Urteil des BGH vom 26.03.2015

Leitsatzentscheidung zu Treu Und Glauben, Rückgabe, Besteller, Sicherheit

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V I I Z R 9 2 / 1 4
Verkündet am:
26. März 2015
Seelinger-Schardt,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
BGB § 133 C, § 157 D, Ga; AGBG § 9 Abs. 1 Bf
a) Die in Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Bestellers eines Bauvertrages enthal-
tene Klausel über eine Gewährleistungsbürgschaft "Die Bürgschaft ist zurückzugeben,
wenn alle unter die Gewährleistungsfrist fallenden Gewährleistungsansprüche nicht
mehr geltend gemacht werden können" benachteiligt den Unternehmer unangemessen
und ist daher unwirksam.
b) Bei Vereinbarung einer Gewährleistungsbürgschaft als Sicherheit für die vertragsge-
mäße und mängelfreie Ausführung der Leistungen hat der Besteller regelmäßig nach
Ablauf der vereinbarten Frist eine Bürgschaft insoweit freizugeben, als zu diesem Zeit-
punkt keine durchsetzbaren Gewährleistungsansprüche bestehen.
BGH, Urteil vom 26. März 2015 - VII ZR 92/14 - OLG Frankfurt am Main
LG Frankfurt am Main
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Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 5. Februar 2015 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Eick, die Richter
Halfmeier, Dr. Kartzke, Prof. Dr. Jurgeleit und die Richterin Sacher
für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 19. Februar 2014 wird
zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin verlangt Schadensersatz für Kosten im Zusammenhang mit
einer von ihr gestellten Gewährleistungsbürgschaft.
Die Rechtsvorgängerin der Klägerin (im Folgenden einheitlich: Klägerin)
errichtete gemäß Generalunternehmervertrag vom 16. Februar 2000 sowie ers-
tem Nachtrag hierzu vom 23. März 2000 für die Rechtsvorgängerin der Beklag-
ten (im Folgenden einheitlich: Beklagte) ein Logistikzentrum mit fünf Lagerhal-
len, Bahnentladung, Büroflächen, Außenanlagen und Stellplätzen in G.
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§ 2 des Vertrages ("Vertragsgrundlagen") lautet auszugsweise:
"Zwischen den nachfolgend genannten Vertragsgrundlagen be-
steht im Falle des Widerspruchs und für eventuelle Vertragsausle-
gungen folgende Rangfolge:
(1) die Regelungen dieses Vertrages;
(4) die VOB Teil B in der bei Vertragsschluß gültigen Fassung;
(5) die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), …
…"
§ 18 des Vertrages ("Sonstiges") lautet auszugsweise:
"…
(3) Sollten einzelne Bestimmungen dieses Vertrages ganz oder
teilweise nichtig oder unwirksam sein, so bleibt die Wirksamkeit
der übrigen Bestimmungen sowie des Vertrages insgesamt davon
im Zweifel unberührt. Die Parteien verpflichten sich jedoch, die
nichtige oder unwirksame Bestimmung durch eine ihr im wirt-
schaftlichen Ergebnis gleichkommende wirksame zu ersetzen.
Das gleiche gilt, wenn dieser Vertrag eine Lücke haben sollte."
Für die Gewährleistungsansprüche galten nach § 10 (2) Satz 1 des Ver-
trages die Bestimmungen des Werkvertragsrechtes nach dem Bürgerlichen Ge-
setzbuch, vorbehaltlich nachfolgender Regelungen und Änderungen. In Satz 2
war die Gewährleistungsfrist für alle Bauleistungen mit Ausnahme bestimmter
genannter Fälle auf fünf Jahre festgesetzt.
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§ 13 des Ausgangsvertrages war in der Nachtragsvereinbarung durch
einen neuen § 13 (Sicherheiten) ersetzt worden. Er lautet auszugsweise:
"…
(2) Als Sicherheit für die vertragsgemäße und mängelfreie Ausfüh-
rung der Leistungen hat der AN vor Erteilung der Schlußrechnung
Zug um Zug gegen Rückgabe der unter (1) genannten Vertragser-
füllungsbürgschaft eine Gewährleistungsbürgschaft in Höhe von
5 % des Betrages der Schlußrechnung einschließlich Mehrwert-
steuer zu erbringen. … Die Bürgschaft ist zurückzugeben, wenn
alle unter die Gewährleistungsfrist fallenden Gewährleistungsan-
sprüche nicht mehr geltend gemacht werden können, frühestens
fünf Jahre nach erfolgter förmlicher Schlußabnahme, soweit der
AN für die Abdichtungsarbeiten (§ 10 Ziffer (2) (b) dieses Vertra-
ges) eine Gewährleistungsbürgschaft in Höhe von DM 30.000,00
gestellt hat.
…"
Die Abnahme erfolgte am 15. Dezember 2000 und am 7. Februar 2001.
Unter dem 19. Februar 2001 übernahm die D. AG als bürgende Bank (im Fol-
genden: Bürgin) die Gewährleistungsbürgschaft über einen Betrag in Höhe von
938.235,94
€ zugunsten der Klägerin gemäß der genannten Sicherungsabrede.
Wegen behaupteter Mängel am Flachdach leitete die Beklagte ein selb-
ständiges Beweisverfahren ein, das über das Jahr 2007 hinaus andauerte. In-
zwischen verfolgte die Beklagte ihre Gewährleistungsansprüche im Klageweg
weiter. Mit Urteil des Landgerichts vom 30. November 2011 wurde die Klägerin
unter Abweisung der weitergehenden Klage zur Zahlung eines Vorschusses zur
Mängelbeseitigung in Höhe von 104.485,35
€ verurteilt. Gegen dieses Urteil
legte die Beklagte Berufung ein. Das Berufungsverfahren endete am
6. Dezember 2012 durch einen Vergleich, wonach es zur Abgeltung der streit-
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gegenständlichen Ansprüche der Beklagten bei der Zahlung von 104.485,35
entsprechend der landgerichtlichen Verurteilung verbleibe.
Wegen behaupteter Mängel am Verbundpflaster reichte die Beklagte
nach Abschluss eines weiteren selbständigen Beweisverfahrens und anschlie-
ßender ergebnisloser Vergleichsverhandlungen im Jahre 2011 Klage gegen die
Klägerin und gegen die Bürgin ein. Sie begehrte Zahlung von Vorschuss sowie
Schadensersatz in Höhe von insgesamt 160.551,63
€. Mit rechtskräftig gewor-
denem Urteil vom 30. Oktober 2012 wies das Landgericht die Klage wegen Ver-
jährung ab.
Die Beklagte erklärte am 14. Februar 2012 eine Teilenthaftung der Bür-
gin auf die Hälfte der Bürgschaftssumme (469.117,97
€). Am 7. Dezember 2012
gab sie die Bürgschaftsurkunde an die Klägerin zurück.
Die Klägerin behauptet, sie habe monatlich eine Avalprovision in Höhe
von 1,5 % der Bürgschaftssumme (14.073,48
€ pro Jahr) an die H. GmbH ge-
zahlt, welche für sie als Dienstleister das Sicherheiten-Management betreibe.
Diese Provision sei marktüblich. Die H. GmbH habe an die Bürgin ebenfalls
Avalkosten in dieser Höhe gezahlt. Die Klägerin verlangt als Schadensersatz
Erstattung dieser Avalkosten insoweit, als sie auf einen Bürgschaftsbetrag ent-
fallen, der über die von ihr als berechtigt angesehenen Gewährleistungsansprü-
che der Beklagten in Höhe von 104.485,35
€ hinausgeht, zuletzt noch für einen
Zeitraum vom 20. September 2007 bis zur Rückgabe der Bürgschaftsurkunde in
Höhe von 60.578,76
€ nebst Zinsen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die
Beklagte unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung der Klägerin ver-
urteilt, an die Klägerin 54.449,83
€ nebst Zinsen zu zahlen. Mit der vom Beru-
fungsgericht zugelassenen Revision möchte die Beklagte die vollständige Zu-
rückweisung der Berufung erreichen.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hält einen Schadensersatzanspruch wegen Ver-
zugs der Beklagten mit der Erfüllung eines Anspruchs auf teilweise Freigabe
der Gewährleistungsbürgschaft aus § 280 Abs. 1, § 286 Abs. 1 und 2 BGB in
der ausgeurteilten Höhe für begründet. Der Klägerin habe jedenfalls ab dem
22. September 2007 ein Anspruch auf teilweise Rückgabe der Bürgschaft im
Umfang von 812.853,52
€ und nach Teilverzicht am 14. Februar 2012 noch in
Höhe von 469.117,97
€ zugestanden.
Zwar habe sich ein solcher Anspruch nicht aus § 13 (2) Satz 4 des Gene-
ralunternehmervertrages in der Fassung des Nachtrags ergeben. Denn der
Wortlaut der Bestimmung könne nur dahin verstanden werden, dass die Rück-
gabe erst erfolgen solle, wenn fünf Jahre seit der Abnahme vergangen seien
und keine noch nicht erfüllten Gewährleistungsansprüche mehr bestünden, also
der Sicherungszweck vollständig erloschen sei. Eine vorherige Teilrückgabe sei
nicht vorgesehen. Hier hätten jedoch wegen Mängeln des Flachdachs bis zur
Zahlung der Klägerin Gewährleistungsansprüche in Höhe von mindestens
104.485,35
€ bestanden.
Grundlage für den Teilenthaftungsanspruch der Klägerin sei jedoch § 17
Nr. 8 Satz 2 VOB/B (1996), dessen subsidiäre Geltung im Rang nach den Ver-
tragsbestimmungen und vor dem Bürgerlichen Gesetzbuch im Generalunter-
nehmervertrag vereinbart sei.
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Die abweichend getroffene vertragliche Regelung stehe der Anwendung
des § 17 Nr. 8 VOB/B nicht entgegen. Denn diese Vereinbarung sei nach § 307
Abs. 1 BGB unwirksam. Bei der Regelung in § 13 (2) des Generalunternehmer-
vertrages, die in der Nachtragsvereinbarung nur um eine Passage ergänzt wor-
den sei, handele es sich um eine Allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne von
§ 305 Abs. 1 BGB.
Die Beklagte sei auch Verwenderin des Generalunternehmervertrages.
Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme sei das Berufungsgericht davon
überzeugt, dass der Vertragstext von der Beklagten durch Übermittlung eines
Entwurfs in die Vertragsverhandlungen eingebracht worden sei. Zu Unrecht be-
rufe sich die Beklagte darauf, § 13 (2) des Nachtrages sei individualvertraglich
ausgehandelt worden. Sie lege diesbezüglich keine konkreten Tatsachen dar.
Die Sicherungsvereinbarung benachteilige im Hinblick auf die Regelung
über die Rückgabe der Sicherheit die Klägerin als Gegnerin der Verwenderin
unangemessen im Sinne des bei Vertragsschluss geltenden, aber mit § 307
Abs. 1 BGB inhaltsgleichen § 9 AGBG.
Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Teilrückgabe der Bürg-
schaft aus § 17 Nr. 2 Satz 2 VOB/B seien jedenfalls seit dem 20. September
2007 im Umfang des über den Betrag von 104.485,35
€ zuzüglich eines Si-
cherheitszuschlages von 20 % hinausgehenden Teils der Bürgschaft gegeben.
Da die vereinbarte Gewährleistungsfrist von fünf Jahren seit dem 7. Februar
2006 abgelaufen gewesen sei, habe ein Rückgabeanspruch aus § 17 Nr. 8 Abs.
2 Satz 1 VOB/B bestanden, sofern nicht die Beklagte noch nicht erfüllte Ge-
währleistungsansprüche gehabt habe und einen "entsprechenden Teil der Si-
cherheit" zurückhalten durfte. Der Auftraggeber, der die Sicherheit behalten
wolle, habe darzulegen und zu beweisen, dass und in welcher Höhe Gewähr-
leistungsansprüche tatsächlich bestehen.
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Auf Ansprüche auf Ersatz von Mängelbeseitigungskosten wegen der von
ihr behaupteten Mängel am Verbundpflaster könne sich die Beklagte wegen der
Rechtskraft des klageabweisenden Urteils des Landgerichts in dem vorausge-
gangenen Rechtsstreit gegen die Klägerin und die Bürgin nicht mit Erfolg beru-
fen. Aufgrund der materiellen Rechtskraft dieses Urteils sei im vorliegenden
Rechtsstreit zugrunde zu legen, dass solche Ansprüche nicht bestehen. Damit
sei der Zweck der Sicherheitsvereinbarung entfallen und es bestehe kein
schutzwürdiges Interesse des Auftraggebers mehr, die Bürgschaft zu behalten.
Bezüglich der Mängel am Flachdach bestünden über die unstreitigen
104.485,35
€ hinaus ebenfalls keine weiteren Ansprüche der Beklagten. Das
ergebe sich zwar nicht aus dem Vergleich der Parteien, der auf die dort streit-
gegenständlichen Ansprüche begrenzt worden sei. Jedoch folge auch aus dem
Vortrag der Beklagten im hiesigen Verfahren, ihrem in Bezug genommenen
Vortrag in dem mit Vergleich beendeten Prozess sowie den Gutachten im vo-
rangegangenen selbständigen Beweisverfahren nicht, dass weitere Ansprüche
als zuerkannt begründet seien.
Der entsprechende Teil der Sicherheit im Sinne von § 17 Nr. 8 Abs. 2
Satz 2 VOB/B umfasse neben dem Gesamtbetrag der berechtigten Gewährleis-
tungsansprüche (104.485,35
€) jedenfalls, wenn ­ wie hier - ganz überwiegend
Kostenvorschuss zur Mängelbeseitigung geltend gemacht werde, einen Sicher-
heitszuschlag, der im vorliegenden Fall mit 20 % zu bemessen sei. Der Auf-
traggeber könne dagegen nicht in Anlehnung an § 641 Abs. 3 BGB einen Teil
der Bürgschaft zurückhalten, der dem doppelten oder gar dreifachen Betrag der
zur Mängelbeseitigung erforderlichen Kosten entspreche.
Die Beklagte sei aufgrund einer Mahnung vom 20. September 2007 mit
Wirkung zum 22. September 2007 mit der Rückgabe der Bürgschaft, soweit sie
den Betrag von 200.000
€ übersteigt, in Verzug geraten. Eine weitergehende,
nun auf eine Freigabe des den Betrag von 104.485,35
€ übersteigenden Teils
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der Bürgschaft sich richtende Mahnung sei mit Zustellung des Mahnbescheides
im hiesigen Prozess am 6. Juli 2011 erfolgt. Die nach § 286 Abs. 4 BGB dafür
darlegungs- und beweisbelastete Beklagte habe keine Tatsachen darzulegen
vermocht, aus denen sich ergebe, dass sie ohne Verschulden annehmen durf-
te, dass ihre Gewährleistungsansprüche die volle Bürgschaftssumme von
938.935,24
€ erreichten. Halte ein Besteller einen Teil der Vergütung zurück,
weil er der Meinung sei, es bestünden Mängel, und erweisen sich diese nach
einem längeren Prozess als unbegründet, so ändere sich nichts daran, dass der
Besteller sich mit der Vergütung von Anfang an in Verzug befunden habe.
Ebenso trage der Besteller, der eine Bürgschaft wegen Mängeln nicht zurück-
gebe, das Risiko, ob die Mängel tatsächlich bestehen oder nicht. Ein Schuldner
habe nur einen unvermeidbaren Tatsachen- oder Rechtsirrtum nicht zu vertre-
ten. Ein solcher liege jedoch nicht vor.
Der geltend gemachte Schaden sei nach dem Maßstab des § 287 Abs. 1
ZPO nachgewiesen. Er liege mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vor. Darauf,
ob auch die H. GmbH ihrerseits der Bürgin eine Avalprovision in Höhe von
1,5 % zahle, komme es für den Schadensnachweis nicht an. Im Übrigen sei
auch eine solche Zahlung überwiegend wahrscheinlich.
II.
Das hält der revisionsrechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.
Auf das Schuldverhältnis der Parteien sind das Bürgerliche Gesetzbuch
und das Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedin-
gungen in der Fassung anzuwenden, die für bis zum 31. Dezember 2001 ge-
schlossene Verträge gilt, Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB.
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1. Zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, dass sich Umfang und
Zeitpunkt der Verpflichtung der Beklagten zur Freigabe der Bürgschaft und
Rückgabe der entsprechenden Urkunde nicht aus § 13 (2) Satz 4 des General-
unternehmervertrages in der Fassung der Nachtragsvereinbarung ergeben.
Diese Bestimmung ist gemäß § 9 Abs. 1 AGBG unwirksam.
a) Bei der Klausel handelt es sich um eine Allgemeine Geschäftsbedin-
gung im Sinne von § 9 Abs. 1 AGBG. Die Annahme des Berufungsgerichts, es
handele sich um eine für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertrags-
bedingung, weil sie für eine Mehrfachverwendung schriftlich oder in sonstiger
Weise aufgezeichnet worden sei, ist im Ergebnis richtig.
aa) Zutreffend geht das Berufungsgericht im Ansatz davon aus, der erste
Anschein spreche dafür, dass Klauseln zur Mehrfachverwendung vorformuliert
sind, wenn in einem Bauvertrag Vertragsklauseln weitgehend allgemein und
abstrakt gehalten sind (BGH, Urteil vom 26. Februar 2004 - VII ZR 247/02,
BauR 2004, 841, 842 f. = NZBau 2004, 323). Es kann dahinstehen, ob bereits
die abstrakte Formulierung der Klausel über die Rückgabeverpflichtung der
Bürgschaft ohne Berücksichtigung der weiteren Gestaltung des Vertrages die-
sen Schluss zulässt, was die Revision in Zweifel zieht. Denn das Berufungsge-
richt hat außerdem - in anderem Zusammenhang - festgestellt, dass bei dem
Bauvorhaben T. in D., das von einer anderen Rechtsvorgängerin der Klägerin
errichtet worden ist und das die Beklagte gleichfalls später erworben hat, ein
Vertrag Verwendung gefunden hat, der in Aufbau und Gestaltung mit dem hie-
sigen Vertrag weitgehend identisch ist. Der inhaltliche Aufbau mit 19 Paragra-
phen gleicht sich. Die hier entscheidende Regelung über die Rückgabe der
Bürgschaft ist dort ebenfalls in § 13 mit derselben Überschrift wortgleich enthal-
ten. Außerdem hat das Berufungsgericht im Zusammenhang mit der Beweis-
aufnahme darüber, wer den Vertragsentwurf in die Vertragsverhandlungen ein-
gebracht hatte, festgestellt, dass der Entwurf des Vertrages von einer von der
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Bauherrin beauftragten Anwaltskanzlei übersandt worden ist; der Text enthielt
Auslassungen, die es ermöglichten, die vertraglichen Regelungen an einen in-
dividuellen Fall anzupassen, wobei die Regelung über die Rückgabe der Bürg-
schaft bereits identisch mit dem hier vorgelegten Vertragstext war. Diese Fest-
stellungen werden von der Revision nicht angegriffen. Damit hat das Beru-
fungsgericht auch festgestellt, dass der Vertrag zahlreiche formelhafte Klauseln
enthielt, die nicht auf die individuelle Vertragssituation abgestimmt waren. Je-
denfalls aus dem Inhalt und der Gestaltung der verwendeten Bedingungen ins-
gesamt folgt deshalb ein nicht widerlegter Anschein dafür, dass sie zur Mehr-
fachverwendung vorformuliert worden waren (vgl. BGH, Urteil vom
27. November 2003 - VII ZR 53/03, BGHZ 157, 102, 106 f.).
Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht auch
nicht übersehen, dass die Freigabeklausel in ihrem letzten Halbsatz insofern
einen konkreten Bezug aufweist, als die Bürgschaftsrückgabe nur verlangt wer-
den könne, soweit der Auftragnehmer für die Abdichtungsarbeiten eine Gewähr-
leistungsbürgschaft in Höhe von 30.000 DM gestellt habe. Hierzu hat das Beru-
fungsgericht vielmehr festgestellt, dass zwischen den Parteien unstreitig ist,
dass die Regelungen über die Bürgschaft in Höhe von 5 % des Schlussrech-
nungsbetrages unabhängig davon gelten sollten, ob die weitere Bürgschaft we-
gen Abdichtungsarbeiten gestellt wird oder nicht. In revisionsrechtlich nicht zu
beanstandender Weise hat es deshalb angenommen, dass die Rückgabever-
pflichtung durch diesen Zusatz nicht mit den Besonderheiten des Bauvorhabens
verknüpft ist.
bb) § 13 (2) Satz 4 des Generalunternehmervertrages in der Fassung der
Nachtragsvereinbarung ist auch nicht im Sinne von § 9 Abs. 2 AGBG zwischen
den Vertragsparteien ausgehandelt worden. Das ergibt sich entgegen der Auf-
fassung der Revision nicht aus der Änderung des Vertrages durch die Nach-
tragsvereinbarung.
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(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erfordert Aushan-
deln mehr als Verhandeln. Von einem Aushandeln in diesem Sinne kann nur
dann gesprochen werden, wenn der Verwender zunächst den in seinen Allge-
meinen Geschäftsbedingungen enthaltenen gesetzesfremden Kerngehalt, also
die den wesentlichen Inhalt der gesetzlichen Regelung ändernden oder ergän-
zenden Bestimmungen, inhaltlich ernsthaft zur Disposition stellt und dem Ver-
handlungspartner Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen einräumt
mit zumindest der realen Möglichkeit, die inhaltliche Ausgestaltung der Ver-
tragsbedingungen zu beeinflussen. Er muss sich also deutlich und ernsthaft zur
gewünschten Änderung einzelner Klauseln bereit erklären (BGH, Urteile vom
20. März 2014 - VII ZR 248/13, BGHZ 200, 326 Rn. 27; vom 22. November
2012 - VII ZR 222/12, BauR 2013, 462 Rn. 10). Die entsprechenden Umstände
hat der Verwender darzulegen (BGH, Urteil vom 3. April 1998 - V ZR 6/97, NJW
1998, 2600, 2601). In aller Regel schlägt sich eine solche Bereitschaft auch in
erkennbaren Änderungen des vorformulierten Textes nieder. Allenfalls unter
besonderen Umständen kann ein Vertrag auch dann als Ergebnis eines "Aus-
handelns" gewertet werden, wenn es schließlich nach gründlicher Erörterung
bei dem gestellten Entwurf verbleibt (BGH, Urteil vom 22. November 2012
- VII ZR 222/12, aaO; Versäumnisurteil vom 23. Januar 2003 - VII ZR 210/01,
BGHZ 153, 311, 321 m.w.N.). Selbst bei Änderungen des Textes verliert eine
Klausel ihren Charakter als Allgemeine Geschäftsbedingung nur dann, wenn
die nachträgliche Änderung in einer Weise erfolgt, die es rechtfertigt, sie wie
eine von vornherein getroffene Individualvereinbarung zu behandeln. Das ist
nicht der Fall, wenn der Verwender auch nach Vertragsschluss dem Vertrags-
partner keine Gestaltungsfreiheit eingeräumt und den gesetzesfremden Kern-
gehalt der Klausel nicht zur Disposition gestellt hat und die Parteien auf dieser
Grundlage eine Einigung finden, mit der die nachteilige Wirkung der Klausel
lediglich
abgeschwächt
wird
(vgl.
BGH,
Urteil
vom
7. März 2013
- VII ZR 162/12, BauR 2013, 946 Rn. 30 = NZBau 2013, 297).
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- 13 -
(2) Zu Recht hat das Berufungsgericht eine Darlegung der Beklagten da-
hin vermisst, inwiefern gerade die inhaltlich unverändert gebliebene Klausel zur
Rückgabe der Bürgschaft zur Disposition gestellt worden sei. Die Revision zeigt
keinen Vortrag der Beklagten auf, nach dem auch die hier in Rede stehende
Regelung zur Rückgabeverpflichtung der Gewährleistungsbürgschaft im Rah-
men der Nachtragsvereinbarung ernsthaft zur Disposition gestellt worden ist.
Auch aus der Tatsache, dass die Parteien in der Nachtragsvereinbarung zu-
nächst § 13 des Ausgangsvertrages insgesamt aufgehoben und an seine Stelle
einen neuen § 13 gesetzt haben, folgt dies nicht.
Aus der Vorbemerkung zu der Nachtragsvereinbarung ergibt sich, dass
sie deshalb getroffen worden ist, weil die Parteien übereingekommen waren,
von der zunächst vorgesehenen Vorfinanzierung des Bauvorhabens durch die
Klägerin Abstand zu nehmen und stattdessen Abschlagszahlungen nach Bau-
fortschritt zu vereinbaren. Hierdurch war eine Reihe von Änderungen des Ver-
trages notwendig, auch zur Absicherung der nunmehr in anderer Form und Hö-
he bestehenden gegenseitigen Risiken. Daraus ergibt sich gerade nicht, dass
die hiervon nicht betroffenen Regelungen wie die der Rückgabe der Gewähr-
leistungsbürgschaft in der Weise betroffen waren, dass auch sie ernsthaft zur
Disposition gestellt worden sind, noch folgt daraus, dass die Tatsache der un-
veränderten Übernahme dieser Regelung im Gegenzug zu anderweitigen Ver-
besserungen der Vertragsgestaltung zugunsten der Klägerin ausgehandelt
worden sein sollten.
b) Dass die Beklagte Verwenderin der Klauseln des Generalunterneh-
mervertrags war, hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler festgestellt.
c) Im Ergebnis richtig geht das Berufungsgericht davon aus, dass die
Rückgabeklausel in § 13 (2) des Vertrages als Allgemeine Geschäftsbedingung
gemäß § 9 Abs. 1 AGBG unwirksam ist. Sie benachteiligt die Klägerin entgegen
den Geboten von Treu und Glauben unangemessen, weil sie die "Rückgabe der
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Bürgschaft" insgesamt davon abhängig macht, dass keine Gewährleistungsan-
sprüche mehr geltend gemacht werden können, und eine teilweise Enthaftung
nicht vorgesehen ist.
aa) Eine unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 9 Abs. 1
AGBG ist dann gegeben, wenn der Verwender Allgemeiner Geschäftsbedin-
gungen durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen
auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornhe-
rein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen (st. Rspr.; z.B. BGH,
Urteil vom 27. Mai 2010 - VII ZR 165/09, BauR 2010, 1219 Rn. 23 m.w.N. =
NZBau 2010, 495).
bb) So liegt der Fall hier.
Nach der Vertragsgestaltung kann der Auftraggeber eine als Höchstbe-
tragsbürgschaft gegebene Gewährleistungsbürgschaft auch nach Ablauf der für
Gewährleistungsansprüche vereinbarten Verjährungsfrist von fünf Jahren un-
abhängig davon "behalten", in welcher Höhe er zu diesem Zeitpunkt noch gesi-
cherte Ansprüche hat, sofern solche nur überhaupt existieren. Das benachteiligt
den Auftragnehmer entgegen Treu und Glauben schon deshalb unangemes-
sen, weil es unabhängig vom Verhältnis des Wertes der gesicherten Ansprüche
zu der Höhe der gesamten Bürgschaft gilt. So würde etwa ein ganz geringer
berechtigter Anspruch im Wert von 1.000
€ ausreichen, um eine Bürgschaft in
Höhe von nahezu einer Millionen Euro zurückzuhalten, was zu entsprechend
hohen Belastungen des Auftragnehmers führen würde, weil ein Bürge regelmä-
ßig sowohl die Avalkosten als auch die Kreditlinie des Auftragnehmers danach
berechnet, bis zu welchem Höchstbetrag er sich verbürgt hat. Dem steht allen-
falls das Interesse des Auftraggebers gegenüber, den Auftragnehmer mit der
Zurückhaltung der (höheren) Bürgschaft zur Erfüllung des berechtigten An-
spruchs besonders unter Druck setzen zu können. Es kann dahinstehen, ob ein
solches Interesse überhaupt anerkennenswert und schutzwürdig ist. Jedenfalls
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bei einem groben Missverhältnis zwischen dem berechtigten Anspruch und den
entstehenden Nachteilen für den Auftragnehmer wird dieser hierdurch entgegen
Treu und Glauben unangemessen benachteiligt.
Es entspricht einem allgemeinen Grundsatz, dass auch die Durchset-
zung bestehender Rechte nicht ohne Rücksicht auf die Belange des Schuldners
erfolgen und im Einzelfall als Ausprägung von Treu und Glauben beschränkt
sein kann. So wird etwa das Leistungsverweigerungsrecht des § 320 BGB ins-
besondere auch in Fällen der Unverhältnismäßigkeit nach § 320 Abs. 2 BGB
eingeschränkt. Vergleichbares gilt für die Ausübung eines Zurückbehaltungs-
rechts (vgl. MünchKommBGB/Krüger, 6. Aufl., § 273 Rn. 72). Deshalb benach-
teiligt eine Klausel, die eine entsprechende Druckposition auch bei einem gro-
ben Missverhältnis begründet, den Gegner des Klauselverwenders unange-
messen.
Entgegen der Auffassung der Revision ist eine andere Beurteilung nicht
deswegen geboten, weil die zu stellende Gewährleistungsbürgschaft ohnehin
nur Ansprüche bis zur Höhe von 5 % des Auftragswertes absichert, was sich im
Einzelfall als unzureichend erweisen kann. Die Möglichkeit der Zurückhaltung
der unveränderten Bürgschaft auch bei unerledigten Mängelansprüchen gerin-
gerer Höhe wird nicht dadurch aufgewogen, dass auch bei unerledigten höhe-
ren Mängelansprüchen nur diese, Ansprüche in Höhe von 5 % der Auftrags-
summe absichernde, Bürgschaft zurückgehalten werden könnte. Zwischen die-
sen Situationen gibt es keinen Zusammenhang.
2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts beurteilt sich die
Freigabeverpflichtung der Beklagten auch nicht nach § 17 Nr. 8 Satz 2 VOB/B
(1996). Das Berufungsgericht hat die Anwendbarkeit dieser Regelung ohne
Weiteres aus der Vereinbarung der Parteien, die VOB/B gelte im Rang nach
den Vertragsbestimmungen, abgeleitet. Diese Auslegung ist rechtsfehlerhaft.
Das Berufungsgericht hat wesentlichen Auslegungsstoff unberücksichtigt gelas-
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sen, weil es den Wortlaut des Vertrages nicht ausreichend berücksichtigt hat.
Da weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind, kann der Senat die gebotene
neue Auslegung selbst vornehmen.
§ 2 des Vertrages bestimmt eine Rangfolge zwischen den "Regelungen
des Vertrages" und der VOB/B nur "im Falle des Widerspruchs und für eventu-
elle Vertragsauslegungen". Beides liegt nicht vor. Der bestehende Widerspruch
zwischen § 13 (2) Satz 4 des Generalunternehmervertrages und § 17 Nr. 8
Satz 2 VOB/B (1996) sollte gerade dahin aufgelöst werden, dass Ersteres gilt.
Was im Fall der Unwirksamkeit der vorrangigen Bestimmung gilt, ist dort nicht
geregelt. Hierzu findet sich vielmehr in § 18 (3) eine Klausel. Hiernach verpflich-
ten sich die Parteien, eine unwirksame Bestimmung durch eine im wirtschaftli-
chen Ergebnis gleichkommende wirksame zu ersetzen. Ein Rückgriff auf § 17
Nr. 8 Satz 2 VOB/B (1996) scheidet damit aus, weil dort eine Teilenthaftung
vorgesehen ist.
3. Aus § 18 (3) des Vertrages lässt sich ebenfalls nichts für eine Frei-
gabepflicht der Beklagten herleiten. Denn Klauseln, nach denen eine Regelung
maßgebend sein soll, deren wirtschaftlicher Erfolg einer nach § 9 Abs. 1 AGBG
unwirksamen Klausel (soweit wie möglich) entspricht, sind ihrerseits wegen
Verstoßes gegen § 6 Abs. 2 AGBG nach § 9 AGBG nichtig (vgl. BGH, Urteile
vom 22. November 2001 - VII ZR 208/00, BauR 2002, 463 unter II. 3. = NZBau
2002, 151; vom 8. Mai 2007 - KZR 14/04, NJW 2007, 3568 Rn. 24; Palandt/
Grüneberg, BGB, 74. Aufl., § 306 Rn. 15; H. Schmidt in: Ulmer/Brandner/
Hensen, AGB-Recht, 11. Aufl., § 306 BGB Rn. 39; jeweils m.w.N.).
4. Die Freigabeverpflichtung der Beklagten ergibt sich jedoch aus den
gemäß § 6 Abs. 2 AGBG maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften. Da das dis-
positive Recht keinen Anspruch des Bestellers auf eine Gewährleistungssicher-
heit vorsieht, existieren zwar keine ausdrücklichen Regelungen über die etwai-
ge Rückgewähr solcher Sicherheiten. Jedoch kann auch eine nach §§ 133,
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157 BGB vorzunehmende ergänzende Vertragsauslegung zur Schließung einer
Lücke, die durch die Unwirksamkeit einer der Inhaltskontrolle nach dem Gesetz
zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen unterliegen-
den Klausel entstanden ist, heranzuziehen sein, wenn der Regelungsplan der
Parteien infolge der Lücke einer Vervollständigung bedarf. Das ist dann anzu-
nehmen, wenn dispositives Gesetzesrecht zur Füllung der Lücke nicht zur Ver-
fügung steht und die ersatzlose Streichung der unwirksamen Klausel keine an-
gemessene, den typischen Interessen des AGB-Verwenders und seines Ver-
tragspartners Rechnung tragende Lösung bietet (vgl. BGH, Urteile vom
3. November 1999 - VIII ZR 269/98, BGHZ 143, 103, 120; vom 4. Juli 2002
- VII ZR 502/99, BGHZ 151, 229, 234; jeweils m.w.N.).
a) So liegt der Fall hier.
aa) Für nichtakzessorische fiduziarische Sicherheiten entspricht es stän-
diger Rechtsprechung, dass ihrer Bestellung auch ohne ausdrückliche Verein-
barung ein Treuhandverhältnis zu Grunde liegt. Hieraus ergibt sich - abgesehen
vom Fall auflösend bedingter Sicherungsübertragungen - die Pflicht des Siche-
rungsnehmers, die Sicherheit schon vor Beendigung des Vertrages zurückzu-
gewähren, wenn und soweit sie endgültig nicht mehr benötigt wird. Diese Pflicht
folgt gemäß § 157 BGB aus dem fiduziarischen Charakter der Sicherungsabre-
de sowie der Interessenlage der Vertragsparteien. Soweit Sicherheiten nicht nur
vorübergehend nicht mehr benötigt werden, also eine endgültige Übersicherung
vorliegt, ist ihr weiteres Verbleiben beim Sicherungsnehmer ungerechtfertigt.
Dieser vertragliche Anspruch des Sicherungsgebers auf Rückgabe nicht mehr
benötigter Sicherheiten besteht auch dann, wenn der Sicherungsvertrag eine
ausdrückliche Freigaberegelung nicht oder nur eine unangemessen beschrän-
kende und deshalb unwirksame Freigabeklausel enthält. Das Fehlen einer aus-
drücklichen wirksamen Regelung des vertraglichen Freigabeanspruchs führt
deshalb nicht zur Unwirksamkeit der Sicherheitenvereinbarung (BGH, Be-
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schluss vom 27. November 1997 - GSZ 1/97, GSZ 2/97, BGHZ 137, 212, 218 ff.
m.w.N.).
bb) Entsprechende Erwägungen mit den folgenden Unterschieden gelten
für die Vereinbarung der Stellung einer Gewährleistungsbürgschaft in einem
Bauvertrag: Wegen der Akzessorietät der Bürgschaft bedarf es einer Rückge-
währ der Sicherheit selbst im engeren Sinne nach dem (teilweisen) Wegfall des
Sicherungszwecks nicht. Ein Treuhandverhältnis liegt nicht vor. Gleichwohl ver-
bleiben dem Unternehmer, wie oben (unter 1.c)) bereits dargestellt, Nachteile
und auch dem Besteller in gewissem Umfang Vorteile (vgl. dazu BGH, Urteil
vom 9. Oktober 2008 - VII ZR 227/07, BauR 2009, 97 Rn. 10 f. = NZBau 2009,
116). Der Zweck der Sicherungsvereinbarung und die Interessenlage der Par-
teien erfordern es, dass der Besteller die erhaltenen Rechte und Vorteile aus
einer geleisteten Sicherheit nach Wegfall des Sicherungszweckes nicht mehr
behalten darf. In diesem Sinne können und müssen auch Rechte aus einer
Bürgschaft zurückgegeben werden (BGH, Urteil vom 9. Oktober 2008
- VII ZR 227/07, aaO Rn. 9-11). Zugleich muss verhindert werden, dass der Un-
ternehmer Nachteile erleidet, ohne dass dies noch erforderlich ist.
cc) Nach diesen Maßstäben führt auch der teilweise Wegfall des Siche-
rungszwecks zu einem Rückgabeanspruch des Unternehmers. Hiernach hat
der Besteller regelmäßig nach Ablauf der vereinbarten Frist eine Bürgschaft
insoweit freizugeben, als zu diesem Zeitpunkt keine durchsetzbaren Gewähr-
leistungsansprüche bestehen.
Allein die Sicherungsabrede entscheidet darüber, ob der Sicherungs-
zweck entfallen ist (vgl. MünchKommBGB/Krüger, 6. Aufl., § 273 Rn. 59). Hier-
zu haben die Parteien in § 13 (2) des Vertrages nur vereinbart, dass die Kläge-
rin eine Gewährleistungsbürgschaft als Sicherheit für die vertragsgemäße und
mängelfreie Ausführung der Leistungen zu erbringen hat. Danach betrifft die
Bürgschaft - auch hier wie regelmäßig nur auf Geld gerichtete - Gewährleis-
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tungsansprüche der Beklagten wegen Mängeln der Leistung der Klägerin. Sie
soll absichern, dass die Beklagte mit ihren Gewährleistungsansprüchen nicht
ausfällt. Das setzt tatsächlich bestehende Ansprüche voraus, denen keine dau-
erhafte Einrede entgegensteht.
Ohne Erfolg macht die Revision geltend, der Sicherungszweck sei dar-
über hinaus insoweit noch nicht endgültig erledigt, als zu diesem Zeitpunkt aus
wirtschaftlich vertretbarer ex-ante-Sicht des Bestellers noch erhebliche weitere
Ansprüche wegen weiterer rechtzeitig gerügter Mängel bestünden. Ein solches
Interesse eines Bestellers, bis zur Klärung von ihm erhobener, aber tatsächlich
unberechtigter Gewährleistungsansprüche hierfür eine Bürgschaft zu behalten,
ist regelmäßig - ohne besondere Vereinbarung - nicht vom Sicherungszweck
einer Gewährleistungsbürgschaft umfasst. Sie soll dem Besteller nicht das Risi-
ko einer Fehleinschätzung über das Bestehen von Mängeln abnehmen. Eine
andere Beurteilung ist nicht deshalb geboten, weil der Besteller andernfalls im
Hinblick auf das Risiko, Ansprüchen wegen der Kosten der Sicherheit ausge-
setzt zu sein, bewogen sein könnte, die Bürgschaft bereits zurückzugeben, ob-
wohl sich später herausstellt, dass er mit berechtigten Forderungen ausfällt.
Insoweit besteht kein Unterschied zur gesetzlichen Situation vor der (Schluss-)
Zahlung des Werklohns. Hier sind Gewährleistungssprüche des Bestellers
dadurch gesichert, dass dem Besteller die Möglichkeiten eines Leistungsver-
weigerungsrechts oder der Aufrechnung mit auf Geld gerichteten Ansprüchen
gegenüber der Werklohnforderung offen stehen. Das Risiko, sich zu Unrecht
auf Mängel zu berufen, wird ihm dadurch nicht abgenommen. In diesem Fall
kommt er, vorbehaltlich einer möglichen Entschuldigung (§ 285 BGB, jetzt:
§ 286 Abs. 4 BGB n.F.; siehe dazu unten 5.), auch mit der Zahlung des Werk-
lohns in Verzug. Die bloße Vereinbarung einer Gewährleistungssicherheit für
Mängel des Werkes beinhaltet nicht stillschweigend eine weitergehende Absi-
cherung. Sie enthält entgegen der Auffassung der Revision regelmäßig nicht
die Abrede der Sicherung für jeden noch ungewissen Fall der nicht ordnungs-
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gemäßen Vertragsdurchführung. Vielmehr sichert sie für den vereinbarten Zeit-
raum, häufig bis zum Ende der Verjährungsfrist, die Ungewissheit ab, ob und in
welchem Umfang noch Mängel entdeckt werden. Sind am Ende dieser Frist
Mängel im Streit, obliegt es dem Besteller, seine vermeintlichen Rechte durch-
zusetzen und zu klären; das Risiko, hierbei keinen Erfolg zu haben, verbleibt
bei ihm und umfasst auch die Frage, ob er die gestellte Bürgschaft zu Recht
behalten hat.
Zu Unrecht beruft sich die Revision in diesem Zusammenhang auf die
vor der Einführung des § 641 Abs. 3 BGB schon bestehende Rechtsprechung
des Senats, dass die Höhe eines Leistungsverweigerungsrechts von den vo-
raussichtlichen Mängelbeseitigungskosten abhängt. Diese Rechtsprechung be-
trifft nur den Umfang des Leistungsverweigerungsrechts, nicht aber dessen Vo-
raussetzungen. Vergleichbare Bemessungsfragen stellen sich im Rahmen der
teilweisen Freigabe einer Bürgschaft, die nur Zahlungsansprüche sichert, nicht.
Soweit die Möglichkeit weiterer höherer Zahlungsansprüche als der Kostenvor-
schussansprüche besteht, hat das Berufungsgericht dem bei den tatsächlich
bestehenden Ansprüchen durch einen Sicherheitszuschlag von 20 % Rechnung
getragen. Dass dieser unzureichend sei, macht die Revision nicht geltend.
b) Auf dieser Grundlage hat das Berufungsgericht den Teilfreigabean-
spruch im Ergebnis auch in der Höhe nicht zum Nachteil der Beklagten falsch
ermittelt.
aa) Mängel im Verbundpflaster sind nicht zu berücksichtigen. Diesbezüg-
liche Gewährleistungsansprüche der Beklagten gegen die Klägerin waren je-
denfalls am 20. September 2007 verjährt.
Die Bürgin konnte die Einrede der Verjährung der Hauptforderung erhe-
ben. § 17 Nr. 8 VOB/B war nicht vereinbart. Weder der Bürgschaftsvertrag noch
die Sicherungsabrede im Bauvertrag enthalten eine Regelung dahin, dass unter
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bestimmten Voraussetzungen auch verjährte Forderungen gesichert sein soll-
ten.
bb) Die Kosten für die Beseitigung der Mängel am Flachdach hat das Be-
rufungsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt. Die hiergegen erhobenen Verfah-
rensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet, § 564
Satz 1 ZPO.
cc) Einen "Druckzuschlag" musste das Berufungsgericht nicht berück-
sichtigen. Auch dieser ist vom Sicherungszweck regelmäßig nicht umfasst,
wenn die Hingabe einer Bürgschaft zur Sicherung von auf Geld gerichteten
Gewährleistungsansprüchen vereinbart ist. Denn er hat nichts mit der Siche-
rung der Durchsetzung berechtigter Zahlungsansprüche zu tun und wird hierfür
nicht benötigt. Der von Revision angeführte Vergleich mit §§ 320, 641 Abs. 3
BGB lässt außerdem unberücksichtigt, dass das Leistungsverweigerungsrecht
gerade über die Sicherung des Anspruchs hinaus bezweckt, Druck auf den Un-
ternehmer zur Nachbesserung auszuüben (vgl. etwa BGH, Urteil vom
16. Januar 1992 - VII ZR 85/90; BauR 1992, 401, 402). Im Übrigen kommt die
direkte Anwendung dieser Vorschriften nicht in Betracht, weil es am Gegensei-
tigkeitsverhältnis zwischen dem Freigabeanspruch und einem Nachbesserungs-
anspruch fehlt.
5. Auf dieser Grundlage war die Beklagte im vom Berufungsgericht an-
genommenen Umfang mit ihrer Freigabeverpflichtung in Verzug. Sie hat sich
auch nicht nach § 285 BGB entlastet.
Ob den Eintritt des Verzugs hindernde Umstände gegeben sind, unter-
liegt der Beurteilung im Einzelfall. Der Besteller kommt mit der Rückgabepflicht
nicht in Verzug, wenn er einem nicht zu vertretenden Irrtum über das Bestehen
oder den Umfang einer gesicherten Forderung unterlegen ist (vgl. BGH, Urteil
vom 10. Februar 2011 - VII ZR 53/10, BauR 2011, 828 Rn. 16 = NZBau 2011,
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286 zur Leistungspflicht eines Bürgen). Rechtsfehlerfrei hat es das Berufungs-
gericht nicht ausreichen lassen, wenn die Beklagte bezüglich der Wärmedäm-
mung aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen K. mit wesentlich hö-
heren Mängelbeseitigungskosten gerechnet hat. Die hiergegen erhobenen Ver-
fahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet, § 564
Satz 1 ZPO.
6. Schließlich ist auch die Schadensschätzung des Berufungsgerichts re-
visionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die hiergegen ebenfalls erhobenen Ver-
fahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet, § 564
Satz 1 ZPO.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Eick
Halfmeier
Kartzke
Jurgeleit
Richterin am Bundesgerichtshof
Sacher kann ihre Unterschrift infolge
urlaubsbedingter Abwesenheit nicht
beifügen.
Eick
Vorinstanzen:
LG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 05.10.2012 - 2-20 O 368/11 -
OLG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 19.02.2014 - 4 U 252/12 -
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