Urteil des BGH vom 14.10.2014

Leitsatzentscheidung zu Wesentlicher Punkt, Juristische Person, Garantenstellung, Dolus Eventualis, Sittliche Pflicht

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 466/13
Verkündet am:
14. Oktober 2014
Böhringer-Mangold
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 823 Abs. 2 A, § 263 Abs. 1; StGB § 13
Eine Garantenstellung des Schädigers, die es rechtfertigt, das Unterlassen der
Erfolgsabwendung dem Herbeiführen des Erfolgs gleichzustellen, ist nach den
Umständen des konkreten Einzelfalles auf der Grundlage einer Abwägung der
Interessenlage und der Bestimmung des konkreten Verantwortungsbereichs der
Beteiligten zu bestimmen. Dies gilt in besonderem Maße, wenn die Garanten-
stellung aus einer rechtlichen Sonderbeziehung hergeleitet werden soll.
BGH, Urteil vom 14. Oktober 2014 - VI ZR 466/13 - Hanseatisches OLG Hamburg
LG Hamburg
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 14. Oktober 2014 durch den Vorsitzenden Richter Galke, die Richterin
Diederichsen, den Richter Pauge, die Richterin von Pentz und den Richter
Offenloch
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 13. Zivilsenats
des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 14. Oktober 2013
aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurück-
verwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger macht gegen die Beklagte, eine Aktiengesellschaft nach tür-
kischem Recht, deliktische Schadensersatzansprüche wegen des Erwerbs von
Unternehmensanteilen geltend.
Die Beklagte wurde im Jahr 1998 gegründet und gehört zu den Unter-
nehmen der K. -Gruppe. Am 1. Oktober 1999 erwarb der Kläger gegen
Zahlung von 31.050 DM in bar einen Zeichnungsschein, für den er in der Folge
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Aktien der Beklagten erhielt. Am 28. Dezember 2009 kündigte der Kläger mit
Schreiben seines Prozessbevollmächtigten die Geldanlage und forderte von der
Beklagten die Rückzahlung des angelegten Betrags bis zum 8. Oktober 2010.
Sein Begehren blieb erfolglos.
Der Kläger behauptet, bei Zeichnung der Anlage habe der Zeuge S. ihm
gegenüber erklärt, dass er sein Geld auf Anforderung binnen einer Frist von
drei Monaten jederzeit zurückerhalten werde. Darüber, dass es sich um eine
Unternehmensbeteiligung handle, bei der durch die Verwirklichung unternehme-
rischer Risiken das angelegte Kapital auch verloren gehen könne, habe ihn der
Zeuge S. nicht aufgeklärt. Die von ihm erworbenen Anteile seien wertlos, da
von Anfang an de facto kein offener Markt bestanden habe und sich eine Rück-
kaufverpflichtung der Beklagten weder aus dem deutschen noch aus dem türki-
schen Aktienrecht ergebe. Die Beklagte hafte für die falschen und unzureichen-
den Erklärungen des Zeugen S.
Das Landgericht hat ein dem Klageantrag entsprechendes Versäumnis-
urteil gegen die Beklagte erlassen. Die Beklagte hat dagegen Einspruch einge-
legt. Das Versäumnisurteil hat das Landgericht mit der Maßgabe aufrecht erhal-
ten, dass die Beklagte verpflichtet ist, den ausgeurteilten Betrag Zug-um-Zug
gegen Rückgabe der Anteilsscheine an der Beklagten durch den Kläger zu zah-
len. Die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr
Begehren auf Klageabweisung weiter.
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Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hat die internationale Zuständigkeit deutscher Ge-
richte für deliktische Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte angenommen
und unter Anwendung deutschen Rechts dem Kläger einen Anspruch gegen die
Beklagte auf Schadensersatz gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1,
§ 13 Abs. 1, § 25 Abs. 1 Fall 2, § 26 StGB, §§ 31, 830 Abs. 2 BGB zugebilligt
und dies - wie folgt - begründet:
Die Beklagte habe es trotz einer sie treffenden Garantenpflicht im Sinne
des § 13 StGB unterlassen, den Kläger darüber aufzuklären, dass ihm tatsäch-
lich kein Recht im Sinne eines durchsetzbaren Anspruches zustehe, die Rück-
zahlung seines Anlagebetrages gegen Rückgabe der erworbenen Aktien binnen
drei Monaten zu fordern, sondern vielmehr die Rückgewähr des Anlagebetra-
ges davon abhänge, dass ein Verkauf der vom Kläger erworbenen Papiere an
einen anderen Interessenten oder auch ein Tochterunternehmen der Beklagten
gelinge. Die Zusage an den Kläger sei aufgrund der Angaben des Zeugen S.
erwiesen. Der Zeuge S. habe auf dem Formular (Anlage K 1), mit dem die Zah-
lung des Klägers quittiert worden sei, seine Unterschrift identifiziert und im Üb-
rigen glaubhaft ausgeführt, dass gerade die Frage der Rückgabemöglichkeit in
allen Beratungsgesprächen ein wesentlicher Punkt gewesen sei. Dies werde
auch durch den Inhalt des Rundschreibens des Vorstandsvorsitzenden B.
("Sehr geehrtes Mitglied") bestätigt, unter dessen Ziffer 15 diese Zusage als
"sehr wichtig" hervorgehoben sei. Die Beklagte habe aufgrund einer Garanten-
stellung gemäß § 13 StGB, die sich aus dem zwischen ihr und dem Kläger be-
stehenden (vor-)vertraglich begründeten Vertrauensverhältnis ableite, den Klä-
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ger darauf hinweisen müssen, dass er den Anlagebetrag nur dann kurzfristig
zurückerhalten könne, wenn die von ihm erworbenen Papiere weiter veräußert
werden könnten. Das Unterlassen der gebotenen Aufklärung stehe einer aus-
drücklichen Täuschung über eine Tatsache im Sinne des § 13 StGB gleich. Der
Kläger sei aufgrund der Nichtaufklärung einem Irrtum über die Rückgabemög-
lichkeit unterlegen. Er habe durch den irrtumsbedingten Abschluss des (Kauf-)
Vertrages über sein Vermögen verfügt. Hierdurch sei ihm ein Vermögensscha-
den im Sinne des § 263 StGB entstanden. Schon die Belastung des Klägers mit
der für seine Zwecke ungeeigneten Anlage stelle sich aufgrund des sog. "indivi-
duellen Schadenseinschlags" als Vermögensschaden im Sinne des § 263 StGB
und damit zugleich des § 249 BGB dar. Die verantwortlichen Personen der Be-
klagten hätten zumindest mit dolus eventualis gehandelt. Der Vorstandsvorsit-
zende B. habe gewollt, dass die im Vertrieb tätigen Mitarbeiter den Anlegern
vorspiegelten, dass eine verbindliche Zusage der Rückzahlung des Anlagebe-
trages binnen drei Monaten nach Anforderung bestehe. Der Zeuge S. habe in
einer Parallelsache mit dem Aktenzeichen 319 O 208/07 vor dem Landgericht
H. glaubhaft ausgesagt, es sei Arbeitsweise der Beklagten gewesen, dass
sämtliche Mitarbeiter, mit denen er Kontakt gehabt habe, zu diesem in allen
Beratungsgesprächen mit Anlegern wesentlichen Punkt gesagt hätten, dass die
Kunden ihr Geld binnen drei Monaten wiederbekommen würden. Dies sei ihm
von den bei der Beklagten für die Anleger zuständigen Mitarbeitern D. und C.
erklärt worden. Es habe eine schriftliche Beteiligungsübersicht gegeben, in der
ebenfalls "dringestanden habe, dass man das Geld binnen drei Monaten wie-
derbekomme, das sei für die Interessenten der wichtigste Paragraph gewesen".
Der Täuschungsvorsatz des Vorstandsvorsitzenden B. folge auch aus dem Ge-
schäftsmodell der K. -Gruppe, das unstreitig darin bestanden habe,
vereinnahmte Gelder in Unternehmen zu investieren. Es sei schlicht wirtschaft-
lich nicht vorstellbar, dass Investitionen in Firmen verschiedenster Art binnen
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drei Monaten liquidierbar sein könnten. Der Zeuge S. sei satzungsmäßiger Ver-
treter der Beklagten gewesen, da ihm aufgrund mündlicher Beauftragung der
Vertrieb der Aktien der Beklagten in dem Ortsraum H. oblegen habe. Im Übri-
gen könne dahinstehen, ob dem Zeugen S. die Täuschung bewusst oder er
seinerseits gutgläubig gewesen sei. Im erstgenannten Falle ergebe sich die
Haftung der Beklagten wegen Anstiftung im Sinne des § 26 StGB i.V.m. §§ 31,
830 Abs. 2 BGB, im anderen Fall sei B. mittelbarer Täter kraft überlegenen
Wissens gewesen, was sich die Beklagte zurechnen lassen müsse.
II.
Die Revision ist begründet.
1. Die Revision wendet sich nicht dagegen, dass das Berufungsgericht in
Übereinstimmung mit dem Landgericht die Verjährungseinrede der Beklagten
zurückgewiesen hat. Dagegen ist auch von Rechts wegen nichts zu erinnern.
2. Mit Recht rügt die Revision allerdings durchgreifende Rechtsfehler
hinsichtlich der dem Berufungsurteil zugrunde liegenden Feststellungen (§ 286
ZPO).
a) Nach § 286 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesam-
ten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer Beweisaufnahme
nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für
wahr oder für nicht wahr zu erachten ist. Diese Würdigung ist grundsätzlich Sa-
che des Tatrichters. An dessen Feststellungen ist das Revisionsgericht nach
§ 559 ZPO gebunden. Revisionsrechtlich ist lediglich zu überprüfen, ob sich der
Tatrichter mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und
widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung also vollständig und
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rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze ver-
stößt (vgl. Senatsurteil vom 20. Dezember 2011 - VI ZR 309/10, VersR 2012,
454 Rn. 13 mwN). Derartige Rechtsfehler sind vorliegend gegeben.
b) Das Berufungsgericht hat seine Überzeugung davon, dass dem Kläger
die Rückzahlung des Anlagekapitals durch die Beklagte nach einer Kündigung
von drei Monaten zugesagt worden sei, ohne ihn darüber aufzuklären, dass
hiermit nur die Möglichkeit einer Verwertung der Anlage über einen Weiterver-
kauf gemeint sei, entscheidend auf die Angaben des Zeugen S. und den Inhalt
eines Rundschreibens des Vorstandsvorsitzenden B. gestützt. Der Zeuge S.
habe seine Unterschrift auf dem Formular K 1, mit dem die Zahlung des Klägers
quittiert worden sei, identifiziert und glaubhaft ausgeführt, dass gerade die Fra-
ge der Rückgabemöglichkeit in allen Beratungsgesprächen ein wesentlicher
Punkt gewesen sei, was durch den Inhalt des Rundschreibens des Vorstands-
vorsitzenden B. ("Sehr geehrtes Mitglied") bestätigt werde, unter dessen Ziffer
15 gerade diese Zusage als "sehr wichtig" hervorgehoben worden sei.
aa) Hierzu rügt die Revision mit Recht, dass die Aussage des Zeugen S.
nicht im vorliegenden Verfahren, sondern in einem Parallelverfahren vor dem
Landgericht (Az.: 319 O 208/07) getätigt worden ist und die Bekundung des
Zeugen S., dass er die Anlage K 1 unterzeichnet hat, nur das dortige Verfahren
und nicht den Streitfall betrifft. Dem Zeugen S. wurde eine Beteiligungsüber-
sicht, die den Anteilserwerb des Klägers ausweist, im Streitfall nicht vorgehal-
ten. Zutreffend weist die Revision außerdem darauf hin, dass der Aussage des
Zeugen S. im Parallelverfahren (319 O 208/07) nichts dafür zu entnehmen ist,
dass überhaupt ein Gespräch zwischen dem Kläger und dem Zeugen S. an-
lässlich des Erwerbs der Anteile geführt worden ist.
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bb) Das Berufungsgericht hat außerdem erheblichen Beklagtenvortrag
nicht hinreichend berücksichtigt (Art. 103 Abs. 1 GG). Dies rügt die Revision mit
Recht.
Zwar haben die Parteien in der mündlichen Verhandlung vor dem Land-
gericht ihr Einverständnis mit der Verwertung der Aussage des Zeugen S. im
Parallelverfahren erklärt, doch hat die Beklagte bereits im Schriftsatz vom
21. Dezember 2011 innerhalb gesetzter Schriftsatzfrist vor dem Landgericht
vorgetragen, dass der Erwerb des Zeichnungsscheins und der Anteile der Be-
klagten jedenfalls nicht über den Zeugen S. gelaufen ist. Dem hätte bereits das
Landgericht nachgehen müssen. In der Berufungsbegründung hat die Beklagte
ergänzend vorgetragen, dass Aktien der K. A.S. über Herrn
A. und nicht über Herrn S. an den Kläger veräußert worden seien. Der Zeuge S.
habe zum Zeitpunkt des Erwerbs der Anteile nicht für die Beklagte, sondern für
die K. A.S., eine weitere Gesellschaft der K. Grup-
pe, gearbeitet. Die Anteile seien nicht von der Beklagten, sondern von der
K. A.S. über den Zeugen A. veräußert worden. Zum Beweis
hierfür legte die Beklagte die Kopie einer Quittung vom 1. Oktober 1999 der
K. A.S. über den Anlagebetrag vor. Für den Vortrag der Be-
klagten spricht außerdem, dass der Kläger am 1. Oktober 1999 nicht Anteile an
der Beklagten erwarb, sondern einen Zeichnungsschein der K. -
A.S., aufgrund dessen ihm in der Folgezeit erst Anteile an der Beklagten
zugewiesen worden sind.
Der Vortrag der Beklagten war erheblich. Arbeitete der Zeuge S. nicht für
die Beklagte, kann die Beklagte nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen
Begründung für das Auftreten des Zeugen S. in Haftung genommen werden,
auch wenn der Zeuge S. unzutreffende Erklärungen über die Kündigungsmög-
lichkeit der Anlage und die Rückzahlung des Anlagebetrags abgegeben hätte.
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3. Durchgreifende Bedenken bestehen auch gegen die rechtliche Beur-
teilung des Berufungsgerichts, die Beklagte sei aufgrund einer Garantenstellung
gegenüber dem Kläger zur Aufklärung verpflichtet gewesen. Sie hafte wegen
Verletzung einer Aufklärungspflicht aus einem vorvertraglichen Vertrauensver-
hältnis auf Schadensersatz wegen Betrugs.
a) Dem Handeln im Sinne eines positiven Tuns steht ein Unterlassen nur
gleich, sofern eine Rechtspflicht zum Handeln bestand (vgl. BGH, Urteile vom
14. Februar 1978 - X ZR 19/76, BGHZ 71, 86, 93; vom 5. Februar 1992
- IV ZR 94/91, VersR 1992, 487, 488; NK-BGB/Katzenmeier, 2. Aufl., § 823
Rn. 4). Bei den unechten Unterlassungsdelikten muss ein besonderer Rechts-
grund festgestellt werden, wenn jemand ausnahmsweise dafür verantwortlich
gemacht werden soll, dass er es unterlassen hat, zum Schutz fremder Rechts-
güter aktiv zu werden. Der Täter muss rechtlich verpflichtet sein, den delikti-
schen Erfolg abzuwenden, also eine Garantenstellung innehaben (vgl. Senats-
urteil vom 10. Juli 2012 - VI ZR 341/10, BGHZ 194, 26 Rn. 18; BGH, Urteile
vom 25. Juli 2000 - 1 StR 162/00, NJW 2000, 3013, 3014 mwN; vom
12. Januar 2010 - 1 StR 272/09, NJW 2010, 1087 Rn. 57). Eine sittliche Pflicht
oder die bloße Möglichkeit, den Erfolg zu verhindern, genügen nicht (vgl.
Senatsurteil vom 10. Juli 2012 - VI ZR 341/10, aaO; BGH, Urteil vom
24. Februar 1982 - 3 StR 34/82, BGHSt 30, 391, 394; BVerfG, NJW 2003,
1030). Ob eine solche Garantenstellung besteht, die es rechtfertigt, das Unter-
lassen der Erfolgsabwendung dem Herbeiführen des Erfolgs gleichzustellen, ist
nicht nach abstrakten Maßstäben zu bestimmen. Vielmehr hängt die Entschei-
dung von den Umständen des konkreten Einzelfalles ab; dabei bedarf es einer
Abwägung der Interessenlage und der Bestimmung des konkreten Verant-
wortungsbereichs der Beteiligten (vgl. BGH, Urteile vom 25. Juli 2000
- 1 StR 162/00, aaO; vom 12. Januar 2010 - 1 StR 272/09, aaO Rn. 58; vom
17. Juli 2009 - 5 StR 394/08, BGHSt 54, 44 Rn. 23 ff.; Stree/Bosch in
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Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 13 Rn. 14). Dies gilt in besonderem Ma-
ße, wenn die Garantenstellung aus einer rechtlichen Sonderbeziehung hergelei-
tet werden soll.
b) Vor diesem Hintergrund wendet sich die Revision mit Erfolg gegen die
Beurteilung des Berufungsgerichts, die Beklagte sei aufgrund eines vorvertrag-
lichen Vertrauensverhältnisses deliktsrechtlich verpflichtet gewesen, den Kläger
vor Erwerb der Aktien darüber aufzuklären, dass die Papiere nicht jederzeit ge-
gen Rückzahlung des Kapitals von ihr zurückgenommen würden. Eine Garan-
tenstellung der Beklagten, die sie verpflichtet hätte, den Kläger in der vom Beru-
fungsgericht angenommenen Weise aufzuklären, ist nach den Umständen des
Streitfalls nicht gegeben. Der bloße Ankauf eines Zeichnungsscheins, der zur
Übernahme von Aktien der Beklagten durch den Kläger berechtigte, vermag ein
besonderes Vertrauensverhältnis zur Beklagten, aufgrund dessen diese delikts-
rechtlich gehalten gewesen wäre, dem Kläger eine besondere Aufklärung über
die Risiken der Anlage zu erteilen, nicht zu begründen.
c) Eine Aufklärungspflicht der Beklagten lässt sich entgegen der Auffas-
sung des Berufungsgerichts auch nicht daraus herleiten, dass der Vorstands-
vorsitzende B. der Beklagten in einem Rundschreiben vor dem Jahr 1999 be-
tont habe, dass man selbstverständlich "sofort zahlen" werde. Unabhängig da-
von, dass für die rechtliche Beurteilung die Feststellung des genauen Inhalts
und Adressatenkreises des Schreibens unverzichtbar sind (vgl. hierzu Senats-
urteil vom 6. Juni 2013 - VI ZR 293/12, juris Rn. 19 ff.), kann auch auf die Fest-
stellung des Zeitpunktes, wann und in welcher Funktion B. das Rundschreiben
verfasst und veröffentlicht hat, nicht verzichtet werden, zumal die Beklagte erst
im Jahr 1998 gegründet worden ist. Darauf weist die Revision mit Recht hin.
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Die in § 31 BGB normierte haftungsrechtliche Zurechnung knüpft an die
Fähigkeit des Organs an, für die juristische Person zu handeln (vgl. Senatsurtei-
le vom 13. Januar 1987 - VI ZR 303/85, BGHZ 99, 298, 299 f.; vom 8. Juli 1986
- VI ZR 47/85, BGHZ 98, 148, 151 und vom 14. Januar 2014 - VI ZR 469/12,
juris Rn. 10). Die Einstandspflicht der juristischen Person setzt deshalb voraus,
dass das Organ in dem ihm zugewiesenen Wirkungskreis auftrat (vgl. Senatsur-
teile vom 5. Dezember 1958 - VI ZR 114/57, WM 1959, 80, 81; vom 20. Februar
1979 - VI ZR 256/77, VersR 1979, 523, 524; vom 8. Juli 1986 - VI ZR 47/85,
aaO, 151 f.; vom 13. Januar 1987 - VI ZR 303/85, aaO, 300 und vom 14. Janu-
ar 2014 - VI ZR 469/12, aaO). Für ein zum Schadensersatz verpflichtendes
Verhalten des B. müsste die Beklagte nur insoweit einstehen, als B. als ihr Or-
gan gehandelt hat. Das kann nur in der Zeit nach ihrer Gründung der Fall ge-
wesen sein. Da die Beklagte erst im Jahre 1998 gegründet wurde, haftete sie
nicht für den Inhalt eines zeitlich davor veröffentlichten Schreibens des B. Auch
käme eine Haftung nicht in Betracht, wenn der Vorstandsvorsitzende B. für eine
andere juristische Person gehandelt hätte, die zum selben Konzern gehört.
Umstände, aufgrund derer sich die Beklagte Erklärungen des B. außerhalb sei-
ner Funktion als ihr Vorstandsvorsitzender zurechnen lassen müsste, hat das
Berufungsgericht nicht festgestellt.
III.
Nach alledem ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur
neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuver-
weisen. Dabei wird das Berufungsgericht gegebenenfalls dem in der Revision
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gebrachten Vortrag zur Frage eines Vermögensschadens des Klägers nachzu-
gehen haben.
Galke
Diederichsen
Pauge
von Pentz
Offenloch
Vorinstanzen:
LG Hamburg, Entscheidung vom 13.03.2012 - 319 O 18/10 -
OLG Hamburg, Entscheidung vom 14.10.2013 - 13 U 27/13 -