Urteil des BGH vom 26.10.2011

Grundstück, Widerruf, Vermietung, Korrespondenz, Trinkwasser

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 108/10
Verkündet am:
26. Oktober 2011
Ring
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 26. Oktober 2011 durch den Vorsitzenden Richter Ball, den Richter
Dr. Frellesen, die Richterin Dr. Milger sowie die Richter Dr. Achilles und
Dr. Schneider
für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil des
13. Zivilsenats des Kammergerichts vom 19. Februar 2010 aufge-
hoben und das Urteil der Zivilkammer 9 des Landgerichts Berlin
vom 20. November 2008 abgeändert, soweit zum Nachteil der Be-
klagten entschieden worden ist.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Die durch
die Streithilfe verursachten Kosten trägt die Streithelferin.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Beklagten sind Eigentümer des Grundstücks T. -Strasse
in B. . Auf dem Miteigentumsanteil der Beklagten zu 2 lastet ein Nieß-
brauchsrecht, das zugunsten der Beklagten zu 1 und ihres Ehemanns im
Grundbuch eingetragen ist. Die Klägerin versorgt das Grundstück mit Trinkwas-
ser und entsorgt das dort anfallende Schmutz- und Niederschlagswasser.
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Mit Schreiben vom 22. Oktober 1999 teilten die Beklagte zu 1 und deren
Ehemann der Klägerin mit, dass das Grundstück ab dem 1. November 1999 an
die B. vermietet und eine der Klägerin erteilte
Abbuchungsermächtigung gegenüber der kontoführenden Bank "somit been-
det" sei. Mit Schreiben vom 30. November 1999 bestätigte die Klägerin der Be-
klagten zu 1, dass sie die fällig werdenden Rechnungen künftig der B.
zusenden werde. Weiter enthält das Schreiben folgen-
den Text:
"Vorsorglich möchten wir Sie darauf hinweisen, daß Sie uns als Eigen-
tümerin des Grundstücks auch nach wie vor für alle entstehenden For-
derungen verpflichtet bleiben. Sollte aus irgendwelchen Gründen der
Ausgleich unserer Rechnungen nicht erfolgen, müssten wir Sie in An-
spruch nehmen…"
Die Klägerin nahm zum 31. Oktober 1999 eine Verbrauchsabgrenzung
vor und ordnete der B. eine eigene Vertrags-
kontonummer zu. Die in der Folgezeit entstandenen Versorgungskosten stellte
sie der B. in Rechnung; so auch mit Schreiben
vom 7. Februar 2005 die Leistungsentgelte für den Zeitraum 25. April 2002 bis
2. April 2004 (146.
578,55 €) und für den Zeitraum 3. April 2004 bis 16. Novem-
ber 2004 (39.238,70 €). Die im Zusammenhang mit den Versorgungsleistungen
stehende Korrespondenz führte die Klägerin mit der B. .
Auf dem Grundstück war es zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt
zu einem Leitungsschaden gekommen, so dass Trinkwasser in nicht mehr fest-
stellbarer Menge im Erdreich versickerte. Die Klägerin erteilte der B. da-
her eine Gutschrift für die Entwässerungskosten in Höhe von 92.484,85 €. Die
B.
zahlte auf die genannten Rechnungen 10.764,80 €; weitere Zahlun-
gen lehnte sie ab.
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Mit ihrer Klage nimmt die Klägerin die Beklagten auf Zahlung des für die
genannten Abrechnungszeiträume noch offenen Betrags in Höhe von
82.564,90
€ nebst Zinsen in Anspruch. Das Landgericht hat die Beklagten als
Gesamtschuldner antragsgemäß verurteilt. Das Kammergericht hat auf die Be-
rufung der Beklagten das erstinstanzliche Urteil nur hinsichtlich eines Teils des
Zinsanspruchs zugunsten der Beklagten zu 2 abgeändert und das Rechtsmittel
im Übrigen zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfol-
gen die Beklagten ihr Klageabweisungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat - soweit für das Revisionsverfahren von Inte-
resse - zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
Die Beklagten seien der Klägerin aus dem zwischen den Parteien beste-
henden Versorgungsvertrag zur Zahlung verpflichtet. Die Beklagten seien als
Eigentümer des versorgten Grundstücks Vertragspartner der Klägerin gewor-
den.
Grundsätzlich sei in dem Leistungsangebot eines Versorgungsunter-
nehmens ein Vertragsangebot in Form einer sogenannten Realofferte zum Ab-
schluss eines Versorgungsvertrags zu sehen, das von demjenigen konkludent
angenommen werde, der aus dem Leitungsnetz des Versorgungsunternehmens
Leistungen entnehme. Empfänger der Realofferte sei typischerweise der
Grundstückseigentümer beziehungsweise derjenige, der die Verfügungsgewalt
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über den Versorgungsanschluss am Übergabepunkt ausübe. Diese Richtung
komme einem Leistungsangebot des Versorgungsunternehmens nur dann nicht
zu, wenn der Abnehmer der Versorgungsleistung bereits anderweitig feststehe,
weil das Versorgungsunternehmen oder der Abnehmer zuvor mit einem Dritten
eine Liefervereinbarung geschlossen hätten, aufgrund derer die Leistung in ein
bestehendes Vertragsverhältnis eingebettet sei.
Ein solches anderweitiges Vertragsverhältnis bestehe im Streitfall entge-
gen der Auffassung der Beklagten mit der V. nicht. Denn das
Versorgungsverhältnis zwischen den Parteien habe bereits vor dem Abschluss
des Mietvertrags der Beklagten mit der V. bestanden. In diesem
Vertragsverhältnis habe die Klägerin ihre Entgeltforderungen aufgrund einer
von der Beklagten zu 1 erteilten Ermächtigung von deren Konto abbuchen kön-
nen. In der Mitteilung des Widerrufs dieser Abbuchungsermächtigung an die
Klägerin mit Schreiben vom 22. Oktober 1999 könne keine Kündigung des Ver-
sorgungsvertrags durch die Beklagten gesehen werden. Der Wortlaut der Mittei-
lung spreche dafür, dass die Beklagte zu 1 lediglich eine Änderung der Abbu-
chungsmodalitäten habe erreichen wollen. Auch sei ein neues Vertragsverhält-
nis mit der V. seitens der Klägerin nicht begründet worden.
Denn die Klägerin habe in dem an die Beklagte zu 1 gerichteten Schreiben vom
30. November 1999 zwar die Änderung der Abrechnungsmodalitäten bestätigt,
im Übrigen aber ausdrücklich darauf bestanden, dass die Beklagte zu 1 als
Grundstückseigentümerin nach wie vor ihre Vertragspartnerin sei. Daraus erge-
be sich, dass die Klägerin nicht bereit gewesen sei, die Beklagte zu 1 aus dem
Vertragsverhältnis zu entlassen und einen neuen Versorgungsvertrag mit der
Mieterin des Grundstücks zu schließen. Die Beklagte zu 2 sei als Grundstücks-
eigentümerin ebenfalls Vertragspartnerin der Klägerin geworden und daher zur
Zahlung verpflichtet.
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II.
Diese Beurteilung hält revisionsrechtlicher Nachprüfung in einem ent-
scheidenden Punkt nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsge-
richts ist das Vertragsverhältnis der Parteien durch die Mitteilung des an die
kontoführende Bank der Beklagten gerichteten Schreibens vom 22. Oktober
1999 an die Klägerin wirksam nach § 32 Abs. 1 AVBWasserV gekündigt wor-
den. Der zwischen den Parteien bestehende Versorgungsvertrag war daher
jedenfalls bereits vor den mit der Klage geltend gemachten Abrechnungszeit-
räumen beendet.
Die im Wesentlichen im Wege der Auslegung des Schreibens der Be-
klagten zu 1 vom 22. Oktober 1999 und des Schreibens der Klägerin vom
30. Oktober 1999 gewonnene Auffassung des Berufungsgerichts, das zwischen
den Parteien bestehende Vertragsverhältnis sei nicht gekündigt worden, ist von
Rechtsfehlern beeinflusst. Der Senat ist an die Auslegung der vorgenannten
Schreiben durch das Berufungsgericht nicht gebunden. Zwar handelt es sich
hierbei um Individualerklärungen, deren tatrichterliche Auslegung nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in der Revisionsinstanz nur einge-
schränkt darauf überprüft werden kann, ob gesetzliche oder allgemein aner-
kannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt sind oder
wesentlicher Auslegungsstoff außer Acht gelassen worden ist (vgl. nur Senats-
urteil vom 7. Februar 2007 - VIII ZR 225/05, WM 2007, 1227 Rn. 13 mwN).
Letzteres ist hier der Fall. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerhaft sei-
ner Auslegung der beiden genannten Schreiben einen im entscheidenden
Punkt teilweise abweichenden Wortlaut zugrunde gelegt und für die Auslegung
bedeutsame Umstände, die sich aus dem Verhalten der Parteien in der Zeit
nach dem Schriftwechsel ergeben, unberücksichtigt gelassen.
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1. Das Berufungsgericht meint, bereits der Wortlaut des Schreibens der
Beklagten zu 1 vom 22. Oktober 1999 mache deutlich, dass die Beklagte zu 1
das Vertragsverhältnis nicht habe kündigen, sondern lediglich eine Änderung
der Abrechnungsmodalitäten habe erreichen wollen. Auf welche Wendungen im
Wortlaut dieses Schreibens das Berufungsgericht diese Auffassung stützt, ist
weder dargelegt noch ersichtlich. Gegenstand der Erklärung der Beklagten zu 1
gegenüber der kontoführenden Bank war allein die Erklärung, die der Klägerin
erteilte Abbuchungsermächtigung sei wegen der Vermietung des Anwesens an
die B. "beendet". Diese Formulierung bietet kei-
nen Anhaltspunkt für die Deutung, die Beklagte zu 1 habe mit der Übersendung
des Schreibens an die Klägerin nur eine Änderung der Abrechnungsmodalitäten
erreichen wollen. Der Wortlaut der Erklärung lässt ebenso die Deutung zu, dass
die Beklagte zu 1 das bis dahin bestehende Versorgungsverhältnis beenden
und die Klägerin an die Mieterin des Anwesens verweisen wollte. Den Feststel-
lungen des Berufungsgerichts ist auch nichts zu entnehmen, was dafür spre-
chen könnte, dass die Beklagte zu 1 die Vertragsbeziehung mit der Klägerin
- unter gleichzeitigem Widerruf der Abbuchungsermächtigung - hätte aufrecht-
erhalten wollen.
Dem Antwortschreiben der Klägerin vom 30. November 1999 will das Be-
rufungsgericht entnehmen, die Klägerin habe ausdrücklich darauf bestanden,
dass die Beklagten weiterhin Vertragsparteien seien. Auch das trifft nicht zu.
Der Hinweis der Klägerin lautet vielmehr ausdrücklich dahin, dass ihr die Be-
klagte zu 1 als Eigentümerin des Grundstücks verpflichtet bleibe.
Das Berufungsgericht hat es ferner versäumt, in seine Erwägungen zur
Auslegung des Schreibens der Beklagten zu 1 vom 22. Oktober 1999 Umstän-
de einzubeziehen, die dafür sprechen, dass die Klägerin selbst dieses Schrei-
ben als Kündigung des Versorgungsvertrages verstanden hat. Nach den vom
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Berufungsgericht getroffenen Feststellungen hat die Klägerin im Anschluss an
dieses Schreiben der V. eine eigene Vertragsnummer zuge-
teilt, weitere Korrespondenz - auch im Zusammenhang mit dem ungeklärten
Wasserverlust im Jahre 2004 - allein mit der B.
geführt und sich an die Beklagten erst gewandt, nachdem die B. weitere
Zahlungen verweigert hatte.
2. Der Senat kann die gebotene Auslegung des Schreibens der Beklag-
ten zu 1 vom 22. Oktober 1999 selbst vornehmen, weil weitere Feststellungen
hierzu nicht zu treffen sind. Er legt die Erklärung als Kündigung des Versor-
gungsvertrages aus. Dem mit der Vermietung des Anwesens begründeten Wi-
derruf der der Klägerin erteilten Abbuchungsermächtigung durch die Beklagte
zu 1 liegt erkennbar die Vorstellung zugrunde, das Versorgungsverhältnis be-
stehe fortan zwischen der Klägerin und (der B. ) der V. .
Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte zu 1 - für einen juristischen Laien fern-
liegend - das eigene Versorgungsverhältnis mit der Klägerin nicht beenden,
sondern der Klägerin subsidiär als Vertragspartnerin verpflichtet bleiben wollte,
sind aus der maßgeblichen Sicht der Klägerin nicht ersichtlich. Nicht zuletzt
spricht für die Auslegung als Kündigung auch der Umstand, dass die Klägerin
ab November 2009 die V. als ihren Vertragspartner behan-
delt, die Vertragsbeziehung mit den Beklagten mithin als beendet angesehen
hat und nur noch von einer subsidiären Haftung der Beklagten als Grundstücks-
eigentümer ausgegangen ist.
III.
Das Berufungsurteil kann daher keinen Bestand haben, es ist aufzuhe-
ben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da weitere Feststellungen nicht zu treffen sind, hat der
Senat in der Sache selbst zu entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Da ein Vertrags-
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verhältnis zwischen den Parteien für die geltend gemachten Abrechnungszeit-
räume nicht bestand, ist die Klage mangels Anspruchsgrundlage abzuweisen.
Ball
Dr. Frellesen
Dr. Milger
Dr. Achilles
Dr. Schneider
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 20.11.2008 - 9 O 340/07 -
KG Berlin, Entscheidung vom 19.02.2010 - 13 U 2/09 -