Urteil des BGH vom 26.09.2012

Leitsatzentscheidung zu Cisg, Ware, Kaufrecht, Vertragsverletzung, Kommission

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 100/11
Verkündet am:
26. September 2012
Ermel,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
CISG Art. 7, Art. 35, Art. 40, Art. 45, Art. 74, Art. 77, Art. 80
a) Um den Anforderungen an den gewöhnlichen Gebrauch im Sinne von Art. 35
Abs. 2 Buchst. a CISG gerecht zu werden, muss sich eine gelieferte Ware für die-
jenigen Verwendungsmöglichkeiten eignen, die nach ihrer stofflichen und techni-
schen Auslegung und der hieran anknüpfenden Verkehrserwartung nahe liegen.
Bleiben die tatsächlich vorhandenen Verwendungsmöglichkeiten dahinter zurück,
fehlt der Ware die Eignung zum gewöhnlichen Gebrauch, sofern der Verkäufer die
bestehende Einschränkung nicht deutlich macht.
b) Die im UN-Kaufrechtsübereinkommen nicht ausdrücklich geregelte Frage, wie
Fallgestaltungen zu behandeln sind, in denen die Vertragsparteien zum entstan-
denen Schaden unabhängig voneinander durch jeweils eigenständige Pflichtver-
letzungen beigetragen haben, ist gemäß Art. 7 Abs. 2 CISG durch Rückgriff auf
die den Art. 77 und 80 CISG zugrunde liegenden allgemeinen Grundsätze dahin
zu entscheiden, dass bei teilbaren Rechtsbehelfen wie dem Schadensersatz die
jeweiligen Verursachungsbeiträge bei der Schadensverteilung angemessen zu be-
rücksichtigen sind.
BGH, Urteil vom 26. September 2012 - VIII ZR 100/11 - OLG Koblenz
LG Koblenz
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Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 23. Mai 2012 durch den Vorsitzenden Richter Ball, die Richterin Dr. Milger
sowie die Richter Dr. Achilles, Dr. Schneider und Dr. Bünger
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Koblenz vom 24. Februar 2011 in der Fas-
sung des Berichtigungsbeschlusses vom 4. April 2011 aufgeho-
ben.
Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung ihrer Be-
rufung im Übrigen das Urteil des Landgerichts Koblenz vom
27. März 2007 abgeändert. Es wird festgestellt, dass die Beklagte
verpflichtet ist, der Klägerin und - soweit Schadensersatzansprü-
che auf ihren Versicherer, die C.
, H. /N. , übergegangen sind - dieser
sämtlichen Schaden zur Hälfte zu ersetzen, der ihr und der C.
durch die Lieferung dioxinhal-
tiger Tonerde im Jahre 2004 durch die Rechtsvorgängerin der Be-
klagten, die W. GmbH und Co. KG, an die Klägerin ent-
standen ist und noch entstehen wird.
Die weitergehende Revision der Klägerin und die Revision der Be-
klagten werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Von Rechts wegen
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Tatbestand:
Die in Deutschland ansässige Beklagte gewinnt und vertreibt minerali-
sche Rohstoffe. Ihre Rechtsvorgängerinnen (im Folgenden einheitlich: Beklag-
te) belieferten die in den Niederlanden ansässige Klägerin, die dort tiefgekühlte
Kartoffelprodukte herstellt, in langjähriger Geschäftsbeziehung mit gemahlenem
Ton (Kaolinit) unter der Bezeichnung "Aardappelbescheidingsklei A 01" (Kartof-
felseparierungston A 01) zur Sortierung von Kartoffeln. Hierzu wird ein Ton-
Wasser-Bad hergestellt, in dem die stärkeärmeren Kartoffeln aufgrund ihres
geringeren spezifischen Gewichts von den zur Lebensmittelverarbeitung benö-
tigten stärkereicheren Kartoffeln getrennt werden. Die Klägerin veräußert an-
schließend die ausgeschiedenen stärkeärmeren Kartoffeln zusammen mit den
Schälabfällen der stärkereicheren Kartoffeln an Futtermittelhersteller zur Wei-
terverwertung in Tierfutter.
Im Jahre 1999 war in Ton, der aus Tongruben im Westerwald gewonnen
wurde, eine erhebliche natürliche Dioxinbelastung festgestellt worden, darunter
auch in Ton aus der der Beklagten gehörenden Tongrube R.
. Der Beklagten war daraufhin durch Ordnungsverfügung untersagt wor-
den, ihre Mahltone in den Verkehr zu bringen, "soweit sie dazu bestimmt sind,
bei der Herstellung von Futtermitteln als Zusatzstoff verwendet zu werden". Im
Zeitraum von Juli bis Oktober 2004 belieferte die Beklagte die Klägerin mit ei-
nem in der Tongrube R. gewonnenen "Aardappelbeschei-
dingsklei A 01". Die Klägerin setzte den Ton in der beschriebenen Weise zur
Separierung der Kartoffeln ein und lieferte die dabei ausgeschiedenen Kartof-
feln einschließlich der Schälreste an Futtermittelhersteller. Nachdem im Herbst
2004 in Milch und Milchprodukten aus niederländischer Produktion erhöhte Dio-
xinwerte festgestellt worden waren, ergab eine Anfang November 2004 durch-
geführte Überprüfung der bei der Klägerin vorhandenen Bestände des von der
Beklagten gelieferten Tons einen Dioxingehalt, der weit über dem Grenzwert für
Kaolinit-Tone und andere in der Tierernährung zur Verwendung als Bindemittel,
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Fließhilfsstoffe oder Gerinnungshilfsstoffe zugelassene Zusatzstoffe lag. Dies
rügte die Klägerin, in deren Kartoffelprodukten keine erhöhten Dioxinwerte ge-
messen wurden, unter dem 4. November 2004 gegenüber der Beklagten.
Die Feststellungsklage, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin
und deren Haftpflichtversicherer sämtlichen Schaden zu ersetzen, der ihnen
durch die Lieferung dioxinhaltiger Tonerde im Jahre 2004 an die Klägerin ent-
standen ist und noch entstehen wird, hat das Landgericht abgewiesen. Auf die
Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht der Klage mit der Einschrän-
kung stattgegeben, dass eine Ersatzverpflichtung der Beklagten nicht über den
Betrag der Vermögensnachteile hinaus besteht, die der Klägerin entstanden
wären, wenn sie durch Ergreifen der erforderlichen Maßnahmen verhindert hät-
te, dass Dioxin mit oder aus der gelieferten Tonerde in einer unzulässigen Kon-
zentration in Futtermittel gelangt. Mit ihren vom Berufungsgericht zugelassenen
Revisionen verfolgen die Klägerin ihr Feststellungsbegehren und die Beklagte
ihr Klageabweisungsbegehren in vollem Umfang weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Klägerin hat teilweise, die Revision der Beklagten da-
gegen keinen Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht (OLG Koblenz, CISG-online Nr. 2301) hat zur Be-
gründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
Die Beklagte sei der Klägerin nach Maßgabe der Bestimmungen des auf
das Vertragsverhältnis anwendbaren Übereinkommens der Vereinten Nationen
über Verträge über den internationalen Warenkauf (CISG) grundsätzlich zum
Ersatz des Schadens verpflichtet, welcher der Klägerin durch die Lieferung dio-
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xinhaltiger Tonerde entstanden sei. Allerdings könne dahinstehen, ob der gelie-
ferte Ton - wie in erster Instanz zwischen den Parteien unstreitig - von den zu
trennenden Kartoffeln problemlos hätte abgewaschen werden können oder ob
dies entsprechend einem von der Klägerin erstmals im Berufungsrechtszug ge-
haltenen Sachvortrag nicht der Fall sei. Auf die hiervon abhängige Frage, ob es
sich bei dem gelieferten Ton um einen zur beabsichtigten Kartoffelseparierung
zulässigen Verarbeitungshilfsstoff und damit um eine mangelfreie Lieferung im
Sinne von Art. 35 CISG gehandelt habe, komme es aber ebenso wenig an wie
auf die für eine etwaige Eingangskontrolle nach Art. 38 CISG bedeutsame Fra-
ge, ob eine Vertragswidrigkeit des gelieferten Tons auf Tatsachen beruht habe,
welche die Beklagte im Sinne von Art. 40 CISG gekannt habe oder über die sie
nicht hätte in Unkenntnis sein können. Denn unabhängig davon hafte die Be-
klagte gemäß Art. 45 CISG für die Verletzung einer aus dem Grundsatz des
guten Glaubens im Sinne von Art. 7 Abs. 1 CISG folgenden Pflicht, die Klägerin
vor dem Dioxingehalt des gelieferten Tons zu warnen.
Eine solche Pflicht, die neben der Haftung für die Vertragsmäßigkeit der
Ware bestehe, wenn der Verkäufer aufgrund überlegener Sachkunde erkenne,
dass die Ware für den ihr zugedachten Zweck nicht geeignet sei, habe die Be-
klagte verletzt. Aufgrund der im Jahre 1999 durchgeführten ordnungsbehördli-
chen Untersuchungen habe sie positiv gewusst, dass der von ihr in R.
geförderte und an die Klägerin gelieferte Ton, der nach der vertragli-
chen Bezeichnung der Ware bei der Herstellung von Lebensmitteln habe ver-
wendet werden sollen, in erheblichem Maße Dioxin enthalten habe. Dies sei der
Klägerin, wie die Beklagte gewusst habe, unbekannt gewesen. Zwar habe die
Klägerin wissen müssen, dass aus Deutschland stammende Tonerden Dioxin
enthalten könnten. Dass gerade der an sie verkaufte Ton aus der betreffenden
Tongrube ganz erheblich dioxinbelastet gewesen sei, habe der Klägerin jedoch
nicht bekannt sein müssen. Die Beklagte hätte ihr spezielles Wissen deshalb
der Klägerin angesichts der allgemein bekannten Gesundheitsgefahren durch
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Dioxin und des Umstandes, dass der dioxinhaltige Ton mit Kartoffeln habe in
Berührung kommen sollen, nicht vorenthalten dürfen.
Die Beklagte habe sich auch nicht darauf verlassen dürfen, dass die Klä-
gerin ohne ihr Zutun die erhebliche Dioxinbelastung erkennen würde. Zwar sei
die Klägerin in ihrem eigenen Interesse gehalten gewesen, den Ton auf eine
mögliche Dioxinbelastung zu prüfen. Jedoch habe die Beklagte zumindest da-
mit rechnen müssen, dass solche Untersuchungen möglicherweise unterbleiben
oder nicht sorgfältig genug durchgeführt würden. Das gelte umso mehr, als die
Klägerin den Dioxingehalt des gelieferten Tons erst durch Hinzuziehung eines
Chemikers mittels relativ aufwändiger Labortests habe erkennen können, wäh-
rend die Beklagte hiervon sichere Kenntnis gehabt habe und dies ohne Weite-
res durch eine einfache Mitteilung hätte weitergeben können. Ebenso wenig
habe die Beklagte davon ausgehen dürfen, dass die Kartoffeln bei der Klägerin
nach der Separierung gründlich gewaschen und auf diese Weise von Dioxin-
rückständen vollständig befreit würden. Sie habe vielmehr in Erwägung ziehen
müssen, dass die Klägerin in Unkenntnis der Dioxinbelastung die Reinigung
nicht mit der andernfalls gebotenen Gründlichkeit vornehmen würde.
Die Beklagte entlaste auch nicht, dass sich die von dem gelieferten Ton
ausgehende Gefahr nicht bei den zum menschlichen Verzehr bestimmten Kar-
toffeln aus der Produktion der Klägerin, sondern allein bei den für die Futtermit-
telproduktion bestimmten Reststoffen verwirklicht habe. Insoweit komme es
nicht darauf an, ob die später in den Milchprodukten festgestellte Dioxinbelas-
tung auf den an den Kartoffelschalen anhaftenden Tonresten oder - wie von der
Beklagten behauptet - darauf beruht habe, dass die Klägerin auch das zur Se-
parierung verwendete Ton-Wasser-Bad selbst der Tierfutterherstellung zuge-
führt habe. Denn die Beklagte habe gewusst, dass der gelieferte Ton für das
Separieren von Kartoffeln im Zusammenhang mit der Lebensmittelproduktion
bestimmt gewesen sei. Außerdem hätte sie erkennen können, dass die Rest-
stoffe nicht vernichtet, sondern gewinnbringend verwertet würden, wobei die
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Verarbeitung zu Tierfutter eine der wahrscheinlichsten Verwendungsarten ge-
wesen sei, bei der ebenfalls keine unzulässigen Dioxinwerte hätten auftreten
dürfen.
Der gemäß Art. 45 Abs. 1 Buchst. b CISG wegen dieser Pflichtverletzung
zu leistende Schadensersatz sei weder durch Art. 79 CISG ausgeschlossen
noch sei die Klägerin durch Art. 80 CISG daran gehindert, die Beklagte wegen
der Verletzung ihrer Hinweispflicht in Anspruch zu nehmen. An dieser Pflicht-
verletzung sei sie nicht beteiligt gewesen. Denn ihr habe es weder oblegen, bei
der Beklagten anzufragen, ob deren Produkte möglicherweise Dioxin enthielten,
noch ihrerseits darauf hinzuweisen, dass die Produktionsreste aus ihrem Be-
trieb ungereinigt weiterverkauft würden. Ihren Interessen hätte sie auch Genüge
getan, wenn sie den Ton nach der Anlieferung und ohne vorherige Mitteilung an
die Beklagte auf Dioxin hätte testen lassen. Jedenfalls stehe einer Anwendbar-
keit von Art. 80 CISG entgegen, dass es die Beklagte gewesen sei, die die ent-
scheidende Ursache für die Vertragsverletzung gesetzt habe.
Der nach Art. 74 CISG zu ersetzende und von der Beklagten auch vor-
hersehbare Schaden sei aber gemäß Art. 77 CISG insoweit nicht zu ersetzen,
als die Klägerin die nach den Umständen angemessenen Maßnahmen zur Ver-
ringerung des Schadens unterlassen habe. Ihr sei anzulasten, dass sie sich vor
Verwendung des an sie gelieferten Separierungstons nicht vergewissert habe,
dass von diesem keine Dioxingefahr für die zu verarbeitenden Lebensmittel und
die anschließend herzustellenden Futtermittel ausgegangen sei. Falls sie bei
Verwendung des Tons gewusst habe, dass man im Jahr 1999 bei Ton aus
deutscher Produktion teilweise einen hohen Dioxingehalt mit der Folge einer
mangelnden Verwendungsfähigkeit in Tierfutter festgestellt habe, sei sie gehal-
ten gewesen, Vorkehrungen gegen eine Vergiftung nicht nur der von ihr herge-
stellten Lebensmittel, sondern auch der zur Verfütterung bestimmten Abfälle zu
treffen. Habe sie entsprechend ihren Behauptungen von dieser Möglichkeit
nicht gewusst, sei ihr in gleicher Weise anzulasten, dass sie sich nicht hinrei-
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chend anhand der allgemein zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkei-
ten über die Gefahren informiert habe, die mit dem von ihr verwendeten Sepa-
rierungston verbunden sein konnten. Gerade als Lebensmittelproduzentin sei
sie im Rahmen ihrer Produktverantwortung gehalten gewesen, sich über die
einschlägigen Fragen der Lebensmittelsicherheit und der Entsorgung oder Ver-
wendung der in ihrem Betrieb anfallenden Abfälle auf dem Laufenden zu halten.
Als Folge dieser Informationsobliegenheiten hätte sie sich deshalb auch
vergewissern müssen, ob der von der Beklagten gelieferte Ton ungefährlich
gewesen sei. Dazu hätte sie die Beklagte etwa zur Ergänzung ihrer Angaben
über eine Unbedenklichkeit des Tons, die hinsichtlich eines Dioxingehalts nicht
aussagekräftig gewesen seien, auffordern oder stichprobenartig den Ton in ei-
gener Verantwortung auf eine eventuelle Überschreitung der zulässigen Dio-
xinwerte hin kontrollieren müssen, was nach dem erhobenen Sachverständi-
genbeweis ohne außergewöhnlichen Aufwand möglich gewesen wäre. Dass
man nach ihrem Vorbringen auch sonst in der Branche nicht so verfahren sei
und insbesondere die Ware nach Verwendung eines solchen Tons nicht gewa-
schen habe, entlaste sie nicht.
Hiernach könne die Klägerin keinen Schadensersatz für diejenigen
Schäden beanspruchen, die durch die ungeprüfte Verwendung des dioxinhalti-
gen Tons und die dadurch verursachte Kontamination von Futtermitteln ent-
standen seien. Zu ersetzen seien ihr lediglich die Vermögensnachteile, die ent-
standen wären, wenn sie die notwendigen Maßnahmen zur Verringerung des
Schadens wie etwa die Entsorgung des Separierungstons getroffen hätte.
Weitere Ansprüche aus einem Verschulden bei Vertragsschluss oder aus
unerlaubter Handlung stünden der Klägerin neben dem Schadensersatzan-
spruch aus Art. 45 CISG nicht zu. Insoweit enthalte das UN-Kaufrecht vielmehr
eine abschließende Regelung und verdränge das nationale Recht.
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II.
Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten
stand.
Die Beklagte ist der Klägerin auf der Grundlage des hier zur Anwendung
kommenden UN-Kaufrechtsübereinkommens (Art. 1 Abs. 1 Buchst. a CISG,
Art. 3 Abs. 2 Satz 1 EGBGB aF) gemäß Art. 45 Abs. 1 Buchst. b, Art. 74 CISG
zum Schadenersatz verpflichtet. Sie hat ihre Pflicht zur Lieferung vertragsge-
mäßer Ware verletzt, weil der gelieferte Separierungston den Anforderungen
des Vertrages im Sinne von Art. 35 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. a CISG nicht ent-
sprochen hat. Allerdings kann die Klägerin hierfür keinen vollen Schadensersatz
beanspruchen. Denn sie hat selbst in schwerwiegender Weise gegen ihre Pro-
duktverantwortlichkeit bei dem Inverkehrbringen von (Vor-)Produkten für die
Futtermittelherstellung verstoßen und dadurch einen eigenen, bei der Bemes-
sung des Ersatzanspruchs zu berücksichtigenden Beitrag zur Schadensentste-
hung geleistet.
1. Das Berufungsgericht hat auf der Grundlage der von ihm getroffenen
Feststellungen die Frage der Mangelhaftigkeit des gelieferten Separierungstons
zu Unrecht offen gelassen.
a) Zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen,
dass der von der Klägerin als Herstellerin von Lebensmitteln ohne weitere Kon-
kretisierung von Eigenschaften oder Beschaffenheitsanforderungen bestellte
Mahlton (Kaolinit) angesichts seiner Produktbezeichnung als "Aardappelbe-
scheidingsklei A 01" nicht nur technisch als Trennmittel zur Separierung von
Kartoffeln geeignet sein musste. Er musste wegen seines Einsatzes als Verar-
beitungshilfsstoff bei der Lebensmittelherstellung gemäß Art. 35 Abs. 1, 2
Buchst. b CISG auch den dafür bestehenden lebensmittelrechtlichen Anforde-
rungen genügen. Da nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungs-
gerichts eine Verwendung der hierbei als ungeeignet aussortierten Kartoffeln
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zusammen mit den angefallenen Kartoffelschalen zur Herstellung von Futtermit-
teln allgemein üblich war, hat darüber hinaus die gleichzeitige Verwendung des
gelieferten Tons zur Behandlung von Vorprodukten der Futtermittelherstellung
zu den Zwecken gehört, für die dieser neben dem in der Produktkennzeichnung
benannten Zweck gewöhnlich im Sinne von Art. 35 Abs. 2 Buchst. a CISG ge-
braucht wird. Der Ton musste bei seiner üblichen Verwendung daher zugleich
den bestehenden futtermittelrechtlichen Anforderungen genügen.
b) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht dagegen angenommen, dies sei
deswegen der Fall, weil der dioxinbelastete Ton entsprechend den Behauptun-
gen der Beklagten nach Sortierung der Kartoffeln durch Abwaschen vollständig
und problemlos hätte entfernt werden können. Diese Auffassung engt den in
Art. 35 Abs. 2 Buchst. a CISG geregelten Begriff der Anforderungen an die
Tauglichkeit einer Ware zum gewöhnlichen Gebrauch angesichts der mit der
Dioxinbelastung einhergehenden Verwendungseinschränkungen unzulässig
ein.
aa) Nach Art. 35 Abs. 2 Buchst. a CISG entspricht eine gelieferte Ware,
für die - wie hier - nichts anderes vereinbart ist, dem Vertrag nur, wenn sie sich
für die Zwecke eignet, für die Ware der gleichen Art gewöhnlich gebraucht wird.
Sie wird also den Anforderungen an ihren gewöhnlichen Gebrauch im Sinne
dieser Bestimmung nur gerecht, wenn sie ganz allgemein den Erwartungen
entspricht, die ein durchschnittlicher Nutzer bei Anlegung eines objektiven
Maßstabs unter üblichen Verwendungsbedingungen zur Verwirklichung des
normalen Gebrauchszwecks an sie stellt (Staudinger/Magnus, BGB, Neubearb.
2005, Art. 35 CISG Rn. 18 mwN). Zwar muss sich eine Ware, um diesen Ver-
kehrserwartungen zu genügen, nicht für alle theoretisch denkbaren Verwen-
dungsformen und Verwendungsmöglichkeiten eignen, sondern nur für diejeni-
gen, die nach ihrer stofflichen und technischen Auslegung und der hieran an-
knüpfenden Verkehrserwartung nahe liegen. Wird allerdings eine an sich nahe
liegende Verwendung von den tatsächlich vorhandenen Verwendungs- und
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Einsatzmöglichkeiten nicht mehr abgedeckt, fehlt ihr die von Art. 35 Abs. 2
Buchst. a CISG geforderte Eignung zum gewöhnlichen Gebrauch, sofern der
Verkäufer die bestehende Einschränkung nicht deutlich macht (Achilles, Kom-
mentar zum UN-Kaufrechtsübereinkommen, 2000, Art. 35 Rn. 4; vgl. ferner
Staudinger/Magnus, aaO Art. 35 Rn. 20; Piltz, Internationales Kaufrecht,
2. Aufl., Rn. 5-45; Kröll in Kröll/Mistelis/Viscasillas, UN Convention on Contracts
for the International Sale of Goods, 2011, Art. 35 Rn. 69; MünchKommBGB/
Gruber, 6. Aufl., Art. 35 CISG Rn. 16; jeweils mwN).
bb) So liegt es im Streitfall. Entgegen der Sichtweise des Berufungsge-
richts ist der gelieferte Ton allein schon wegen der besonderen Verwendungs-
anforderungen, die aufgrund der Dioxinverunreinigung und des dadurch selbst
nach den Behauptungen der Beklagten unabdingbaren Erfordernisses einer
anschließenden Reinigung der separierten Kartoffeln bestanden haben, nach-
teilig hinter den Verkehrserwartungen zurückgeblieben. Denn ein Verwender
von Kartoffelseparierungston der gelieferten Art kann gewöhnlich davon ausge-
hen, dass der Ton - dem Regelfall entsprechend - keine Verunreinigungen oder
Beimengungen enthält, die lebens- oder futtermittelrechtlich unerwünscht sind
und deshalb bei seiner Verwendung besondere Vorkehrungen wie etwa einen
anschließenden Waschvorgang der separierten Kartoffeln erfordern. Insbeson-
dere ist ein solches Reinigungserfordernis entgegen der Auffassung der Revisi-
on der Beklagten auch nicht lebens- oder futtermittelrechtlich zwingend und
damit verwendungsprägend vorgegeben. Denn Kaolinit-Tone zählen, worauf die
Revision der Klägerin zutreffend hinweist und wie insbesondere auch die Be-
nennung dieser Tone im Anhang zur Verordnung (EG) Nr. 2439/1999 der
Kommission vom 17. November 1999 über die Bedingungen für die Zulassung
von Zusatzstoffen der Gruppe "Bindemittel, Fließhilfsstoffe und Gerinnungs-
hilfsstoffe" in der Tierernährung (ABl. EG Nr. L 297 S. 11) unter der EG-
Nummer E 559 belegt, zu den grundsätzlich für die Tierernährung zugelasse-
nen Zusatzstoffen, sofern sie im Einzelfall nicht den festgelegten Höchstgehalt
an Dioxinen überschreiten.
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2. Die Klägerin hat ihr Recht, sich auf die Vertragswidrigkeit des geliefer-
ten Tons zu berufen, nicht gemäß Art. 39 Abs. 1 CISG dadurch verloren, dass
sie der Beklagten die Vertragswidrigkeit nicht innerhalb einer angemessenen
Frist nach dem Zeitpunkt angezeigt hat, in dem sie - wie von der Beklagten gel-
tend gemacht - die Vertragswidrigkeit hätte feststellen müssen.
a) Das Berufungsgericht hat zwar in anderem Zusammenhang ange-
nommen, dass die Klägerin sich über die Ungefährlichkeit des gelieferten Tons
hätte vergewissern und ihn zu diesem Zweck in eigener Verantwortung auf eine
eventuelle Überschreitung der zulässigen Dioxinwerte hätte kontrollieren kön-
nen. Jedoch kann dahinstehen, ob die Klägerin eine aus Art. 38 f. CISG folgen-
de Obliegenheit zur Untersuchung der Ware und zur Anzeige sich danach er-
gebender Vertragswidrigkeiten, die lediglich im Interesse der Vertragsparteien
untereinander zur alsbaldigen Klärung einer Tauglichkeit der gelieferten Ware
und der daraus zu ziehenden Folgerungen besteht (vgl. Staudinger/Magnus,
aaO Art. 39 Rn. 3; Schwenzer in Schlechtriem/Schwenzer, Kommentar zum
Einheitlichen UN-Kaufrecht, 5. Aufl., Art. 38 Rn. 4), verletzt hat. Denn die Be-
klagte kann sich hierauf jedenfalls gemäß Art. 40 CISG nicht berufen, weil sie
über die Dioxinverunreinigung des gelieferten Tons und ein daraus folgendes,
den gewöhnlichen Gebrauch von Kartoffelseparierungston im Sinne von Art. 35
Abs. 2 Buchst. a CISG einschränkendes Erfordernis, die separierten Kartoffeln
in einem zusätzlichen Waschvorgang zu reinigen, nicht in Unkenntnis sein
konnte und weil sie der Klägerin diesen Umstand nicht offenbart hat.
b) Das Berufungsgericht hat unangegriffen festgestellt, dass der Beklag-
ten aufgrund der im Jahre 1999 gezogenen Materialproben die erhebliche Dio-
xinbelastung des in der Grube R. geförderten Tons bekannt
war und dass sie wusste, dass der Klägerin die Dioxinbelastung unbekannt war.
Die ihr bekannte Dioxinbelastung, aufgrund derer sich ein Reinigungserforder-
nis geradezu aufdrängte, hätte die Beklagte - wie das Berufungsgericht mit
Recht annimmt - der Klägerin nicht verschweigen dürfen. Sie hätte ihr diesen
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Umstand vielmehr offenbaren müssen, um ihr, sofern die Klägerin daraufhin
den verunreinigten Ton überhaupt abgenommen hätte, zumindest Anlass zu
geben, durch geeignete Vorsorgemaßnahmen wie ein - nach den Behauptun-
gen der Beklagten als tauglich zu unterstellendes - Abwaschen der separierten
Kartoffeln nach Durchlaufen des Ton-Wasser-Bades eine durch die Dioxinbe-
lastung bedingte Kontamination der Folgeprodukte auszuschließen.
c) Dem steht nicht entgegen, dass der Beklagten nach den unangegriffe-
nen Feststellungen des Berufungsgerichts das bei der Klägerin praktizierte Ver-
fahren zur Verarbeitung der mit Hilfe des gelieferten Tons im Ton-Wasserbad
separierten Kartoffeln und die anschließende ungereinigte Verwendung der so
behandelten Kartoffeln und Kartoffelreste nicht positiv bekannt waren. Vielmehr
hätte gerade die fehlende Kenntnis, ob ein sicherer Einsatz des gelieferten Se-
parierungstons bei der Klägerin gewährleistet war, die Beklagte zur Vorsicht
veranlassen müssen. Deshalb wäre ein entsprechender Gefahrenhinweis gebo-
ten gewesen, um von vornherein jegliche Gefahrverwirklichung durch den dio-
xinverunreinigten Separierungston bei der anschließenden Futtermittelprodukti-
on auszuschließen.
3. Die Klägerin kann danach gemäß Art. 45 Abs. 1 Buchst. b, Art. 74
Abs. 1 CISG den Ersatz des Schadens beanspruchen, der ihr daraus entstan-
den ist und noch entstehen wird, dass die Beklagte ihre nach Art. 35 Abs. 1, 2
Buchst. a CISG bestehende Pflicht verletzt hat, Kartoffelseparierungston zu lie-
fern, der den vorstehend unter II 1 b bb beschriebenen Anforderungen des Ver-
trages entspricht, und dadurch aufgrund des Dioxingehalts des Tons eine hier
eingetretene Verwendungsgefahr geschaffen hat, mit der bei normalem Ge-
brauch nicht zu rechnen war (vgl. Staudinger/Magnus, aaO Art. 35 CISG Rn. 18
mwN). Allerdings ist dieser Schadensersatz zu mindern, weil die Klägerin selbst
in schwer wiegender Weise ihrer Produktverantwortlichkeit für die in die Futter-
mittelproduktion gegebenen ausgesonderten Kartoffeln und Kartoffelreste nicht
genügt und dadurch einen ihr anzulastenden eigenen Beitrag zur Entstehung
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des durch die mangelhafte Lieferung verursachten (Regress-)Schadens geleis-
tet hat.
a) Die Klägerin war - wie das Berufungsgericht mit Recht annimmt - ih-
rerseits verpflichtet, angemessene Vorkehrungen dagegen zu treffen, dass von
den von ihr in den Verkehr gebrachten Futtermitteln oder den dafür bestimmten
Vorprodukten Gesundheitsgefahren für Mensch oder Tier in der nachfolgenden
Futter- und Nahrungsmittelkette ausgehen. Daran fehlt es.
aa) Die Klägerin hat nach den Feststellungen des Berufungsgerichts die
ausgesonderten Kartoffeln und Kartoffelreste zur Verwertung als Futtermittel in
den Verkehr gebracht, ohne sich zuvor über die futtermittelrechtliche Unbe-
denklichkeit des als Verarbeitungshilfsstoff mit verwerteten Tons in einer Weise
zu vergewissern, die durch die im Lebens- und Futtermittelrecht bestehenden
Sorgfaltsanforderungen geboten war (vgl. dazu Meyer in Meyer/Streinz, LFGB-
BasisVO, 2007, Art. 17 VO 178/2002/EG Rn. 21 f.; Wehlau, Lebensmittel- und
Futtermittelgesetzbuch, 2010, Vorbemerkung zu § 58 Rn. 72, 79 f.). Dazu hatte
die Klägerin - wie das Berufungsgericht mit Recht annimmt - hier durchaus An-
lass. Denn ihr hätte eine mögliche Dioxinbelastung des von der Beklagten gelie-
ferten Tons bei der auch insoweit gebotenen Sorgfalt nicht verborgen bleiben
können. Hierüber war nicht nur in der Presse berichtet worden. Vielmehr war
eine Dioxinbelastung von in Deutschland geförderten Kaolinit-Tonen sogar in
der für das Tätigkeitsgebiet der Klägerin einschlägigen EU-Normgebung aufge-
griffen worden (vgl. Erwägungsgründe 1, 8 der Verordnung (EG) Nr. 2439/1999,
aaO) und hatte - worauf auch die Revision der Beklagten hinweist - in der Fol-
gezeit zu einer Vielzahl gesetzgeberischer Vorhaben, Maßnahmen und Emp-
fehlungen geführt (z.B. Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates
zur Änderung der Richtlinie 1999/29/EG des Rates über unerwünschte Stoffe
und Erzeugnisse in der Tierernährung vom 28. August 2001, KOM [2001] 493
endgültig [ABl. EG Nr. C 332E S. 242]; Empfehlung der Kommission vom
4. März 2002 zur Reduzierung des Anteils von Dioxinen, Furanen und PCB in
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Futtermitteln und Lebensmitteln [ABl. EG Nr. L 67 S. 69]; Erwägungsgrund 5
sowie Art. 1 i.V.m. dem Anhang der Richtlinie 2003/57/EG der Kommission vom
17. Juni 2003 zur Änderung der Richtlinie 2002/32/EG des Europäischen Par-
laments und des Rates vom 7. Mai 2002 über unerwünschte Stoffe in der Tier-
ernährung [ABl. EG Nr. L 151 S. 38]).
bb) Ohne Erfolg macht die Revision der Klägerin demgegenüber geltend,
die Klägerin habe zu einer dahingehenden Prüfung des gelieferten Tons keine
Veranlassung gehabt, weil die Beklagte durch Vorlage des hierfür erstellten Si-
cherheitsdatenblatts mit der darin enthaltenen toxikologischen Information "non
toxic" zugleich die Erklärung abgegeben habe, dass der Ton dioxinfrei und des-
halb insoweit unbedenklich sei. Eine dahingehende Aussage enthält das Si-
cherheitsdatenblatt nicht. Bei dem Sicherheitsdatenblatt hat es sich - worauf die
Revision der Beklagten mit Recht hinweist - um eine gemäß § 14 der Gefahr-
stoffverordnung (GefStoffV) in der Fassung von Art. 2 Nr. 8 der Verordnung
vom 4. Juli 2002 (BGBl. I S. 2514) zu übermittelnde Information des Gefahr-
stoffrechts gehandelt, die allein schon nach ihrem Zweck keine tauglichen
Rückschlüsse auf einen nach Lebens- oder Futtermittelrecht relevanten Gehalt
an Inhaltsstoffen oder Verunreinigungen zugelassen hat. Denn das Gefahrstoff-
recht zielt - anders als das Lebens- und Futtermittelrecht - nicht auf eine Si-
cherheit der Lebens- und Futtermittelkette unter dem Gesichtspunkt eines Ver-
zehrs der Inhaltsstoffe ab (vgl. Weinmann/Thomas/Klein, Gefahrstoffverord-
nung, Stand 2003, § 2 Anm. 3.2.2 zu Nr. 1). Es bezweckt vielmehr eine Gefahr-
vermeidung im Umgang mit solchen Stoffen bei deren Herstellung und Verwen-
dung sowie bei Tätigkeiten in deren Gefahrenbereich (vgl. § 19 des Chemikali-
engesetzes [ChemG] in der Neufassung vom 20. Juni 2002 [BGBl. I S. 2090],
§§ 1, 2 Abs. 2 GefStoffV). Dementsprechend war das Sicherheitsdatenblatt nur
dazu bestimmt, dem berufsmäßigen Verwender die beim Umgang mit Stoffen
und Zubereitungen notwendigen Daten und Umgangsempfehlungen zu vermit-
teln, um die für den Gesundheitsschutz, die Sicherheit am Arbeitsplatz und den
Schutz der Umwelt erforderlichen Maßnahmen treffen zu können (Ziff. 4 Abs. 1
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der Technischen Regeln für Gefahrstoffe [TRGS] 220, abgedruckt bei Wein-
mann/Thomas/Klein, aaO Teil 2 Ordner 2/1; Weinmann/Thomas/Klein, aaO
§ 14 Anm. 2.5).
b) Im Umfang des Gewichts ihrer eigenen Sorgfaltspflichtverletzung kann
sich die Klägerin gegenüber der Beklagten nicht auf deren Pflichtverletzung
durch Lieferung vertragswidrigen Tons berufen, so dass ihr Schadensersatzan-
spruch entsprechend zu kürzen ist.
aa) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann eine Kürzung
des der Klägerin zustehenden Schadensersatzes aufgrund des Beitrags, den
sie durch ihre vorstehend unter II 3 a aa beschriebene Sorgfaltspflichtverletzung
selbst zur Schadensverursachung geleistet hat, allerdings nicht unmittelbar auf
Art. 77 CISG gestützt werden. Nach dieser Bestimmung kann in Fällen, in de-
nen eine Partei es versäumt, alle den Umständen nach angemessenen Maß-
nahmen zur Verringerung des aus der Vertragsverletzung folgenden Verlusts zu
treffen, die vertragsbrüchige Partei Herabsetzung des Schadens in Höhe des
Betrages verlangen, um den der Verlust hätte verringert werden sollen. Aller-
dings erfasst die Vorschrift nur diejenigen Fälle, in denen die ersatzberechtigte
Partei es nach Kenntniserlangung von den Umständen des (drohenden) Scha-
denseintritts unter Verstoß gegen eine dann einsetzende Obliegenheit unterlas-
sen hat, den durch eine Vertragsverletzung der anderen Partei verursachten
Schaden durch Vornahme angemessener Maßnahmen zu mindern oder den
durch eine Vertragsverletzung der anderen Partei drohenden Schaden zu ver-
meiden (vgl. Senatsurteil vom 24. März 1999 - VIII ZR 121/98, BGHZ 141, 129,
135 f.; Staudinger/Magnus, aaO Art. 77 Rn. 5, 8, 11; Piltz, aaO Rn. 5-555). Eine
solche Kenntnis von den Umständen des (drohenden) Schadenseintritts, die
der Klägerin hätten Anlass geben müssen, in den (drohenden) Schadensverlauf
durch schadensmindernde Maßnahmen einzugreifen, stellt das Berufungsge-
richt indessen nicht fest. Dafür besteht auch sonst kein Anhalt.
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Ebenso wenig kann - wie das Berufungsgericht mit Recht annimmt - eine
Kürzung des Schadensersatzes unmittelbar auf Art. 80 CISG gestützt werden,
wonach sich eine Partei auf die Nichterfüllung von Pflichten durch die andere
Partei nicht berufen kann, soweit diese Nichterfüllung durch ihre Handlung oder
Unterlassung verursacht wurde. Denn die Klägerin hat die in der Lieferung ver-
tragswidrigen Tons liegende Vertragsverletzung der Beklagten nicht mitverur-
sacht. Dass sie im Verhältnis zur Beklagten die Anforderungen an den zu lie-
fernden Ton nicht näher spezifiziert und insbesondere nicht ausdrücklich auf
das Erfordernis einer Dioxinfreiheit hingewiesen hat, stellt keinen berücksichti-
gungsfähigen Mitverursachungsbeitrag dar. Denn es lag auch für die Beklagte
auf der Hand, dass der zu dem beschriebenen Zweck bestellte Ton kein Dioxin
enthalten durfte, so dass diese Selbstverständlichkeit keiner ausdrücklichen
Erwähnung bedurfte.
bb) Die im UN-Kaufrechtsübereinkommen nicht ausdrücklich entschiede-
ne Frage, wie Fallgestaltungen zu behandeln sind, in denen - wie hier - die Ver-
tragsparteien zum entstandenen Schaden unabhängig voneinander durch je-
weils eigenständige Pflichtverletzungen beigetragen haben, ist gemäß Art. 7
Abs. 2 CISG durch Rückgriff auf die insbesondere den Art. 77 und 80 CISG zu-
grunde liegenden allgemeinen Grundsätze zu entscheiden.
(1) Es entspricht allgemeiner Auffassung, dass beide Vorschriften einen
besonderen Ausdruck des in Art. 7 Abs. 1 CISG geregelten Gebots darstellen,
die Wahrung des guten Glaubens im internationalen Handel zu fördern (Stau-
dinger/Magnus, aaO Art. 77 CISG Rn. 2, Art. 80 CISG Rn. 2; Schwenzer, aaO
Art. 77 Rn. 1; MünchKommBGB/Huber, aaO, Art. 77 CISG Rn. 1, Art. 80 CISG
Rn. 1; MünchKommHGB/Mankowski, 2. Aufl., Art. 80 CISG Rn. 1; Brunner, UN-
Kaufrecht, 2004, Art. 77 Rn. 1, Art. 80 Rn. 1; Rathjen, RIW 1999, 561, 565).
Dabei geht Art. 77 CISG auf den verallgemeinerungsfähigen Grundgedanken
zurück, dass ein in zumutbarer Weise vermeidbarer Schaden nicht entschädi-
gungswürdig ist (Schwenzer, aaO; Staudinger/Magnus, aaO Art. 77 CISG Rn.
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2; MünchKommBGB/Huber, aaO Art. 77 CISG Rn. 1; Brunner, aaO Art. 77
Rn. 1), während Art. 80 CISG Ausdruck des Verbots widersprüchlichen Verhal-
tens ist und den allgemeinen Gedanken formuliert, dass ein Gläubiger aus ei-
genem schadensbegründenden Verhalten keinen Vorteil ziehen darf (Staudin-
ger/Magnus, aaO Art. 80 CISG Rn. 2; Brunner, aaO Art. 80 Rn. 1; Münch-
KommBGB/Huber, aaO Art. 80 CISG Rn. 1; Rathjen, aaO). Zugleich lassen
beide Vorschriften (Art. 77 CISG: "
…Herabsetzung des Schadens in Höhe des
Betrags…, um den der Verlust hätte verringert werden sollen"; Art. 80 CISG: "…
soweit diese Nichterfüllung durch ihre Handlung oder Unterlassung verursacht
wurde") erkennen, dass die Rechtsfolge einer Schadensmitverursachung durch
den Gläubiger nicht dessen Anspruchsverlust sein soll, sondern dass im Falle
beiderseitiger Schadensverursachung jedenfalls bei teilbaren Rechtsbehelfen
wie dem Schadensersatz die jeweiligen Beiträge bei der Schadensverteilung
durch Bewertung, Gewichtung und Abwägung zu berücksichtigen sind
(Schwenzer, aaO Art. 80 Rn. 7; Staudinger/Magnus, aaO Art. 80 CISG Rn. 14;
MünchKommBGB/Huber, aaO Art. 80 CISG Rn. 6; Atamer in Kröll/Mistelis/
Viscasillas, aaO Art. 80 Rn. 17; Rathjen, aaO; jeweils mwN).
(2) Diesen allgemeinen Grundsätzen entsprechend ist der der Klägerin
entstandene Schaden vorliegend dahin zu verteilen, dass die Klägerin ihren
Schaden zur Hälfte selbst zu tragen hat. Dazu bedarf es keiner weiteren tatrich-
terlichen Feststellungen, so dass der Senat die Schadensverteilung selbst vor-
nehmen kann. Denn das Berufungsgericht hat die zu den einzelnen Schadens-
beiträgen der Parteien und ihrem Gewicht erforderlichen Feststellungen bereits
getroffen und sich lediglich durch die von ihm für unmittelbar anwendbar erach-
tete Vorschrift des Art. 77 CISG rechtsfehlerhaft in der Rechtsfolge dahin ge-
bunden gesehen, dass die Klägerin nur Ersatz derjenigen Vermögensnachteile
sollte beanspruchen können, welche sie (noch) gehabt hätte, wenn sie die not-
wendigen Maßnahmen zur Verringerung des Schadens ergriffen hätte.
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Im Rahmen der erforderlichen Gewichtung und Abwägung der beidersei-
tigen Verursachungsbeiträge ist zu Lasten der Beklagten zu berücksichtigen,
dass der von ihr gelieferte Ton nicht nur den beschriebenen Mangel aufwies,
sondern dass sie die Klägerin zudem über den ihr bekannten Dioxingehalt im
Unklaren gelassen und dadurch in schwer wiegender Weise das Risiko eines
Fehlgebrauchs durch die Klägerin erhöht hat. Auf der anderen Seite ist zu be-
rücksichtigen, dass die Klägerin selbst jede Sorgfalt im Umgang mit dem in die
Futtermittelverwertung gelangten Ton hat vermissen lassen, obgleich ihr die
Gefahr einer Dioxinverunreinigung und die damit verbundenen Risiken nicht
hatten verborgen bleiben können. Beide Parteien haben ihre Pflichten dadurch
in einem unabhängig voneinander zum Schadenseintritt führenden Ausmaß
verletzt, das in seiner Schwere etwa gleich wiegt und deshalb eine hälftige
Schadensteilung rechtfertigt, worüber zugleich im hier gegebenen Verfahren
über den Grund des Anspruchs zu entscheiden ist (vgl. Senatsurteil vom
24. März 1999 - VIII ZR 121/98, aaO).
4. Über die von der Revision der Klägerin weiter zur Überprüfung durch
den Senat gestellte Frage, ob und inwieweit nationales Deliktsrecht bei den von
der Klägerin geltend gemachten Schäden neben den für eine Verletzung ver-
traglicher Pflichten im UN-Kaufrecht vorgesehenen Rechtsbehelfen zur Anwen-
dung kommen kann (zum Meinungsstand Staudinger/Magnus, aaO Art. 5 CISG
Rn. 11 ff.; Piltz, aaO Rn. 2-139 ff.; Ferrari in Schlechtriem/Schwenzer, aaO Art.
5 Rn. 12; jeweils mwN), ist eine Entscheidung nicht veranlasst. Dieses Konkur-
renzverhältnis bedarf vorliegend schon deshalb keiner näheren Klärung, weil
man im Falle eines etwaigen deliktsrechtlichen Schadensersatzanspruchs der
Klägerin über den dann anwendbaren § 254 BGB in gleicher Weise zu der vor-
stehend beschriebenen Schadensteilung käme.
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III.
Nach alledem kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben; es
ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat hat, da der Rechtsstreit - wie
aufgezeigt - nach dem festgestellten Sachverhältnis zur Endentscheidung reif
ist, in der Sache selbst zu entscheiden (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dies führt
unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils zur erkannten Schadensteilung.
Ball
Dr. Milger
Dr. Achilles
Dr. Schneider
Dr. Bünger
Vorinstanzen:
LG Koblenz, Entscheidung vom 27.03.2007 - 4 HK.O 47/06 -
OLG Koblenz, Entscheidung vom 24.02.2011 - 6 U 555/07 -
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