Urteil des BGH vom 24.08.2016

Leitsatzentscheidung zu Prozessstandschaft, Unentgeltlich, Zustellung, Auktion

ECLI:DE:BGH:2016:240816UVIIIZR182.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 182/15
Verkündet am:
24. August 2016
Ermel,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO § 51
Ein rechtsschutzwürdiges Eigeninteresse des Zedenten einer unentgeltlich ab-
getretenen Forderung, diese im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft ge-
richtlich geltend zu machen, wird durch sein bloßes Interesse an einer techni-
schen Erleichterung der Prozessführung nicht begründet.
BGH, Urteil vom 24. August 2016 - VIII ZR 182/15 - LG Görlitz
AG Bautzen
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Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren ge-
mäß § 128 Abs. 2 ZPO mit Schriftsatzfrist bis zum 1. August 2016 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Milger, die Richterinnen Dr. Hessel und Dr. Fetzer
sowie die Richter Dr. Bünger und Kosziol
für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des
Landgerichts Görlitz vom 29. Juli 2015 wird mit der Maßgabe zu-
rückgewiesen, dass die Klage als unzulässig abgewiesen wird.
Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die dem Sohn ih-
res Verwalters, dem Zeugen H. , gestattete, unter der aus ihrem Ge-
sellschaftsnamen abgeleiteten Bezeichnung "l. " ein Benutzerkon-
to auf der Internetplattform eBay einzurichten.
Der Beklagte stellte Ende Januar 2012 ein gebrauchtes, mit Fünfgangge-
triebe und Kickstarter ausgestattetes Motorrad Yamaha für zehn Tage zur In-
ternetauktion bei eBay mit einem Startpreis von 1 € ein. Als Artikelmerkmale
trug er fälschlich "Dreiganggetriebe" und "Elektrostarter" ein. Am 26. Januar
2012 - neun Tage vor dem Ende der Auktion - nahm der Zeuge H. das Ange-
bot unter dem Benutzernamen "l. " an, wobei er ein Maximalgebot
von 1.234,57 € abgab. Wenige Minuten später brach der Beklagte die Auktion
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ab und strich das Angebot der Klägerin, die die einzige Bieterin war. Der Be-
klagte korrigierte die Artikelmerkmale und stellte das Motorrad nach wenigen
Stunden erneut bei eBay ein.
Mit Anwaltsschreiben vom 5. Juli 2012 verlangte die Klägerin vergeblich
die Übereignung des Motorrades, das der Beklagte zwischenzeitlich anderwei-
tig veräußert hatte.
Mit der Behauptung, das Motorrad sei 4.900 € wert gewesen, nimmt die
Klägerin den Beklagten auf Schadensersatz in Höhe von 4.899 € nebst Zinsen
und Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten in Anspruch. Am 15. August
2012 - vor der am 31. August 2012 erfolgten Zustellung der Klage - trat die Klä-
gerin dem Zeugen H. ihre Ansprüche aus den von ihm vorgenommenen
eBay-Geschäften unentgeltlich ab.
Das Amtsgericht hat der Klage zum Teil stattgegeben. Auf die Berufung
des Beklagten hat das Landgericht die Klage insgesamt abgewiesen; die Beru-
fung der Klägerin hat es zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zuge-
lassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Zahlungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seines Urteils im Wesentli-
chen ausgeführt:
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Der Klägerin, die unbeschadet der vor Eintritt der Rechtshängigkeit er-
folgten Abtretung der erhobenen Forderung an den Zeugen H. in gewillkürter
Prozessstandschaft berechtigt sei, die abgetretene Forderung weiter zu verfol-
gen, stehe kein Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten zu.
Das Schadensersatzverlangen sei, wie sich aus den Gesamtumständen
des hier vorliegenden Ausnahmefalles ergebe, rechtsmissbräuchlich. Der Zeu-
ge H. sei als sogenannter "Abbruchjäger" tätig geworden; ihm sei es vor allem
darum gegangen, dass der Beklagte sein Angebot frühzeitig abbreche, um
Schadensersatzforderungen gegen diesen geltend machen zu können. Dies sei
der Klägerin analog § 166 Abs. 1 BGB zuzurechnen.
Der Zeuge H. , der sich in der Vergangenheit noch nicht hinter der von
seinem Vater verwalteten Klägerin "versteckt" habe, habe nach den Feststel-
lungen des Landgerichts Passau in seinem Urteil vom 6. Oktober 2014 (4 O
933/13; nicht veröffentlicht) im Sommer 2011 bei eBay Gebote in Höhe von
215.000 € abgegeben und vier Gerichtsverfahren eingeleitet, in denen er Pro-
zesskostenhilfe beantragt habe. Zwar sei das Urteil des Landgerichts Passau in
zweiter Instanz abgeändert worden (OLG München, Urteil vom 9. April 2015
- 8 U 3969/14; nicht veröffentlicht); hinsichtlich der Tatsachenfeststellungen ha-
be das Oberlandesgericht jedoch auf das erstinstanzliche Urteil Bezug genom-
men.
Zwar begründe die einem "Abbruchjäger" eigene Absicht allein noch kei-
nen Rechtsmissbrauch. Im gegebenen Fall komme jedoch hinzu, dass die Klä-
gerin die Möglichkeit gehabt hätte, ihr Gebot zu wiederholen, nachdem der Be-
klagte das Motorrad zum zweiten Mal zum Verkauf bei eBay eingestellt habe.
Der Zeuge H. habe bestätigt, davon Kenntnis erlangt zu haben. Durch einen
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Neuerwerb hätte die Klägerin der - naheliegenden - Wahrscheinlichkeit entge-
gengewirkt, dass der Beklagte das Motorrad einem Dritten übereigne.
Der Annahme eines Rechtsmissbrauchs stehe nicht entgegen, dass die
Klägerin zunächst Herausgabe des Motorrades und erst anschließend Scha-
densersatz verlangt habe. Vielmehr habe sie - in der Annahme, der Beklagte
werde das Motorrad zwischenzeitlich anderweitig veräußern - bis zur gerichtli-
chen Inanspruchnahme mehr als ein halbes Jahr gewartet.
II.
Für die Entscheidung des Rechtsstreits kommt es auf die Ausführungen
des Berufungsgerichts zum aufgrund einer Häufung aussagekräftiger Indizien
ohne erkennbaren Rechtsfehler bejahten Rechtsmissbrauch (§ 242 BGB) nicht
an.
Die Klage ist bereits als unzulässig abzuweisen, weil die nach § 51
Abs. 1 ZPO erforderliche Prozessführungsbefugnis der Klägerin nicht gegeben
ist. Dem steht das Verschlechterungsverbot nicht entgegen (BGH, Urteile vom
12. Oktober 2000 - III ZR 242/98, BGHZ 145, 316, 331; vom 22. Januar 1997
- VIII ZR 339/95, WM 1997, 1713 unter II 3; vom 25. Mai 2005 - VIII ZR 301/03,
NJW-RR 2006, 138 unter II; vom 10. Dezember 2013 - XI ZR 508/12, NJW-RR
2014, 653 Rn. 29).
1. Da die Abtretung der Ansprüche vor der Zustellung der Klage erfolgt
ist, greift die gesetzliche Prozessführungsbefugnis des § 265 ZPO nicht ein.
2. Die Klägerin ist - anders als das Berufungsgericht angenommen hat -
auch nicht kraft gewillkürter Prozessstandschaft befugt, die an den Zeugen H.
abgetretenen Ansprüche gerichtlich geltend zu machen.
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a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt eine gewill-
kürte Prozessstandschaft eine wirksame Ermächtigung des Prozessstandschaf-
ters zur gerichtlichen Verfolgung der Ansprüche des Rechtsinhabers sowie ein
eigenes schutzwürdiges Interesse des Ermächtigten an dieser Rechtsverfol-
gung voraus. Ein solches ist gegeben, wenn die Entscheidung Einfluss auf die
eigene Rechtslage hat, und kann auch wirtschaftlicher Natur sein (vgl. BGH,
Urteile vom 23. September 1992 - I ZR 251/90, BGHZ 119, 237, 242; vom
24. Februar 1994 - VII ZR 34/93, BGHZ 125, 196, 199; vom 10. November 1999
- VIII ZR 78/98, NJW 2000, 738 unter II 1; vom 13. November 2001 - X ZR
134/00, BGHZ 145, 165, 167 f.; vom 13. Februar 2008 - VIII ZR 105/07, NJW
2008, 1218 Rn. 13; vom 27. November 2014 - I ZR 124/11, GRUR 2015, 672
Rn. 87; vom 11. Mai 2016 - XII ZR 147/14, WM 2016, 1302 Rn. 16).
b) Diese Sachurteilsvoraussetzungen, die in jeder Lage des Verfahrens,
auch in der Revisionsinstanz, von Amts wegen zu prüfen sind (BGH, Urteile
vom 10. November 1999 - VIII ZR 78/98, aaO; vom 25. Mai 2005 - VIII ZR
301/03, aaO unter II 1; vom 21. September 2011 - VIII ZR 118/10, NZG 2011,
1305 Rn. 13; vom 11. Mai 2016 - XII ZR 147/14, aaO Rn. 16 mwN), sind im
Streitfall nicht erfüllt. Auch wenn der Zeuge H. , der mit der Prozessführung
durch die Klägerin ersichtlich einverstanden ist, diese durch konkludentes Han-
deln dazu ermächtigt haben mag, fehlt es an einem rechtsschutzwürdigen Ei-
geninteresse der Klägerin an der Prozessführung. Zwar kann auch der Verkäu-
fer einer Forderung ein eigenes berechtigtes Interesse daran haben, die abge-
tretene Forderung gerichtlich geltend zu machen (vgl. BGH, Urteile vom
3. November 1978 - I ZR 150/76, NJW 1979, 924 unter II 2; vom 23. September
1993 - III ZR 54/92, NVwZ 1994, 405 unter I; Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl.,
Vor § 50 Rn. 49). Die Klägerin hat dem Zeugen H. ihre Rechte aus vorge-
nommenen eBay-Geschäften jedoch nicht verkauft, sondern unentgeltlich über-
tragen.
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Ein berechtigtes Interesse der Klägerin an der Prozessführung ergibt sich
auch nicht, wie das Berufungsgericht möglicherweise gemeint hat, aus der von
ihr in erster Instanz erklärten Bereitschaft zu einem Klägerwechsel, sofern der
Beklagte dem zustimme. Auch wenn es nicht zu einem von der Klägerin unter
Umständen beabsichtigten Parteiwechsel auf Klägerseite gekommen ist, be-
gründet eine bloße technische Erleichterung ihrer weiteren Prozessführung
noch kein rechtsschutzwürdiges Eigeninteresse (vgl. BGH, Urteil vom
5. Februar 2009 - III ZR 164/08, NJW 2009, 1213 Rn. 21, insoweit in BGHZ
179, 329 nicht abgedruckt).
Dr. Milger
Dr. Hessel
Dr. Fetzer
Dr. Bünger
Kosziol
Vorinstanzen:
AG Bautzen, Entscheidung vom 21.11.2014 - 20 C 701/12 -
LG Görlitz, Entscheidung vom 29.07.2015 - 2 S 213/14 -
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