Urteil des BGH vom 18.11.2014

Leitsatzentscheidung zu Unternehmen, Ausschluss der Haftung, Unternehmer, Baustelle, Verleiher

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 47/13
Verkündet am:
18. November 2014
Holmes
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
BGB § 823 Abs. 1 Dc; SGB VII § 104 Abs. 1 Satz 1, § 108 Abs. 1; § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG
a) Besteht zwischen mehreren Schädigern ein Gesamtschuldverhältnis, können Ansprü-
che des Geschädigten gegen einen Gesamtschuldner (Zweitschädiger) auf den Betrag
beschränkt sein, der auf diesen im Innenverhältnis zu dem anderen Gesamtschuldner
(Erstschädiger) endgültig entfiele, wenn die Schadensverteilung nach § 426 BGB nicht
durch eine sozialversicherungsrechtliche Haftungsprivilegierung des Erstschädigers
gestört wäre.
b) Die unanfechtbare Entscheidung des für den Verleiher zuständigen Versicherungsträ-
gers, in der der Unfall eines auf Grund eines wirksamen Vertrags entliehenen Arbeit-
nehmers im Unternehmen des Entleihers als Arbeitsunfall anerkannt wird, hindert die
Zivilgerichte nicht, den Unfall haftungsrechtlich dem Unternehmen des Entleihers zu-
zuordnen und diesen gemäß § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII als haftungsprivilegiert an-
zusehen.
c) Die durch eine sozialversicherungsrechtliche Haftungsprivilegierung des Erstschädi-
gers bewirkte Störung des Gesamtschuldverhältnisses wird nicht dadurch "ausgegli-
chen", dass dem aus übergegangenem Recht klagenden Sozialversicherungsträger ein
Rückgriffsanspruch aus § 110 Abs. 1 SGB VII gegen den Erstschädiger zusteht.
d) Zur Verkehrssicherungspflicht des mit der örtlichen Bauüberwachung beauftragten
Architekten.
BGH, Urteil vom 18. November 2014 - VI ZR 47/13 - OLG Jena
LG Erfurt
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 18. November 2014 durch den Vorsitzenden Richter Galke, die Richter
Wellner und Stöhr sowie die Richterinnen von Pentz und Dr. Oehler
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Grund- und Teilurteil des
7. Zivilsenats des Thüringischen Oberlandesgerichts vom 9. Janu-
ar 2013 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin, eine Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung, nimmt
die Beklagten aus übergegangenem Recht ihres Versicherten R. wegen der
Verletzung von Verkehrssicherungspflichten auf Ersatz materiellen Schadens in
Anspruch.
Die Stadtwirtschaft W. GmbH beabsichtigte, auf dem Gelände ihres Be-
triebshofs eine Halle zu errichten. Sie beauftragte die Beklagte zu 1 mit den
Grundleistungen der Leistungsphasen 1 bis 8 der Honorarordnung für Architek-
ten und Ingenieure (§ 15 Abs. 2 HOAI in der Fassung vom 21. September
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1995). Diese setzte für die Erbringung der Leistungsphase 8 - Objektüber-
wachung (Bauüberwachung) - den Beklagten zu 2 als verantwortlichen Mitar-
beiter vor Ort ein. Die Elektroarbeiten wurden an die Streithelferin der Klägerin
(nachfolgend: Streithelferin) vergeben.
Am Samstag, dem 4. November 2006, führte die Streithelferin Elektroin-
stallationsarbeiten auf der oberen der beiden Ebenen der im Bau befindlichen
Halle durch. An den Rändern dieser Ebene befanden sich ungesicherte Ab-
sturzkanten, die am selben Tag Gegenstand eines Gesprächs zwischen dem
Beklagten zu 2 und einem Mitarbeiter der Streithelferin waren. Maßnahmen zur
Absicherung der Absturzkanten wurden nicht ergriffen. Am Montag, dem
6. November 2006, wurden die Elektroinstallationsarbeiten auf der oberen Ebe-
ne fortgesetzt. Dabei setzte die Streithelferin erstmals den Versicherten R.
- einen von der S. Personaldienstleistung GmbH & Co. KG überlassenen Leih-
arbeitnehmer - ein. Dieser stürzte gegen 14.00 Uhr von der oberen Ebene auf
den Betonfußboden der 2,68 m tiefer liegenden unteren Ebene der Halle und
zog sich schwerste Verletzungen zu.
Mit ihrer Klage nimmt die Klägerin die Beklagten in Höhe einer Haftungs-
quote von 60 % in Anspruch. Sie lässt sich ein "Mitverschulden" der Streithelfe-
rin in Höhe von 40 % anrechnen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
Auf die Berufung der Klägerin und der Streithelferin hat das Berufungsgericht
das landgerichtliche Urteil abgeändert. Es hat den Leistungsantrag dem Grunde
nach zu 60 % für gerechtfertigt erklärt und festgestellt, dass die Beklagten als
Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin 60 % der weiteren übergangs-
fähigen Aufwendungen zu ersetzen, die ihr wegen des Unfalls entstanden sind
und noch entstehen werden. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision be-
gehren die Beklagten die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
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Entscheidungsgründe:
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts kann die Klägerin von den Be-
klagten gemäß § 823 BGB, § 116 SGB X Schadensersatz auf der Grundlage
einer Haftungsquote von 60 % verlangen. Die Beklagten hätten es pflichtwidrig
unterlassen, für eine ordnungsgemäße Absturzsicherung zu sorgen. Ein Ver-
stoß gegen § 12 der einschlägigen Unfallverhütungsvorschrift Bauarbeiten BGV
C 22 stehe fest. An der Unfallstelle seien weder eine Absturzsicherung noch
Fangeinrichtungen angebracht worden. Dafür hafteten die Beklagten. Zwar sei
in erster Linie der Unternehmer für die Sicherheit der Baustelle verantwortlich.
Der mit der Bauüberwachung beauftragte Architekt werde aber dann verkehrs-
sicherungspflichtig, wenn er Gefahrenquellen erkannt habe oder bei gewissen-
hafter Beachtung der ihm obliegenden Sorgfalt hätte erkennen können. Solche
sekundären Verkehrssicherungspflichten hätten die Beklagten verletzt. Denn
der Beklagte zu 2 habe die Arbeiten zugelassen, obwohl er gewusst habe, dass
keine Absturzsicherung vorhanden gewesen sei. Es sei nicht ausreichend ge-
wesen, die Streithelferin lediglich auf die fehlende Absturzsicherung hinzuwei-
sen. Die Beklagten hätten die erkannte Gefahrenquelle vielmehr beseitigen
müssen. Sie hätten entweder für die Errichtung einer Absturzsicherung oder für
ein Verbot der Baumaßnahmen an den entscheidenden Stellen sorgen müssen.
Dafür, dass diese Pflichtverletzung für den Sturz des Geschädigten kausal ge-
worden sei, spreche der Beweis des ersten Anscheins, den die Beklagten nicht
erschüttert hätten.
Die Haftung der Beklagten sei nicht gemäß § 106 Abs. 3 Fall 3 SGB VII
ausgeschlossen, da eine gemeinsame Betriebsstätte nicht gegeben sei. Auch
die Grundsätze des gestörten Gesamtschuldverhältnisses seien nicht zu be-
rücksichtigen. Zwar sei die Streithelferin ebenfalls verkehrssicherungspflichtig
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gewesen. Sie habe mit Aufnahme der Elektroarbeiten eine Baustelle eröffnet
und deshalb im gleichen Maße die Unfallverhütungsvorschriften beachten müs-
sen. Auch greife zu Gunsten der Streithelferin die Haftungsprivilegierung des
§ 104 Abs. 1 SGB VII. Die Haftung des Entleihers für Arbeitsunfälle des Leihar-
beitnehmers sei in derselben Weise beschränkt wie die Haftung des Stammun-
ternehmers. Denn auch ein Leiharbeitnehmer werde für das Unternehmen des
Entleihers tätig. Allerdings sei zu berücksichtigen, dass die Streithelferin im Fal-
le einer Inanspruchnahme gemäß den §§ 110, 111 SGB VII den Sozialversiche-
rungsträgern für die infolge des Versicherungsfalls entstandenen Aufwendun-
gen hafte. Denn sie habe den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt.
Die Gefahr eines Sturzes sei offenkundig gewesen. Dass sie gleichwohl sehen-
den Auges mit den Arbeiten begonnen habe, sei subjektiv unentschuldbar und
in hohem Maße pflichtwidrig. Danach hafteten die Beklagten als Gesamt-
schuldner, wobei ein Mitverschulden des Geschädigten in Höhe von 30 % zu
berücksichtigen sei, weil er sich trotz fehlender Absturzsicherung in den Gefah-
renbereich begeben habe.
II.
Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht
stand.
1. Das Berufungsgericht hat allerdings zu Recht angenommen, dass dem
Versicherten R. aufgrund seines Sturzes ein Schadensersatzanspruch gegen
den Beklagten zu 2 aus § 823 Abs. 1 BGB erwachsen ist.
a) Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts
ist R. infolge des Fehlens einer ordnungsgemäßen Absturzsicherung von der
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oberen Ebene der Halle auf den Betonfußboden der 2,68 m tiefer liegenden
unteren Ebene gefallen und hat sich schwerste Verletzungen zugezogen.
b) Die Revision wendet sich ohne Erfolg gegen die Beurteilung des Beru-
fungsgerichts, dass der Beklagte zu 2 ihm gegenüber R. obliegende Verkehrs-
sicherungspflichten verletzt hat.
aa) Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs trifft
den mit der örtlichen Bauaufsicht, Bauleitung oder Bauüberwachung beauftrag-
ten Architekten die Pflicht, nicht nur seinen Auftraggeber sondern auch Dritte,
die sich befugt auf der Baustelle aufhalten, vor Schäden zu bewahren, die im
Zusammenhang mit der Errichtung des Bauwerks entstehen können. Im Regel-
fall braucht der Architekt allerdings nur diejenigen Verkehrssicherungspflichten
zu beachten, die dem Bauherrn als dem mittelbaren Veranlasser der aus der
Bauausführung fließenden Gefahren obliegen; ihn treffen im Allgemeinen nur
sog. sekundäre Verkehrssicherungspflichten. Primär verkehrssicherungspflich-
tig ist der Unternehmer. Er hat für die Sicherheit der Baustelle zu sorgen. Die
Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften, die die im konkreten
Fall zu beachtenden Sorgfaltspflichten durch Bestimmungen über Sicherheits-
maßnahmen konkretisieren (vgl. Senatsurteil vom 13. März 2001 - VI ZR
142/00, VersR 2001, 1040, 1041), wenden sich nur an ihn. Sie sollen die Versi-
cherten vor den typischen Gefährdungen des jeweiligen Gewerbes schützen
(vgl. Senatsurteile vom 30. Januar 2001 - VI ZR 49/00, VersR 2001, 985, 986;
vom 8. Januar 2002 - VI ZR 364/00, VersR 2002, 330, 331). Diesen Zweck
können sie nur erfüllen, wenn sie von dem Unternehmer zu beachten sind, der
die Versicherten beschäftigt (vgl. Senatsurteil vom 15. April 1975 - VI ZR 19/74,
VersR 1975, 812, 813).
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Unmittelbar selbst verkehrssicherungspflichtig wird der mit der örtlichen
Bauaufsicht, Bauleitung oder Bauüberwachung beauftragte Architekt aber dann,
wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Unternehmer in dieser Hinsicht
nicht genügend sachkundig oder zuverlässig ist, wenn er Gefahrenquellen er-
kannt hat oder wenn er diese bei gewissenhafter Beobachtung der ihm oblie-
genden Sorgfalt hätte erkennen können (vgl. Senatsurteile vom 6. November
1973 - VI ZR 76/72, VersR 1974, 263, 264; vom 13. März 2007 - VI ZR 178/05,
VersR 2007, 948 Rn. 12; BGH, Urteil vom 10. März 1977 - VII ZR 278/75,
BGHZ 68, 169, 175 f.). Er ist dann verpflichtet, die notwendigen und zumutba-
ren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer zu verhindern (vgl.
Senatsurteile vom 6. Oktober 1970 - VI ZR 223/69, VersR 1971, 84, 85; vom
20. September 1983 - VI ZR 248/81, VersR 1983, 1141, 1142 und vom
13. März 2007 - VI ZR 178/05, aaO).
bb) Nach diesen Grundsätzen hätte der mit der Bauüberwachung betrau-
te Beklagte zu 2 vor dem Unfall für eine ausreichende Sicherung der Absturz-
kante sorgen müssen. Die ihm obliegende sekundäre Verkehrssicherungspflicht
hatte sich in dem Moment aktualisiert, in dem er von dem Fehlen einer Absturz-
sicherung an den Kanten der oberen Hallenebene Kenntnis erlangt hatte. Denn
wegen der ungesicherten Absturzkanten befand sich die Baustelle am Unfalltag
in einem nicht verkehrssicheren Zustand, der die Ausführung von Arbeiten in
diesem Bereich nicht zuließ (vgl. Senatsurteil vom 6. November 1973 - VI ZR
76/72, VersR 1974, 263, 264; OLG Hamm, VersR 1993, 491 f.).
cc) Entgegen der Auffassung der Revision hat der Beklagte zu 2 seiner
Verkehrssicherungspflicht nicht dadurch genügt, dass er die Streithelferin auf
die fehlende Absturzsicherung hingewiesen hat. Wie das Berufungsgericht zu-
treffend angenommen hat, bot der bloße Hinweis auf die Gefahrenstelle keine
ausreichende Gewähr dafür, dass Dritte nicht zu Schaden kommen würden.
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Trotz des dadurch bewirkten Gefahrbewusstseins auf Seiten der Streithelferin
lag es nahe, dass sich ein Arbeiter in die Nähe der Gefahrenstelle begibt und
aufgrund kurzfristiger Unaufmerksamkeit durch ein unbedachtes Verhalten zu
Schaden kommt (vgl. Senatsurteile vom 6. November 1973 - VI ZR 76/72,
VersR 1974, 263, 264; vom 15. April 1975 - VI ZR 19/74, VersR 1975, 812 f.;
vom 8. Januar 2002 - VI ZR 364/00, VersR 2002, 330; OLG Hamm, VersR
1993, 491 f.; Staudinger/Hager, BGB, Neubearbeitung 2009, § 823 E Rn. 383).
Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, dass auch die Streithelferin ge-
genüber dem ihr zur Arbeitsleistung überlassenen R. - jedenfalls gemäß § 618
BGB - verpflichtet war, die zur Abwendung von Gefahren für Leben und Ge-
sundheit erforderlichen Schutzvorkehrungen zu treffen und die einschlägigen
Unfallverhütungsvorschriften einzuhalten (vgl. BAGE 25, 514, 522; 131, 18
Rn. 23 ff.; BAG, NZA 1989, 340, 341; NZA-RR 2010, 123 Rn. 43 f.; Henss-
ler/Willemsen/Kalb/Krause, Arbeitsrecht, 6. Aufl., § 618 BGB Rn. 6, 9; Er-
man/Belling, BGB, 14. Aufl., § 618 Rn. 1, 5; s. auch § 11 Abs. 6 S. 1 AÜG sowie
Art. 8 RL 91/383/EWG über die Verbesserung des Gesundheitsschutzes).
Denn die Verkehrssicherungspflicht des Beklagten zu 2 bestand unab-
hängig von der Verpflichtung der Streithelferin. Abgesehen davon war auch der
Unternehmer verkehrssicherungspflichtig, der die ungesicherte Ebene herge-
stellt und damit die Gefahrenquelle geschaffen hatte (vgl. BGH, Urteil vom
28. März 1996 - IX ZR 77/95, VersR 1997, 61, 63; OLG Hamm, VersR 1993,
491 f.). Waren mithin mehrere Unternehmen für die Sicherheit der Baustelle in
dem fraglichen Bereich verantwortlich, so durfte der für die Bauüberwachung
zuständige Beklagte zu 2 sich jedenfalls nicht ohne eine ausdrückliche und ein-
deutige Anweisung und ohne eine Kontrolle darauf verlassen, dass die Streit-
helferin die erforderlichen Maßnahmen ergreifen würde (vgl. auch Senatsurteil
vom 6. November 1973 - VI ZR 76/72, VersR 1974, 263, 264; OLG Hamm,
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VersR 1993, 491 f.; Staudinger/Hager, aaO). Dies gilt umso mehr, als sich im
Streitfall eine Gefahr verwirklicht hat, die typischerweise mit der Abfolge ver-
schiedener Gewerke und dem Tätigwerden einer Vielzahl von Personen bei der
Errichtung des Bauwerks verbunden ist und von dem mit der Bauüberwachung
betrauten Architekten am besten überblickt werden kann (vgl. Senatsurteil vom
13. März 2007 - VI ZR 178/05, VersR 2007, 948 Rn. 13).
2. Dagegen wird die Beurteilung des Berufungsgerichts, auch die Beklag-
te zu 1 hafte unmittelbar aus § 823 Abs. 1 BGB, von den getroffenen Feststel-
lungen nicht getragen. Danach traf die Beklagte zu 1 zunächst ebenfalls nur
eine sekundäre Verkehrssicherungspflicht. Sie war nur dann verpflichtet, die
notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung
anderer zu verhindern, wenn sich die sekundäre Verkehrssicherungspflicht zu-
vor in ihrer Person aktualisiert hatte. Hierzu hat das Berufungsgericht keine
Feststellungen getroffen. Mangels näherer Feststellungen zur Stellung und
Funktion des Beklagten zu 2 kann auch nicht davon ausgegangen werden,
dass dessen zum Schadensersatz verpflichtendes Verhalten der Beklagten zu 1
analog § 31 BGB zuzurechnen ist (vgl. dazu Senatsurteil vom 24. Juni 2003
- VI ZR 434/01, BGHZ 155, 205, 210 f.; Erman/Westermann, BGB, 14. Aufl.,
§ 31 BGB Rn. 2). Eine Haftung der Beklagten zu 1 aus §§ 831, 823 Abs. 1 BGB
kann auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen ebenfalls nicht bejaht
werden (vgl. dazu Senatsurteil vom 13. März 2007 - VI ZR 178/05, VersR 2007,
948 Rn. 15).
3. Die Revision wendet sich mit Erfolg gegen die Beurteilung des Beru-
fungsgerichts, eine Haftungsbeschränkung der Beklagten nach den Grundsät-
zen des gestörten Gesamtschuldverhältnisses komme vorliegend nicht in Be-
tracht.
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a) Nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats können in den Fäl-
len, in denen zwischen mehreren Schädigern ein Gesamtschuldverhältnis be-
steht, Ansprüche des Geschädigten gegen einen Gesamtschuldner (Zweitschä-
diger) auf den Betrag beschränkt sein, der auf diesen im Innenverhältnis zu
dem anderen Gesamtschuldner (Erstschädiger) endgültig entfiele, wenn die
Schadensverteilung nach § 426 BGB nicht durch eine sozialversicherungsrecht-
liche Haftungsprivilegierung des Erstschädigers gestört wäre. Die Beschrän-
kung der Haftung des Zweitschädigers beruht dabei auf dem Gedanken, dass
einerseits die haftungsrechtliche Privilegierung nicht durch eine Heranziehung
im Gesamtschuldnerausgleich unterlaufen werden soll, es aber andererseits bei
Mitberücksichtigung des Grundes der Haftungsprivilegierung, nämlich der an-
derweitigen Absicherung des Geschädigten durch eine gesetzliche Unfallversi-
cherung, nicht gerechtfertigt wäre, den Zweitschädiger den Schaden alleine
tragen zu lassen. Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist der Zweitschädi-
ger in Höhe des Verantwortungsteils freizustellen, der auf den Erstschädiger im
Innenverhältnis entfiele, wenn man seine Haftungsprivilegierung hinwegdenkt.
Dabei ist unter Verantwortungsteil die Zuständigkeit für die Schadensverhütung
und damit der Eigenanteil des betreffenden Schädigers an der Schadensent-
stehung zu verstehen (vgl. etwa Urteile vom 12. Juni 1973 - VI ZR 163/71,
BGHZ 61, 51, 53 ff.; vom 24. Juni 2003 - VI ZR 434/01, BGHZ 155, 206, 212 f.;
vom 13. März 2007 - VI ZR 178/05, VersR 2007, 948 Rn. 19; vom 22. Januar
2008 - VI ZR 17/07, VersR 2008, 642 Rn. 11; vom 23. September 2014 - VI ZR
483/12, juris Rn. 16; jeweils mwN).
b) Nach diesen Grundsätzen haftet der Beklagte zu 2 nur in Höhe des im
Innenverhältnis zur Streithelferin auf ihn entfallenden Verantwortungsteils.
aa) Zwischen dem Beklagten zu 2 und der Streithelferin besteht - lässt
man etwaige sozialversicherungsrechtliche Haftungsprivilegierungen außer Be-
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tracht - ein Gesamtschuldverhältnis. Dem der Streithelferin zur Arbeitsleistung
überlassenen R. ist gegen diese jedenfalls ein vertraglicher Schadensersatzan-
spruch aus § 280 Abs. 1 BGB wegen Verstoßes gegen § 618 Abs. 1 BGB er-
wachsen. Dabei kann dahingestellt werden, ob sich dieser Anspruch aus einer
unmittelbaren Anwendung der genannten Bestimmungen (sowohl BAGE 25,
514, 522; BAG, NZA 1989, 340, 341; NZA-RR 2010, 123 Rn. 44; ArbR-
BGB/Friedrich, § 618 Rz. 12; Soergel/Kraft, BGB, 12. Auflage, § 618 Rz. 3),
einer analogen Anwendung (so Henssler/Willemsen/Kalb/Krause, Arbeitsrecht,
6. Aufl., § 618 BGB Rn. 9) oder aus der Verletzung des zwischen der Streithel-
ferin als Entleiherin und der S. Personaldienstleistung GmbH & Co. KG als Ver-
leiher abgeschlossenen Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten des R. als Leih-
arbeitnehmer (so Staudinger/Oetker, BGB, Neubearbeitung 2011, § 618 Rz. 95;
MünchKommBGB/Henssler, 6. Aufl., § 618 Rn. 25) ergibt. Denn unabhängig
von der dogmatischen Herleitung schuldet die Streithelferin wegen der Verlet-
zung vertraglicher Verkehrssicherungspflichten Ersatz des R. infolge des Stur-
zes entstandenen Schadens. Sie ist damit verpflichtet, dasselbe Gläubigerinte-
resse zu befriedigen wie der wegen der Verletzung deliktischer Verkehrssiche-
rungspflichten haftende Beklagte zu 2. Die für die Annahme einer Gesamt-
schuld darüber hinaus erforderliche Gleichstufigkeit der Verpflichtungen folgt
daraus, dass weder die Streithelferin noch der Beklagte zu 2 nur subsidiär oder
vorläufig für die Verpflichtung des jeweils anderen einstehen müssen (vgl. Se-
natsurteil vom 28. November 2006 - VI ZR 136/05, VersR 2007, 198 Rn. 17 f.;
BGH, Urteil vom 22. Dezember 2011 - VII ZR 7/11, BGHZ 192, 182 Rn. 18;
Palandt-Grüneberg, BGB, 73. Aufl., § 421 Rn. 6 f., jeweils mwN).
bb) Der Ausgleich im Innenverhältnis der Gesamtschuldner gemäß § 426
BGB ist durch eine sozialversicherungsrechtliche Haftungsprivilegierung ge-
stört.
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(1) Die Haftung der Streithelferin ist allerdings nicht gemäß § 106 Abs. 3
Fall 3 SGB VII ausgeschlossen. Die in dieser Norm angeordnete Haftungsbe-
schränkung scheitert schon daran, dass der Versicherte R. nicht durch ein auf
der Betriebsstätte tätiges Organ der Streithelferin geschädigt worden ist. Nach
der gefestigten Rechtsprechung des Senats kommt das Haftungsprivileg dem
Unternehmer nur dann zu Gute, wenn er Versicherter der gesetzlichen Unfall-
versicherung ist, selbst auf einer gemeinsamen Betriebsstätte eine betriebliche
Tätigkeit verrichtet und dabei den Versicherten eines anderen Unternehmens
verletzt (vgl. Senatsurteile vom 23. September 2014 - VI ZR 483/12, juris Rn. 14
mwN; vom 19. Mai 2009 - VI ZR 56/08, BGHZ 181, 160 Rn. 20).
(2) Die Haftung der Streithelferin ist aber gemäß § 104 Abs. 1 Satz 1
SGB VII ausgeschlossen. Nach dieser Bestimmung sind Unternehmer den Ver-
sicherten, die für ihre Unternehmen tätig sind oder zu ihren Unternehmen in
einer sonstigen die Versicherung begründenden Beziehung stehen, zum Ersatz
des Personenschadens, den ein Versicherungsfall verursacht hat, nur verpflich-
tet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2
Nr. 1 bis 4 versicherten Weg herbeigeführt haben. Danach haftet die Streithelfe-
rin vorliegend nicht. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat sie die
Verletzungen des R. weder vorsätzlich herbeigeführt noch handelt es sich um
einen Wegeunfall. Der Unfall des R. ist haftungsrechtlich auch dem Unterneh-
men der Streithelferin zuzuordnen. Denn R. war zum Unfallzeitpunkt als ein der
Streithelferin überlassener Leiharbeitnehmer auf einer Baustelle der Streithelfe-
rin eingesetzt und damit als Versicherter für diese tätig.Dies gilt unbeschadet
des Umstands, dass die Klägerin als für das Unternehmen des Verleihers zu-
ständige Berufsgenossenschaft den Unfall des R. als Arbeitsunfall anerkannt
hat.
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(a) Zwar ist der Zivilrichter gemäß § 108 Abs. 1 SGB VII an unanfechtba-
re Entscheidungen der Unfallversicherungsträger hinsichtlich der Frage gebun-
den, ob ein Arbeitsunfall vorliegt, in welchem Umfang Leistungen zu erbringen
sind und ob der Unfallversicherungsträger zuständig ist. Nach der neueren
Rechtsprechung des Senats erstreckt sich die Bindungswirkung auch auf die
Entscheidung darüber, ob der Verletzte den Unfall als Versicherter aufgrund
eines Beschäftigungsverhältnisses im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 oder Abs. 2
Satz 1 SGB VII erlitten hat und welchem Unternehmen der Unfall zuzurechnen
ist (vgl. Senatsurteile vom 22. April 2008 - VI ZR 202/07, VersR 2008, 820
Rn. 9, 13; vom 19. Mai 2009 - VI ZR 56/08, BGHZ 181, 160 Rn. 17, 21; vom
30. April 2013 - VI ZR 155/12, VersR 2013, 862 Rn. 9, jeweils mwN). An der
Zuordnung des Unfalls zu einem anderen Unternehmen gemäß § 2 Abs. 2
Satz 1 SGB VII sind die Zivilgerichte danach gehindert (vgl. Senatsurteile vom
22. April 2008 - VI ZR 202/07, VersR 2008, 820 Rn. 13; vom 19. Mai 2009
- VI ZR 56/08, BGHZ 181, 160 Rn. 17, 20 f.; a.A. BAG, NZA-RR 2010, 123
Rn. 27, 54 f.).
(b) Es kann dahingestellt bleiben, ob die Bestimmung des § 108 SGB VII
auch im vorliegenden Rechtsstreit anwendbar ist, in dem "Ersatzansprüche der
in den §§ 104 bis 107 genannten Art" nicht den Gegenstand der Klageforderung
bilden, sondern über sie nur mittelbar bei der Prüfung der Frage zu entscheiden
ist, ob die Haftung des Zweitschädigers in Hinblick auf eine sozialversiche-
rungsrechtliche Privilegierung des Erstschädigers nach den Grundsätzen des
gestörten Gesamtschuldverhältnisses beschränkt ist. Denn auch wenn die Be-
stimmung im Streitfall zur Anwendung käme, erstreckte sich die von ihr ange-
ordnete Bindungswirkung nicht auf die Frage, welchem Unternehmen der Unfall
zuzurechnen ist. Die unanfechtbare Entscheidung des für den Verleiher zustän-
digen Versicherungsträgers, in der der Unfall eines auf Grund eines wirksamen
Vertrags entliehenen Arbeitnehmers (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG) im Unternehmen
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des Entleihers als Arbeitsunfall anerkannt wird, hindert die Zivilgerichte nicht,
den Unfall haftungsrechtlich dem Unternehmen des Entleihers zuzuordnen und
diesen als haftungsprivilegiert anzusehen.
(aa) Der Senat hat seine Auffassung, die Bindungswirkung des § 108
SGB VII erstrecke sich auch auf die Entscheidung darüber, welchem Unter-
nehmen der Unfall zuzurechnen ist, damit begründet, dass durch die - im Zuge
der Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozial-
gesetzbuch VII neu geschaffenen - Konkurrenzregelungen des § 135 SGB VII
nicht nur die Zuständigkeit mehrerer Unfallversicherungsträger und ein mehrfa-
cher Versicherungsschutz, sondern auch die Zuordnung eines Arbeitsunfalls zu
mehreren Unternehmen verhindert werden solle (Urteile vom 22. April 2008
- VI ZR 202/07, aaO und vom 19. Mai 2009 - VI ZR 56/08, aaO Rn. 13, 18; zu-
stimmend ErfK/Rolfs, 14. Aufl., § 108 SGB VII Rn. 3; Bereiter-Hahn/Mehrtens,
Gesetzliche Unfallversicherung, § 104 Rn. 4.4 [Stand: Mai 2011]; Waltermann
in Eichenhofer/Wenner, SGB VII, § 108 Rn. 4; ablehnend Ricke in Kasseler
Kommentar, § 104 SGB VII Rn. 10 [Stand: Dezember 2011]; ders., NZS 2011,
454; von Koppenfels-Spies, SGb 2013, 373; Burmann/Jahnke, NZV 2014, 5,
10; anders auch BAG, aaO).
(bb) Diese Erwägungen lassen sich jedoch nicht auf die erlaubte Arbeit-
nehmerüberlassung übertragen. Sie ist durch Besonderheiten gekennzeichnet,
die der Annahme entgegenstehen, dass die Beschränkung der Zuordnung ei-
nes Arbeitsunfalls zu einem Unternehmen auch in dieser Fallkonstellation dem
Willen des Gesetzgebers entspricht und den Schutzzwecken der §§ 104 ff. SGB
VII Rechnung trägt (vgl. Senatsurteil vom 19. Mai 2009 - VI ZR 56/08, BGHZ
181, 160 Rn. 20).
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- 15 -
So wird ein mehrfacher Versicherungsschutz bei der Arbeitnehmerüber-
lassung in erster Linie durch die spezielle Vorschrift des § 133 Abs. 2 SGB VII
verhindert, wonach sich die Zuständigkeit des Unfallversicherungsträgers nach
der Zuständigkeit für das Unternehmen des Verleihers bestimmt (vgl. Köhler in
Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, 4. Aufl., § 133 Rn. 10; Quabach in jurisPK-
SGB VII, 2. Aufl., § 133 Rn. 29). Anders als § 135 SGB VII (vgl. Senatsurteil
vom 19. Mai 2009 - VI ZR 56/08, BGHZ 181, 160 Rn. 13) hat die Bestimmung
des § 133 Abs. 2 SGB VII ein Vorbild in der Reichsversicherungsordnung. Sie
entspricht im Wesentlichen dem mit Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz
vom 30. April 1963 (BGBl. I S. 241) geschaffenen § 648 RVO, wonach eine Be-
rufsgenossenschaft Arbeitsunfälle bei Tätigkeit in einem Unternehmen, das für
Rechnung eines ihr nicht angehörigen Unternehmers geht, dann zu entschädi-
gen hat, wenn ein ihr angehöriger Unternehmer den Auftrag gegeben und das
Entgelt zu zahlen hat (vgl. BT-Drucks. 13/2204, S. 108). Trotz dieser Regelung
bestand unter der Geltung der Reichsversicherungsordnung kein Zweifel daran,
dass ein Arbeitsunfall haftungsrechtlich dem Unternehmen des Entleihers zu-
geordnet werden konnte und diesem deshalb das Haftungsprivileg des § 636
Abs. 1 RVO zugute kam. Dies ergab sich bereits aus der ausdrücklichen ge-
setzlichen Regelung in § 636 Abs. 2 RVO, durch die klargestellt werden sollte,
dass der grundsätzliche Ausschluss der Haftung des Unternehmers gemäß
§ 636 Abs. 1 RVO auch für den Entleiher im Verhältnis zu dem für ihn tätigen
Leiharbeitnehmer gilt (BT-Drucks. 3/758 S. 60; vgl. BAGE 42, 194, 200). Diesen
Rechtszustand wollte der Gesetzgeber mit dem Erlass des Sozialgesetzbuchs
VII nicht ändern. Ausweislich der Gesetzesbegründung ist er davon ausgegan-
gen, dass dem Entleiher die Haftungsprivilegierung auch nach neuem Recht
zugute kommt. Wegen des vermeintlich klaren Wortlauts des § 104 Abs. 1
Satz 1 SGB VII - "Versicherte, die für ihre Unternehmen tätig sind" - hat er eine
besondere Regelung für Leiharbeitnehmer für entbehrlich gehalten (BT-Drucks.
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13/2204 S. 100; vgl. Lemcke, r+s 2009, 391, 392; Kampen, NJW 2010, 2311,
2315; Ricke, NZS 2011, 454, 457; von Koppenfels-Spies, SGb 2013, 373, 378;
Burmann/Jahnke, NZV 2014, 5, 10).
Auch steht der Schutzzweck des § 133 Abs. 2 SGB VII, insbesondere für
Leiharbeitnehmer ständig wechselnde Zuständigkeiten zu verhindern (Lemcke,
r+s 2013, 411, 412; Köhler in Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, 4. Aufl., § 133
Rn. 5), in keinem Bezug zu Sinn und Zweck der Haftungsprivilegierung. Diese
dient zunächst als Ausgleich für die allein von dem Unternehmer getragene Bei-
tragslast. Darüber hinaus bezweckt sie die Wahrung des Betriebsfriedens, in-
dem Streitigkeiten über die Unfallverantwortung vermieden werden (vgl. Se-
natsurteile vom 16. Januar 1953 - VI ZR 161/52, BGHZ 8, 330, 338; vom
24. Januar 2006 - VI ZR 290/04, BGHZ 166, 42 Rn. 11; vom 16. Dezember
2003 - VI ZR 103/03, BGHZ 157, 213, 218, jeweils mwN; BVerfGE 34, 118,
129 f., 132). Schließlich soll sie auch dem Umstand Rechnung tragen, dass die
Betriebsgemeinschaft eine Gefahrengemeinschaft darstellt (vgl. BVerfGE 34,
118, 136; Ricke in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 104
SGB VII Rn. 2 [Stand: Dezember 2011]; Hollo in jurisPK-SGB VII, 2. Aufl., § 104
Rn. 9; von Koppenfels-Spies, SGb 2013, 373, 377).
Diese Schutzzwecke würden im Fall der Arbeitnehmerüberlassung weit-
gehend verfehlt, wenn eine Haftungsprivilegierung des Entleihers verneint wür-
de. Denn bei Arbeitsunfällen von Leiharbeitnehmern kommt eine Haftung der
Verleiher unabhängig von einer Haftungsbeschränkung typischerweise nur
selten in Betracht (vgl. Thüsing, AÜG, 3. Aufl., Einf. Rn. 78; Schüren in
ders./Hamann, AÜG, 4. Aufl., Einl. Rn. 758). Demgegenüber wären die Entlei-
her auf Grund der sie treffenden Fürsorgepflicht (vgl. BAGE 25, 514, 522; BAG,
NZA 1989, 340, 341; NZA-RR 2010, 123 Rn. 43 f.) - insbesondere der Pflicht,
die Arbeit in den Unternehmen durch Beachtung der Unfallverhütungsvorschrif-
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ten unfallsicher auszugestalten (vgl. bereits BT-Drucks. 3/758 S. 60) - und infol-
ge der Eingliederung der Leiharbeitnehmer in ihr Unternehmen (vgl. BAGE 25,
514, 520; 77, 102, 110; 144, 222 Rn. 13) bei einer Verneinung der Haftungsbe-
schränkung einem erheblichen Haftungsrisiko ausgesetzt. Es steht in Einklang
mit den Schutzzwecken des Haftungsprivilegs, dieses Risiko als durch die für
die Leiharbeitnehmer gezahlten Unfallversicherungsbeiträge abgelöst anzuse-
hen (vgl. bereits BT-Drucks. 3/758 S. 60).
(cc) Dem steht nicht entgegen, dass der Entleiher die Beiträge regelmä-
ßig nicht selbst an die zuständige Berufsgenossenschaft abführt, weil der Ver-
leiher Beitragsschuldner ist (Schmitt, SGB VII, 4. Aufl., § 150 Rn. 11; Schlaeger
in BeckOK SozR, § 150 SGB VII Rn. 7 [Stand: Juni 2014]). In den praktisch be-
deutsamen Fällen der entgeltlichen Arbeitnehmerüberlassung wird der Verleiher
die Beiträge bei der Kalkulation des Entgelts berücksichtigen und an den Ent-
leiher weiterreichen (vgl. Senatsurteil vom 16. Januar 1953 - VI ZR 161/52,
BGHZ 8, 330, 333; Lehmacher, r+s-Beil. 2011, 79, 81). Darüber hinaus haftet
der Entleiher dem Unfallversicherungsträger gegenüber wie ein selbstschuldne-
rischer Bürge (§ 150 Abs. 3 Satz 1 SGB VII i.V.m. § 28e Abs. 2 Satz 1 SGB IV).
Die Loslösung des Haftungsprivilegs von der Beitragspflicht ist im Übrigen eine
Folge der Aufspaltung der Arbeitgeber-Stellung, die für die spezielle Situation
der Leiharbeitnehmer kennzeichnend ist (vgl. BAGE 144, 340 Rn. 26).
Vor diesem Hintergrund ist ein hinreichender Sachgrund dafür, Arbeits-
unfälle von Leiharbeitnehmern im Verhältnis zum Entleiher haftungsrechtlich
anders zu behandeln als Arbeitsunfälle der in gleicher Gefahrenlage arbeiten-
den eigenen Arbeitnehmer des Entleihers, nicht zu erkennen (so bereits RGZ
171, 393, 398 und Senatsurteil vom 16. Januar 1953 - VI ZR 161/52, aaO).
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(c) R. war zum Unfallzeitpunkt als Versicherter gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1
SGB VII für die Streithelferin tätig. Er war als ein ihr überlassener Leiharbeit-
nehmer gemeinsam mit eigenen Arbeitnehmern der Streithelferin auf einer
Baustelle der Streithelferin eingesetzt und damit wie ein Beschäftigter der
Streithelferin tätig (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Für die Beantwortung der Frage,
ob der Geschädigte wie ein Beschäftigter im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB
VII tätig geworden ist, ist entscheidend, ob er Aufgaben des anderen Unter-
nehmens wahrgenommen hat und die Aufgaben seiner Tätigkeit bei wertender
Betrachtung der Einzelfallumstände auch das Gepräge gegeben haben (Se-
natsurteil vom 23. März 2004 - VI ZR 160/03, VersR 2004, 1045, 1046 f.; BAG,
NZA-RR 2010, 123 Rn. 35). Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn ein dem
Entleiher zur Arbeitsleistung überlassener Arbeitnehmer im Unternehmen des
Entleihers eingesetzt wird (vgl. BSGE 98, 285 Rn. 17; OLG Jena r+s 2010, 533;
LAG Berlin-Brandenburg, r+s 2014, 48; Krasney in Becker/Burchardt/ders./
Kruschinsky, Gesetzliche Unfallversicherung, § 104 Rn. 11; Schmitt, SGB VII,
4. Aufl., § 104 Rn. 8; Waltermann in Eichenhofer/Wenner, SGB VII, § 104
Rn. 10; Grüner in Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, 4. Aufl., § 104 Rn. 11 f.;
Hollo in jurisPK-SGB VII, 2. Aufl., § 104 Rn. 25; Schüren in ders./Hamann,
AÜG, 4. Aufl., Einl. Rn. 756; Thüsing, AÜG, 3. Aufl., Einf. Rn. 77; Geigel/
Wellner, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl., Kap. 31 Rn. 81; Lepa, Haftungs-
beschränkungen bei Personenschäden nach dem Unfallversicherungsrecht,
S. 154 f.). Die von dem Leiharbeitnehmer wahrgenommenen Aufgaben werden
nämlich - anders als bei einem Dienst- oder Werkvertrag - nicht aufgrund des
Arbeitnehmerüberlassungsvertrags von dem Verleiher übernommen. Dessen
Verpflichtung beschränkt sich vielmehr darauf, dem Entleiher Arbeitskräfte zur
Verfügung zu stellen, die dieser nach seinen Vorstellungen und Zielen in sei-
nem Betrieb wie eigene Arbeitnehmer einsetzt (BAGE 77, 102, 110 f.; 87, 186,
189; 96, 150, 153).
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cc) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts wird die durch die
sozialversicherungsrechtliche Haftungsprivilegierung der Streithelferin bewirkte
Störung des Gesamtschuldverhältnisses nicht dadurch "ausgeglichen", dass
der Klägerin ein Rückgriffsanspruch aus eigenem Recht gemäß § 110 Abs. 1
SGB VII gegen die Streithelferin zusteht. Denn aufgrund der Haftungsprivilegie-
rung der Streithelferin ist der mit der Klage geltend gemachte Anspruch des
Geschädigten R. gegen die außerhalb des Sozialversicherungsverhältnisses
stehenden Zweitschädiger, die Beklagten, von vornherein auf das beschränkt,
was auf diese im Innenverhältnis endgültig entfiele, wenn die Schadensvertei-
lung nach § 426 BGB nicht durch die Regelung des § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB
VII gestört wäre (vgl. Senatsurteil vom 12. Juni 1973 - VI ZR 163/71, BGHZ 61,
51, 55). Der Anspruch konnte auch nur in diesem beschränkten Umfang gemäß
§ 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X auf die Klägerin übergehen. Die Anspruchsbe-
schränkung ist durch den Anspruchsübergang nicht wieder entfallen; der Gläu-
bigerwechsel verändert den Inhalt des übergegangenen Anspruchs nämlich
nicht (vgl. §§ 412, 404 BGB).
4. Das Berufungsurteil war deshalb aufzuheben und die Sache zur neuen
Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen,
damit es die erforderlichen Feststellungen treffen kann (§ 562 Abs. 1, § 563
Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird insbesondere zu bewerten ha-
ben, wie groß der "Verantwortungsteil" der Streithelferin einerseits sowie der
Beklagten und möglicher weiterer nicht privilegiert haftender Gesamtschuldner
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andererseits ist. Dabei hat es Gelegenheit, sich auch mit den weiteren im Revi-
sionsverfahren erhobenen Einwendungen der Beteiligten auseinanderzusetzen.
Galke
Wellner
Stöhr
von Pentz
Oehler
Vorinstanzen:
LG Erfurt, Entscheidung vom 06.01.2012 - 3 O 1182/10 -
OLG Jena, Entscheidung vom 09.01.2013 - 7 U 90/12 -