Urteil des BGH vom 08.12.2015

Leitsatzentscheidung zu Haftpflichtversicherer, Meinungsaustausch, Behandlungskosten, Arbeitsunfall

ECLI:DE:BGH:2015:081215UVIZR37.15.0
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 37/15
Verkündet am:
8. Dezember 2015
Böhringer-Mangold
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
SGB VII §§ 110, 111, 113 Satz 1
Zur Frage der Verjährung im Sinne des § 113 Satz 1 SGB VII von (Regress-)
Ansprüchen der Sozialversicherungsträger nach den §§ 110 und 111 SGB VII.
nur
BGH, Urteil vom 8. Dezember 2015 - VI ZR 37/15 - OLG Brandenburg
LG Cottbus
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 8. Dezember 2015 durch den Vorsitzenden Richter Galke, die Richter
Wellner und Stöhr sowie die Richterinnen Dr. Oehler und Dr. Roloff
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des Brandenbur-
gischen Oberlandesgerichts vom 9. Dezember 2014 wird auf Kos-
ten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin, eine Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung, nimmt
die Beklagte gemäß § 110 Abs. 1, § 111 Satz 1 SGB VII auf Ersatz von Auf-
wendungen für einen Arbeitsunfall ihrer Versicherten D. und H. in Anspruch, die
bei der Beklagten beschäftigt waren.
Die Beklagte war damit beauftragt, an einem Einkaufszentrum Zimmer-
mannsarbeiten auszuführen, wozu auch die Montage von Holzbindern gehörte,
die von der Auftraggeberin der Beklagten vorgefertigt worden waren. Am 30.
August 2005 kippten auf der Baustelle mehrere der bereits aufgestellten, aber
noch nicht befestigten Binder um. Hierbei stürzten die beiden Versicherten D.
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und H. etwa fünf Meter in die Tiefe. Der Versicherte D. wurde vom 30. August
bis zum 1. September 2005 stationär behandelt. Im September 2005 informierte
die Klägerin die Geschädigten schriftlich darüber, dass ein Arbeitsunfall vorliege
und sie daher Leistungen zu erbringen habe. Die Behandlungskosten für D.
wurden von der Klägerin noch im Jahr 2005 gezahlt. Im Oktober 2005 wurde an
den Versicherten H., der wesentlich schwerer verletzt war, aufgrund eines ent-
sprechenden Bescheids Verletztengeld gezahlt. Mit Bescheid vom 28. August
2007 bewilligte ihm die Klägerin schließlich eine Rente auf unbestimmte Zeit.
Bereits am 18. Januar 2006 war in der Rechtsabteilung der Klägerin ein
Bericht über eine von ihr durchgeführte Untersuchung des Unfalls eingegangen.
Nachdem der Haftpflichtversicherer der Auftraggeberin der Beklagten wegen
des Einsturzes der Binder eine Schadensersatzklage gegen die Beklagte erho-
ben hatte, wandte sich mit Schreiben vom 19. November 2007 auch die Kläge-
rin an die Beklagte. Sie teilte ihr mit, sie habe zu prüfen, ob Schadensersatzan-
sprüche geltend gemacht werden können, und bat um Mitteilung des Haft-
pflichtversicherers der Beklagten. In einem am folgenden Tag geführten Telefo-
nat äußerte der Geschäftsführer der Beklagten gegenüber einem Mitarbeiter
der Klägerin, das (gerichtliche) Verfahren solle abgewartet werden; die Versi-
cherung werde eventuell später mitgeteilt. Mit Schreiben vom 2. Februar 2010
erklärte der Haftpflichtversicherer der Beklagten gegenüber der Deutschen
Rentenversicherung Berlin-Brandenburg, bezüglich des Schadens vom 30. Au-
gust 2005 würden keine Einwendungen zum Haftungsgrund erhoben. Mit
Schreiben vom 8. März 2010 verzichtete der Haftpflichtversicherer gegenüber
dem Rentenversicherer bis zum 31. Dezember 2012 auf die Einrede der Verjäh-
rung.
Mit ihrer am 7. Oktober 2010 beim Landgericht eingegangenen Klage
verlangt die Klägerin von der Beklagten Ersatz der für den Versicherten D. ge-
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zahlten Behandlungskosten in Höhe von zuletzt 1.162
,32 €, Ersatz von Auf-
wendungen für den Versicherten H. in Höhe von 132.009,54 € und die Feststel-
lung, dass die Beklagte zum Ersatz sämtlicher weiterer Aufwendungen aus dem
Schadensereignis verpflichtet ist. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung
erhoben. Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit ihrer vom Beru-
fungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht, dessen Urteil in juris veröffentlicht ist (Branden-
burgisches OLG, Urteil vom 9. Dezember 2014 - 3 U 48/13), hat nach § 113
Satz 1 SGB VII einen etwaigen Anspruch als verjährt angesehen. Die bindende
Feststellung der Leistungspflicht als Voraussetzung für den Verjährungsbeginn
könne durch einen konkludenten Verwaltungsakt getroffen werden, der bereits
in der Gewährung unfallversicherungsrechtlicher Einzelleistungen liegen könne.
Auch die bewusst in der Annahme eines Versicherungsfalls vorgenommene
Leistungsgewährung durch schlichtes Verwaltungshandeln sei ausreichend.
Danach sei die Leistungspflicht der Klägerin hinsichtlich beider Geschädigten
noch im Jahr 2005 bindend festgestellt worden, indem die Klägerin Verletzten-
geld an den Geschädigten H. ausgezahlt und dem Geschädigten D. durch die
Übernahme der Behandlungskosten Leistungen gewährt habe. Die Kenntnis
der Klägerin von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des
Schuldners, die weitere Voraussetzung für den Verjährungsbeginn sei, habe mit
Eingang des Unfallberichts in der Regressabteilung am 18. Januar 2006 vorge-
legen. In dem Bericht werde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass organisato-
rische Ursachen im Verantwortungsbereich der Beklagten als unfallursächlich in
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Betracht kämen, so etwa die fehlende Unterweisung der Beschäftigten, die
mangelnde Standsicherheit der Binder durch fehlende Verankerung oder der
Umstand, dass kein Aufsichtsführer bestellt worden sei, der die Arbeiten wäh-
rend der Abwesenheit des Geschäftsführers der Beklagten überwacht habe.
Damit seien in dem Bericht bereits alle wesentlichen Umstände aufgeführt, auf
die die Klägerin selbst ihre Regressansprüche stütze. Dass nach dem Bericht
auch technische Fehler der Binder als Verursachungsbeitrag in Betracht ge-
kommen seien, ändere hieran nichts. Denn es reiche aus, wenn die Verantwort-
lichkeit so weit geklärt sei, dass der Gläubiger eine hinreichend aussichtsreiche,
wenn auch nicht risikolose Klage, erheben könne. Da die Klägerin die Kenntnis
zeitlich nach der bindenden Feststellung der Leistungspflicht erlangt habe, habe
die Verjährung nicht taggenau mit der Feststellung, sondern gemäß § 199
Abs. 1 BGB erst mit dem Schluss des Jahres 2006 zu laufen begonnen. Dem-
nach habe die Frist mit Ablauf des 31. Dezember 2009 geendet, weshalb der
Anspruch bei Klageerhebung bereits verjährt gewesen sei. Die Verjährung sei
nicht durch das Schreiben der Klägerin vom 19. November 2007 und die Ant-
wort der Beklagten vom 20. November 2007 nach § 203 BGB gehemmt wor-
den. Die Klägerin habe in ihrem Schreiben nicht hinreichend deutlich gemacht,
dass und welche Ansprüche sie geltend machen wolle, so dass auch in der Re-
aktion der Beklagten noch kein Meinungsaustausch über den Anspruch zu se-
hen sei. Aus der Äußerung des Geschäftsführers habe die Klägerin nicht
schließen können, die Beklagte wolle sich auf Erörterungen über die Berechti-
gung der Ansprüche einlassen. Das Anerkenntnis des Haftpflichtversicherers
der Beklagten vom 2. Februar 2010 habe nicht zu einem Neubeginn der Verjäh-
rung geführt, da der Anspruch zu diesem Zeitpunkt bereits verjährt gewesen sei
und es im Übrigen an einem Anerkenntnis gegenüber dem Gläubiger fehle.
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II.
Das angefochtene Urteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung im Ergeb-
nis stand.
Etwaige Ansprüche der Klägerin aus § 110 Abs. 1 SGB VII sind gemäß
§ 113 Satz 1 SGB VII verjährt. Nach dieser Vorschrift gelten für die Verjährung
der Ansprüche nach den §§ 110 und 111 SGB VII die §§ 195, 199 Abs. 1 und 2
und § 203 BGB entsprechend mit der Maßgabe, dass die Frist von dem Tag an
gerechnet wird, an dem die Leistungspflicht für den Unfallversicherungsträger
bindend festgestellt oder ein entsprechendes Urteil rechtskräftig geworden ist.
Im Streitfall hat die dreijährige Verjährungsfrist (§ 195 BGB) spätestens mit dem
Schluss des Jahres 2006 begonnen, da die Voraussetzungen des § 199 Abs. 1
BGB seit dem 18. Januar 2006 vorliegen und jedenfalls im September 2006 mit
Eintritt der Bestandskraft der im September 2005 ergangenen Bescheide die
Leistungspflicht für die Klägerin bindend festgestellt worden ist. In der Folgezeit
ist die Verjährung nicht gehemmt worden, weshalb die Frist Ende des Jahres
2009 und somit vor Klageeinreichung abgelaufen ist. Die Beklagte hat der Klä-
gerin gegenüber auch nicht auf die Einrede verzichtet.
1. Spätestens im September 2006 ist gegenüber beiden Versicherten die
Leistungspflicht für die Klägerin bindend festgestellt worden.
a) Eine Feststellung der Leistungspflicht ist für den Unfallversicherungs-
träger jedenfalls dann bindend, wenn sie durch Verwaltungsakt getroffen wird
(vgl. Krasney in Becker/Burchardt/ders./Kruschinsky/Heinz, SGB VII, § 113
Rn. 8 [Stand: Februar 2014]; BeckOK-SozR/Stelljes, § 113 SGB VII Rn. 5
risPK-SGB VII/Hillmann, 2. Aufl., § 113 Rn. 9; KassKomm/Ricke, § 113 SGB VII
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8
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SGB VII, 4. Aufl., § 113 Rn. 4; Konradi, BG 2010, 458, 460 f.; OLG Dresden,
Urteil vom 29. Mai 2012 - 9 U 871/11, n.v.). Denn ein Verwaltungsakt (§ 31
SGB X) entfaltet mit seiner Bekanntgabe eine Bindungswirkung für die erlas-
sende Behörde. Wenn nichts anderes bestimmt ist, darf sie ihn nur in den Fäl-
len der §§ 44 bis 49 SGB X und nur unter den dort genannten Voraussetzungen
zurücknehmen oder widerrufen (vgl. BSGE 24, 162, 165; 53, 284, 287 f.; BSG,
SozR 1500 § 77 Nr. 18; VersR 1990, 222, 223; SozR 4-4200 § 22 Nr. 13
Rn. 18; Littmann in Hauck/Noftz, SGB X, K § 39 Rn. 5 f. [Stand: April 2007];
KassKomm/Steinwedel, § 39 SGB X Rn. 8 f. [Stand: April 2011]; vgl. auch BGH,
Urteil vom 19. Juni 1998 - V ZR 43/97, NJW 1998, 3055, 3056 zum VwVfG).
Für § 113 Satz 1 SGB VII reicht es aus, wenn die Leistungspflicht nur
dem Grunde nach festgestellt wird. Eine Bewilligung konkreter Leistungen wird
nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht verlangt. Auch nach ihrem Sinn und
Zweck kommt es nur darauf an, dass die für den Anspruch aus § 110 Abs. 1
SGB VII bedeutsame Frage, ob ein Versicherungsfall vorliegt, endgültig geklärt
ist (vgl. Senatsurteile vom 21. September 1971 - VI ZR 206/70, VersR 1971,
1057, 1058 und vom 21. Dezember 1971 - VI ZR 137/70, VersR 1972, 271, 272
zu § 642 RVO), nicht aber darauf, dass die vom Unfallversicherungsträger zu
gewährenden Leistungen auch der Höhe nach endgültig feststehen (vgl. Se-
natsurteil vom 18. Mai 1955 - VI ZR 74/54, BGHZ 17, 296 zu § 907 RVO). Ge-
gen die Annahme eines so weiten Schutzzweckes (vgl. KassKomm/Ricke,
§ 113 SGB VII Rn. 6 [Stand: Mai 2014]) spricht, dass die für den Unfallversiche-
rungsträger bindende Feststellung der Leistungspflicht nicht nur Voraussetzung
für die Verjährung seiner eigenen Ansprüche ist, sondern auch für die Verjäh-
rung der Ansprüche anderer Sozialversicherungsträger (vgl. Senatsurteile vom
24. Februar 1970 - VI ZR 140/68, VersR 1970, 365 f. und vom 21. September
1971
- VI ZR
206/70,
aaO
zu
§ 642
RVO;
Krasney
in
Be-
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cker/Burchardt/ders./Kruschinsky/Heinz, SGB VII, § 113 Rn. 6 [Stand: Februar
2014]; Nehls in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 113 Rn. 4 f. [Stand: August 2012]).
Für diese Ansprüche ist der Umfang der aus der gesetzlichen Unfallversiche-
rung zu gewährenden Leistungen unerheblich.
b) Im Streitfall hat das Berufungsgericht eine für die Klägerin bindende
Feststellung der Leistungspflicht bereits darin gesehen, dass sie Verletztengeld
an den Versicherten H. ausgezahlt und dem Versicherten D. durch die Über-
nahme von Behandlungskosten Leistungen gewährt hat. Ob dem zu folgen ist,
kann offen bleiben. Denn die Klägerin hat ihre Leistungspflicht jedenfalls
dadurch bindend festgestellt, dass sie nach den tatbestandlichen Feststellun-
gen im landgerichtlichen Urteil im September 2005 beide Versicherte schriftlich
darüber informiert hat, dass ein Arbeitsunfall vorliege und sie daher Leistungen
zu erbringen habe. Diese Feststellungen sind gemäß § 559 ZPO Grundlage der
revisionsrechtlichen Nachprüfung, da das Berufungsgericht sie gemäß § 540
Abs. 1 Nr. 1 ZPO in Bezug genommen hat und die Feststellungen seiner eige-
nen Sachverhaltsdarstellung nicht widersprechen (vgl. BGH, Urteile vom 7. No-
vember 2003 - V ZR 141/03, WM 2004, 894, 895 und vom 11. Januar 2011
- XI ZR 220/08, WM 2011, 309 Rn. 13). In den beiden Schreiben liegen Verwal-
tungsakte, mit denen die Klägerin jeweils das Vorliegen eines Versicherungsfal-
les anerkannt und ihre Leistungspflicht dem Grunde nach festgestellt hat (vgl.
BSGE 24, 162, 164 f.; BSG, SozR 1500 § 77 Nr. 18 S. 9 f.). Denn ein verstän-
diger Versicherter wird eine solche Erklärung des zuständigen Unfallversiche-
rungsträgers in Ermangelung anderweitiger Anhaltspunkte jedenfalls dann als
verbindliche Regelung und nicht als bloße Auskunft auffassen, wenn der Unfall-
versicherungsträger - wie im Streitfall die Klägerin - in einem engen zeitlichen
Zusammenhang mit dem Schreiben tatsächlich Leistungen erbringt.
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c) Ob eine für den Unfallversicherungsträger bindende Feststellung der
Leistungspflicht nur die Bekanntgabe eines entsprechenden Verwaltungsaktes
(so OLG Dresden, r+s 2012, 623, 624; Urteil vom 29. Mai 2012 - 9 U 871/11,
n.v.; Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, § 113 Rn. 4 [Stand: Erg.-Lfg. 2/14];
Krasney in Becker/Burchardt/ders./Kruschinsky/Heinz, SGB VII, § 113 Rn. 8
[Stand: Februar 2014]; Nehls in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 113 Rn. 5 [Stand:
August 2012]; Schmitt, SGB VII, 4. Aufl., § 113 Rn. 4; Konradi, BG 2010, 458,
461; vgl. auch Möhlenkamp, VersR 2013, 544, 547 f.) oder auch dessen Unan-
fechtbarkeit voraussetzt (so Geigel/Wellner, Der Haftpflichtprozess, Kap. 32
Rn. 44; KassKomm/Ricke, § 113 SGB VII Rn. 6a [Stand: Mai 2014]; LPK-SGB
VII/Grüner, 4. Aufl., § 113 Rn. 3; Lang, SVR 2015, 139, 142; Leube in Ka-
ter/ders., SGB VII, § 113 Rn. 2), kann dahinstehen, weil die Ansprüche auch
dann verjährt sind, wenn man auf die Unanfechtbarkeit abstellt. Der Beklagten
gegenüber waren die im September 2005 ergangenen Bescheide von Anfang
an unanfechtbar, weil sie durch die Anerkennung der Versicherungsfälle nicht
nachteilig in ihrer Rechtsstellung betroffen wurde (vgl. Senatsurteil vom 17. Juni
2008 - VI ZR 257/06, BGHZ 177, 97 Rn. 9). Den Versicherten gegenüber sind
die Bescheide - eine Anfechtungsbefugnis unterstellt (vgl. dazu Kass-
Komm/Ricke, § 108 SGB VII Rn. 2f [Stand: Oktober 2014]) - jedenfalls mit Ab-
lauf der Jahresfrist des § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG im September 2006 unanfecht-
bar geworden.
2. Umstritten ist, ob die bindende Feststellung der Leistungspflicht bzw.
die Rechtskraft eines entsprechenden Urteils gemäß § 113 Satz 1 SGB VII für
den Verjährungsbeginn ausreichen (so Möhlenkamp, VersR 2013, 544, 545 ff.;
Lemcke, r+s 2012, 624 f.; jurisPK-SGB VII/Hillmann, 2. Aufl., § 113 Rn. 8;
Schmitt, SGB VII, 4. Aufl., § 113 Rn. 4) oder ob wegen des Verweises auf § 199
Abs. 1 BGB zusätzlich die dort normierten Voraussetzungen vorliegen müssen
(so OLG Dresden, r+s 2012, 623; Urteil vom 29. Mai 2012 - 9 U 871/11, n.v.;
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BeckOK-SozR/Stelljes, § 113 SGB VII Rn. 3 f. [Stand: September 2015]; Kras-
ney in Becker/Burchardt/ders./Kruschinsky/Heinz, SGB VII, § 113 Rn. 8 [Stand:
Februar 2014]; Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, § 113 Rn. 3 [Stand: Erg.-Lfg.
2/14]; Geigel/Wellner, Der Haftpflichtprozess, 27. Aufl., Kap. 32 Rn. 43; Nehls in
Hauck/Noftz, SGB VII, K § 113 Rn. 5 [Stand: August 2012]; KassKomm/Ricke,
§ 113 SGB VII Rn. 3, 6 [Stand: Mai 2014]; LPK-SGB VII/Grüner, 4. Aufl., § 113
Rn. 3). Auch diese Frage bedarf keiner Entscheidung. Denn ein etwaiger An-
spruch ist bereits im Jahr 2005 entstanden (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Zudem
wendet sich die Revision ohne Erfolg gegen die Annahme des Berufungsge-
richts, die Klägerin habe am 18. Januar 2006 Kenntnis von den anspruchsbe-
gründenden Umständen und der Person des Schuldners erlangt (§ 199 Abs. 1
Nr. 2 BGB).
a) Eine solche Kenntnis liegt im Allgemeinen vor, wenn dem Geschädig-
ten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form der Fest-
stellungsklage, Erfolg versprechend, wenn auch nicht risikolos, möglich ist. We-
der ist notwendig, dass der Geschädigte alle Einzelumstände kennt, die für die
Beurteilung möglicherweise Bedeutung haben, noch muss er bereits hinrei-
chend sichere Beweismittel in der Hand haben, um einen Rechtsstreit im We-
sentlichen risikolos führen zu können (vgl. BGH, Urteile vom 27. Mai 2008
- XI ZR 132/07, VersR 2009, 685 Rn. 32 und vom 9. November 2007 - V ZR
25/07, NJW 2008, 506 Rn. 15; zu § 852 Abs. 1 BGB a.F. vgl. Senatsurteil vom
14. Oktober 2003 - VI ZR 379/02, VersR 2004, 123 mwN).
b) Gemessen an diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht rechts-
fehlerfrei angenommen, dass die Klägerin die nach seiner Ansicht für den Ver-
jährungsbeginn erforderliche Kenntnis mit Eingang des Unfallberichts in der für
den Regress zuständigen Rechtsabteilung (vgl. Senatsurteil vom 17. April 2012
- VI ZR 108/11, BGHZ 193, 67 Rn. 10 ff.) am 18. Januar 2006 erlangt hat.
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aa) Auf Grund dieses Berichts mussten die Mitarbeiter der Rechtsabtei-
lung davon ausgehen, dass die von der Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit
behaupteten Versäumnisse aus dem Verantwortungsbereich der Beklagten den
Arbeitsunfall jedenfalls mitverursacht hatten. Denn die behaupteten Versäum-
nisse werden darin unter der Überschrift "Organisatorische Ursachen" im Ein-
zelnen aufgeführt (Belastung der noch nicht standsicher aufgestellten Binder
mit schweren Schalbrettern; fehlende Unterweisung der Beschäftigten bezüg-
lich der sicherheitstechnischen Angaben über den Einbau und die Aussteifung
der Binder; keine Überwachung der Arbeiten während der Abwesenheit des
Geschäftsführers der Beklagten; keine Ermittlung erforderlicher Schutzmaß-
nahmen) und als "Unfallursächliche Verstöße" gegen verschiedene Unfallverhü-
tungsvorschriften gewertet. Demgegenüber verweist die Revision ohne Erfolg
darauf, dass es an anderer Stelle heißt, die technische Ursachenklärung sei
noch nicht abgeschlossen; der Geschäftsführer der Beklagten zweifele die Sta-
tik der Binder an. Diesen Gesichtspunkt hat das Berufungsgericht gesehen und
rechtsfehlerfrei für unerheblich gehalten. Aus dem Bericht ergibt sich nicht, dass
die Bewertung der organisatorischen Ursachen wegen der nicht abgeschlosse-
nen technischen Ursachenklärung nur vorläufigen Charakter hatte.
bb) Ebenfalls ohne Erfolg bleibt die Rüge, das Berufungsgericht habe
nicht festgestellt, ob dem Unfallbericht ein vorsätzliches oder grob fahrlässiges
Handeln einer der in § 111 SGB VII genannten Personen zu entnehmen sei
(vgl. dazu Senatsurteil vom 18. November 2014 - VI ZR 141/13, VersR 2015,
193 Rn. 21 mwN). Einer solchen Feststellung bedurfte es nicht. Denn das Beru-
fungsgericht hat rechtsfehlerfrei darauf abgestellt, dass in dem Unfallbericht
bereits alle wesentlichen Umstände aufgeführt sind, auf die die Klägerin selbst
ihre Ansprüche im vorliegenden Verfahren stützt. Dieser Annahme tritt die Re-
vision nicht in erheblicher Weise entgegen. Sie zeigt nicht auf, dass die Klägerin
im vorliegenden Rechtsstreit die von ihr angenommene Verantwortlichkeit des
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Geschäftsführers der Beklagten mit Tatsachen begründet hat, die ihr auf Grund
des Unfallberichts noch nicht bekannt waren. Dann aber kann offen bleiben, ob
die von der Klägerin vorgetragenen und ihr im Wesentlichen bereits seit Ein-
gang des Unfallberichts bekannten Tatsachen den Schluss auf ein grob fahrläs-
siges Handeln des Geschäftsführers zulassen. Denn wenn dies nicht der Fall
sein sollte, wäre die Klage schon deshalb unbegründet, weil die Anspruchsvo-
raussetzungen nicht dargetan sind. Rechtfertigen die Tatsachen hingegen den
Vorwurf, konnte die Klägerin bereits seit Eingang des Unfallberichts eine Erfolg
versprechende, wenn auch nicht risikolose, Klage erheben.
3. Liegen nach alledem die Voraussetzungen des § 199 Abs. 1 BGB seit
Januar 2006 vor und ist die Leistungspflicht jedenfalls im September 2006 für
die Klägerin bindend festgestellt worden, so hat die Verjährung entweder tag-
genau mit der Feststellung (vgl. Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, § 113 Rn. 3
[Stand: Erg.-Lfg. 2/14]; Möhlenkamp, VersR 2013, 544, 547; Konradi, BG 2010,
458, 460), spätestens aber mit dem Schluss des Jahres 2006 begonnen (vgl.
OLG Dresden, r+s 2012, 623, 624; BeckOK-SozR/Stelljes, § 113 SGB VII
Rn. 4 f. [Stand: September 2015]; KassKomm/Ricke, § 113 SGB VII Rn. 6c
[Stand: Mai 2014]; KKW/von Koppenfels-Spies, 4. Aufl., § 113 SGB VII Rn. 3).
4. Zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Frist Ende
des Jahres 2009 abgelaufen ist. Gegen seine Annahme, die Verjährung sei
durch das Schreiben der Klägerin vom 19. November 2007 und die Antwort der
Beklagten vom folgenden Tag nicht gemäß § 203 Satz 1 BGB gehemmt wor-
den, wendet sich die Revision ohne Erfolg.
Nach dieser Vorschrift tritt eine Hemmung der Verjährung ein, wenn zwi-
schen dem Schuldner und dem Gläubiger Verhandlungen über den Anspruch
oder die den Anspruch begründenden Umstände schweben. Dafür genügt nach
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ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jeder Meinungsaustausch
über den Schadensfall zwischen dem Berechtigten und dem Verpflichteten, so-
fern nicht sofort und eindeutig jeder Ersatz abgelehnt wird. Verhandlungen
schweben schon dann, wenn der in Anspruch Genommene Erklärungen abgibt,
die dem Geschädigten die Annahme gestatten, der Verpflichtete lasse sich auf
Erörterungen über die Berechtigung von Schadensersatzansprüchen ein. Nicht
erforderlich ist, dass dabei eine Vergleichsbereitschaft oder eine Bereitschaft
zum Entgegenkommen signalisiert wird (vgl. nur Urteile vom 10. Mai 2012
- IX ZR 125/10, BGHZ 193, 193 Rn. 63 und vom 3. Februar 2011 - IX ZR
105/10, VersR 2011, 756 Rn. 14; zu § 852 Abs. 2 BGB a.F. vgl. Senatsurteile
vom 26. September 2006 - VI ZR 124/05, VersR 2007, 76 Rn. 5 und vom
17. Februar 2004 - VI ZR 429/02, VersR 2004, 656, 657).
Ausgehend von diesem Maßstab hat das Berufungsgericht die Aufnahme
von Verhandlungen rechtsfehlerfrei verneint. Die Auslegung des Berufungsge-
richts, dass die Klägerin in ihrem Schreiben noch nicht hinreichend deutlich
gemacht habe, dass sie der Beklagten gegenüber Ansprüche geltend machen
wolle, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Nach den getroffenen Feststellungen
hat die Klägerin lediglich erklärt, sie habe dies zu prüfen und bitte um Mitteilung
der Haftpflichtversicherung. Das Berufungsgericht hat diese Erklärung ohne
Rechtsfehler dahingehend gewürdigt, dass das Schreiben nur der Vorbereitung
einer Kontaktaufnahme mit dem Haftpflichtversicherer, nicht aber einem Mei-
nungsaustausch mit der Beklagten über den Schadensfall gedient habe. Ent-
sprechendes gilt für die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass es zu einem
solchen Meinungsaustausch auch in dem am folgenden Tag mit dem Ge-
schäftsführer der Beklagten geführten Telefonat nicht gekommen sei. Dass das
Berufungsgericht der vagen Äußerung des Geschäftsführers, das Verfahren
solle abgewartet und die Versicherung "eventuell" später mitgeteilt werden,
nicht entnommen hat, die Beklagte wolle sich auf Erörterungen über die Be-
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rechtigung der Ansprüche einlassen, ist ein mögliches und damit rechtlich zu-
lässiges Verständnis dieser Erklärung. Die festgestellte Äußerung ließ nicht er-
kennen, dass die in den Raum gestellten Ansprüche geprüft würden oder dass
die Klägerin jedenfalls verlässlich mit einer weiteren Erklärung rechnen durfte
(vgl. Senatsurteil vom 26. September 2006 - VI ZR 124/05, VersR 2007, 76 Rn.
5 f.; BGH, Urteil vom 20. Dezember 1974 - IV ZR 191/73, VersR 1975, 440,
441).
5. Ohne Erfolg bleibt schließlich die Rüge der Revision, das Berufungs-
gericht habe nicht geprüft, ob der Haftpflichtversicherer der Beklagten einen
Verjährungsverzicht erklärt habe. Nach den getroffenen Feststellungen bieten
die beiden vom Haftpflichtversicherer der Beklagten gegenüber der Deutschen
Rentenversicherung Berlin-Brandenburg im Jahr 2010 abgegebenen Erklärun-
gen keinen Anhalt dafür, dass der Haftpflichtversicherer auch im Verhältnis zur
Klägerin auf die Verjährung verzichten wollte. Dies gilt - wie bereits das Landge-
richt zutreffend angenommen hat - selbst dann, wenn man zu Gunsten der Klä-
gerin unterstellt, dass sie und der Rentenversicherer als Gesamtgläubiger im
Sinne des § 428 BGB anzusehen sind (vgl. KassKomm/Ricke, § 110 SGB VII
Rn. 8b [Stand: September 2013]; Vatter, NZV 2010, 537; Lemcke, r+s 2007,
221, 228). Denn da die Verjährung nach § 429 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit
§ 425 Abs. 2 BGB keine Gesamtwirkung hat (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar
1985 - VII ZR 72/84, NJW 1985, 1551, 1552), kann auch ein vom Schuldner
gegenüber einem Gesamtgläubiger erklärter Verzicht auf die Verjährung im
Zweifel nicht dahin ausgelegt werden, dass er auch das Verhältnis zu anderen
Gesamtgläubigern betrifft. Dass im Streitfall konkrete Umstände gegeben sind,
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die eine abweichende Auslegung gebieten könnten, ist nicht festgestellt und
wird auch von der Revision nicht geltend gemacht.
Galke
Wellner
Stöhr
Oehler
Roloff
Vorinstanzen:
LG Cottbus, Entscheidung vom 20.09.2013 - 6 O 269/10 -
OLG Brandenburg, Entscheidung vom 09.12.2014 - 3 U 48/13 -