Urteil des BGH vom 20.05.2015

Leitsatzentscheidung zu Juristische Person, Einzelrichter, Drittschuldner, Überweisungsbeschluss

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V I I Z B 5 0 / 1 4
vom
20. Mai 2015
in dem Zwangsvollstreckungsverfahren
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO §§ 829, 850, 850c; BremLotsO §§ 1, 5, 23, 35 Nr. 6
Zur Pfändung eines Anspruchs eines Hafenlotsen auf Zahlung anteiligen Lotsgeldes.
BGH, Beschluss vom 20. Mai 2015 - VII ZB 50/14 - LG Stade
AG Langen
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Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Mai 2015 durch den Vor-
sitzenden Richter Dr. Eick, die Richter Halfmeier, Dr. Kartzke, Prof. Dr. Jurgeleit
und die Richterin Sacher
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Drittschuldnerin wird der Beschluss
des Einzelrichters der 9. Zivilkammer des Landgerichts Stade vom
24. September 2014 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten
des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht
(Einzelrichter) zurückverwiesen.
Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren werden nicht
erhoben, § 21 GKG.
Gegenstandswert: 200.000 €
Gründe:
I.
Die Gläubigerin betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung
aus einer vollstreckbaren notariellen Urkunde.
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Der Schuldner ist Hafenlotse der Hafengruppe B. und gemäß §§ 1, 5
BremLotsO (Lotsenordnung für das Hafenlotsenwesen in Bremerhaven vom
28. November 1979, Brem. GBl. S. 431) als solcher Mitglied der als Körper-
schaft des öffentlichen Rechts organisierten Drittschuldnerin. Die Hafenlotsen
üben ihre Tätigkeit gemäß § 23 BremLotsO als freien, nicht gewerblichen Beruf
aus. Der Drittschuldnerin obliegt die Selbstverwaltung des Hafenlotsenwesens.
In diesem Rahmen verwaltet sie gemäß § 35 Nr. 6 BremLotsO die Lotsgelder,
die die ihr angehörenden Hafenlotsen aufgrund der jeweils geschlossenen Ver-
träge zwischen ihnen und den Reedern der zu lotsenden Schiffe beanspruchen
können und die gemäß § 43 BremLotsO von dem zuständigen Hafenamt oder
einem beauftragten Dritten eingezogen werden. Die eingezogenen Lotsgelder
werden auf ein von der Drittschuldnerin geführtes Lotsgeldverteilungskonto ge-
leitet und von ihr nach Maßgabe der von den Mitgliedern beschlossenen Lots-
geldverteilungsordnung - nach Abzug näher bestimmter Kosten - regelmäßig zu
gleichen Teilen an die Hafenlotsen ausgezahlt. Die Auszahlungen erfolgen mo-
natlich in Form einer vom jeweiligen Kassenbestand abhängigen Abschlagszah-
lung; ein zum Ablauf des Kalenderjahres etwa vorhandener Überschuss wird
gleichmäßig auf alle Mitglieder aufgeteilt.
Auf Antrag der Gläubigerin hat das Amtsgericht - Vollstreckungsgericht -
einen Beschluss erlassen, mit dem wegen eines Teilbetrages in Höhe von
200.000
€ der titulierten Hauptforderung unter anderem die angeblichen An-
sprüche des Schuldners gegen die Drittschuldnerin auf Zahlung des gesamten
gegenwärtigen und künftigen Arbeitseinkommens sowie auf Vergütungen aus
Werk- und Dienstleistungsverträgen gepfändet und zur Einziehung überwiesen
worden sind. Die von der Drittschuldnerin eingelegte Erinnerung hat das Amts-
gericht - Vollstreckungsgericht - zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete so-
fortige Beschwerde der Drittschuldnerin ist ohne Erfolg geblieben. Dagegen
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richtet sich die von dem Einzelrichter zugelassene Rechtsbeschwerde, mit der
die Drittschuldnerin ihr Begehren weiterverfolgt.
II.
Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Be-
schlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3
Satz 2 ZPO statthaft. Ihre Zulassung ist nicht deshalb unwirksam, weil der Ein-
zelrichter entgegen § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO anstelle des Kollegiums entschie-
den hat.
2. Die Entscheidung des Einzelrichters unterliegt der Aufhebung, weil sie
unter Verletzung des Verfassungsgebots des gesetzlichen Richters ergangen
ist, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Der Einzelrichter durfte über die Zulassung nicht
selbst entscheiden, sondern hätte das Verfahren gemäß § 568 Satz 2 Nr. 2
ZPO der Kammer übertragen müssen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. März
2003 - IX ZB 134/02, BGHZ 154, 200, 202; vom 10. April 2003 - VII ZB 17/02,
BauR 2003, 1252, 1253; vom 11. September 2003 - XII ZB 188/02, NJW 2003,
3712; vom 24. Juli 2008 - VII ZB 2/08, juris Rn. 7; vom 5. Mai 2011
- VII ZB 15/11, juris Rn. 5; vom 24. November 2011 - VII ZB 33/11, NJW-RR
2012, 441 Rn. 6 ff.; vom 12. Januar 2012 - VII ZB 25/11, juris Rn. 4).
3. Die Aufhebung führt zur Zurückverweisung der Sache an den Einzel-
richter, der den angefochtenen Beschluss erlassen hat.
4. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
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a) aa) Die Rechtsbeschwerde macht geltend, der Pfändungs- und Über-
weisungsbeschluss sei schon deshalb aufzuheben, weil nicht die zutreffenden
Verfahrensvorschriften angewandt worden seien. Hier komme nur eine
Zwangsvollstreckung in andere Vermögensrechte in Betracht. Dem einzelnen
Hafenlotsen stehe an der Geldforderung aller Hafenlotsen gegen die Dritt-
schuldnerin eine Bruchteils-Mitberechtigung in Höhe des jeweils zur Verteilung
anstehenden Betrages zu. In dieses Vermögensrecht sei nach Maßgabe des
§ 857 Abs. 1 ZPO zu vollstrecken, wobei Drittschuldner auch die übrigen Hafen-
lotsen als weitere Mitberechtigte seien.
bb) Diese Rechtsansicht überzeugt nicht. Die Pfändung und Überwei-
sung einer angeblichen Forderung darf nur dann abgelehnt werden, wenn sie
dem Schuldner gegenüber dem bezeichneten Drittschuldner nach keiner ver-
tretbaren Rechtsansicht zustehen kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. Oktober
2012 - VII ZB 31/12, WM 2012, 2247 Rn. 7 f. und vom 12. Dezember 2007
- VII ZB 38/07, NJW-RR 2008, 733 Rn. 10). Diese Voraussetzungen dürften
vorliegend nicht erfüllt sein.
(1) Die Gläubigerin hat die angeblichen Ansprüche des Schuldners ge-
gen die Drittschuldnerin auf Zahlung des gesamten gegenwärtigen und künfti-
gen Arbeitseinkommens sowie auf Vergütungen aus Werk- und Dienstleis-
tungsverträgen gepfändet und sich zur Einziehung überweisen lassen. Dies
beinhaltet die hier in Rede stehenden Ansprüche des Schuldners gegen die
Drittschuldnerin auf monatliche Zahlung der auf ihn entfallenden anteiligen
Lotsgelder sowie auf Zahlung eines etwaigen Überschusses zum Ablauf des
Kalenderjahres.
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(2) Dem Schuldner können solche Ansprüche gegen die Drittschuldnerin
auf der Grundlage der Regelung des § 35 Nr. 6 BremLotsO in Verbindung mit
der betreffenden Lotsgeldverteilungsordnung B. zustehen.
Nach der Ausgestaltung der Selbstverwaltung des Hafenlotsenwesens
handelt es sich dabei um Ansprüche des einzelnen Hafenlotsen gegen die die
Lotsgelder verwaltende Drittschuldnerin als eigenständige juristische Person.
Die Hafenlotsen bilden entgegen der Auffassung der Beschwerde keine Bruch-
teilsgemeinschaft hinsichtlich der die Lotsgelder betreffenden Ansprüche mit
der Folge, dass eine Anteilspfändung gemäß § 857 Abs. 1 ZPO erforderlich
wäre. Sie sind vielmehr in der Weise organisiert, dass sie als Mitglieder der
Drittschuldnerin angehören, bei der es sich als Körperschaft des öffentlichen
Rechts um eine juristische Person handelt. Aufgabe der Drittschuldnerin ist un-
ter anderem die Verwaltung der von den Hafenlotsen insgesamt erwirtschafte-
ten Lotsgelder. Diese Aufgabe ist nach § 35 Nr. 6 BremLotsO in Verbindung mit
der Lotsgeldverteilungsordnung B. derart geregelt, dass die Drittschuldnerin
verpflichtet ist, ein Lotsgeldverteilungskonto zu führen und nach Abzug der
festgelegten Kosten von den eingehenden Lotsgeldern anteilige monatliche
Zahlungen als Abschläge an ihre jeweiligen Mitglieder vorzunehmen und nach
Ablauf des Kalenderjahres etwaige Überschüsse auszukehren. Mit dieser Ver-
pflichtung der Drittschuldnerin korrespondiert das Bestehen entsprechender
Zahlungsansprüche der einzelnen Mitglieder gegen sie. Daraus folgt weiter,
dass sich diese Zahlungsansprüche ausschließlich gegen die Drittschuldnerin
richten und deren - im Bestand wechselnde - Mitglieder insoweit nicht als weite-
re Drittschuldner einzubeziehen sind.
(3) Die danach in Betracht kommenden gesonderten Zahlungsansprüche
des Schuldners gegen die Drittschuldnerin, die auf den ihm zustehenden Anteil
an dem gemeinsam erwirtschafteten Gewinn gerichtet sind, können zum Ge-
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genstand eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses gemäß §§ 829, 835
ZPO gemacht werden. Sie gehören ausschließlich zu dessen Vermögen. Eine
Einschränkung der Pfändbarkeit ergibt sich auch nicht aus § 851 ZPO. Das Be-
schwerdegericht hat insoweit zutreffend angenommen, dass diese Ansprüche
übertragbar sind.
b) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist auch nicht zu be-
anstanden, dass der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss die Pfändungs-
freigrenzen des § 850c ZPO in Bezug nimmt. Denn die von dem Beschluss er-
fassten Forderungen sind als Arbeitseinkommen im Sinne des § 850 Abs. 2
ZPO einzuordnen. Der Umstand, dass der Hafenlotse seine Tätigkeit als freien
Beruf ausübt, führt zu keiner anderen Beurteilung. Entscheidend ist vielmehr,
dass es sich bei den erwirtschafteten Lotsgeldern, die von der Drittschuldnerin
nach Maßgabe der Regelung des § 35 Nr. 6 BremLotsO in Verbindung mit der
Lotsgeldverteilungsordnung jeden Monat anteilig an ihre Mitglieder ausgezahlt
werden, um Vergütungen handelt, die die Existenzgrundlage der Mitglieder bil-
den, weil sie deren Erwerbstätigkeit ganz oder zu einem wesentlichen Teil in
Anspruch nehmen (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 1985 - IX ZR 9/85,
BGHZ 96, 324, 326 ff. m.w.N.). Dies führt zur Anwendbarkeit des § 850c ZPO.
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Dem Schuldner bleibt die Möglichkeit, durch einen Antrag nach § 850f ZPO ge-
gebenenfalls eine höhere Pfändungsfreigrenze zu erreichen. Ein solcher Antrag
ist hier nicht gestellt worden.
Eick
Halfmeier
Kartzke
Jurgeleit
Sacher
Vorinstanzen:
AG Langen, Entscheidung vom 04.06.2014 - 14a M 513/14 -
LG Stade, Entscheidung vom 24.09.2014 - 9 T 62/14 -