Urteil des BGH vom 10.03.2011

Rechtliches Gehör, Dachgeschoss, Stahl, Pauschalpreis, Hinweispflicht

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VII ZR 40/10
vom
10. März 2011
in dem Rechtsstreit
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Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. März 2011 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kniffka und die Richter Dr. Kuffer, Bauner,
Dr. Eick und Prof. Leupertz
beschlossen:
Der Beschwerde der Klägerin wird teilweise stattgegeben.
Das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom
10. Februar 2010 wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO im Kostenpunkt
und insoweit aufgehoben, als die Klage wegen der Positi-
on 18100090
des
sechsten
Nachtrags
(S. -Isokorb,
1.344,60 € netto) und wegen des im Dachgeschoss verwendeten
Stahls (10.069 € netto) abgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der
Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückver-
wiesen.
Im Übrigen wird die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzu-
lassung der Revision zurückgewiesen.
Gegenstandswert der Nichtzulassungsbeschwerde: 50.310,62 €;
des stattgebenden Teils: 12.938,46 €
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Gründe:
I.
Die Klägerin verlangt vom Beklagten Restwerklohn.
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Sie wurde am 11. April 2003 vom Beklagten mit den Roharbeiten im
Rahmen der Errichtung einer Seniorenwohnanlage zu einem Pauschalpreis von
1.106.480,40 € brutto beauftragt. Vertragsbestandteil waren die VOB/B sowie
ein von der Streithelferin des Beklagten erstelltes Leistungsverzeichnis vom
27. November 2002, eine Aufstellung der Klägerin vom 6. Februar 2003 und ein
weiteres Leistungsverzeichnis vom 4. April 2003, in das verschiedene Änderun-
gen eingearbeitet worden waren.
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Die Klägerin hat zuletzt den ihr noch zustehenden Werklohn mit
74.636,16 € errechnet und diesen Betrag eingeklagt. Sie hat dabei Leistungen
als zusätzlich in Rechnung gestellt, von denen der Beklagte der Meinung ist, sie
seien vom Pauschalpreis umfasst. Das Landgericht hat der Klägerin
58.552,10 € nebst Zinsen zugesprochen. Auf die Berufung des Beklagten hat
das Berufungsgericht diesen nur noch zur Zahlung von 8.241,48 € nebst Zinsen
verurteilt. Es hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Be-
schwerde der Klägerin. Sie will mit der Revision die Wiederherstellung des
landgerichtlichen Urteils erreichen.
II.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision hat
teilweise Erfolg.
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1. Das Berufungsurteil beruht auf einer Verletzung des Anspruchs der
Klägerin auf rechtliches Gehör, soweit das Berufungsgericht den Zuschlag von
1.344,60 € netto für die Position 18100090 - S. -Isokorb - aus dem 6. Nach-
trag nicht zugesprochen hat.
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a) Das Berufungsgericht führt insoweit aus, die Klägerin könne diesen
Betrag nicht verlangen, weil von ihr nicht ausreichend dargetan sei, dass es
sich tatsächlich um eine zusätzliche Leistung handele. Damit hat es, wie die
Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht rügt, gegen seine Hinweispflicht nach
§ 139 Abs. 1, Abs. 2 ZPO verstoßen. Es hätte die Klägerin auf seine Beurtei-
lung hinweisen und ihr Gelegenheit geben müssen, ihren Vortrag zu ergänzen.
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b) Zwar stellt nicht jeder Verstoß gegen § 139 ZPO eine Verletzung des
Anspruchs auf rechtliches Gehör dar. Die Vorschrift geht über das verfassungs-
rechtlich gebotene Minimum hinaus (BVerfG, NJW-RR 2005, 936, 937). Es be-
darf vielmehr im Einzelfall der Prüfung, ob dadurch zugleich das unabdingbare
Maß verfassungsrechtlich verbürgten rechtlichen Gehörs verletzt worden ist
(BVerfGE 60, 305).
Das ist hier jedoch der Fall. Die Klägerin hatte zu dieser Position in erster
Instanz vorgetragen, der Beklagte habe den S. -Isokorb zunächst in einer
einfachen, dann aber in einer teureren Ausführung gewünscht. Der Beklagte
und seine Streithelferin haben sich dazu nicht im Einzelnen geäußert, sondern
nur allgemein behauptet, es seien keine Zusatzaufträge erteilt worden. Das
Landgericht hat den geltend gemachten Betrag zugesprochen. In der Beru-
fungsinstanz wurde die Position vom Beklagten und seiner Streithelferin wie-
derum nicht ausdrücklich angesprochen, sondern generell die Erteilung von
Zusatzaufträgen bestritten.
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Bei dieser Sachlage stellt es eine gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßende
Überraschungsentscheidung dar, wenn das Berufungsgericht ohne vorherigen
Hinweis im Gegensatz zu der Beurteilung des Landgerichts den Vortrag der
Klägerin als nicht ausreichend ansieht (vgl. auch BGH, Urteil vom 16. Mai 2002
- VII ZR 197/01, BauR 2002, 1432 = ZfBR 2002, 678).
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c) Der Verstoß ist entscheidungserheblich. Nach dem Vortrag der Nicht-
zulassungsbeschwerde hätte die Klägerin auf einen entsprechenden Hinweis
hin ergänzend dargelegt, dass die Isokörbe im Obergeschoss eingebaut wor-
den seien, an der Decke über dem Erdgeschoss, und dass ihr erst nach Auf-
tragsvergabe insoweit Ausführungspläne übergeben worden seien, die andere
Isokörbe vorgesehen hätten. Es ist nicht auszuschließen, dass dann das Beru-
fungsgericht diese Position als eine vergütungspflichtige zusätzliche Leistung
angesehen hätte.
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2. Das Berufungsurteil beruht des Weiteren auf einer Verletzung des An-
spruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör, soweit das Berufungsgericht der
Klägerin einen Betrag von 10.069 € netto für den im Dachgeschoss verwende-
ten Stahl nicht zuerkannt hat.
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a) Das Berufungsgericht führt hierzu aus: Nach dem Gutachten des ge-
richtlichen Sachverständigen spreche einiges dafür, dass die von der Klägerin
in Ansatz gebrachte größere Stahlmenge bereits im Leistungsverzeichnis vom
4. April 2003 berücksichtigt worden sei. Es sei nun Sache der Klägerin zu be-
weisen, dass ungeachtet dessen tatsächlich mehr Stahl verwendet worden sei,
als im Leistungsverzeichnis vom 4. April 2003 vorgesehen. Diesen Beweis kön-
ne die Klägerin nicht erbringen.
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Damit hat das Berufungsgericht unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG
erheblichen Vortrag der Klägerin nicht berücksichtigt und abermals gegen seine
Hinweispflicht aus § 139 Abs. 1, Abs. 2 ZPO verstoßen.
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b) Die Klägerin ist in erster Instanz den Ausführungen des Sachverstän-
digen entgegengetreten. Sie hat vorgetragen: Die im Leistungsverzeichnis vom
4. April 2003 enthaltene größere Stahlmenge habe mit dem im Dachgeschoss
verwendeten Stahl nichts zu tun. Dort sei ursprünglich eine Holzkonstruktion
vorgesehen gewesen, was dann geändert worden sei. In ihrer Aufstellung vom
6. Februar 2003, die Vertragsbestandteil geworden sei, sei festgehalten, dass
die Stahlkonstruktion der Dachkonstruktion nicht enthalten sei. Bisher sei diese
Position auch nicht strittig gewesen.
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Der Beklagte hat sich hierzu nicht geäußert. Seine Streithelferin hat le-
diglich ausgeführt, nach den Feststellungen des Sachverständigen könnten die
Mengen nicht nachvollzogen werden und seien bereits im Leistungsverzeichnis
vom 4. April 2003 enthalten; dem sei nichts hinzuzufügen. Sie legt aber nicht
dar, warum sie diese Position in ihrer Prüfung der Schlussrechnung vom
11. November 2004 lediglich geringfügig reduziert und in ihrer weiteren Prüfung
vom 15. Februar 2005 völlig unbeanstandet gelassen hat. Das Landgericht hat
den geltend gemachten Betrag zugesprochen. In der Berufungsinstanz hat die
Klägerin noch einmal darauf hingewiesen, dass das Sachverständigengutach-
ten hinsichtlich der Position Stahl im Dachgeschoss angreifbar sei. Es ist daher
nichts dafür ersichtlich, dass sie ihren erstinstanzlichen Vortrag nicht mehr auf-
rechterhalten wollte. Der Beklagte und die Streithelferin haben sich mit der Po-
sition in der Berufungsinstanz nicht mehr befasst.
Bei dieser Sachlage ist davon auszugehen, dass das Berufungsgericht
den zentralen Vortrag der Klägerin zu dieser Position nicht zur Kenntnis ge-
nommen hat. Es hat zudem dadurch den Anspruch der Klägerin auf rechtliches
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Gehör verletzt, dass es trotz der gegenteiligen Beurteilung durch das Landge-
richt und eines fehlenden konkreten Angriffs des Beklagten ohne vorherigen
Hinweis die Klage in diesem Punkt abgewiesen hat.
c) Der Verstoß ist entscheidungserheblich. Nach dem Vortrag der Nicht-
zulassungsbeschwerde hätte die Klägerin nach dem gebotenen Hinweis auf
ihren oben wiedergegebenen Vortrag hingewiesen. Es ist nicht auszuschließen,
dass das Berufungsgericht zu einer anderen Beurteilung gekommen wäre,
wenn es den Vortrag berücksichtigt hätte.
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III.
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Im Übrigen wird von einer Begründung der Entscheidung über die Zu-
rückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde abgesehen, weil sie nicht geeig-
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net wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Re-
vision zuzulassen ist (§ 544 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbsatz ZPO).
Kniffka Kuffer Bauner
Eick Leupertz
Vorinstanzen:
LG Bückeburg, Entscheidung vom 15.05.2009 - 2 O 176/05 -
OLG Celle, Entscheidung vom 10.02.2010 - 7 U 103/09 -