Urteil des BGH vom 15.08.2012

Rechtliches Gehör, Leasinggesellschaft, Parteianhörung, Überzeugung, Niederlassung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VIII ZR 256/11
vom
15. August 2012
in dem Rechtsstreit
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Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. August 2012 durch den
Vorsitzenden Richter Ball, die Richterin Dr. Milger, den Richter Dr. Achilles, die
Richterin Dr. Fetzer und den Richter Dr. Bünger
beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil
des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 4. Juli 2011
aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten der Nichtzulassungsbeschwerde, an einen ande-
ren Senat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf die Wertstufe
bis 65.000
€ festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Kläger betreibt ein Transportunternehmen. Er hatte in der Vergan-
genheit unter Vermittlung der B. Niederlassung der Beklagten mehr-
fach gebrauchte Lkw über die Leasinggesellschaft der Beklagten geleast und
diese nach Ablauf der vereinbarten Leasingzeit von der Beklagten, welche die
Lkw ihrerseits von der Leasinggesellschaft zurückgekauft hatte, zu den in den
Leasingverträgen ausgewiesenen Restwerten zuzüglich eines Aufschlags von
acht Prozent angekauft. Im Zeitraum von März 2006 bis Januar 2007 leaste er
über die genannte Niederlassung wiederum drei gebrauchte Lkw, die er nach
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Ablauf der jeweiligen Leasingzeiten zu den bisherigen Bedingungen ankaufen
wollte. Dies wurde ihm von der nunmehr für die Verwertung solcher Fahrzeuge
zuständigen D. Niederlassung der Beklagten verweigert.
Mit der Behauptung, ihm sei ein festes Ankaufsrecht zu den bisherigen
Bedingungen eingeräumt worden, hat der Kläger, nachdem er zuvor die Lea-
singgesellschaft der Beklagten erfolglos vor dem Landgericht Stuttgart in An-
spruch genommen hatte, von der Beklagten die Übereignung der drei zuvor
geleasten Lkw sowie den Ersatz des ihm durch die Weigerung der Beklagten
entstandenen Schadens begehrt. Seine Klage hat in den Vorinstanzen keinen
Erfolg gehabt. Hiergegen richtet sich seine Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist statthaft und auch sonst zulässig
(§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 544 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO). Sie hat auch in der
Sache Erfolg.
1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
Der Kläger habe die Vereinbarung des von ihm beanspruchten Ankaufs-
rechts nicht bewiesen.
Insoweit entfalte das Urteil des Landgerichts Stuttgart, wonach der für die
Beklagte tätig gewesene Fahrzeugverkäufer Ba. zwar, wie von ihm bekun-
det, die behauptete Abrede mit dem Kläger getroffen, dabei aber nicht für die
Leasinggesellschaft, sondern für die Beklagte gehandelt habe, aufgrund der
gegenüber der Beklagten erfolgten Streitverkündung keine Bindungswirkung.
Denn auf die Feststellung der Ankaufsabrede sei es für die vom Landgericht
Stuttgart als fallentscheidend angesehene Verneinung einer Passivlegitimation
der Leasinggesellschaft nicht angekommen.
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Die erneute Vernehmung des Zeugen Ba. habe, auch wenn sich ei-
ne Reihe von Widersprüchen gegenüber seinen Bekundungen vor dem Land-
gericht Stuttgart ergeben hätten und einige Anhaltspunkte für die Einräumung
eines festen Ankaufsrechts vorlägen, nicht die erforderliche Überzeugung be-
gründen können, dass dahingehend über das bloße Inaussichtstellen eines An-
kaufs hinaus bereits eine feste Zusage erfolgt sei.
Soweit der Kläger im Berufungsrechtszug durch Benennung seines Pro-
zessbevollmächtigten S. Zeugenbeweis dafür angetreten habe, der Zeu-
ge Ba. habe im Anschluss an seine Vernehmung vor dem Landgericht ge-
äußert, er habe mit seiner Aussage, der Kläger habe im Fall eines Verkaufs der
Leasingfahrzeuge "erster Ansprechpartner" sein sollen, zum Ausdruck bringen
wollen, dass eine verbindliche Erwerbszusage getroffen worden sei, sei diese
Äußerung, selbst wenn sie so gefallen sein sollte, nicht geeignet, die erforderli-
che Überzeugung vom Bestehen der behaupteten Zusage zu vermitteln. Denn
sie lasse nicht den sicheren Schluss auf den tatsächlichen Inhalt der seinerzei-
tigen Vertragsverhandlungen zu, zumal der Zeuge bei seiner Vernehmung vor
dem Berufungsgericht deutlich zu erkennen gegeben habe, dass er den Unter-
schied zwischen einer bereits bindenden Vereinbarung und dem schlichten
Hinweis auf die tatsächliche Möglichkeit eines künftigen Vertragsschlusses
kenne, und dass er dementsprechend das Zustandekommen einer verbindli-
chen Erwerbszusage eindeutig verneint habe.
Der Zeuge Sa. , den der Kläger erstmals im Berufungsrechtszug zu der
Behauptung benannt habe, dass der Zeuge Ba. bei anderer Gelegenheit
gegenüber dem Kläger geäußert habe, dieser habe wirklich günstige Leasing-
verträge abgeschlossen, da er die Fahrzeuge nach Vertragsablauf zu sehr
günstigen Konditionen übernehmen könne und gerade im Hinblick darauf die
Leasingraten vergleichsweise hoch angesetzt worden seien, sei gemäß § 531
Abs. 2 ZPO nicht mehr zu vernehmen gewesen. Es habe sich um neuen Vor-
trag gehandelt. Gründe, die dessen Zulassung rechtfertigen könnten, seien we-
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der vorgetragen noch sonst ersichtlich. Dass der Kläger sich erst nach Verkün-
dung des erstinstanzlichen Urteils an die durch Vernehmung des Zeugen unter
Beweis gestellte Tatsache erinnert habe, rechtfertige eine Zulassung nicht.
2. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet.
a) Die Zulassung der Revision ist entgegen der Auffassung der Nichtzu-
lassungsbeschwerde allerdings nicht deshalb zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO) geboten, weil das Berufungs-
gericht bei Beurteilung der sich aus §§ 68, 74 Abs. 2, 3 ZPO ergebenden Bin-
dungswirkungen des Urteils des Landgerichts Stuttgart verkannt habe, dass
Voraussetzung für die dort getroffene Entscheidung, in wessen Namen der
Zeuge Ba. bei Vereinbarung des Ankaufsrechts gehandelt habe, die Fest-
stellung eines solchen Ankaufsrechts gewesen sei. Das trifft nicht zu.
Das Landgericht Stuttgart hat ausgeführt, dass nach dem Ergebnis der
Beweisaufnahme der Zeuge Ba. mit dem Kläger zwar die Abrede getroffen
habe, dass der Kläger den streitgegenständlichen Lkw nach dem Ablauf der
Leasingzeit gegen Zahlung des Restwerts zuzüglich eines Aufschlags von
acht Prozent übernehmen dürfe. Der Zeuge habe dabei aber nicht im Namen
der Leasinggesellschaft, sondern im Namen der Beklagten des hiesigen Pro-
zesses gehandelt, so dass der Kläger aus der Vereinbarung mit dem Zeugen
keine Ansprüche gegenüber der Leasinggesellschaft herleiten könne. Wie das
Berufungsgericht richtig gesehen hat, kam es nach dem vom Landgericht Stutt-
gart gewählten Begründungsansatz für die Klageabweisung nicht entscheidend
auf das Bestehen des Ankaufsrechts, sondern allein darauf an, dass für alle
dort geltend gemachten Ansprüche im Verhältnis zur beklagten Leasinggesell-
schaft die vertragliche Grundlage fehle. Hinsichtlich der Feststellungen zum
Bestehen des Ankaufsrechts hat es sich mithin nur um eine "überschießende",
für das Ergebnis nicht entscheidungserhebliche Beweiswürdigung gehandelt,
die an der Bindungswirkung nicht teilnimmt (vgl. BGH, Urteile vom 18. Februar
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2004 - IV ZR 126/02, NJW-RR 2004, 676 unter III 1; vom 18. März 2004
- IX ZR 255/00, WM 2004, 2217 unter II 3 b aa [1]). Insoweit ist das Berufungs-
gericht bei seiner Beurteilung - anders als die Nichtzulassungsbeschwerde
meint - nicht von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abgewichen,
wonach es für die Frage, aus wessen Sicht sich beurteilt, ob eine Feststellung
das Urteil trägt und damit Bindungswirkung erzeugt, darauf ankommt, worauf
die Entscheidung des Erstprozesses - ausgehend von dem dort gewählten Be-
gründungsansatz - objektiv nach zutreffender Rechtsauffassung beruht (vgl.
BGH, Beschluss vom 27. November 2003 - V ZB 43/03, BGHZ 157, 97, 99 f.).
b) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist jedoch deshalb begründet, weil
das Berufungsgericht den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103
Abs. 1 GG) dadurch in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat, dass es
den vom Kläger durch Benennung des Zeugen Sa. angetretenen Zeugenbe-
weis nicht erhoben und darüber hinaus die Angaben des Klägers bei dessen
Parteianhörung (§ 141 Abs. 1 Satz 1 ZPO) übergangen hat. Wegen der verfas-
sungsrechtlichen Relevanz dieser Verfahrensfehler ist eine Entscheidung des
Revisionsgerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforder-
lich (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 544 ZPO).
aa) Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots ver-
stößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr
findet (BVerfG, WM 2009, 671, 672; Senatsbeschluss vom 11. Mai 2010
- VIII ZR 212/07, NJW-RR 2010, 1217 Rn. 10 mwN). Diese Grenze ist bei An-
wendung einer Präklusionsvorschrift wie des § 531 ZPO bereits dann erreicht,
wenn diese - wie hier jedenfalls hinsichtlich des Zeugen Sa. geschehen - in
offenkundig unrichtiger Weise angewandt wird (BVerfG, NJW 2001, 1565; Se-
natsbeschluss vom 21. Februar 2006 - VIII ZR 61/04, WM 2006, 1115 Rn. 5
mwN).
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(1) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel wie der in Rede stehende An-
tritt von Zeugenbeweis sind gemäß § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO zuzulassen, wenn
sie im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf
einer Nachlässigkeit der Partei beruht. Das Berufungsgericht ist zwar ersichtlich
von einer solchen Nachlässigkeit ausgegangen, wenn es ausführt, ein Zulas-
sungsgrund sei insbesondere nicht dadurch begründet, dass sich der Kläger
erst nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils an die durch Vernehmung
des Zeugen unter Beweis gestellte Tatsache erinnert habe. Mit den dazu vom
Kläger im Einzelnen vorgetragenen Umständen hat es sich jedoch nicht befasst
und deshalb die gebotene Würdigung unterlassen, woraus sich der Fahrlässig-
keitsvorwurf ergeben soll. Denn dass der Kläger den Beweis auch schon im
ersten Rechtszug hätte antreten können, kann - was das Berufungsgericht
grundlegend verkannt hat - einen Fahrlässigkeitsvorwurf für sich allein nicht
begründen. Die vom Senat selbst vorzunehmende Prüfung dieser vom Beru-
fungsgericht nicht aufgeklärten und deshalb revisionsrechtlich zu unterstellen-
den Umstände (vgl. BGH, Urteil vom 18. Oktober 2005 - VI ZR 270/04, BGHZ
164, 330, 333 mwN) ergibt, dass dem Kläger ein Fahrlässigkeitsvorwurf, der
eine Zurückweisung des Beweisantritts hätte rechtfertigen können, nicht ge-
macht werden kann.
(2) Jede Partei ist zwar mit Rücksicht auf ihre Prozessförderungspflicht
grundsätzlich gehalten, schon im ersten Rechtszug die Angriffs- und Verteidi-
gungsmittel vorzubringen, deren Relevanz für den Rechtsstreit ihr bekannt ist
oder bei Aufwendung der gebotenen Sorgfalt hätte bekannt sein müssen und zu
deren Geltendmachung sie dort imstande ist (BGH, Urteile vom 8. Juni 2004
- VI ZR 199/03, BGHZ 159, 245, 253 mwN; vom 23. April 2010 - LwZR 20/09,
NJW-RR 2010, 1500 Rn. 18). Angesichts dieser Pflicht zu konzentrierter Ver-
fahrensführung ist es deshalb den Parteien verwehrt, etwa aus prozesstakti-
schen Erwägungen ein aus ihrer Sicht entscheidungserhebliches Vorbringen
zurückzuhalten, das bereits im ersten Rechtszug in den Rechtsstreit hätte ein-
geführt werden können (BGH, Beschlüsse vom 10. Juni 2010 - Xa ZR 110/09,
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WM 2010, 2004 Rn. 28; vom 24. November 2009 - VII ZR 31/09, NJW 2010,
176 Rn. 9; jeweils mwN). Jedoch folgt aus der Prozessförderungspflicht grund-
sätzlich keine Verpflichtung der Partei, tatsächliche Umstände, die ihr nicht be-
kannt sind und für die sie auch sonst keine konkreten Anhaltspunkte hat, erst zu
ermitteln (BGH, Beschluss vom 10. Juni 2010 - Xa ZR 110/09, aaO; Urteil vom
6. November 2008 - III ZR 231/07, WM 2008, 2355 Rn. 16; jeweils mwN).
Ebenso trifft sie regelmäßig keine Pflicht, die Richtigkeit bisher bekannter Um-
stände in Zweifel zu ziehen und zu deren Verlässlichkeit Ermittlungen anzustel-
len oder Erkundigungen einzuziehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. Juni 2010
- IV ZR 229/07, VersR 2011, 414 Rn. 11; vom 29. September 2009 - VI ZR
149/08, VersR 2009, 1683 Rn. 3).
Auch hier hatte der Kläger nach dem Beweisergebnis im Vorprozess vor
dem Landgericht Stuttgart keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass ihm der Be-
weis für eine verbindliche Ankaufszusage allein schon durch die Bekundungen
des Zeugen Ba. gelingen würde, zumal der Zeuge selbst bei seiner späte-
ren Vernehmung vor dem Berufungsgericht keine Erklärung dafür geben konn-
te, warum er von entscheidenden Passagen, die das Landgericht Stuttgart
überzeugt hatten, wieder abgerückt war. Vor diesem Hintergrund hatte der Klä-
ger keine Veranlassung, vorsorglich noch nach zusätzlichen Beweismitteln zu
forschen.
Vorliegend kommt hinzu, dass es sich bei den Begebenheiten, die in das
Wissen des Zeugen Sa. gestellt sind, nicht um Geschehnisse handelt, die in
unmittelbarem Zusammenhang mit dem Vertragsschluss stehen, sondern um
ein eher zufälliges privates Gespräch aus anderem Anlass, das nicht notwendig
in der Erinnerung des Klägers geblieben sein musste. Es begründet deshalb
nach dem revisionsrechtlich zu unterstellenden Sachverhalt keinen Verstoß ge-
gen die Prozessförderungspflicht, wenn der Kläger den auf diese Begebenheit
gestützten Beweisantritt erst in den Prozess eingeführt hat, nachdem er nach
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Beendigung des ersten Rechtszuges von dem Zeugen Sa. auf die ihm nicht
mehr erinnerliche Begebenheit hingewiesen worden war.
(3) Das Berufungsurteil beruht auf dieser Gehörsverletzung. Denn es ist
nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht zu einer anderen Beurteilung
gelangt wäre, wenn es den Zeugen Sa. in der gebotenen Weise zu den in
sein Wissen gestellten Tatsachen vernommen hätte.
bb) Das Berufungsgericht hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches
Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) auch dadurch in entscheidungserheblicher Weise
verletzt, dass es die Angaben, die der Kläger bei seiner Parteianhörung (§ 141
Abs. 1 Satz 1 ZPO) gemacht hat, nicht zur Kenntnis genommen und in die ge-
botene Würdigung einbezogen hat.
(1) Der Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit, der Anspruch auf
rechtliches Gehör sowie das Recht auf Gewährleistung eines fairen Prozesses
und eines wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1
i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 6 Abs. 1 EMRK) erfordern es, dass einer Par-
tei, wenn sie - wie hier - für ein mit der Gegenseite geführtes Vier-Augen-
Gespräch keinen Zeugen hat und das Gericht sich für die Beurteilung des unter
Beweis gestellten Gesprächsinhalts nicht noch zusätzlich auf sonstige Beweis-
mittel oder Indizien stützen kann, Gelegenheit gegeben wird, ihre Darstellung
des Gesprächs in den Prozess persönlich einzubringen; zu diesem Zweck ist
die Partei gemäß § 448 ZPO zu vernehmen oder gemäß § 141 ZPO persönlich
anzuhören (BGH, Urteile vom 8. Juli 2010 - III ZR 249/09, BGHZ 186, 152
Rn. 16; vom 27. September 2005 - XI ZR 216/04, WM 2006, 548 unter II 3 b;
jeweils mwN). Spricht in einem solchen Fall eine gewisse Wahrscheinlichkeit für
die Richtigkeit des Vortrags der in Beweisnot stehenden beweisbelasteten Par-
tei, muss das Gericht in nachprüfbarer Weise darlegen, weshalb es von einer
Parteivernehmung abgesehen hat. Andernfalls kann nicht davon ausgegangen
werden, dass es von dem ihm nach § 448 ZPO eingeräumten Ermessen Ge-
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brauch gemacht hat (BGH, Urteil vom 9. März 1990 - V ZR 244/88, BGHZ 110,
363, 366). Zwar rechtfertigt eine derartige Beweisnot für sich allein keine Ver-
minderung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabs. Sie erhöht jedoch die Anforde-
rungen an eine Begründung, mit der der Tatrichter die Wahrscheinlichkeit ver-
neint; die Gründe seiner Entscheidung müssen deshalb erkennen lassen, dass
er die Beweisnot der Partei in Erwägung gezogen hat, und sich mit dem Pro-
zessstoff und bereits vorhandenen Beweisergebnissen umfassend und wider-
spruchsfrei auseinander setzen (BGH, Beschluss vom 8. März 2006
- IV ZR 151/05, juris Rn. 8 mwN). Dem ist das Berufungsgericht offenkundig
nicht gerecht geworden.
(2) Das Berufungsgericht hat sich bei seiner Würdigung lediglich auf die
Bekundungen des von ihm vernommenen Zeugen Ba. , die bei Vertrags-
schluss erstellten Antragsunterlagen sowie die Verwertungspraxis im Verhältnis
zwischen der Beklagten und ihrer Leasinggesellschaft gestützt. Danach hat es
eine verbindliche Erwerbszusage der Beklagten für möglich, aber nicht für
überwiegend wahrscheinlich erachtet, weil es sich nicht in der Lage gesehen
hat, die Überzeugung zu gewinnen, dass die Bekundungen des Zeugen Ba.
in seiner Vernehmung vor dem Landgericht Stuttgart zutreffend und in
seiner Vernehmung vor dem Berufungsgericht falsch gewesen seien. Die von
ihm vorgenommene Parteianhörung des Klägers und deren protokolliertes Er-
gebnis hat es im Berufungsurteil nicht erwähnt.
Die fehlende Erwähnung zeigt, dass das Berufungsgericht sich mit dem
Ergebnis der Parteianhörung des Klägers bei seiner Beweiswürdigung nicht
ansatzweise auseinander gesetzt oder es sonst in seine Würdigung einbezogen
hat. Auch hierauf beruht das Berufungsurteil.
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III.
Nach alldem hat das Berufungsgericht den Anspruch des Klägers auf
rechtliches Gehör verletzt. Dies führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung
des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das
Berufungsgericht. Hierbei macht der Senat von der Möglichkeit des § 563
Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch.
Ball
Dr. Milger
Dr. Achilles
Dr. Fetzer
Dr. Bünger
Vorinstanzen:
LG Bielefeld, Entscheidung vom 03.12.2010 - 15 O 116/10 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 04.07.2011 - I-2 U 21/11 -
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