Urteil des BGH vom 23.08.2012

Leitsatzentscheidung zu Abtretung, Treu Und Glauben, Urkunde, Fotokopie, Gefahr

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VII ZR 242/11
Verkündet am:
23. August 2012
Seelinger-Schardt,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB §§ 242 Cd, 410
Ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 410 BGB besteht nach Treu und Glau-
ben nicht, wenn eine anderweitige Inanspruchnahme des Schuldners durch den
Zedenten nach Lage des Falles ausgeschlossen ist.
BGH, Urteil vom 23. August 2012 - VII ZR 242/11 - OLG Stuttgart
LG Tübingen
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Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 23. August 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kniffka, den
Richter Dr. Eick, den Richter Halfmeier, den Richter Prof. Leupertz und den
Richter Dr. Kartzke
für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 10. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 15. November 2011 wird
zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens einschließ-
lich der durch die Nebenintervention verursachten Kosten.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin macht gegen die Beklagte aus abgetretenem Recht der
A. Ltd. Gewährleistungsansprüche wegen Mängeln einer von der Beklagten
errichteten Balkonanlage geltend, erstinstanzlich gerichtet auf Zahlung von Kos-
tenvorschuss sowie Schadensersatzfeststellung und zweitinstanzlich auf Kos-
tenerstattung nach von der Klägerin vorgenommener Mängelbeseitigung sowie
Schadensersatz. Im Revisionsverfahren geht es nur darum, ob an Stelle der
unbedingten Verurteilung der Beklagten eine Verurteilung Zug-um-Zug gegen
Aushändigung des Originals einer Abtretungsurkunde zu erfolgen hat.
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Die Beklagte errichtete im Auftrag der A. Ltd. eine Balkonanlage an ei-
nem zu sanierenden Gebäude in K. Die Klägerin ist Bauherrin des Sanierungs-
objekts und ihrerseits Auftraggeberin der A. Ltd.
In einem an die Klägerin adressierten Schreiben vom 8. Juni 2005, das
mit "Abtretungsvollmacht" überschrieben ist, führte die A. Ltd. Folgendes aus:
"Bezug nehmend auf das Gespräch am 07.06.2005 betreffs der 'B. GmbH'
möchte ich Ihnen hiermit, wie zugesagt, die Abtretung der Gewährleistungsan-
sprüche gegen die Firma B. GmbH zur Beseitigung der Mängel übertragen".
Dieses Schreiben wurde von der A. Ltd. per Telefax an die Klägerin versandt.
Mit der Klageschrift hat die Klägerin eine Kopie des Telefaxausdrucks
vom 8. Juni 2005 übersandt. Mit der Klageerwiderung hat die Beklagte ein
Leistungsverweigerungsrecht nach § 410 Abs. 1 Satz 1 BGB geltend gemacht.
Die Klägerin hat im Termin der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsge-
richt den Ausdruck des von ihr empfangenen Telefaxes vom 8. Juni 2005 über-
geben.
Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 28.369,60
€ zuzüglich
Zinsen verurteilt und festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin
weitere Schäden zu ersetzen. Das Berufungsgericht hat die Beklagte verurteilt,
an die Klägerin 19.603,47 € zuzüglich Zinsen zu zahlen.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Be-
klagte an Stelle der unbedingten Verurteilung eine Verurteilung Zug-um-Zug
gegen Übergabe eines Originals der Abtretungsvollmacht vom 8. Juni 2005. Die
Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt, der Klägerin ste-
he als Zessionarin wegen Mängeln der von der Beklagten errichteten Balkonan-
lage ein Anspruch auf Erstattung von Mängelbeseitigungskosten sowie ein An-
spruch auf Schadensersatz in Höhe von zusammen 19.603,47
€ zuzüglich Zin-
sen zu. Die Klägerin sei durch Abtretung Inhaberin dieser Ansprüche geworden.
Mit Schreiben vom 8. Juni 2005 seien Gewährleistungsansprüche gegen die
Beklagte an die Klägerin abgetreten worden. Bei sachgerechter Auslegung
könne diese "Abtretungsvollmacht" nur als Abtretung selbst ausgelegt werden,
weil eine Übertragung der Abtretung ansonsten keinen Sinn mache.
Der Beklagten stehe kein Leistungsverweigerungsrecht nach § 410
Abs. 1 Satz 1 BGB zu. Die Beklagte habe mit der Klageerwiderung zu Unrecht
geltend gemacht, vor Aushändigung der Abtretungsurkunde im Original nicht
zur Leistung verpflichtet zu sein. Die Aushändigung einer Fotokopie der Abtre-
tungsurkunde genüge für eine Aushändigung im Sinne des § 410 BGB. Die
Klägerin habe die Abtretungsurkunde als Telefax vorgelegt. Zweifel an der
Echtheit der vorgelegten Fotokopie habe die Beklagte nicht geäußert, sondern
lediglich deren Eignung als Nachweis bestritten.
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II.
Dies hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.
1. Zutreffend und von der Revision unbeanstandet entnimmt das Beru-
fungsgericht dem mit "Abtretungsvollmacht" überschriebenen Schreiben vom
8. Juni 2005 im Wege der Auslegung eine Abtretung der Gewährleistungsan-
sprüche an die Klägerin.
2. Im Ergebnis zu Recht hat das Berufungsgericht ein Leistungsverwei-
gerungsrecht der Beklagten nach § 410 Abs. 1 Satz 1 BGB verneint.
a) Diese Bestimmung betrifft den Fall, dass der Schuldner einer abgetre-
tenen Forderung an den neuen Gläubiger leistet. Der Schuldner ist dem neuen
Gläubiger gegenüber zur Leistung nur gegen Aushändigung einer von dem bis-
herigen Gläubiger über die Abtretung ausgestellten Urkunde verpflichtet. Bei
§ 410 Abs. 1 Satz 1 BGB handelt es sich um eine Schuldnerschutzbestimmung;
sie soll den Schuldner einer abgetretenen Forderung vor der Gefahr schützen,
an einen Nichtgläubiger zu leisten und ein zweites Mal in Anspruch genommen
zu werden (BGH, Urteil vom 12. November 1992 - I ZR 194/90, NJW 1993,
1468, 1469 - Katalogbild). Deshalb sieht das Gesetz vor, dass der Schuldner
an einen als neuen Gläubiger Auftretenden nur gegen Aushändigung einer von
dem bisherigen Gläubiger über die Abtretung ausgestellten Urkunde zu leisten
braucht. Zwar tritt die den Schuldner befreiende Wirkung des § 409 Abs. 1
Satz 2 BGB schon dann ein, wenn der Schuldner sich eine Urkunde über die
Abtretung vorlegen lässt. Um dem Schuldner aber dem Gläubiger gegenüber
den Nachweis, dass eine Urkunde über die Abtretung vorgelegen hat, zu er-
leichtern, gewährt § 410 Abs. 1 Satz 1 BGB ihm darüber hinaus das Recht, von
dem die Leistung Fordernden, in der Urkunde als neuer Gläubiger Bezeichne-
ten, die Aushändigung zu verlangen. Die über die Abtretung ausgestellte Ur-
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kunde erhält damit eine quittungsähnliche Eigenschaft (BGH, Urteil vom
16. Januar 1958 - VII ZR 66/57, BGHZ 26, 241, 246). Die Vorschrift dient da-
nach dem Zweck, dem Schuldner ein Beweismittel in die Hand zu geben (BGH,
Urteil vom 12. November 1992 - I ZR 194/90, aaO 1469 - Katalogbild). Die Be-
stimmung des § 410 Abs. 1 Satz 1 BGB begründet keinen Gegenanspruch und
darum auch kein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB, sondern ein Leis-
tungsverweigerungsrecht, das der Schuldner dem neuen Gläubiger einredewei-
se entgegenhalten kann (BGH, Urteil vom 24. November 2006 - LwZR 6/05,
NJW 2007, 1269 Rn. 24; Urteil vom 21. November 1985 - VII ZR 305/84,
BauR 1986, 222, 224 = ZfBR 1986, 65; Urteil vom 17. Februar 1969
- II ZR 102/67, WM 1969, 598, 599; Staudinger/Busche [2012], § 410 Rn. 5).
b) Es ist umstritten, ob die Aushändigung einer Fotokopie der Abtre-
tungsurkunde den Erfordernissen des § 410 BGB genügt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (AP Nr. 3 zu § 398
BGB) genügt eine Fotokopie der über die Abtretung ausgestellten Urkunde
grundsätzlich den Erfordernissen des § 410 BGB; nur wenn der Schuldner ver-
ständliche Bedenken gegen die Zuverlässigkeit der Fotokopie erhebt, besteht
die Verpflichtung zur Vorlage des Originals. Dieser Rechtsprechung haben sich
das Bundessozialgericht (BSGE 76, 184, 189 f.), ein Teil der Instanzgerichte
(KG, KGR 2006, 326 f.; OLG Naumburg, Urteil vom 25. August 2005
- 2 U 52/05 [Lw], juris; LAG Frankfurt, DB 1988, 612) und der Literatur
(Soergel/Schreiber, BGB, 13. Aufl., § 410 Rn. 1; RGRK/Weber, BGB, 12. Aufl.,
§ 410 Rn. 5) angeschlossen. Demgegenüber vertritt eine verbreitete Meinung
die Auffassung, dass die Aushändigung einer Fotokopie der über die Abtretung
ausgestellten Urkunde den Erfordernissen des § 410 BGB nicht genügt (KG,
FamRZ 2009, 1781; Staudinger/Busche, aaO § 410 Rn. 6; MünchKommBGB/
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Roth, 6. Aufl., § 410 Rn. 5; Knerr in jurisPK-BGB, 5. Aufl., § 410 Rn. 7;
PWW/Müller, BGB, 7. Aufl., § 410 Rn. 2).
c) Der Bundesgerichtshof hat diese Frage offengelassen (Urteil vom
24. November 2006 - LwZR 6/05, NJW 2007, 1269 Rn. 25). Auch im Streitfall
muss nicht entschieden werden, ob die von der Klägerin ausgehändigte Foto-
kopie des Telefaxausdrucks vom 8. Juni 2005 den Erfordernissen des § 410
BGB genügt.
aa) Es kann dahinstehen, ob § 410 Abs. 1 Satz 1 BGB im Streitfall schon
gemäß § 410 Abs. 2 BGB nicht anwendbar ist. Die Klägerin hat in erster Instanz
mit Schriftsatz vom 5. September 2008 unter Bezugnahme auf § 410
Abs. 2 BGB unbestritten vorgetragen, dass der Zeuge v. S., der Vertreter der
A. Ltd., der Beklagten die Abtretung angezeigt habe. Es kann offenbleiben, ob
mit dem genannten Vortrag hinreichend dargetan ist, dass die A. Ltd. der Be-
klagten die Abtretung schriftlich angezeigt hat.
bb) Ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 410 Abs. 1 Satz 1 BGB
steht der Beklagten jedenfalls aus einem anderen Grund nicht zu. Eine Rechts-
ausübung ist nach § 242 BGB rechtsmissbräuchlich, wenn ihr kein schutzwür-
diges Interesse des Ausübenden zugrunde liegt (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB,
71. Aufl., § 242 Rn. 50 f.). So liegt der Fall hier bezüglich der Geltendmachung
des Leistungsverweigerungsrechts nach § 410 Abs. 1 Satz 1 BGB. Nach Lage
des Falles ist eine anderweitige Inanspruchnahme der Beklagten wegen der
geltend gemachten Forderung ausgeschlossen. Ein schützenswertes Interesse
an der Vorlage des Originals des Schreibens vom 8. Juni 2005 ist deshalb nicht
erkennbar. Die A. Ltd. hat die Mängelansprüche an die Klägerin abgetreten. Zu
Unrecht meint die Beklagte, das Schreiben vom 8. Juni 2005 sei nicht geeignet,
diese Abtretung zu belegen. Der sich aus diesem Schreiben ergebende Sach-
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verhalt ist von ihr nicht bestritten worden, insbesondere hat die Beklagte nicht
behauptet, das Schreiben sei nicht von der A. Ltd. verfasst worden. Aus ihm
ergibt sich die Abtretung. Der vom Berufungsgericht ausgeurteilte Betrag betrifft
die Erstattung von Kosten einer von der Klägerin vorgenommenen Mängelbe-
seitigung (14.653,47
€) und Schadensersatz (4.950 €). Nach Lage des Falles ist
es ausgeschlossen, dass die Kosten der von der Klägerin vorgenommenen
Mängelbeseitigung seitens der bisherigen Gläubigerin, der A. Ltd., erstattet ver-
langt werden. Denn diese Kosten sind originär bei der Klägerin entstanden.
Auch bezüglich des als Schadensersatz ausgeurteilten Betrags ist es im Hin-
blick auf den engen sachlichen Zusammenhang zwischen Kostenerstattung und
Schadensersatz nach Lage des Falles ausgeschlossen, dass die Beklagte an-
derweitig in Anspruch genommen wird.
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III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, § 101 Abs. 1 ZPO.
Kniffka
Eick
Halfmeier
Leupertz
Kartzke
Vorinstanzen:
LG Tübingen, Entscheidung vom 05.05.2010 - 7 O 363/08 -
OLG Stuttgart, Entscheidung vom 15.11.2011 - 10 U 66/10 -
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