Urteil des BGH vom 02.12.2014

Juristische Person, Vermittler, Vertragsschluss, Geschäftsherr, Anlagevertrag

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 520/13
Verkündet am:
2. Dezember 2014
Böhringer-Mangold
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 2. Dezember 2014 durch den Vorsitzenden Richter Galke, die Richterinnen
Diederichsen und von Pentz, den Richter Offenloch und die Richterin Dr. Oehler
für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des
Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 31. Oktober 2013 wird zu-
rückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Revisionsrechtszugs zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger macht gegen die Beklagte, eine Aktiengesellschaft nach tür-
kischem Recht, deliktische Schadensersatzansprüche wegen des Erwerbs von
Unternehmensanteilen geltend.
Die Beklagte wurde im Jahr 1998 gegründet und ist ein Unternehmen der
Kombassan-Gruppe, zu der auch die Kombassan Holdings S. A. 1929 gehörte.
Vorstandsvorsitzender beider Gesellschaften war B. Über das Vermögen der
Kombassan Holdings S. A. 1929 wurde am 5. Oktober 2007 das Insolvenzver-
fahren eröffnet.
Am 26. Februar 2000 unterzeichnete der Kläger eine Vertragsurkunde,
nach deren Inhalt er bei der Kombassan Holdings S. A. 1929 einen Betrag von
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20.250 DM anlegte. Er erhielt dafür ein Zertifikat, das zu einem späteren Zeit-
punkt in Anteilsscheine der Beklagten umgetauscht wurde. Dem Vertrags-
schluss ging ein Beratungsgespräch mit dem Zeugen S. voraus, einem Ange-
stellten der Kombassan Holdings S. A. 1929. Vor der Gründung der Kombassan
Holdings S. A. 1929 hatte S. als selbständiger Vermittler Anteile der Beklagten
veräußert. Anfang 2008 bemühte sich der Kläger erfolglos um eine Rückerstat-
tung des angelegten Betrags.
Der Kläger behauptet, die Beklagte sei der Mutterkonzern der Kom-
bassan-Gruppe. Die Gesellschaften seien personell und infrastrukturell verbun-
den gewesen. Der Zeuge S. sei der regionale bzw. "gebietszuständige" Filiallei-
ter der Beklagten gewesen, der im Raum H. Kapitalanlagen der Kombassan
Holdings S. A. 1929 und der Beklagten vermittelt und zu diesem Zweck ein von
der Beklagten finanziertes Büro unterhalten habe. Der Zeuge S. habe, Vorga-
ben des Vorstandsvorsitzenden B. folgend, den Kläger über die zu erwartende
Rendite und darüber getäuscht, dass eine Rückzahlungsgarantie innerhalb von
drei Monaten nach einer Kündigung gegeben sei. Auch sei dem Kläger nicht
bewusst gewesen, dass er sich an der Kombassan Holdings S. A. 1929 und
nicht an der Beklagten beteilige. Hätte er gewusst, dass die Kombassan Hol-
dings S. A. 1929 eine selbständige Gesellschaft sei, hätte er die Anlage nicht
getätigt. Das Zertifikat sei außerdem vertragswidrig nicht in Aktien der Kom-
bassan Holdings S. A. 1929, sondern in solche der Beklagten umgetauscht
worden. Er verlangt, so gestellt zu werden, als hätte er die Kapitalanlage nicht
getätigt.
Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung Zug-um-Zug gegen Rück-
gabe der Anteilsscheine verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das
Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts abgeändert und die Klage ab-
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gewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der
Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob der Kläger Inhaber der An-
teilsscheine ist. Der Beklagten sei jedenfalls ein sittenwidriges Verhalten ge-
genüber dem Kläger nicht vorzuwerfen. Es sei nicht erwiesen, dass der Zeuge
S. dem Kläger eine Rendite zwischen 15 und 20 Prozent versprochen habe.
Der Kläger habe außerdem einen Anlagevertrag mit der Kombassan Holdings
S. A. 1929 und nicht mit der Beklagten geschlossen. Die Kombassan Holdings
S. A. 1929 habe den Austausch des Zeichnungszertifikats gegen Aktien ihrer
Gesellschaft und nicht der Beklagten geschuldet. Sie wäre deshalb wegen der
fehlenden Erfüllungswirkung verpflichtet gewesen, die Anteile der Beklagten
zurückzunehmen. In rechtlicher Hinsicht habe es mehrere, voneinander unab-
hängige Gesellschaften gegeben, ohne dass ausgeschlossen gewesen sei,
dass sie Anteile der jeweils anderen Gesellschaft erwerben und halten konnten.
Ob die Beklagte oder deren Vorstandsvorsitzender gegenüber den Vermittlern
und/oder Anlegern den Eindruck erweckten, dass es nur "eine Firma Kom-
bassan" gebe, spiele für die Haftung der Beklagten gegenüber dem Kläger kei-
ne Rolle. Die Beklagte habe weder in dem vom Kläger vorgelegten Rundschrei-
ben des Vorstandsvorsitzenden B. eine rechtlich verbindliche Garantie für die
Rückgewähr der Einlage gegenüber dem Kläger übernommen, noch hafte sie
für Äußerungen des Vorstandsvorsitzenden B. auf Schulungen für Mitarbeiter
der Gesellschaften.
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Weder dem Vorstandsvorsitzenden der Beklagten B. noch dem Zeugen
S. könne ein Schädigungsvorsatz angelastet werden. Zum Zeitpunkt der Anla-
geentscheidung des Klägers seien nämlich Rückzahlungen tatsächlich erfolgt.
Es gebe außerdem keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger, wäre er dar-
über aufgeklärt worden, dass eine Rückabwicklung einen Zweiterwerb voraus-
setze, von der Anlage Abstand genommen hätte. Schließlich sei nicht davon
auszugehen, dass die Anteile beim Erwerb wertlos gewesen seien.
II.
Die Revision ist unbegründet.
1. Das Berufungsgericht hat deliktische Ansprüche des Klägers gegen
die Beklagte wegen des Anteilserwerbs im Ergebnis zutreffend verneint. Eine
Haftung käme nur in Betracht, wenn die Beklagte nach § 31 BGB oder nach
§ 831 BGB für das Handeln des S. anlässlich des Vertragsschlusses mit dem
Kläger oder nach § 31 BGB für das Verhalten ihres früheren Vorstandsvorsit-
zenden B. rechtlich einzustehen hätte. Das ist nicht der Fall.
a) Eine Haftung der Beklagten für die Erklärungen des S. gemäß § 831
BGB scheidet aus, weil S. nicht als Verrichtungsgehilfe der Beklagten gehandelt
hat.
aa) Entscheidend für die Verrichtungsgehilfeneigenschaft ist, dass die
Tätigkeit in einer organisatorisch abhängigen Stellung vorgenommen wird und
der Geschäftsherr die Tätigkeit des Handelnden jederzeit beschränken oder
entziehen oder nach Zeit und Umfang bestimmen kann (vgl. Senatsurteile vom
10. Dezember 2013 - VI ZR 534/12, VersR 2014, 466 Rn. 12; vom 6. November
2012 - VI ZR 174/11, VersR 2013, 203 Rn. 15; vom 10. März 2009 - VI ZR
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39/08, VersR 2009, 784 Rn. 11; BGH, Urteile vom 30. Juni 1966 - VII ZR 23/65,
BGHZ 45, 311, 313 und vom 12. Juni 1997 - I ZR 36/95, VersR 1998, 862,
863). Die Qualifikation als Verrichtungsgehilfe setzt mithin Abhängigkeit und
Weisungsgebundenheit voraus (vgl. BGH, Urteil vom 25. Februar 1988 - VII ZR
348/86, BGHZ 103, 298, 303; MünchKomm-BGB/Wagner, 6. Aufl., § 831
Rn. 14). Der Geschäftsherr haftet für einen Verrichtungsgehilfen deshalb, weil
er aufgrund eines objektiven Abhängigkeitsverhältnisses befugt ist, auf das
Verhalten des Dritten tatsächlich Einfluss zu nehmen und gegebenenfalls auch
das Verhältnis zu diesem zu beenden. Bestehende Zweifel gehen zu Lasten
des Anspruchstellers, dem grundsätzlich der Beweis dafür obliegt, dass ihm der
geltend gemachte Schaden von einem Verrichtungsgehilfen des Geschäfts-
herrn zugefügt worden ist (vgl. Senatsurteile vom 10. Dezember 2013 - VI ZR
534/12, aaO und vom 21. Juni 1994 - VI ZR 215/93, VersR 1994, 1202, 1203).
bb) Umstände, die die Verrichtungsgehilfeneigenschaft des S. im Ver-
hältnis zur Beklagten begründen könnten, zeigt die Revision nicht auf. Solche
sind ersichtlich nicht gegeben. Der Kläger hat im Schriftsatz vom 9. März 2011
selbst vorgetragen, dass nach Gründung der Kombassan Holdings S. A. 1929
ab dem Jahre 2000 sämtliche Vermittler, die bis dahin ohne vertragliche Grund-
lage auch für die Beklagte tätig waren, Angestellte der Kombassan Holdings
S. A. 1929 geworden sind. Darauf weist die Revisionserwiderung zutreffend hin.
Die Revision wendet sich auch nicht dagegen, dass das Berufungsgericht
- übereinstimmend mit der Erklärung des Prozessbevollmächtigten des Klägers
in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am 9. Oktober 2013 -
die Auffassung vertreten hat, dass der Kläger den Anlagevertrag mit der Kom-
bassan Holdings S. A. 1929 und nicht mit der Beklagten geschlossen hat. Mit
Recht stützt sich das Berufungsgericht hierfür auf den eindeutigen Wortlaut des
als Anlage K1 vorgelegten Formularvertrages (vgl. Palandt/Ellenberger, BGB,
73. Aufl. § 133 Rn. 6). Dort wurde als Verwender die Kombassan Holdings S. A.
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1929 ausdrücklich genannt. Der Zeuge S. versah dazu seine Unterschrift mit
dem Stempelaufdruck der "Kombassan Holdings S. A. 1929 Y. S.".
Eine Haftung der Beklagten lässt sich auch nicht damit begründen, dass
der Kläger - nach seiner Behauptung - für das erworbene Zertifikat Aktien der
Beklagten erhielt. Vielmehr spricht der Umstand, dass der Kläger mit dem Ver-
trag vom 26. Februar 2000 einen Zeichnungsschein der Kombassan Holdings
S. A. 1929 erwarb, aufgrund dessen ihm in der Folgezeit erst die Anteile an der
Beklagten zugewiesen worden sind, maßgebend für die rechtliche Selbständig-
keit der Gesellschaften.
Ist mithin davon auszugehen, dass der Zeuge S. bei Vertragsschluss für
die Kombassan Holdings S. A. 1929 aufgetreten ist, hat die Beklagte rechtlich
gemäß § 831 BGB für die Erklärungen des Zeugen S. im Zusammenhang mit
dem Anlagegeschäft nicht einzustehen.
b) Eine Einstandspflicht der Beklagten für S. nach § 31 BGB wäre nur
gegeben, wenn S. als Organ der Beklagten gehandelt hätte. Hierfür sind nach
den nicht beanstandeten Feststellungen des Berufungsgerichts Anhaltspunkte
nicht gegeben.
c) Die Beklagte haftet dem Kläger auch nicht gemäß § 31, § 823 Abs. 2
BGB i.V.m. § 263 StGB, § 826 BGB für etwaige Äußerungen ihres früheren
Vorstandsvorsitzenden B. (vgl. Senatsurteile vom 14. Oktober 2014 - VI ZR
465/13, juris Rn. 13 und VI ZR 466/13, juris Rn. 20).
aa) Die nach § 31 BGB normierte haftungsrechtliche Zurechnung knüpft
an die Fähigkeit des Organs an, für die juristische Person zu handeln (vgl. Se-
natsurteile vom 13. Januar 1987 - VI ZR 303/85, BGHZ 99, 298, 299 f. und vom
8. Juli 1986 - VI ZR 47/85, BGHZ 98, 148, 151). Sie setzt deshalb voraus, dass
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das Organ in dem ihm zugewiesenen Wirkungskreis handelte (vgl. Senatsurtei-
le vom 5. Dezember 1958 - VI ZR 114/57, WM 1959, 80, 81; vom 20. Februar
1979 - VI ZR 256/77, VersR 1979, 523, 524; vom 8. Juli 1986 - VI ZR 47/85,
aaO, S. 151 f. und vom 13. Januar 1987 - VI ZR 303/85, aaO, S. 300). Für ein
zum Schadensersatz verpflichtendes Verhalten ihres früheren Vorstandsvorsit-
zenden B. müsste die Beklagte in rechtlicher Hinsicht nur insoweit einstehen,
als B. als ihr Organ für sie gehandelt hat. Dies kann nach den Umständen des
Streitfalls nicht angenommen werden.
bb) Zwar weist die Revision auf Vortrag des Klägers hin, wonach B. im
Rahmen von Informationsveranstaltungen die Vermittler und damit auch S. an-
gewiesen habe, bei den Beratungsgesprächen zu erklären, dass angelegte Be-
träge auf Verlangen innerhalb von drei Monaten zurückerstattet würden, um
Anlageinteressenten zum Erwerb von Anteilen zu veranlassen. Doch fehlt Vor-
trag zu den weiteren Voraussetzungen für eine Zurechnung. Mangels entspre-
chenden Tatsachenvortrags ist nicht festgestellt, dass B. die behaupteten Äu-
ßerungen als Vorstandsvorsitzender der Beklagten tätigte und er für die Beklag-
te auftrat (vgl. Senatsurteil vom 14. Januar 2014 - VI ZR 469/12, juris Rn. 11).
Für eine alle Gesellschaften der Kombassan-Gruppe umfassende Zurechnung
reicht nicht aus, dass es nach der Auffassung des Zeugen S. nur "eine Kom-
bassan" gegeben habe.
2. Ist der Beklagten ein für den Vertragsschluss des Klägers mit der
Kombassan Holdings S. A. 1929 ursächlich gewordenes Verhalten des S. und
des Vorstandsvorsitzenden B. rechtlich nicht zuzurechnen, kommt es auf die
Angriffe der Revision gegen die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts,
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dass die Voraussetzungen für eine Haftung wegen vorsätzlicher sittenwidriger
Schädigung und eines Eingehungsbetrugs nicht gegeben sind, nicht an.
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Diederichsen
von Pentz
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Oehler
Vorinstanzen:
LG Hamburg, Entscheidung vom 17.02.2012 - 333 O 204/08 -
OLG Hamburg, Entscheidung vom 31.10.2013 - 6 U 34/12 -