermuten ist, sondern im Gegenteil eindeutige Anhaltspunkte erfordert,
die der Vertragspartner als Aufgabe des Rechts verstehen darf (Senatsurteile
vom 6. Februar 2013 - VIII ZR 374/11, NJW 2013, 1365 Rn. 12; vom 9. Mai
2012 - VIII ZR 327/11, NJW 2012, 2270 Rn. 26 mwN).
d) Somit ist dem Mieterhöhungsverlangen der Klägerin, das sich mangels
abweichender Parteivereinbarung gemäß § 557 Abs. 3 Halbs. 1 BGB nach den
hierzu in § 558 BGB getroffenen Regelungen bestimmt, die tatsächliche Wohn-
fläche von 210,43 qm zugrunde zu legen. Entgegen der Auffassung der Revisi-
on findet gleichzeitig aber auch die Kappungsgrenze des § 558 Abs. 3 BGB
Anwendung, zu deren - hier unstreitiger - Bemessung die zu Beginn des Ver-
gleichszeitraums geltende Ausgangsmiete der ortsüblichen Vergleichsmiete
gegenüber zu stellen ist (Senatsurteil vom 10. Oktober 2007 - VIII ZR 331/06,
NJW 2008, 848 Rn. 16). Die Ausgangsmiete wiederum bestimmt sich nicht da-
nach, wie sie möglicherweise - fiktiv - hätte gebildet werden können. Maßgeb-
lich dafür ist vielmehr grundsätzlich nur ihr zum Vergleichsstichtag tatsächlich
geltender Betrag, ohne dass es zusätzlich darauf ankommt, wie er zustande
gekommen ist. Dementsprechend hat der Senat etwa auch angenommen, dass
eine zunächst geltende besonders günstige Miete zugunsten des Mieters bei
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Bestimmung der Kappungsgrenze zu berücksichtigen ist (Senatsurteil vom
20. Juni 2007 - VIII ZR 303/06, aaO Rn. 14).
2. Entgegen der Auffassung der Revision ergibt sich ein Anspruch der
Klägerin auf eine weitere, das Verhältnis der Abweichung der tatsächlichen von
der im Mietvertrag angegebenen Wohnfläche berücksichtigende Anpassung der
Miete auch nicht aus dem Gesichtspunkt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage.
a) § 557 Abs. 3 BGB sieht vor, dass der Vermieter bei Fehlen einer
(wirksamen) Erhöhungsvereinbarung nach Absatz 1 oder 2 Mieterhöhungen "Im
Übrigen … nur" nach Maßgabe der §§ 558 bis 560 BGB verlangen kann, soweit
eine Erhöhung nicht vereinbarungsgemäß ausgeschlossen ist. Bereits der
Wortlaut dieser Bestimmung lässt deshalb erkennen, dass die Möglichkeiten
einer Mieterhöhung hierdurch eine abschließende Regelung erfahren und ein-
seitige Mieterhöhungen allein Maßgabe der §§ 558 ff. BGB zugelassen sein
sollten (vgl. BeckOGK-BGB/Orel, Stand Oktober 2015, § 557 Rn. 2).
b) Auch nach dem von der Revision für anwendbar erachteten § 313
Abs. 1 BGB kommt die Anpassung eines Vertrages wegen einer nach Vertrags-
schluss eingetretenen schwerwiegenden Änderung von Umständen, die zur
Grundlage des Vertrages geworden sind, nur in Betracht, wenn und soweit ei-
nem Vertragsteil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbe-
sondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten
am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. In dem Verweis auf
die gesetzliche Risikoverteilung kommt jedoch zum Ausdruck, dass eine An-
wendung der Regeln über die Störung der Geschäftsgrundlage auszuscheiden
hat, wenn und soweit es um Veränderungen geht, deren Auswirkungen auf den
Vertrag der Gesetzgeber bereits durch Aufstellung bestimmter gesetzlicher Re-
geln zu erfassen versucht hat. Für § 313 BGB bleibt daneben nur dort noch
Raum, wo der Gesetzgeber einen typischen Fall geänderter Vertragsgrundlage
nicht bis ins Einzelne zu regeln und darüber einer angemessenen Lösung zuzu-
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führen versucht hat (vgl. BGH, Urteile vom 26. November 1981 - IX ZR 91/80,
BGHZ 82, 227, 232 f.; vom 25. November 1998 - VIII ZR 380/96, WM 1999, 596
unter III 1 c; vom 6. März 2002 - XII ZR 133/00, BGHZ 150, 102, 106) oder wo
eine an sich abschließend gedachte Regelung sich nachträglich als für beson-
ders gelagerte Fallgestaltungen schlechthin unpassend erweist (vgl. Senatsur-
teile vom 24. März 2010 - VIII ZR 160/09, NJW 2010,1663 Rn. 20; vom 7. Juli
2010 - VIII ZR 279/09, juris Rn. 20).
Von einem solchen, über § 313 BGB auszufüllenden rechtlichen Gestal-
tungsbedürfnis kann hier indessen nicht ausgegangen werden. Soweit dem Se-
natsurteil vom 23. Mai 2007 (VIII ZR 138/06, NJW 2007, 2626 Rn. 19) entnom-
men werden könnte, dass in Fällen, in denen die Abweichungen zwischen der
tatsächlichen und der vereinbarten Wohnfläche mehr als 10 % betragen, die
Abweichungen gegebenenfalls nach den Grundsätzen eines Wegfalls der Ge-
schäftsgrundlage berücksichtigungsfähig sein und dann sogar unter Außeracht-
lassung der Kappungsgrenze des § 558 Abs. 3 BGB zum Tragen kommen
könnten, hält der Senat daran nicht fest.
c) Das vom Gesetzgeber für einseitige Mieterhöhungen gewählte und
namentlich in § 558 BGB ausgeformte Regelungskonzept geht dahin, es dem
Vermieter zu ermöglichen, im Rahmen eines Vergleichsmietensystems eine die
Wirtschaftlichkeit der Wohnung regelmäßig sicherstellende angemessene, al-
lerdings nicht an den Kosten, sondern am Markt orientierte Miete zu erzielen,
dabei aber zugleich auch den Interessen der Mieterseite an einer Verhinderung
allzu abrupter oder einer Bewältigung sonst untragbarer Änderungen durch zeit-
liche und höhenmäßige (Kappungs-)Grenzen beziehungsweise ein Sonderkün-
digungsrecht Rechnung zu tragen (Senatsurteile vom 20. Juni 2007 - VIII ZR
303/06, aaO Rn. 11 f.; vom 9. Juli 2008 - VIII ZR 181/07, aaO Rn. 11 f.; jeweils
mwN). Allerdings hat der Gesetzgeber - wie vorstehend unter II 1 b ausgeführt -
bei der getroffenen Regelung nicht die Verhältnisse bei Vertragsschluss wie
etwa die ursprüngliche Anfangsmiete oder zu Wohnwertmerkmalen getroffene
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(Beschaffenheits-)Vereinbarungen als Ausgangspunkt und/oder Maßstab einer
Mieterhöhung gewählt. Er hat die Mieterhöhung vielmehr, bezogen auf den
Zeitpunkt ihrer Vornahme, an die jeweiligen tatsächlichen Verhältnisse am
Markt knüpfen und dazu sowohl die ortsübliche Vergleichsmiete als auch den
daran zu messenden Wohnwert der Mietwohnung allein nach objektiven Krite-
rien bestimmen wollen.
Der Umstand, dass die in Rede stehende Wohnfläche sich gegenüber
der vereinbarten nachträglich als größer herausgestellt hat, ist deshalb für eine
nach dem Regelungskonzept des Gesetzgebers vorzunehmenden Mieterhö-
hung ohne rechtliche Bedeutung und schließt schon aus diesem Grunde zu-
sätzliche Korrekturen unter dem Gesichtspunkt einer Störung der Geschäfts-
grundlage, noch dazu - wie die Revision meint - unter Außerachtlassung der
Kappungsgrenze des § 558 Abs. 3 BGB, aus. Insbesondere liegt auch keine
Fallgestaltung vor, bei der die Ausgangsmiete aus Gründen, die in der beider-
seitigen Risikosphäre liegen, von der ortsüblichen Vergleichsmiete derart weit
entfernt ist, dass der Stand der ortsüblichen, die Kosten deckenden Ver-
gleichsmiete selbst für die Zukunft mit Rücksicht auf die Kappungsgrenze und
die Sperrfrist in absehbarer Zeit nicht erreicht werden kann und deshalb der mit
§ 558 BGB verfolgte Zweck grundlegend verfehlt wird (vgl. dazu Senatsurteile
vom 24. März 2010 - VIII ZR 160/09, aaO Rn. 18, 20, 22; vom 7. Juli 2010
- VIII ZR 279/09, aaO Rn. 18, 20, 22).
d) Auch aus dem Senatsurteil vom 7. Juli 2004 (VIII ZR 192/03,
NJW 2004, 3115 unter II 1, 2 a) kann die Revision nichts Entscheidendes zur
Stützung ihrer Auffassung herleiten. Denn jener Entscheidung lag ein Sachver-
halt zugrunde, in dem der Mietvertrag überhaupt keine Angaben zur Wohnflä-
che enthielt und die Mietvertragsparteien später eine einvernehmliche Miet-
erhöhung in der Weise ermittelten, dass sie die als angemessen erachtete
Quadratmetermiete mit einer (irrtümlich zu groß angenommenen) Wohnfläche
vervielfachten. Bei dieser Sachlage hat der Senat einen beiderseitigen Kalkula-
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tionsirrtum angenommen, an dem sich der Mieter nicht festhalten lassen müs-
se, während schutzwürdige Belange des Vermieters, dessen Aufgabe die zu-
verlässige Ermittlung der tatsächlichen Wohnungsgröße grundsätzlich sei, nicht
entgegenstünden.
Der vorliegende Fall ist mit jener Konstellation schon deshalb nicht ver-
gleichbar, weil es dort um eine im Anwendungsbereich des § 557 Abs. 1 BGB
angesiedelte einvernehmliche Mieterhöhung nach § 558a Abs. 1, § 558b
Abs. 1 BGB und damit um eine vertragliche Änderung der Miethöhe gegangen
ist (vgl. Senatsurteile vom 29. Juni 2005 - VIII ZR 182/04, WuM 2005, 518 unter
II; vom 10. November 2010 - VIII ZR 300/09, NJW 2011, 295 Rn. 14;
BayObLGZ 1989, 277, 281; Staudinger/Weitemeyer, aaO, § 557 Rn. 31 mwN;
Staudinger/Emmerich, aaO, § 558a Rn. 3, § 558b Rn. 3 mwN), die ohne Weite-
res im Anwendungsbereich des § 313 BGB liegen kann. Hier dagegen geht es
um eine nach gesetzlichen Maßstäben zu bestimmende einseitige Mieterhö-
hung, die einer Anwendung des § 313 BGB allenfalls in besonders gelagerten
Fällen zugänglich ist (dazu vorstehend unter II 2 b). Im Übrigen stünde einer
Vertragsanpassung in der von der Klägerin erwünschten Weise ohnehin auch
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der Umstand entgegen, dass die zutreffende Ermittlung der Wohnfläche in ihre
Risikosphäre als Vermieterin fällt.
Dr. Milger
Dr. Achilles
Dr. Schneider
Dr. Bünger
Kosziol
Vorinstanzen:
AG Berlin-Charlottenburg, Entscheidung vom 02.12.2013 - 237 C 302/13 -
LG Berlin, Entscheidung vom 11.09.2014 - 18 S 413/13 -