Urteil des BGH vom 10.03.2016

Leitsatzentscheidung zu Einfamilienhaus, Untergeschoss, Besteller, Deckung

ECLI:DE:BGH:2016:100316UVIIZR214.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VII ZR 214/15
Verkündet am:
10. März 2016
Boppel,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 648a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2
Ein Rechtsanwalt und Steuerberater, der Modernisierungs- und Renovierungsarbei-
ten an einem Haus ausführen lässt, das in erster Linie der Deckung seines Wohnbe-
darfs und in untergeordnetem Umfang auch dem Betrieb seiner Rechtsanwalts- und
Steuerberaterkanzlei dient, ist gemäß § 648a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 BGB nicht zur Stel-
lung einer Sicherheit nach § 648a Abs. 1 Satz 1 BGB verpflichtet.
BGH, Urteil vom 10. März 2016 - VII ZR 214/15 - OLG Düsseldorf
LG Duisburg
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Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom
10. März 2016
durch
die
Richter
Dr. Kartzke,
Halfmeier
und
Prof. Dr. Jurgeleit sowie die Richterinnen Graßnack und Wimmer
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 21. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 11. August 2015 aufge-
hoben.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil der 8. Zivilkammer
des Landgerichts Duisburg vom 22. Oktober 2014 abgeändert und
die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin fordert vom Beklagten die Stellung einer Bauhandwerkersi-
cherung gemäß § 648a BGB in Höhe von 7
.115,18 €.
Der Beklagte beauftragte die Klägerin am 12. Mai 2013 mit der Betreu-
ung und Durchführung von Modernisierungs- und Renovierungsmaßnahmen in
seinem Haus in D. Der Souterrainbereich des Hauses sollte als Büro für die von
ihm betriebene Rechtsanwalts- und Steuerberaterkanzlei genutzt werden. Aus
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steuerrechtlichen Gründen wurden zwei getrennte Verträge geschlossen, von
denen der eine das allein zu Wohnzwecken zu nutzende Erdgeschoss und das
1. Obergeschoss und der andere das für berufliche Zwecke zu nutzende Unter-
geschoss betraf. Beide Verträge beinhalteten nicht näher beschriebene Moder-
nisierungs- und Renovierungsmaßnahmen bezüglich der Außenanlagen. Zu
den Vertragspflichten der Klägerin gehörten insbesondere die Erstellung von
Kostenschätzungen nach DIN 276, das Einholen behördlicher Genehmigungen,
Verhandlung und Vermittlung zuverlässiger und fachkundiger Handwerksbetrie-
be, Bauleitung und Überwachung der Leistungen namens und für den Auftrag-
geber, Abnahme der Leistungen sowie Rechnungsprüfung/Kontenführung na-
mens und für den Auftraggeber.
Ende September/Anfang Oktober 2013 zog der Beklagte in das renovier-
te Objekt ein. Nachdem er die Begleichung einer am Tag des Einzugs gestell-
ten A-Konto-Rechnung der Klägerin über einen Bruttobetrag in Höhe von
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0.000 € verweigert hatte, zerstritten sich die Parteien. Die Klägerin wurde in
der Folge nicht mehr weiter tätig.
Die Klägerin hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen, ihr für Vergü-
tungsansprüche einschließlich dazugehöriger Nebenforderungen aus dem Bau-
vertrag vom 12. Mai 2013 eine Sicherheit
in Höhe von 7.115,18 € zu leisten.
Das Landgericht hat den Beklagten zur Leistung der geforderten Sicherheit
nach seiner Wahl in der beantragten Höhe verurteilt. Die dagegen gerichtete
Berufung des Beklagten ist erfolglos geblieben.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Be-
klagte seinen auf Abweisung der Klage gerichteten Antrag weiter.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision des Beklagten hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, Unternehmer im Sinne des
§ 648a BGB sei auch der Baubetreuer, sofern er nicht rein wirtschaftlich tätig
werde. Diese Voraussetzung sei hier nach den zwischen den Parteien ge-
schlossenen Verträgen vom 12. Mai 2013 erfüllt.
Das Landgericht habe darüber hinaus zutreffend aus dem im Gesetz
verwandten Begriff der Einliegerwohnung gefolgert, dass es sich um zu Wohn-
zwecken genutzte Räumlichkeiten handeln müsse, was bei gewerblich genutz-
ten Räumen nicht der Fall sei. Ausgehend vom Wortlaut der gesetzlichen Rege-
lung handele es sich bei dem Haus des Beklagten weder um ein reines Einfami-
lienhaus noch um ein Einfamilienhaus mit Einliegerwohnung, sondern um ein
Einfamilienhaus mit teilweise gewerblich genutzter Fläche.
Verneine man den Charakter der Kanzleiräume als "Einliegerwohnung",
habe dies nicht zur Folge, dass das umgebaute Gebäude als Einfamilienhaus
"ohne Einliegerwohnung" im Sinne des § 648a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 BGB anzu-
sehen sei, da die Existenz einer Kanzlei im Gebäude der Einstufung als Einfa-
milienhaus im Sinne dieser Regelung entgegenstehe. In diesem Zusammen-
hang komme es weder darauf an, ob die Wohnnutzung für die Familie im Vor-
dergrund stehe, noch darauf, ob der Wohnraum flächenmäßig größer als die
Kanzlei sei, noch auf die Relation der für beide Bereiche aufgewandten Um-
baukosten.
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Auch der Schutzzweck des Gesetzes rechtfertige keine abweichende
Auslegung. Dieser gebiete es insbesondere nicht, Bauvorhaben, die über den
privaten Bereich hinausgingen, von der Notwendigkeit einer Sicherheitsleistung
auszunehmen. Insoweit könne auch nicht zwischen den beiden geschlossenen
Verträgen differenziert werden. Maßgeblich nach dem Gesetzeswortlaut sei
allein der Charakter des Objekts als Ganzes. Selbst wenn, was unstreitig sei,
die im Erdgeschoss und im 1. Obergeschoss ausgeführten Umbauarbeiten den
privaten Wohnbereich des Beklagten beträfen, habe dies nicht zur Folge, dass
für diese Arbeiten keine Bauhandwerkersicherung zu leisten sei. Denn bei die-
sem Bereich handele es sich wegen der im Untergeschoss befindlichen Gewer-
beeinheit nicht um ein Einfamilienhaus im Sinne der streitgegenständlichen
Ausnahmeregelung.
II.
Dies hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Der Klägerin steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Stellung
einer Sicherheit nach § 648a Abs. 1 Satz 1 BGB zu. Dabei kann offen bleiben,
ob die Klägerin als Unternehmerin eines Bauwerks oder einer Außenanlage
oder eines Teils davon im Sinne dieser Vorschrift zu qualifizieren ist. Denn der
Beklagte ist gemäß § 648a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 BGB von der Verpflichtung zur
Stellung einer Sicherheit befreit, weil er als natürliche Person die gemäß beiden
Verträgen geschuldeten Leistungen mit Bezug auf ein Einfamilienhaus im Sinne
des § 648a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 BGB ausführen ließ.
Nach dieser Vorschrift finden die Absätze 1 bis 5 des § 648a BGB keine
Anwendung, wenn der Besteller eine natürliche Person ist und die Bauarbeiten
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zur Herstellung oder Instandsetzung eines Einfamilienhauses mit oder ohne
Einliegerwohnung ausführen lässt. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
a) Der Beklagte als natürliche Person hat nach den von der Revision
nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts die Klägerin mit der
Ausführung von Modernisierungs- und Renovierungsarbeiten an seinem Haus
beauftragt. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts haben beide Ver-
träge sowohl hinsichtlich der verschiedenen Geschosse als auch hinsichtlich
der Außenanlagen Modernisierungs- und Renovierungsmaßnahmen zum Ge-
genstand.
b) Bei dem zu modernisierenden und zu renovierenden Haus des Be-
klagten handelt es sich insgesamt um ein Einfamilienhaus im Sinne des § 648a
Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 BGB.
aa) Der Begriff des Einfamilienhauses wird in § 648a Abs. 6 Satz 1
Nr. 2 BGB nicht näher definiert. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ist ein
Einfamilienhaus ein Haus, mit dem in erster Linie der Wohnbedarf einer Familie
gedeckt wird. In diesem Sinne handelt es sich bei dem zu modernisierenden
und zu renovierenden Haus des Beklagten um ein Einfamilienhaus, da das
Erdgeschoss und das 1. Obergeschoss erkennbar Wohnzwecken dienen soll-
ten.
bb) Der mit der genannten Vorschrift verfolgte Zweck erfordert es nicht,
den Anwendungsbereich dieser Ausnahmeregelung auf solche Einfamilienhäu-
ser zu beschränken, die insgesamt ausschließlich Wohnzwecken dienen sollen.
Durch die Ausnahmeregelung in § 648a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 BGB sollen
nach der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung für ein Gesetz
zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (Bauhandwerkersicherungsge-
setz) vom 13. Dezember 1991 private Bauherren privilegiert werden, die Bau-
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vorhaben zur Deckung des eigenen Wohnbedarfs ausführen lassen (vgl.
BT-Drucks. 12/1836, S. 11). Dies ist nach der genannten Begründung dadurch
gerechtfertigt, dass in diesen Fällen das Ausfallrisiko des vorleistungspflichtigen
Unternehmers im Hinblick auf die unbegrenzte persönliche Haftung eines sol-
chen Bestellers und dessen im Regelfall solide Finanzierung als verhältnismä-
ßig gering eingestuft wurde (vgl. BT-Drucks. 12/1836, S. 11). Diese Erwägun-
gen gelten gleichermaßen für die von natürlichen Personen in Auftrag gegebe-
ne Herstellung oder Instandsetzung von Einfamilienhäusern, die außer zu
Wohnzwecken in untergeordnetem Umfang auch anderen Zwecken dienen sol-
len. Die Eigenschaft eines Hauses als Einfamilienhaus wird durch eine derart
untergeordnete Nutzung deshalb nicht aufgehoben.
Aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift folgt entgegen der Auffas-
sung des Berufungsgerichts nichts anderes. Im Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung war zunächst vorgesehen, dass eine natürliche Person nicht zur Stel-
lung einer Sicherheit nach § 648a Abs. 1 BGB verpflichtet sein sollte, die Bau-
arbeiten überwiegend zur Deckung des eigenen Wohnbedarfs ausführen lässt
(vgl. BT-Drucks. 12/1836, S. 4). Diese Formulierung ist durch die Gesetz ge-
wordene Regelung ersetzt worden. Daraus kann aber nicht geschlossen wer-
den, dass Häuser, die nicht ausschließlich Wohnzwecken dienen sollen, nicht
unter die den Besteller privilegierende Ausnahmeregelung gemäß § 648a Abs.
6 Satz 1 Nr. 2 BGB fallen können. Mit der auf eine Beschlussempfehlung des
Rechtsausschusses zurückgehenden Änderung der ursprünglich vorgeschlage-
nen Gesetzesfassung sollte keine inhaltliche Abänderung des Regierungsent-
wurfs verbunden sein (vgl. auch Klaft, Die Bauhandwerkersicherung nach
§ 648a BGB, 1998, S. 70). Mit der geänderten Fassung sollte nach dem Bericht
des Rechtsausschusses lediglich eine Formulierung beseitigt werden, die keine
klare Abgrenzung der von der Vorschrift erfassten Sachverhalte erlaubt hätte
(vgl. BT-Drucks. 12/4526, S. 12).
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cc) Im Streitfall hat der Beklagte als natürliche Person die gemäß beiden
Verträgen geschuldeten Leistungen mit Bezug auf ein Einfamilienhaus ausfüh-
ren lassen. Die bauordnungsrechtlich genehmigte Nutzung der im Unterge-
schoss gelegenen Räumlichkeiten für berufliche Zwecke des Beklagten stellt
sich gegenüber der Nutzung des Hauses zu Wohnzwecken im Erdgeschoss
und im 1. Obergeschoss jedenfalls deshalb als untergeordnet dar, da sie deut-
lich weniger als die Hälfte der Wohn- und Nutzfläche betrifft und die freiberufli-
che Nutzung dem Haus kein anderes Gepräge gibt. Deshalb handelt es sich um
ein Haus, mit dem in erster Linie der Wohnbedarf einer Familie gedeckt wird.
dd) Der Umstand, dass die im Untergeschoss gelegenen Büroräume
nicht als Einliegerwohnung angesehen werden können, hat entgegen der Auf-
fassung des Berufungsgerichts nicht zur Folge, dass das Haus hierdurch seine
Eigenschaft als Einfamilienhaus insgesamt verliert. Von der Ausnahmeregelung
gemäß § 648a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 BGB werden sowohl Arbeiten an einem Ein-
familienhaus mit Einliegerwohnung als auch solche an einem Einfamilienhaus
ohne Einliegerwohnung erfasst. Für die Einstufung eines Hauses als Einfamili-
enhaus ist es danach unerheblich, ob bestimmten Räumlichkeiten der Charak-
ter einer Einliegerwohnung zukommt oder nicht. Maßgeblich ist vielmehr, ob
das Haus insgesamt als Einfamilienhaus anzusehen ist. Dies ist hier der Fall.
c) Auch bezüglich der Außenanlagen ist der Beklagte nicht nach § 648a
Abs. 1 BGB sicherungspflichtig. Werden im Zusammenhang mit der Erstellung
oder Instandsetzung eines Einfamilienhauses auch Außenanlagen in Auftrag
gegeben, so ist der Besteller auch in Bezug auf diese Außenanlagen nicht si-
cherungspflichtig (vgl. BT-Drucks. 12/4526, S. 12). So liegt es hier.
2. Das Berufungsurteil kann danach keinen Bestand haben und ist auf-
zuheben. Der Senat hat gemäß § 563 Abs. 3 ZPO in der Sache selbst zu ent-
scheiden, weil die Aufhebung des Urteils nur wegen einer Rechtsverletzung bei
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Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach
letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist. Das Urteil des Landgerichts
ist danach auf die Berufung des Beklagten abzuändern und die Klage abzuwei-
sen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Kartzke
Halfmeier
Jurgeleit
Graßnack
Wimmer
Vorinstanzen:
LG Duisburg, Entscheidung vom 22.10.2014 - 8 O 415/13 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 11.08.2015 - I-21 U 196/14 -
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